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Anteryattender Leit.
In der Irre.
Eine Ostergeschichte von Erich zu Schirfeld.
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung.)
Die Zeit verrann; anfänglich langsam und schwer, dann immer schneller. Martin hatte nur einmal geschrieben und seiner Frau mitgc- teilt, daß er die Ueberfahrt gut bestanden und glücklich in New-Jork angekommen sei. Er denke hier aber nicht zu bleiben, sondern weiter zu ziehen, vielleicht nach Kalifornien, vielleicht auch anderswo hin. Und dann halte er nichts mehr von sich hören lassen, wie er's vorher gesagt. Sie hatte wenig Freude erlebt während der Zeit ihres Ehestandes. Jetzt aber gedachte sie des Mannes, wie er war, da er noch fleißig den Hammer schwang, und wie sich sein Bild in der Abschiedsstunde ihr in's Herz geprägt hatte. Sie gedachte seiner in Sehnsucht und Liebe. Das Leid, das er ihr zugefügt, war vergessen. Er war von Hause aus ein grundehrlicher, braver Mensch, nur die Politik hatte ihn verdorben und — sein Freund, der Müller. Gegen Letzteren hegte sie überhaupt einen wachsenden Abscheu. Nicht allein sein Aeußeres war ihr so widerwärtig, sondern mehr als das sein Charakter, dessen Schlechtigkeit sie sehr bald kennen gelernt hatte. Es war nämlich gar nicht lange nach der Abreise Martin's, als ihr Schierig eröffnete, er habe das Haus verkauft, sie müsse deshalb schon zum ersten Juli ausziehen und sich nach einer andern Wohnung Umsehen. Was half es ihr, daß sie sich auf sein gegebenes Versprechen berief? Er zog widerwärtig lächelnd die Schultern in die Höhe und meinte, cs lhue ihm sehr leid, aber unglückliche Verhältnisse zwängen ihn, zunächst an sich selbst zu denken. Sie wollte ihr Recht geltend machen und hohnlachend fragte er, womit sie das Recht begründen und beweisen wolle. Etwas Schriftliches habe er nicht gegeben, das Mündliche aber sei un- giltig und müsse überhaupt erst bewiesen werden. Es blieb ihr also nichts Anderes übrig, als ihr einstiges Heim zu verlassen, in welchem bald wieder das Schmiedefeuer glühte und die Hammer- schlüge dröhnten: der neue Dorfschmied war in die alte Schmiede gezogen. So schlecht hatte Schierig gehandelt, der Mann, der ihr ein väterlicher Freund sein sollte und wollte! Das Geld, welches Lore von ihrem Manne erhallen hatte, rührte sie nicht an. Sie hatte es bei der Sparkasse der Kreisstadt untergebracht. Dort mochte es stehen und sich vermehren für den Fall der Not oder für ihr Kind. Sie selbst brauchte wenig und wußte das Wenige zu verdienen. Wollten die Bauern auch dem heruntergekommenen Schmied nicht wohl, so hatten sie doch Mitleid mit seiner achtbaren, verlassenen Frau und ihrem Kinde. Sie halfen ihr, wo sie konnten und da sie jung und kräftig war, mit den Arbeiten in Haus und Feld auch gut Bescheid wußte, so fehlte es nicht an Arbeit und Verdienst. Und sie arbeitete gern, schon um die traurigen Gedanken zu verscheuchen, das Leid zu bekämpfen, dem sie in einsamen Stunden zu erliegen drohte. —
Der Müller hatte sich Anfangs um die Frau seines Freundes nicht gekümmert Vielleicht mied er ihre Nähe aus Scham über seine unehrliche Handlungsweise. Dann sprach er wohl gelegentlich einmal vor, so ganz „unabsichtlich", im Vorbeigehen, und fragte teilnahmsvoll, ob denn Martin noch immer kein Lebenszeichen von sich gegeben habe und ob er ihr auf irgend eine Weise dienlich sein könne. Die abweisende Behandlung, welche ihm Lore zu Teil werden ließ, konnte ihn kaum im Zweifel lassen über die Gefühle, welche sie für ihn hegte. Trotzdem wiederholte er seine Besuche und wurde nicht müde, der Frau seine Teilnahme zu bezeugen. Die Leute im Dorf wunderten sich über das veränderte Wesen des Müllers, der sich in der That in jeder Beziehung gebessert zu haben schien. Er kleidete sich sorgfältiger, kehrte selten im Kruge ein und trug überall die Miene des Biedermannes zur Schau. In Lore's
Wohnung kam er seit geraumer Zeit nicht mehr, nämlich seit dem Tage, an welchem ihm die junge Frau energisch die Thür gewiesen hatte. Aber wenn sie auf dem Felde beschäftigt war, dann wußte er sie zu finden und sie konnte ihm nicht ausweichen. Ruhten auch seine Blicke begehrlich auf der Gestalt der jungen, ländlich hübschen Frau, so hütete er sich doch, die Andern etwas merken zu lassen. Er redete gar ehrbar zu ihr, fragte nach dem „lieben Kinde" und schalt in moralischer Entrüstung auf den Mann, der es fertig bekam, sein schönes Weib, seine liebliche Tochter zu verlassen, um wer weiß wo ein Schlaraffenleben zu führen. Wenn er so sprach, hatte er sogar die Andern auf seiner Seite, die ihm Recht gaben und seine Einsicht lobten. Allmählich gewann er auf diese Weise die Sympathien der Dorfbewohner, deren Meinung über seine aufrichtige Besserung sich zu seinen Gunsten in dem Maße änderte, wie sich das frühere Wohlwollen für Lore in Unzufriedenheit verwandelte. Man hielt ihre Abneigung gegen den Müller für Hochmut und Stolz, ihre abweisende Haltung für Mangel an Erkenntlichkeit gegen den Mann, der doch nur ihr Bestes wollte. „Das dumme Ding mag ihn nicht leiden, weil er häßlich ist," sagten sic, „oder weil — na wer weiß, was dahinter steckt, wir werden's ja erleben. Hochmut kommt vor dem Fall."
4 *
Und weiter rollte die Zeit. In ihrem Wechsel schwanden Sommer und Winter, Frühling und Herbst, aber Martin kehrte nicht wieder und keine Botschaft brachte Kunde von seinem Leben oder Sterben. Lore's Hoffnung war schwächer und schwächer geworden, jetzt hoffte sie nicht mehr. „Er ist tot," sagte sie sich, „er würde sonst nicht Weib und Kind so ganz vergessen und verlassen haben." Und dennoch glimmte ein kleines Fünkchen in ihrer Seele und beleuchtete das Bild des Mannes, dem sie ja doch noch immer angehörte und dem sie treu blieb. Mochte er schlecht an ihr gehandelt haben, sie wollte gut und rein bleiben. Vielleicht . . . wer konnte denn wissen, wie es um ihn stand. —
Im Dorfe rüstete man sich zum Weihnachtsfeste. Ueberall wurde gebacken und gebraten. Die Bäuerin, bei welcher Lore schon lange Zeit beschäftigt war, war mit dem Anrühren des Teiges beschäftigt und entdeckte, daß sie zu wenig Mehl hatte. Lore erhielt den Auftrag, zum Müller zu gehen und das fehlende Mehl herbei zu schaffen. Sie weigerte sich, da aber die Mägde nicht abkömmlich waren und die Bäuerin verdrießlich wurde, ja sogar das beliebte Thema vom Bettelstolz und Hochmut der Habenichtse anfing, da überwand Lore ihren Abscheu vor dem Müller und machte sich im Vertrauen auf Gott und ihre muskulösen Arme auf den Weg. Es wurde ihr aber doch unheimlich zu Mute, als sie sich mit Schierig, der sie mit einem höhnischen Lächeln empfing, allein sah.
„Hab's mir wohl gedacht, mein Täubchen", sagte er grinsend, „daß Du mir doch mal in meinen Schlag fliegen würdest. Nun laß uns mal ganz in Ehren und aller Vernunft reden."
„Ich Hab' mit Dir Nichts zu reden, als was zum Geschäft gehört," erwiderte sie. „Gib mir mein Mehl und laß mich meiner Wege. Wir haben mit einander nichts zu schaffen."
„Schau schau," lachte er, „wie schön Dir der Aerger steht. Hab' Dich meiner Seel' nie so hübsch gesehen wie grade jetzt. Aber wie Du willst, Lore, zwingen thu' ich Dich nicht, obgleich Du mich wenigstens anhören könntest. Wir kennen uns schon von der Kindheit her, da brauchtest Du nicht gar so stolz thun. Und was den Martin betrifft, den schlag' Dir nur aus dem Sinn, der kommt nimmer mehr. Oder meinst, er wär' so dumm, selbst wieder in den Käfig zu kriechen, wo's doch so lustig ist in der freien, fremden, weiten Welt? Sei vernünftig Lore. Siehst Du, ich habe Geld, ich könnte Dir das Leben schön machen, wenn Du nur wolltest, wir wollten leben wie die Engel im Himmel. Fünf Jahre ist der Martin beinahe fort, nur noch fünf Jahre, dann können wir ihn für tot erklären lassen. Dann heiraten wir uns auch vor dem
Gesetz. Nun?" fragte er, da sie entsetzt „was ist da zu überlegen? Gib mir'n k auf Abschlag und die Sache ist abgemacht.' ^ - aber kam Leben in ihre Gestalt. . Jäh erreich - bog sie sich zurück. „Den (Abschlag sollst Ti> haben," rief sie und mit wuchtiger Kraß sic ihm einen Schlag in's ^Gesicht. Dann las s sie, Tragkorb und Mehl im Stiche lassend, dato«, Der Müller war von dieser unerwarteten Wk»p ung so überrascht, daß er nicht daran dachk, s ihr zu folgen. Aber mit heiserer Stimme ms s er ihr nach: „Den Schimpf zahl' ich Dir Häm, s verlaß Dich drauf. Du sollst zahm werden vil ein Kätzchen und mir aus der Hand fressen ich ein Hund. Und Gott danken wirst Du, we»» Dich ein ehrlicher Mensch noch einer Ansprch würdigt, Du Natter."
(Schluß folgt.)
Die Passionszeit legt eine kleine nM> geschichtliche Betrachtung nahe, welche für unsere Blumenliebhaber deshalb von größerem Interesse sein dürfte', weil sie eine Pflanzengattung an- s geht, die durch die Pracht ihrer Blüten als ^ Zierstrauch gerade jetzt das Augenmerk aller - Gartenfreunde auf sich lenken wird. Wir meine» s die Gattung Passiüora, d. h. die Passionsblume, ! Die Mehrzahl ihrer Angehörigen kann allerdings ( in unserer Zone nur im Warmhause gezogen - werden; indessen ist doch der Versuch geglückt, einzelne Arten im Freien zu kultiviere» und hierher gehört in erster Linie Passiüora eoeru- lea P., welche, ziemlich widerstandsfähig, sich im Zimmer oder auch im trockenen Keller über- i wintern läßt und im Sommer an sonnig»! i Wand aufs reichlichste blühend, gerade deshalb ^ als Kletter-Zierstrauch hervorragendes Interesse i beansprucht. Sie ist ausgezeichnet durch Fülle - und Eleganz der gelappten Blätter und de» ' originellen Bau der Blüten; die weißen Blume» s haben einen blauen Fadenkranz, die Frucht isl s eiförmig, von der Größe eines Hühnereies mb von prächtiger, orangegelber Färbung. Seit i 1625 bekannt, ist sie aus Peru zu uns über- , führt worden und hat hier zwei Spielarten l gezeitigt, welche bereits häufiger in Wohnzimmer» gehalten werden: P. raeoirwsa, welche n ähmd des ganzen Sommers in laugen, violette» , Trauben, und k. alata, welche in prächtige», aufrechten, blauen Blumen, mit weißem Fadenkranz blüht. Beide Arten sind hervorragend dankbar für eine Kultur in unserer Zone, welche an schönblühenden Klettersträuchern ja noch recht arm ist. — Interessant ist auch die Herkunft des Namens „Passionsblume" für die . Gattung; er leitet sich von der Eigenart der ersten Pflanze ab, welche in den erste» Jahren des 17. Jahrhunderts nach Europa : gebracht, ihren Namen von dem Jesuiten Ferrari erhielt. Diese Pflanze, von Lim später Passiflora mearnata benannt, zeigte ein!» rührigen Kelch mit fünf blumenblattartig« Lappen, mit denen Blumenblätter in prächtig roter intensiver Färbung abwechselten. Um die Griffel herum befand sich ein eleganter KM aus zahlreichen, fadenförmigen, oft strahlenartig ousgebreiteten bunten und duftenden Anhängsel»', die Fruchtknoten, welcher diese langgebildete» Griffel auf langem Träger hält, ist an dicht» Träger von einer Röhre umwachsen, die M freie Staubfäden mit großen beweglichen An- theren trägt. In den drei Griffeln erblickte Ferrari die Nägel des Kreuzes Christi, in de» fünf Staubfäden die fünf Wundmale, in dem Fadenkranz die Dornenkrone Christi und g»d daher der Pflanze ihren eigenartigen symbolisch' poetischen Namen. — Unter den bei uns ein- gesührtcn und im Warmhause vortrefflich gedeihenden, sonstigen Spielarten der Passiüora- Gattung ist hervorragend noch zu nennen ?, koriliesina P,K. et. 0., die, in Rio de Janeiro heimisch, mit lebhaft karmoisinrotcn Blumen und blauem Fahnenkranz schon bei einer HW von noch nicht einem Meter iu prächtiger Rank' ung während des ganzen Sommers blüht und einen herrlichen Anblick bietet.
Redaktion, Druck und Verlag von Chrn. Meeh in Neuenbürg.