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Ende." Seine Frau sagte hierzu, wie zu Allem, nichts, aber in ihrem Herzen dachte sie:Das Beste wäre es freilich."

Wunsiedels Knabe war kein starkes Kind. Schon seit einiger Zeit kränkelte es, ohne daß die Symptome auf eine bestimmte Krankheit hätten schließen lassen. Heute, am zweiten Weihnachtslage, schien es schlimmer als sonst um ihn zu stehen, die besorgte Mutter schickte zum Arzt. Dieser wiegte den Kopf hin und her, warf einen sonderbaren Blick auf den Vater und meinte:Das Kind ist nicht eigentlich krank, ihm fehlt nur die nötige Nahrung. Bei kräftiger Kost und guter Pflege ist es vielleicht möglich, den Knaben zu erhalten, im andern Falle stehe ich für nichts, wenn es nicht über­haupt schon zu spät ist." Das Wort traf den leichtsinnigen Mann wie ein Blitzschlag: er ließ sein Kind verhungern, während er das Geld verpraßte. Der Rest eines besseren Gefühls regte sich in ihm, er weinte und seine Thränen sielen wie ein befeuchtender Tau auf die verkümmerten Wurzeln seines Gemürslebens. Sollte sich aus ihnen neues Sein, die Hoffnung einer besseren Zukunft entwickeln? Er faßte Vorsätze, er wollte von jetzt ab ein ruhiges, solides Leben führen, das versprach er seiner Frau um seines Kindes willen mit feierlichem Wort.

Am folgenden Morgen ging Wunstedel wie gewöhnlich zum Dienst. Auf dem Bahnhof brannten noch die Laternen, aber ihre Flammen verschwamme«, zu einem trüben Schein in dem undurchdringlichen Nebel, welcher sich feucht und schwer herabsenkte. Das war ein böser Dienst. Man mußte mit den Ohren sehen und vorsichtig zutreten. Ein der Oertlichkeit nicht ganz Kun­diger würde schwerlich ohne Schaden in dem Gewirr der sich überall kreuzenden Schienen­stränge des Privatbahnhvfs zurecht gekommen sein. Auf einem der Hauptgeleise wurde ein Güterzug formiert, ein Wagen nach dem andern ward herangeschoben und in die Rufe- und Pfeifensignale des Rangierpersonals mischten sich die kurzen Pfiffe der Lokomotiven, das Knacken und Rollen der Räder, das Raffeln der Not­ketten und das Klingen der zusammenstoßenden Bufferscheiben. Jetzt wurde von einem Anschluß­geleise eine größere Anzahl dort beladener Wagen geholt. Es mußte der Rest sein; waren diese mit dem Hauptteil verbunden, so war der Zug fertig. Wunsiedel hatte sein Notizbuch, in welches er die Nummern der verschiedenen Wagen ein­trug, unter den Arm geklemmt un die Hände in die Taschen des mit Pelz gefütterten Paletots gesteckt. Er wartete auf das Heranstoßen der noch fehlenden Wagen. Da trat einer der Rangierbeamten zu ihm.

Guten Morgen!"

Guten Morgen! Ach so, du bist es! Man muß die Leute förmlich erst durch die Brille angucken, ehe man sie erkennt bei dem Nebel."

Ja. es ist eine entsetzliche Dunkelheit, ich wollte, es würde endlich Tag."

Es war Karl, der diese Worte sprach. Der Lademeister wunderte sich darüber, daß sein früherer Freund sich ihm so friedlich näherte. Gestern noch würde er ihn schroff zurückgewiesen haben, heute aber, «vo er ja bereits angefangen halte, ein anderer Mensch zu werden, war er in versöhnlicher Stimmung und freute sich dieses Entgegenkommens, das er für ein gutes Zeichen, eine erste Belohnung seiner guten Vorsätze an­sah. Darum bemerkte er auch nicht die Un­sicherheit, das leise Zittern in der Stimme Karls, nicht des Hasses unheimliche Glut, die aus Lührs Blicken loderte. Jetzt bückte sich Karl. An der Erde lag eines jener schweren Hölzer, deren sich die Rangierer zum Bremsen der Wagen bedienten. Er nahm das Holz auf und stützte sich darauf, während sie über gleichgültige Dinge plauderten. Die Maschine mit den aus dem Anschlußgeleise gezogenen Wagen hielt jetzt oben am Uebergange und ließ einen langen Pfiff er­tönen, eine Mahnung an den Rangiermeister, welcher anscheinend nicht daran dachte, das nötige Signal zu geben. O, Karl dachte schon

daran, er dachte an Verschiedenes und seine Ge­danken waren dunkel wie die Nacht. Er atmete schwer, seine Brust wogte im unsichtbaren Kampfe, erschreckend bleich war sein Gesicht, aber aus seinen Augen blickte^kalte Entschlossenheit.Es giebt keine bessere Gelegenheit." murmelte er, es muß sein, es ist ein gutes Werk." Zwei grelle, trillernde Töne aus der kleinen Mund­pfeife. Sie klangen schrill, überlaut. Nun ein kurzer Pfiff der Lokomotive und langsam rollten die Wagen heran. Karl und Wilhelm gingen den sich dem Geräusch nach schneller und schneller bewegenden Wagen entgegen, El­fterer rechts, dem Schienenstrange am nächsten. Wenn Lühr nicht bald das Langsamfahr- und Haltesignal gibt, ist ein heftiger Zusammenstoß unvermeidlich. Jetzt werden die ersten Wagen sichtbar, nur noch zehn Schritte sind sie ent­fernt.Vorsicht" schreit Karl in diesem Augen­blick und giebt dem ahnungslos neben ihm her­gehenden Wilhelm einen Stoß den Schienen zu. Dieser stolpert seitwärts, er fällt, er will schreien, aber die Stimme versagt den Dienst, blitzschnell will er sich erheben, doch der andere stößt ihn mit dem Holz zurück. Ein letzter, unsagbar trauriger Blick und der RufMörder!" verhallt ungehört in dem Krachen der an einander prallenden Fahrzeuge. Karl kuppelt selbst die Wagen zusammen, schnell, hastig. Seine Hände zittern, kalter Schweiß perlt ihm von der Stirn, aber es muß sein, kein anderer darf jetzt diesen Ort betreten. .Nun ein langer, schwacher, flackern­der Pfiff. Karl steigt auf ein Trittbrett, ihm schwindelt, krampfhaft klammert er sich an, um nicht zu fallen, und ruhig fährt der Zug auf ein entferntes Gleis, wo er stehen bleibt bis zur Abfahrtszeit. ..

(Schluß folgt.,

Aus Amerika, 8. Mai. Ein Mitarbeiter desFigaro" hat auf seiner Reise nach Chicago Edison in dessen Werkstätte Orange Park auf­gesucht und von ihm nachstehende Einzelheiten über die neueste Erfindung des großen Elektrikers erfahren. Diese, die erst in zwei Jahren ver­öffentlicht werden soll, heißtK'netograph", der Bewegungszeichner, und soll für das Auge bas werden, was der Phonograph fürs Ohr ist. Vereint mit dem Phonographen wird derKine- tograph" es ermöglichen, irgend ein Musikstück, eine Oper oder ein Schauspiel zu hören und auch gleichzeitig alle Bewegungen wahrnehmen, welche die Darsteller dabei machen. Dann zeigte Edison eine Reihe von Augenblicksphotographien, 42 Aufnahmen in der Sekunde, und das Pho- tographen-Atelier, wo das Bild eines Menschen von vier Seiten in 2760 Stellungen in der Minute gemacht wird. Diese Photographiecn werden auf einen Cylinder gelegt und bieten im Entrollen die genaue Darstellung aller Beweg­ungen. Wenn derFigaro" nur wirklich die Wahrheit gesagt hat!

WegenUebertretung der Gaukelei" wurde vom Amtsgericht München die 33 Jahre alte Näherin Johanna Grazone zu einem Tage Haft verurteilt. Unter anderen Personen über­raschte am 14. Dezember 1892 Gendarm Müller bei der Angeschuldigten eine Dame, welche sich über den Gesundheitszustand ihres Mannes prophezeien ließ. Die Angeklagte erkundigte sich nach dem Geburtstag des Gatten, schlug dann einen Planetenkalender auf und erklärte: Herr N. N. sei im Zeichen des Planeten Widder ge­boren, dieser bringe Glück und Segen, doch leide Herr N. N. gegenwärtig an einem Lungen­oder Herzübel. Die Frau solle sich einen Smaragd" kaufen und denselben tragen, denn dieser bringe Glück und Gesundheit eine Prophezeiung, die auch die Dame glaubte!'! Große Heiterkeit erregte die von Seiten des Vorsitzenden an die Angeklagte gestellte Frage: Wenn Sie einen Blick in die Zukunft haben, wenn Ihnen Gott diese Gnade zu teil werden ließ, warum haben Sie dann die Ankunft des Gendarmen nicht vorausgesehen?" auf welche Frage die Beschuldigte mit großer Naivetät antwortete:Jawohl, mein hoher Herr, ich habe die Ankunft des Gendarmen schon Tags

zuvor in den Sternen lesen können, doch m.,. ich dieselbe für kein großes Unglück." ^

Der Hungerkünstler Dr. Tann er ha. wi. aus London gemeldet wird. durch einen S-u aus dem Fenster eines Hotels seinem Leb-n ein Ende gemacht. Dr. Tanner war bekanm,! der erste Fastenkünstler von Beruf, er hm Hungersport in die Mode gebracht und sM ein 40läg«ges Fasten durchgemacht. Er fand viele Nachahmer, aber keiner, auch nicht hn Italiener Succi brachte es zu jenerVollkommen heit", deren sich der magere, blasse und wort', karge Engländer rühmen konnte.

Eine sehr schwierige und äußerst selten von Erfolg begleitete Operation ist in Watzwalde unweit der sächsisch-böhmischen Grenze, an dem vierjährigen, sehr wertvollen Pferde eines dortigen Gutsbesitzers erfolgreich vorgenommen. Es arai- sierte vor einiger Zeit in der dortigen Gegend eine der häufigsten Pferdekrankheiten, die sog Druse, an welcher auch das erwähnte Pferd ev krankte. Die Schwellung der Halsschleimhäme wurde so stark und die Atembeschwerdeu so hoch­gradig, daß der Erstickungstod jeden Augenblick cinzutreten drohte. Da eine Behandlung mit Medikamenten bei dem nur noch röchelnd und schnaufend atmenden Pferde nicht mehr angängig erschien, so entschloß sich der durch seine erfolg­reichen Kuren bekannte Tierarzt Wenzel in Kratzen sofort zur Vornahme des Luftröhrenschnitts, der bei Tieren sehr schwer ist und nur äußerst selten vorgenommen wird. Es wurde unterhalb des Kehlkopfes die Luftröhre geöffnet und eine Kanüle eingesetzt, sodaß die Atemlust direkt in die Luftröhre gelangen konnte. Die Operation ging sehr gut vonstatten und das Pferd atmete erleichtert auf, als die Luft wieder regelmäßig und ohne besondere Beschwerden durch die Kanüle ein- und ausströmte. Die Kanüle blieb so lange in der Luftröhre, bis die Schwellung der Schleim­haut und somit das Atemhiudernis beseitigt war, dann wurde sie entfernt und die Wunde durch entsprechende Behandlung zum Verheilen gebracht. Heute ist das Pferd wieder vollkommen herge­stellt, ohne daß irgend welche Nachteile, wie sie nach dieser Operation nicht selten Vorkommen, eingetreten wären.

(Bedenklicher Druckfehler.) Der sonst so gediegene Künstler Herr W. gab den Carlos recht schlaff; zweifelsohne lagen ihm noch die Nachwehen des gestrigen Koinmerses in den Gliedern; wie ein Schulknabe lispelte er die großen Worte :

Sprich mir von allen Schrecken des Gewissens Von meinem Kater sprich mir nicht.

(Eine fidele Sitzung.) Bei einem Vereins- diner hatte es eine sehr lange Sitzung gegeben, gegen deren Ende der erste Vorstand noch eine zündende Rede halten wollte, aber alsbald unter den Tisch sank.Ich. meine Herren." rief da der zweite Vorstand,kann mich nur ganz und voll unserem ersten Herrn Vorstand anschließen " und verschwand gleichfalls.

(Aus der höheren Töchterschule^ Lehrer: Wer hat Rom gegründet?" Schülerin. Romeo."

Silben-Rätsel.

de. di. da. di, ein, fels, feld, ger. go, lay, lei. la, mans. in., rac, so, ße",

sie, tah, u, wei. , -nur

Aus vorstehenden Silben sind 8 -wo zu bilden, deren richtig geordnete Anfang w- staben von oben nach unten gelesen, ein spr ch' wort ergeben. In anderer Reihenfolge bedeuten die Wörter: einen Jndianerstamm, eine > eine Stadt, einen französischen Kompomste vorigen Jahrhunderts, eine Person aus Drama Schillcr's, einen Namen, ern FarbemiM - eine einsame Wohnung. -

E. K. in

luitrationen. Die Red

Briefkasten.

Turin. Schönsten Danl für s?

Redaktion, Druck und Verlag von Thrn. Meeh iu Neuenbürg.