Das neueste Verzeichnis der beim Reichs­tage eingegangenen Bittschriften spiegelt deutlich wider, welche Fragen der inneren Politik augenblicklich das deutsche Volk mit besonderer Lebhaftigkeit beschäftigen. Im Vordergründe stehen Gesuche für und gegen die Aufreckterhalt- ung des sogenannten Jesuitengesetzes, wobei die elfteren in ganz erheblichem Maße überwiegen. Den nächsten Platz nehmen die vorzugsweise von landwirtschaftlicher Seite herrührenden Petitionen ein um Ablehnung des Handelsvertrages mit Rußland, der bekanntlich weder dem Reichstage zur Beschlußfassung vorliegt, noch überhaupt den Stand von Vorberatungen zwischen der deutschen und russischen Regierung bisher überschritten hat, so daß also jenen Gesuchen vorläufig nur die Bedeutung stark verfrühter Kundgebungen beizumessen ist. Im Zusammen­hang damit stehen Bittschriften um Einführung der Doppelwährung. Endlich bezieht sich eine Reihe von Gesuchen auf die wichtigste Frage, die den Reichstag augenblicklich beschäftigt, auf die Militärvorlage. Sie lauten fast aus­schließlich zu Gunsten derselben, und wenn man lediglich hiernach urteilen wollte, müßte man annehmen, daß in der Bevölkerung fast nur die Strömung zu Gunsten der Militärvorlage die Oberhand behalten hätte, welcher Schluß allerdings nicht überall zutreffen dürfte. Der Reichskanzler hat bisher kein Wort der Ver­mittlung gesprochen. Das war diplomatische Taktik. Kein kluger General verläßt seine Position, bevor er die Stärke, die Absichten des Gegners erkundschaftet hat. Hat der Kanzler diese erkannt, so wird er Bedingungen formu­lieren, auf welche hin eine Verständigung zu er­zielen ist. Für eine Verständigung auf Grund etwa der Heeresstärke Frankreichs ein Stand­punkt, der sich immer mehr Anhänger erwirbt sind die beiden konservativen Parteien, die Nationalliberalen und die Polen zu haben. Als Gegner dieser Verständigung gelten bisher das Zentrum (108 Abg.), die Freisinnigen (69), die Volkspartei (10), die Sozialdemokraten (35) und die Welfen und Dänen (11). Das ergiebt zu­sammen 237 Gegner. Ist der Reichstag voll­zählig (397 Mitglieder), so beträgt die Majorität 198 Stimmen. Die Regierung braucht also, um die Vorlage durchzubringen, noch 39 Stimmen aus den Reihen der Opposition. Wer wird diese liefern?

Berlin, 9. März. Die Militärkom­mission des Reichstags beendete heute die erste Lesung des von den Formationen handelnden Teils des Gesetzentwurfs. Die geforderten 9 neuen Reservestammkadrcs wurden von Buhl (n.l.) und Richter (d.fr.) bekämpft, von v. Friesen (kons.) und General v. Goßler verteidigt. Bei der Beratung der Formation von 19 Abteilungen fahrender Batterien wiesen General v. Goßler und Major Wachs gegen­über den ablehnenden Erklärungen Buhls und Richters auf die Zunahme der Pferdezucht in Frankreich hin. Reichskanzler Graf Caprivi erklärte sich mit Rücksicht auf den möglichen Krieg mit 2 Fronten für eine Verbesserung der Reservedivisionen.

Frankreich gegen Deutschland.

In Frankreich hat wieder einmal ein Offi­zier zur Feder gegriffen und ein Buch militäri­scher Betrachtungen herausgegeben, dessen Schwer­punkt in dem Satze liege:Der Rhein ist nicht Deutschlands Strom, sondern Deutschlands Grenze". Der Verfasser ist ein angesehener französischer Offizier, der Kapitän I. Molard, dem Generalstabe der 19. Division angehörig. Das Buch erscheint um so beachtenswerter, als es fleißig gearbeitet ist, eine Menge brauchbarer Mitteilungen enthält und zeigt, wie eingehend man sich jenseits der Vogesen mit unserem Be- fcstigungssystem, unserem Eisenbahnnetz kurz mit Allem beschäftigt, was unser Kriegswesen für Angriff und Verteidigung angeht. Einleitend des Werkes heißt es:

Die Wiederherstellung des deutschen Kaiser­reiches zu Gunsten Preußens hat zum Vorteil dieses Staates das sogenannte europäische Gleich­gewicht vollständig zerstört. Wir sehen neuer-

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dings sich die Ereignisse von früher wiederholen, als Spanien, später Oesterreich die Vorherrschaft in Deutschland beanspruchten, und sie, gestützt auf eine große Macht, auch dem übrigen Europa aufzwingen wollten. Dieselbe Ursache mußte auch diesmal dieselbe Wirkung haben: Frankreich zum Gegner des neuen deutschen Kaiserreichs zu machen, selbst wenn es nicht aus dem Sturze Frankreichs entstanden wäre. Thatsächlich hat auch in keiner Zeit und in keiner Epoche, nirgends in der Welt, die nationale Politik eine bewunder­ungswürdigere Einheitlichkeit gezeigt als die französische Politik, trotz ihren anscheinenden Wechsels. Sie hat stets nur einen Zweck ge­habt: Die Zurückeroberung der von ver­deutschen Rasse usurpierten Gebiets­teile des linken Rhein-Ufers. Der Rhein ist nicht ein deutscher Fluß, mögen es die deutschen Geschichtsschreiber noch so oft sagen, sondern er bildet eine Grenzbarriere. Er teilt in Wirklichkeit das westliche Europa in zwei Gebiete, in das französische Gebier, das vom atlantischen Occan bis zum Rhein reicht, und in das deutsche Gebiet vom Rhein bis zur Elbe. Auf jeder Seite waren seit 2000 Jahren Gallier und Germanen Feinde, wie es Deutsche und Franzosen heutzutage noch sind. Wir waren, wir sind es und werden es bleiben bis zum Tage der endgiltigen Entscheidung Erbfeinde! Das ist nicht eine Phrase, sondern die einfache Feststellung einer historischen Wahrheit."

Daß die Franzosen unsere Erbfeinde sind, und sich demgemäß feit Jahrhunderten betragen haben, dafür zeugen noch jetzt die französischen Verwüstungen in der Pfalz, längs des Rheins und darüber hinaus; daß aber der Rhein seit 2000 Jahren die Grenzlinie zwischen Galliern und Germanen gewesen sein soll, ist keine histo­rische Wahrheit, sondern eine chauvinistische stets neu aufgelegte Lüge, wie die Thatsache beweist, daß man links vom Rhein seiner ganzen Länge nach ebenso gut in deutsche Zunge redet, als rechts vom Rheine. Während das linke Rhein­ufer seit der Zeit der staatlichen Entwickelung Deutschlands und Frankreichs zu Deutschland gehört hat, während es erst vor ca. 250 Jahren von Frankreich uns entrissen wurde, redet Molard sich ein, und mit ihm leider der größte Teil seiner Nation, es handle sich um altfranzösisches Land, welche das deutsche Volk sich ungeeignet habe. Ein weiterer Passus aus dem Buche des französischen Offiziers ist beachtenswert. Es heiß da:Unser nächstes und unmittelbares Ziel im nächsten Kriege wird, wir sagen nicht die Eroberung, wohl aber die Befreiung des Elsaßes sein. Das wahre Ziel für eine franz. Offensive muß dabei das Bassin des Mains sein. Hierdurch teilt man Deutschland in zwei Hälften, und von hier aus ist auch das Eindringen in das Herz jeder dieser Hälften am leichtesten. Der Schlüssel des Main.Bassins ist aber Mainz, und um dorthin zu kommen, muß man zwischen Mosel und Rhein operieren, nicht auf dem linken Ufer der Maas."

Man sieht daraus, daß man in Frankreich sich von Zeit zu Zeit öffentlich mit einem An­griffsplan gegen Deutschland beschäftigt, dessen Absicht die Wiedergewinnung Elsaß-Lothringens ist. Schaden können derartige Erörterungen sranzösischersiits nicht, denn, sie sind mindestens dazu geeignet, die Aufmerksamkeit unseres großen Generalslabs auf verschiedene wertvolle Gesichts­punkte zu richten.

Württemberg.

Stuttgart, 9. März. In der gestern Abend stattgefundenen Sitzung des Ortsaus­schusses der Deutschen Partei wurde beschlossen, Bismarcks Geburtstag, der diesmal in die Karwoche fällt, in der Versammlung am 20. März zu gedenken.

Nächste Woche wird das Stuttgarter Publikum zum erstenmal Gelegenheit haben, den Neuerwecker der Kaltwasserkuren, Pfarrer Seb. Kneipp in Wörishofen, in öffentlichem Vor­trag zu hören. Des voraussichtlich starken Be­suches wegen ist der Festsaal der Liederhalle für den Bortrag gewählt worden.

Ulm. 9. März. Auf dem MünsteM brachte gestern Abend kurz vor 7 Uhr ein Man« einer verheirateten Frau aus Eifersucht mehrere Stiche bei. Ein des Wegs gehender bahr. FH- ^ artillerist schlug den Mann nieder und führte ihn dann auf die Hauptwache.

Herr August Junkermann hat unlängst in Chicago denOnkel Bräsig" zum tausend- stenmal gespielt. Die amerikanischen Blätter ' überbieten sich in den Schilderungen der Ova- > tionen, die dem Reuter-Interpreten bereitet wurden.

Ausland.

Aus Italien, 8. März. Die Behörden sind in Palermo einer großen Verbrecher­vereinigung auf die Spur gekommen. Wie denMünch. Neuest. Nachr." gemeldet wird, sind 755 Verhaftungen vorgenommen worden,

In Spanien haben letzten Sonntag die Corteswahlen stattgefunden. Das liberale Mi­nisterium Sagasta erhielt eine ausreichende Majorität. Doch sind auch diesmal viel Kon­servative gewählt und was besonders bemerkens­wert ist, auch eine größere Anzahl Republikaner, darunter allein in der Hauptstadt Madrid deren sechs. Die 50 Republikaner in der neuen Kammer vermögen zwar den Thron noch nicht umzustürzen, bilden aber für diesen doch eine Gefahr. Die Gesamtzahl der Abgeordneten be­trägt 431. 300 Sitze errangen die Ministeriellen, die Konservativen nur 68. die Republikaner stiegen von 25 Mann auf 50 und die Carlisten von 6 auf 16. Bei den Wahlen kam es an mehreren Orten zu blutigen Schlägereien.

Telegramme an den Enzthäler.

Berlin, 10. März. Die Militärkom- mission des Reichstags hat auch den ß l der Vorlage (Friedenspräsenz 492 068 Mann als Jahresdurchschnitt vom 1. Oktober 1893 bis 31, März 1899) (Friedenspräsenzstärke) mit dem dazu vorliegenden Antrag Richter (Festsetzung der Friedenspräsenz auf 486 893 Mann vom ^ 1. Okt. 1893 bis 31. Dez. 1895) abgelehnt und dann die Beratung auf nächsten Donnerstag vertagt. Ferner lehnte die Kommission den H 2 der Militärkommission (Formationen), und zwar den die Infanterie, die Feldartillerie und den Train betr. Teil mit allen gegen 9. den Res! des Z mit allen gegen 6 Stimmen ab. Nach dieser Abstimmung und Erklärung des Zentrums in der Militärkommission glaubt man in Abg,- Kreisen, daß die Militärvorlage nicht zu Stand! kommt und daß die Auflösung des Reichs­tagsoder der Rück tri tt,des Reichskanzlers in Aussicht steht.

Berlin, 10. März. DerVoss. Zlg." wird aus Athen gemeldet: Eine vorgestern vom Parthenon hergestürzle deutsche Erzieherin des Kindes des Kronprinzessin Sophie endete durch Selbstmord. Der Bräutigam derselben, ein junger Militärarzt, erschoß sich gestern.

Pill lallen (Ostpr.), 10. März. Inder Nacht zum Donnerstag wurden aus der Stadt­kaffe durch Einbruch in das Magntratsgebäude 5000 Mark geraubt. Die Einbrecher sind an­scheinend über die russische Grenze entkommen.

Washington, 10. März. Der neue Präsident Cleveland zog den Vertrag betreffs Annektierung derHawaii-Jnseln, welchen Harrison dem Senate unterbreitete, zurück.

Belgrad, 10. Mürz. Das bisherige Wahlergebnis weist einen Sieg der Liberalen auf, am meisten in den großen Städten Serbiens, auch in Belgrad.

Der seltene Fall, daß Drillinge ge­meinsam konfirmiert werden, wird diefe Ostern sowohl in der Familie eines Gutsbeschers in Niederschindmaas bei Glauchau wie auch >n der Familie eines Steueraufsehers in Döbeln zn verzeichnen sein. Im elfteren Fall handelt e sich um drei Mädchen, im letzteren Falle M zwei Knaben und ein Mädchen.

Redaktion, Druck und Verlag von Chrn. Meeh in Neuenbürg.

Mt einer Beilage.