47

Berlin, 18. Jan. Der unheimliche Druck vollkommener Unsicherheit scheint sich langsam zu lösen; im Reichstage glaubt man noch ver- worren und schwach, ober doch in bestimmten leisen Konturen die Umrisse einer Verständigung in Bezug auf die Militär Vorlage zu er­kennen. Die Mehrheit, die mit der Reichs- rcgierung sich zu einem Kompromiß vereinigen dürfte, besteht voraussichtlich aus den konserva­tiven Parteien, die in corpore sich an der Einigung beteiligen würden. den National- liberalen, in deren Reihen auch nur wenige dissentierende sind, den Polen und einem Teile des Zentrums. Natürlich bieten diese Beobacht­ungen, die im wesentlichen aus der veränderten Stimmung im Parlament abgeleitet werden, noch keine Gewähr für eine schließlich? Verwirklichung; zumal der Schwerpunkt der Verhandlungen zur Zeit nicht im Plenum, nicht einmal in der Militärkommission, sondern hinter den Kulissen liegt. Der Kaiser hat in den letzten Tagen mehrere hervorragende Parlamentarier em­pfangen und man knüpft an diese persönliche Intervention des Monarchen in den leitenden Kreisen große Erwartungen für eine Verstänoig- ung. Ob mit Recht wird sich ja bald erweisen.

Berlin, 20. Jan. Der kommandierende General des 10. Armeekorps, General Bron- sart v. Schellendorf, hat sein Abschieds­gesuch eingereicht.

Prinz Friedrich Karl von Hessen, der Verlobte der Prinzessin Margarethe von Preußen, gehört mit zu den reichsten Fürstlichkeiten in Deutschland. Sein Besitz soll die Summe von 125 Millionen übersteigen.

Berlin, 20. Jan. Die Firma Löwe er­richtet eine Waffenfabrik in Spanien. Die spanische Infanterie erhält das belgische Mauser- gewchr N/89.

Halle, 20. Jan. Die von Geheimrat Koch in der Irrenanstalt Nietleben vorge- nommenen Untersuchungen bestärkten den Ver­dacht, daß das schlechte Wasser der Anstalt den Grund für die Erkrankungen abgegeben habe. Es ist angeordnet, daß das Wasser zu Koch- und Trinkzwecken nicht mehr benutzt werden darf. Der Anstalt wird Wasser aus der Wasser­leitung zu Halle zugeführt. Weitere 7 schwere Erkrankungen sind heute erfolgt. Koch ordnete weitere Absperrung und Quarantänenmaßregeln an.

Erfurt, 29. Jan. In verflossener Nacht stießen auf dem Bahnhof Neu-Dietendorf zwei Güterzüge zusammen. 9 beladene Wagen und 2 Lokomotiven wurden zermalmt, 5 Leute sehr schwer verletzt.

Darmstadt, 18. Januar. Eine gestern Abend im städtischen Saalbau abgehaltene, sehr zahlreich besuchte Versammlung sprach in einer Erklärung die bestimmte Erwartung aus, daß der Reichstag dem Anträge auf Zurückrufung der Jesuiten ein entschiedenesNiemals!" ent­gegensetzen werde.

Den Schneeschuhen hat. wie aus Berlin geschrieben wird, auch die Militärbehörde ihre Aufmerksamkeit zugewendet, um im Hinblick auf die Möglichkeit eines im Osten zu führenden Krieges auch in dieser Beziehung für die Schnee- selder Rußlands gerüstet zu sein. Weil sie dort von großem Nutzen für den Nachrichtendienst wären, haben bereits mehrfache militärische Uebungcn mit Schneeschuhen stattgefunden. Man hielt sich übrigens bei diesen Uebungcn nur an bereits gegebene militärische Vorbilder, da sowohl im norwegischen und russischen Heere wie bei der Miliz der kanadischen Kolonien Mannschaften mit diesen Schuhen ausgebildet sind und in Norwegen ganze Abteilungen aus Schneeschuh­läufern bestehen.

Württemberg.

Eine von nicht weniger als 28 219 Unter­schriften bedeckte Eingabe ist an den deutschen Reichstag mit der Bitte um ein gesetzliches Verbot des Haüsirens und Detailreisens mit Jndustrieerzcugnissen aller Arrt in diesen Tagen abgegangen. Eine Abschrift dieser Ein­gabe erhält jeder einzelne Reichstagsabgeordnete mit einem Begleitschreiben, aus welchem folgende «ätze hervorzuheben sind:Es wäre ein Leichtes

gewesen, eine 3 bis 4fach höhere Anzahl von I Unterschriften unter diese Petition in Württem- ' berg zu sammeln; doch möge zur Würdigung der Thatsache, daß in Württemberg die Hausierer rc. als äußerst lästige Erscheinungen betrachtet werden, nicht nur die beträchtliche Zahl der allen, als Konsumenten zu betrachtenden Gesell­schaftsklassen angehörigen Unterzeichner sprechen, sondern auch der Umstand, daß gerade in Ober­schwaben mit seinen überaus zerstreuten Wohn­sitzen die vorliegende Petition relativ und absolut die meisten Unterschriften gefunden hat. Es gehören zu dem Bezirk Waldsee mit 26 958 Einwohnern 2178 der Unterzeichner an. Von den 31 Gemeinden jenes Bezirks sind 22 zu­sammengesetzte mit 144 Teilgemeinden, nämlich 1 Stadt, 20 Pfarrdörfcr, 6 Dörfer, 7 Pfarr- weiler, 177 Weiler, 215 Höfe und 56 besonders benannte Einzelwohnsitze. Das Oberamt Leut- kirch zählt 2 Städte, 19 Pfarrdörfcr, 2 Dörfer, 10 Pfarrweiler, 133 Weiler, 346 Höfe und 80 besonders benannte Einzelwohnsitze mit zusammen 25 012 Einwohnern. In diesem Bezirk haben 1269 Konsumenten die Eingabe unterzeichnet. Im Bezirk Saulgau, wo die Verhältnisse ähnlich liegen, 1244. Ebenso im Oberamt Biberach 1244. Diese Zahlen dürften das volkswirt­schaftliche Dogma, daß der Hausierer in Gegenden mit zerstreuten Wohnsitzen und teilweise weit- entfernten Städten eine willkommene Erschein ung sei. gründlich zerstören." Die Samenhändler aus Gönningcn haben sich gegen die erwähnte Eingabe unnötig ereifert; denn ihre Artikel, welche sie verhausieren, sind durch die Eingabe gar nicht berührt. Erfolglos wird letztere umso­weniger sein, als dem Bundesrat bereits ein Gesetzentwurf vorliegt, wodurch das Hausieren ganz bedeutend eingeschränkt und das Detail­reisen, d. h. das Aufsuchen von Privatkunden durch Geschäftsreisende, gänzlich verboten wird. Zwecklos ist aber die Eingabe schon deswegen nicht, weil sie in überzeugender Weise klarlcgt, daß sogar die Konsumenten sowohl die Hausierer als die Detailreisenden als eine förmliche Land­plage lästig empfinden.

Stuttgart, 20. Jan. Die ungewöhnlich große Kälte bereitet dem Eisenbahndienst zur Zeit viele Schwierigkeiten und macht an die Aufmerksamkeit des Eisenbahnpersonals erhöhte Anforderungen. Eine Reihe von Schienen- und Radreifenbrüchen wurden rechtzeitig entdeckt und dadurch Unfälle hintangehalten. Gestern kamen zwei Unfälle vor, bei deren einem der Lokomo­tivführer schwer, der Heizer leicht verletzt wurde, während weitere üble Folgen glücklicherweise abgewendet worden sind. Abends zwischen 4 und 5 Uhr ist während der Fahrt von Bietigheim nach Großsachsenheim an der Lokomotive des Güterzugs 604 g, die Kuppel zwischen Lokomotive und Tender gebrochen. Lokomotivführer und Heizer sind heruntergefallen, unter den Zug geraten und verletzt worden. Zwischen Herbrech­tingen und Giengen a. B. ist abends 6 Uhr der Personenzug infolge eines Bandagebruchs entgleist, verletzt ist niemand.

Eßlinger Berge, 17. Jan. Heute früh zeigte das Thermometer in den Thälern 23° U ünler Null. Auf den Höhen rst cs 12° weniger kalt. Nur im kalten Winter 1879/80 hatten wir ähnliche Kälte. Am klaren Himmel steigt die Sonne hell herauf und wird jedenfalls an südlichen Halden ein Auftauen an Baum­stämmen u. s. w. bewirken, und so ist zu be­fürchten , daß an den Obstbäumen, in deren Reihen noch manche Invaliden aus dem kalten Winter langsam dahinsterben, wieder bedeutender Schaven entstehen wird. Es ist nicht zu zweifeln, daß junge Bäume im nächsten Frühjahr wieder gesuchter werden, denn manches Bäumchen, das in unseren Weinbergen am südlichen Gehänge steht, wird zu Grunde gehen.

Vom Echatzthal, 17. Jan. Naturfreunde haben während der letzten strengen Winterkälte Beobachtungen gemacht, welche den Wunsch be­rechtigt erscheinen lasten, der Rabe möchte für vogelfrei erklärt werden. Im Hunger tötet der Rabe nützliche Singvögel, z. B. Drosseln, Finken u. s. w. Aber auch im Frühjahr, wenn die Singvögeln nisten, sucht der, schwarze Geselle, die Bäume ab nach Nestern mit jungen Vögeln,

1 welche er als Aezung für die eigenen Jungen ' benützt oder selber verzehrt. Er ist in gleicher Weise schädlich wie der Häher und die Elster.

Friedrichshafen, 10. Jan. Wie die Felchenfischerei. so ergab auch der Fang der Gangfische im Bodensee, während des abgelausenen Jahres ein sehr günstiges Resultat. Bei Kon­stanz. wo der Gangfischfang von Mitte Novbr. bis Mitte Dezember dauert, wurden heule ca. 100 000 Stück gefangen, wovon ein großer Teil geräuchert in den Handel kommt. Dieser Ertrag übersteigt den vom Jahre 1891 bedeutend.

Anstand.

Wien, 18. Jan. Zu der bevorstehenden Vermählung berichten Wiener Blätter: Der Kaiser empfing heute Nachmittag um 3 Uhr den Herzog Albrechl von Württemberg in einer Privataudienz, in welcher der Herzog für die Verleihung des Goldenen Vließes dankte. Zum Empfange des Königs und der Königin von Württemberg wird Sonntag Vormittag um 11 Uhr auf dem Westbahnhofe eine Ehren­kompagnie vom Infanterieregimente Frhr. von Waldstätten Nr. 81 mit Fahne und Musik aus­gestellt sein. Bei der Vermählung in der Hofburg-Pfarrkirche am 24. ds. vormittags um 11 Uhr werden auf Allerhöchsten Befehl die dienstfreien Generale und die bei sonstigen öffentlichen Kirchgängen bei Hofe bestimmte Anzahl von Stabs- und Oberoffizieren im Mar­morsaale die Aufwartung leisten.

Amsterdam, 19.Jan. Nachdem sich in den letzten Tagen größere Trupps beschäftigungsloser Arbeiter und Sozialisten m den Straßen ange- sammelt hatten, zog heute eine gegen 800 Per­sonen zählender Trupps vor die Börse, um dort einzudringen, was eine Abteilung Polizisten verhinderte. Die Sozialisten entfalteten die rote Fahne. Die Polizei ging mit der blanken Waffe vor und bemächtigte sich der Fahne, wo­bei ein Polizist verwundet wurde. Der Träger der Fahne entkam. In anderen Stadtteilen kam es ebenfalls zu thätlichen Zusammenstößen zwi­schen Polizei und Sozialisten, welche sich zu­sammenrotteten und in verschiedenen Bäckereien Brot verlangten. Auch am 20. Januar kamen ähnliche Ausschreitungen vor.

In der Schweiz herrscht eine überaus lebhafte Agitation gegen die Einfuhr französischer Waren, und die Agitation nimmt sowohl in den Blättern als bei den Kaufleuten von Woche zu Woche zu. Diese Agitation ist nicht unvorteil­haft für die deutsche Geschäftswelt, welche zahl­reiche neue Verbindungen mit der Schweiz an­knüpfen konnte.

Die Geschichte, welche in Paris die poli­tischen Spatzen schon längst von den Dächern pfiffen, daß nämlich sogar der russische Bot­schafter Baron Mohrenheim schmutzige Finger im Panama-Skandal aufweise, scheint in der That wahr zu sein. Aus Paris wird offiziös gemeldet, daß Baron Mohrenheim im nächsten Monat einen Urlaub anlrete, von dem er aber nicht mehr auf seinen Pariser Posten zurückkehren werde, weil sich das diplomatische Corps wegen der über den jetzigen russischen Botschafter in Paris umlaufenden Gerüchte sehr zurückhaltend gegen denselben zeige. Die also kaum mehr zu bezweifelnde Abberufung Baron Mohrenheim's wird von den Franzosen sicher­lich sehr schmerzlich empfunden werden, denn er hat sich unstreitig große Verdienste um die intime Annäherung zwischen Frankreich und Rußland erworben, auch galt er als ein entschiedener Befürworter eines festen Bündnisses beider Mächte. Und diesen Mann müssen die Franzosen wegen seiner Verwickelung in die Panama-Affaire dem­nächst scheiden sehen, das ist bitter! Vermutlich wird die Wahrnehmung, daß der Panamajkandal seine häßlichen Schatten sogar auf die französisch- russische Freundschaft wirft, die in den weitesten Kreisen der französischen Nation durch den Pa­nama-Lärm hervorgerufene Verstimmung und Beunruhigung nur noch vermehren und wer weiß, welche Opfer noch fernerhin der grollende See verlangt.

Paris, 20. Jan. DerHausminister" des Grafen von Paris, der Abgeordnete Graf d'Haussonville, veröffentlicht ein Programm der