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können die Postsachen direkt vom Postamt in die Wagen gebracht werden; liege sie in der Stadt, so müßten die Postsachen mit besonderen Trans­portmitteln erst aus die Bahn wieder gebracht werden. Dadurch müßten auch die Schalter- dienstzeitkn gekürzt werden. Man könne in dieser Hinsicht keine Grundsätze aufstellen. Die Post­verwaltung stelle nicht den Grundsatz auf, daß man die Postanstalt unter allen Umständen an dem Bahnhof erstellen solle. Außerdem müsse man auch hervorheben, daß häufig hinter dem vorgeschobenen Allgemeininteresie ein verschleier­tes Privatinteresse stecke. Da gebe cs überall in der Nähe des zu erstellenden Gebäudes Wirt­schaften und Kaufläden, die ihren Vorteil zu wahren suchen, das nenne man dann Allgemein­interesse. Ber.-Erst. v. Leibbrand giebt nun einen eingehenden Ueberblick über die Postver- hültnisse in Wildbad, wobei genau berechnet wird, wie viel Gänge in die Post gemacht werden, wie viel Zeit dazu gebraucht wird, wie viel Zeit das Publikum mehr braucht, als wenn das Postge­bäude mitten in der Stadt liegen würde u. s. w. Es müsse jedenfalls überall die öffentliche Mein­ung, nicht blos dem postalischen Interesse Rech­nung getragen werden. Die Herstellung eines Postgcbäudes in Wildbad begegne nach der Be­gründung erheblichen Schwierigkeiten, insoserne die Gemeinde aus Unterbringung des Hauptpost­amts in der Stadt dringe, während die Post­verwaltung das Postgebäude an den Bahnhof verlegen und während der Saison eine Postab­lagestelle im K. Badhotel unterbringen will. Die Schwierigkeiten bei der Lösung dieser Frage seien erheblich; ein Aufwand von 170 000 wie er bei Ankauf und Umbau eines vorhandenen Anwesens in der Stadt entstehen würde, erscheine mit Rücksicht darauf doch ganz unverhältnismäßig hoch, als außerhalb der Saison der Postverkehr Wildbads ein sehr kleiner ist. Wenn es wahr­scheinlich auch nicht angeht, das neue Postge­bäude an der von der Postverwaltung in Aus­sicht genommenen Stelle zu errichten, so sei doch die Möglichkeit vorliegend, dasselbe in der Nähe des Bahnhofs überhaupt unterzubringen; die ge­forderte Exigenz von 70000 vkL, die zur Be­friedigung der Bedürfnisse des Postamts Wild­bad unaufschieblich nötig erscheint, werde des­halb an sich nicht zu beanstanden sein. Von dem Abgeordneten von Neikenbürg, Commereü, wurde in der Kommission vorgctragen, wie es nach seiner Kenntnis der lokalen Verhältnisse das Zweckmäßigste wäre, wenn die Postveraltung ein ihr zur Miete auf eine lange Reihe von Jahren angebotenes, paffend gelegenes Hinter­gebäude im Mittelpunkt der Stadt beziehen und hier abwarten würde, wie sich die Frage der Errichtung eines definitiven Posthausbaues oder einer Erwerbung am zweckmäßigsten lösen lasse. Die Kommission erachte es für zweckmäßig, die kgl. Regierung weder in der einen oder anderen Richtung zu drängen, sie wolle derselben zunächst die einem Neubau nötigen Mittel zur Verfüg­ung stellen und ihr überlassen, die beste Lösung in der Sache zu suchen. Commerell: Es würde für Wildbad sehr empfindlich sein, wenn nach dem Kommissionsantrag die Post außerhalb der Stadt errichtet werde. Apotheken wie Post­gebäude sollten womöglich mitten in der Stadt liegen. Er möchte deshalb die dringende Bitte an den Herrn Minister richten, diese Angelegen­heit in wohlwollende Untersuchung zu ziehen. Die Pachtung des schon genannten Hinterge­bäudes des Hotel de Russie werde jährlich 5000 betragen. Ministerpräsident Dr. Frhr. v. Mittnacht: Damit der Postserwalt- ung nicht nachgesogt werde, daß sie auf die Wünsche des Publikums auch nicht ein bischen Rücksicht nehme, bemerke er noch Folgendes. Die Postverwaltung wollte ursprünglich ein Hotel erwerben, man habe an einen Preis von 180000 gedacht, da aber der Preis auf 190000 stieg, so habe man das Hotel seinem jetzigen Besitzer überlassen. Man habe nun ein 2. Hotel kaufen wollen, dagegen haben sich aber die bürger­lichen Kollegien ausgesprochen. Nun haben die bürgerlichen Kollegien selbst einen Vorschlag ge­macht, nämlich das Comberger'sche Anwesen zu kaufen. Dabei hätte die Postverwaltung zu er­

werben das ganze Comberger'sche Anwesen, Vorder­haus u. Hinterhaus mit Garten, dazu müßte noch ein weiteres Haus gekauft werden. Mit Umbau würde die ganze Sache 220000 kosten. Da war die Postbehörde der Ansicht, daß diese Ausgabe für eine Stadt mit 3000 Einwohnern zu hoch sei. Das weiter vorgeschlagene Gebäude eigne sich als Hinterhaus nicht gut, auch sei 5000 Pacht zu viel. Die bürgerlichen Kollegien sollen nicht zu viel Widerstand machen, sie sollen auch mit der Eventualität rechnen, daß die Postverwaltung auf dem Platz vor dem Bahnhofe baue. Immerhin würde sie gerne, wenn es sich ermöglichen läßt, mitten in die Stadt bauen. Der ganze Art. 7 wird schließ­lich angenommen.

Stuttgart, 16. Mai. Eine soeben er­schienene Schrift eines ehemaligen württemb. Zahlmeisteraspiranten Namens Bihler, betitelt: Ein militärischer Justizmord (Preis 40 Pfennig) wird hier in den interessierten Kreisen lebhaft erörtert. Es dürfte ihrer auch in der Kammer Erwähnung geschehen, da Bihler eine Eingabe an dieselbe gerichtet hat. Bis dahin muß dahingestellt bleiben, inwieweit Bihlers Be­hauptungen begründet sind. (Neckarztg.)

Freudenstadt. 23. Mai. Rechtsanwalt Stockmayer in Stuttgart hat die ihm von der Vertrauensmänner-Versammlung in Freuden- stadt angetragene Kandidatur für die Reichstags­wahl endgiltig abgelehnt.

Anstand.

Brüssel, 20. Mai. DieTugendrose" oder wie man hier zu Lande sagt, die goldene Rose, welche diesmal vom Papste der Königin von Belgien zuerkannt wurde, soll der letzteren innerhalb 14 Tagen feierlich überreicht werden. Die Einsegnung der Rose wurde am letzten Pfingstsonntag in der Basilika vom hl. Petrus in Rom durch den Papst selbst vollzogen und wird der Kardinal-Staatssekretär den Spezial- Delegierten ernennen, welcher die kostbare Aus­zeichnung nach Brüssel bringen soll. Die letztere ist ein wahres Meisterstück der Kunst; sie hat eine Höhe von 40 em, ist reich mit Edelsteinen geziert und hat einen materiellen Wert von etwa 10 000 Francs. Die Zeremonie der Uebergabe der Tugendrose an die Königin wird Hierselbst in der St. Jakobskirche unter der Entfaltung des größten Pompes vor sich gehen. Sämtliche Mitglieder des diplomatischen Korps und der Kammern werden Einladungen zu der Feierlich­keit erhalten, zu der der päpstliche Nuntius so­wie der Spezial-Delegierte ans Rom in könig­lichen Equipagen unter Begleitung einer Ab­teilung Kavallerie abgeholt werden sollen. Die Rose wird der Königin in der Kirche nicht etwa durch einen der beiden letzteren, sondern durch eine Ehrendame Ihrer Majestät überhändigt werden. Die Feierlichkeit wird voraussichtlich eine große Menge von Fremden nach Brüssel locken, von denen jedoch wohl nur sehr wenige Gelegenheit finden dürften, derselben beizuwohnen.

Mars-la-Tour, 26. Mai. Die A u s- grabung der Leichen der deutschen Krieger wurde auf 10 Tage verschoben, da die Abtrag­ung des Denkmals und der Wiederaufbau in Amanweiler erforderlich ist.

Triest, 26. Mai. In Oberitalien regnet es seit 3 Tagen unaufhörlich; kleinere ausge­tretene Flüsse richteten großen Schaden an. In Savona sind mehrere Häuser eingestürzt, wobei 3 Menschen umkamen. Bei Mondovi werden 7 Personen vermißt. Die Eisenbahnlinien Bastia- Mondovi, Alba-Asti und Asti-Castagnoli sind unterbrochen.

Der italienische Senathat das Justiz­budget des Ministeriums abgelehnt, worauf das ganze Kabinet Giolitti seine Entlassung einreichte, übrigens wurde die Ministerkrisis alsbald wieder beigelegt, und die bisherigen mit Ausnahme des Justizministers sind in ihren Aemtern geblieben.

Der russische Zar wird sich demnächst nach Moskau begeben, um der Enthüllung eines Denkmals des Zarbefreiers Alexander II., seines Vaters, beizuwohnen. Die russischen Panslavisten erwarten bei dieser Gelegenheit eine Rede des Zaren, worin dieser den Bul­

garen für ihre angebliche Undankbarkeit den Ten lesen soll; da Rußland mit seinen Krieasrüst ungen noch nicht fertig ist. wird sich aber der Zar voraussichtlich hüten, schon jetzt die Brand- fakel des Krieges zu entzünden. Die Korr, meldet aus Odessa: Der Zar Verfölge die Verstärkung der Flotte im Schwarzen Meer um weitere 2 Panzerschiffe. °

London, 26 . Mai. Einer Reutermelduna aus Kairo der Baumwollernteberichten zufolae

ist die erste Aussaat infolge Kälte vernichtet vielfach sind 3 Aussaaten erforderlich gewesen so daß sich die Ernte um 30 bis 40 Tage vev zögert. Sollten die Herbstnebel vor der Reife kommen, so würde die Ernte notleiden.

Chicago. 26. Mai. Die deutsche land­wirtschaftliche Abteilung der Ausstellung wurde gestern eröffnet. Besonderes Interesse erregt das Chskolademodell des Niederwalddenkmals.

Vermischtes.

Fürst Bismarck ist am Himmelfahrtstage in Friedrichruh von 260 Lübecker Turnern be­grüßt worden. Die Ansprache des Turnwaris Ewers beantwortete Fürst Bismarck mit einer kurzen Rede, in welcher er, anknüpfend an seine eigenen Jugenderlebnisse, die Bedeutung der körperlichen Üebungen für die Entwicklung der germanischen Völker hervorhob. Er schloß mit einem Hoch auf die deutsche Turnerschast, als die Trägerin des nationalen Gedankens und fügte hinzu:Wir gehen Zeiten entgegen, in welchen jeder Beitrag in dieser Richtung dank­bar begrüßt werden muß." Jubelnder Zuruf und der Gesang des LiedesDeutschland, Deutschland über Alles" begleiteten den Fürsten, als er rüstig von dannen schritt. Aus Bcrge- dorf bei Hamburg wird der Tägl. Rundschau geschrieben: Am 16. Mai machte die Berge­dorfer Volksschule, etwa 800 Kinder, einen Ausflug nach dem benachbarten Friedrichs­ruh, um dem Fürsten Bismarck ihre Huldig­ung darzubringen. Nachdem die Kinder vor dem Landhause Auffstellung genommen hatten, erschien um '/ei Uhr der Fürst. Sein Aus­sehen war recht frisch, obgleich nach Aussage des Dr. Crysander der Fürst keinen guten Tag hatte und an heftigen neuralgischen Schmerzen litt. Aus seinen Zügen leuchtete der Ausdruck Heller Freude, so viel strahlenden Kinderaugen zu begegnen. Jubelnde Zurufe begrüßten ihn. Nach einer Ansprache des Rektors stimmte der Schülerchor:Dir, Fürst Bismarck, Deutsch­lands Helden, Dir sei dieses Lied geweiht" an, worauf die kleinste der Schülerinnen dem Fürsten mit den Worten:Dich grüßen heule Nur kleine Leute; Doch glaub' es bloß, - Unsre Lieb ist groß" einen Blumenstrauß überreichte. Nun richtete der Fürst folgende Ansprache an die Kinder:Kinder ich danke Euren Lehrern und Euch für Eure freundliche, nachbarliche Begrüßung, die Ihr mir heute dar­bringt, und ich wünsche Euch Allen, daß, wenn Gott Euch ein langes Leben bescheert wie mir, Ihr am Abend desselben mit gleichem Danke zurückblicken mögt auf das, was Ihr erlebt habt. Ihr seid Söhne und Töchter, die meisten von Euch, so Gott will, werden einmal Vater und Mutter sein. Ich wünsche Euch, was Gott mir gegeben hat, daß ich nicht in meinem Hause schweren Kummer und Verlust gehabt, kein Kind verloren, in glücklichster Ehe gelebt habe. Will's Gott anders, müßt Ihr still Hallen und es tragen. Ich selbst kann hier nur sagen, daß, wer von Euch alt wird, wie ich, sich im Jahre 1950 möge erinnern können, daß ich Gott dank­bar bin für Alles, was ich erlebt habe, auch für Sorge und Arbeit. Ihr habt ja selbst aus der Bibel gelernt: Wenn das Leben köstlich gewesen, » ist es Mühe und Arbeit gewesen. Arbeitet tapfer, das bringt Euch über Alles glücklich hin­weg. Die Arbeit ist das, wozu Gott uns an­gewiesen hat. Möge sie Euch Allen, Mädchen und Knaben, in Eurem späten Alter gesegnet sein und möcht Ihr 1950 oder 70 mit Befriedig­ung zurückblicken auf den heutigen Tag! ^ch danke Euch noch einmal!"

Redaktion, Druck und Verlag von Chrn. Meeh in Neuenbürg.