Interpellation darüber, welche Maßregeln die verbündeten Regierungen zur Beseitigung des vorhandenen Notstandes zu ergreifen gedächten, an. Abgeord. Liebknecht begründete die Inter­pellation in ausführlicher Weise, wobei er die vorhandene Notlage in allerdings sehr stark ausgelragenen Farben schilderte und auch nicht verfehlte, den Bergarbeiter-AnSstand im westl. Deutschland auf das Conto der schlechten Zeit- Verhältnisse zu setzen. Regierungsseitig beant­wortete Staatssekretär v. Bötticher die Anfrage dahin, daß die Beseitigung von Notständen und MiMnden zunächst Sache der Landesregier­ungen und Gemeindeverwaltungen sei. Dann bestritt der Regierungsvertreter energisch, daß eS einen wirklichen Notstand allgemeiner Natur in Deutschland gäbe und bezeichnet Herr v. Bötticher weiter den Bergarbeitcrausstand im Laarrevier als einen geradezu frivolen. Bei der anhebenden Besprechung der Interpellation wandte sich Abg. v. Stumm lReichspartei) in schärfster Weise gegen die Sozialdemokratie, welche er der Jnscenierung des jetzigen Berg­mannsstreiks beschuldigte. Haudeltzminister von

Berlepsch beschäftigte sich, hierauf das Wort er­greifend, ebenfalls eingehend mit dieser Streik­bewegung, die er an der Hand von Belegen als ebenso grundlos wie in ihrem Erfolge durch­aus vergeblich geführt, bezeichnet. Schließlich nahm der Minister die königliche Bergwerks­direktion in Saarbrücken gegen die Angriffe seitens des Abg. v. Stumm in Schutz. Nach­dem noch der Centrumsabgeordnete v. Pfetten gesprochen, wurde die fernere Diskussion vertagt. Wenn die Sozialdemokraten gehofft haben mögen, durch ihre Notstandanfrage Oel in die Flammen der Bergarbeiter-Ausstände zu gießen, so muß der Verlauf der ReichStagsverhandlungcn sie belehren, daß diese Rechnung durchaus falsch gewesen ist. Sie haben damit lediglich den Vertretern der Regierung und der anderen Parteien, auch der freisinnigen, die Gelegenheit gegeben, die sozialdemokratischen Wühlereien aufs Schärfste zu brandmarken und die Not­standklage als das zu kennzeichnen, was sie in Wahrheit ist- die absichtliche Aufbauschung eines alljährlich in dieser Jahreszeit wiederkehrenden Zustandes zu dem alleinigen Zwecke, Unzufrieden­heit in die arbeitende Bevölkerung zu tragen und dadurch die Frakionsintereffen zu fördern. Daß an vielen Orlen ein beklagenswerter Not­stand vorhanden ist, der Abhilfe erfordert, leugnet Niemand. Daß dieser Notstand vielfach auf sozialdemokratische Hetzereien zurückzuführen ist, die viele Arbeiter auf Irrwege bringen und zu unbesonnenen Arbeitseinstellungen verleiten, tritt immer deutlicher in die Erscheinung. Bei allem berechtigten Mitleid mit den armen Jrre- gesührten, die schließlich die Zeche zu bezahlen haben, wird man doch allmälig überall zu der Üeberzeugung gelangen, daß nur ein entschiedenes, scharfes Vorgehen wirksame Abhilfe gegen die bedrohlichen Folgen gewissenloser Wühlereien schaffen kann und daß die Strenge schließlich eine Wohlthat für die verführten Arbeiter selbst sein muß.

Der Streik im westfälischen Kohlen­revier trägt noch immer einen mehr oder weniger lokalen Charakter, im Saarrevier nimmt die Streikbewegung immer weiter ab.

Die Reichskommission für Arbeits­statistik ist zum 3. Februar wieder einberusen. Auf der Tagesordnung stehen das Ergebnis der Erhebungen über das Bäckergewerbe und Ini­tiativanträge , u. A. der Antrag Hirsch betr. Ausdehnung der Erhebungen aus die Haus­industrie.

Die Oberpräsidenten in Preußen sind zu eingehenden Gutachten über die bisherigen Wirkungen der Sonntagsruhe im Handels- gewcrbe und über diejenigen etwa erforderlichen Veränderungen der jetzt geltenden Bestimmungen aufgefordert, die ohne Veränderung des Gesetzes, also auf dem Verwaltungswege, getroffen wer­den können.

König Albrecht von Sachsen und König Christian von Dänemark treffen am 22. d. M. zu den Hochzeitsfeierlichkeiten in Berlin ein.

Von einem neuen Verlobungsprojekt des Großfürsten-Thronfolgers von Ruß­land wird in Hofkreisen gesprochen, und zwar wird der Name der Prinzessin Alice von Hessen, der Schwester des Großherzogs genannt.

Der Trierer Gerichtshof sprach den der Entführung eines evangelischen Schulmädchens behufs dessen Erziehung in einem Kloster ange- klagten katholischen Pfarrer Stück kostenlos frei, derselbe Freispruch ergieng gegen die Mutter des Kindes. Der Staatsanwalt halte gegen die beiden Angeklagten neun, resp. 6 Monate Ge­fängnis beantragt.

Würzburg, 14. Jan. Fürst Bismarck hat dem Bürgermeister von Kissingen auf dessen Nenjabrsglückwunsch mitgeteilt, er werde im Sommer wieder dorthin kommen.

DieStr. P." berichtet aus Harskirchen, 13. Jan. In unserer Gegend zeigen sich jetzt starke Rudel von Wildschweinen. Im Guten- brunner Walde wurde bei einer Treibjagd ein Rudel von 21 Stück vor die Schützen getrieben. Davon wurden mehrere geschossen. Hoffentlich nicht Schützen, sondernSchwarzkittel"!

Mannheim, 14. Januar. Wegen des starken Eisganges wurden sämtliche Schiffbrücken des Oberrheins abgefahren. Der Bahn- und Fuhrwerksverkehr wird teils beschränkt, teils eingestellt.

Singen, 29. Dez. Heber unsere Grenz­station sind im Lauf dieses Herbsts an einge­stampften Trauben 425 Wagenladungen, wo­runter 55 Cisternenwagen, nach Württemberg eingegangen. Das Gewicht dieser Sendungen, welche aus Barletta, Bari, Noto rc. stammen, beträgt 4'/s Mill. KZ. Der Ankaufspreis be­trug am Abgangsort von 100 KZ 8 11 Frk. Ferner sind seit September d. I. 2924 E>>cn- bahnwagen Most- und Tafelobst im Gewicht von 30'/- Mill. KZ nach Württemberg einge- gangcn. Der Preis für eine Wagenladung Obst von 10000 KZ betrug je nach Qualität 600700

Aus Leipzig wird gemeldet, daß über hundert junge Mädchen, Frauen und Mütter u. s w, in einen Skandalprozeß verwickelt sind. In der Nikolaistraße wurde ein Ehepaar ver­haftet, das Mädchenhandel für Leipzig und nach Amerika betrieb.

Württemberg.

Se. Maj. der König hat den Direktor der Zentralstelle für Gewerbe und Handel v. Gaupp zum Mitglied der ersten Kammer auf Lebenszeit ernannt.

Stuttgart, 9. Jan. Bor der heutigen Strafkammer standen wegen gemeinschaftlicher schwerer Körperverletzung, verübt an dem Maurer Häqele, sechs Bauernburschen aus Mühlhausen O.A. Cannstatt im Alter von 1723 Jahren. Sie hatten den Hägele, der sie 8 Tage zuvor mit einem Scherzwort geneckt haben soll, ver- abredetermaßen gemeinsam überfallen und ihn sowie dessen zwei Begleiter mit Stöcken, Latten und Prügeln schwer mißhandelt, wobei dem Hägele ein Auge ausgeschlagen wurde. Die 6 Angeklagten konnten ihre Schlägerei nicht leugnen, aber einer suchte den gefährlichen Schlag auf das Auge des Hägele dem andern in die Schuhe zu schieben. Von den rohen Patronen erhielt je einer 1 Jahr 5 Mt.. 1 Jahr 1 Monat, I Jahr tz Mt., 2 je 1 Jahr und einer 8 Mt. Gefängnis, wovon für jeden an Untersuchungs­haft 1 Monat abgeht. Gleichzeitig haben die Verurteilten die Kosten und eine Ensichädigung an den verletzten Hägele im Betrag von 2500 Mark solidarisch zu bezahlen.

Rottend urg, 6. Jan. Im August d. I. wird Bischof Dr. Karl Josef v. Hefele sein diamantenes Priesterjubiläum begehen, a-s Z^M ind ersb ach. Landauf landab hört man Klage führen über die mißliche Lage der ländl. bäuerl. Bevölkerung; daran ist sie aber zum Teil auch selbst Schuld; denn es kehlte in dem Bauernstand seit jeher an der Selbsthilfe. Seil neuerer Zeit nun wird vielfach zu solchen Mit­teln der Selbsthilfe gegriffen; denn eS werden Darlehenskaffen-Bereme gegründet, welche für jeden Einwohner des Orts großen Vorteil bieten; es werden Biehversicherungsvereioe ins Leben

gerufen, damit im Falle eines Unglücks im V'ehstall der Betroffene nicht so viel Schaden zu leiden hat. So besteht auch hier seit 1. April 1892 ein Darlehenskassenverein zur großen Zu­friedenheit der Genossen und am letzten Sams­tag versammelte sich beinahe die ganze Bürger­schaft behufs Gründung eines Viehversicherungs- Vereins.

Ausland.

Nur immer langsam vor!" Dies bekannte Wort über österreichische Verhältnisse kann auch von den in Wien schwebenden Mehrheits- Verhandlungen gelten, denn dieselben wollen durchaus nicht in erkennbarer Weise vorwärts kommen. Es verlautet denn auch von immer größere» Schwierigkeiten, welche sich dem Ver­suche des Grafen Taaffe, den Hohenwart-Club, den Polen-Club- und die Bereinigte Linke des Abgeordnetenhauses zu einer neuen Regierungs­mehrheit zuiammenzuschweißen. entgegenstellen. Vermutlich wird der österreichische Kabinetschef froh sein müssen, wenn er überhaupt nur eine rein geschäftliche Mehrheit zujammenzutrommeln vermag. In Wien und Pest wird dieser Tage die Unterzeichnung Conoersionsverträge in Sachen der Valutaregulierung voraussichtlich erfolgen.

Paris, 14. Jan. Die Angriffe gegen das Staatsoberhaupt werden von Tag zu Tag heftiger, vielleicht weil Carnot selbst keine eigene Partei hinter sich hat und die Anhänger der jüngst gestürzten Persönlichkeiten aus übler Laune. Rachsucht oder aus anderen Gründen sich an diesem Feldzuge zu beteiligen beginnen. Die von den republikanischen Gruppen des Senats dem Ministerpräsidenten Ribot gestern gemachten Vorstellungen sind bezeichnend für die Besorgnisse, mit welchen man in weiten Kreisen diese Bewegung betrachtet. Neben der bedeutungslosen Thatsache, daß Carnots Name neben dem des damaligen Arbeits-Ministers Balhaut auf der Vorlage für die Losanleihe gestanden hat was eine bloße Formalität bedeutete, wirft man hauptsächlich dem Prä­sidenten vor, er habe von dem ganzen Panama- Skandal längst gewußt, die Namen aller Be­stochenen, sowie das Treiben der Minister gekannt, die ihre Geheimfonds aus der Panama-Kasse speisten, und er habe dieses Unwesen ohne Ein­spruch geduldet. Der bemerkenswerteste Preß- angriff, der bisher in dieser Sache gemacht wurde, ist der heutige Tagesartikel des Che­fredakteurs desFigaro", der Carnot kurzweg auffordert, seinen Platz zu räumen, so lange er noch einen guten Abgang haben könne. Man würde einen solchen Entschluß als großmütigen und geschickten Zug sehr beifällig begrüßen, einen neuen Präsidenten, vielleicht einen General, wählen; dieser würde zur Auflösung der Kammer schreiten, so daß im Frühjahrjdie Republik nach Ausscheidung der faulen Elemente wieder ge­sund und kräftig zur Bekämpfung ihrer Gegner bereitstände.Gaulois" möchte seinerseits lieber die Wahlen unter dem heutigen Präsi­denten vollzogen sehen, weil dieser weniger Einfluß aufbieten könnte, als ein frischer Nach­folger. Der Artikel desFigaro" macht umso­mehr Aufsehen, als die aufregendsten Vorfälle der jüngsten Zeit regelmäßig vomFigaro" sozusagen eingeleitet wurden.

Das Elend der ärmeren Pariser Bevöl­kerung wird durch den anhaltenden Frost in erschreckendem Maße gesteigert. Seit dem Pa­nama-Skandal haben die meisten Industriellen die Zahl ihrer Arbeiter vermindert; es ist nir­gends Beschäftigung zu finden, die kleineren Gewerbe, die besonders für die Feste des Jahres­wechsels arbeiten, sind nun ihrerseits völlig ins Stocken geraten, und ihr Gewinn war diesmal ein sehr spärlicher. Immer lauter wird die allgemeine Klage, die öffentlichen Nachtherbergen können den Zudrang der Obdachlosen nicht zwingen; von verschiedenen Seiten schlägt man vor, aus der großen Maschinenhalle der Aus­stellung von 1889 eine solche nächtliche Zu­fluchtsstätte zu machen. Es ist gewiß, daß Etwas geschehen muß, wenn nicht dies zunehmende Elend den revolutionären Parteien eine neue Waffe liefern soll. Die zahlreichen, durch Kälte und Hunger veranlaßren Todesfälle, von welchen