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Neuenbürg, 12. Nov. Der Reichtags­abgeordnete des Bezirks. Herr Land gerichts­rar v. Gültlingen, wird am Sonntag den 20. ds. Mts., nachmittags, im Gasthof zum Bären über die abgelaufene Reichtagssitzungs­periode Bericht erstatten und sind dazu die Wähler von Stadt und Land freundlichst eingeladen.

Calw, 11. Novbr. Gestern Donnerstag abend wurde das Geburtsfest Luthers im Saale des Bad. Hofs gefeiert. Stadtpfarrer Eytel zeichnete in zündender Rede Luther als die lebendige Reformation und als die Ver­körperung des deutschen Wesens. Rektor Müller mahnte zu festem Zusammenhalten, wie es im evang. Bunde angestrebt werde. Prof. Haug feierte unfern Reformator als den ersten Schul­meister, von dessen Verdiensten um die Schute heute noch auch die Katholiken zehren. Dekan Braun zeigte, wie Luther der große Reformator geworden sei durch seinen Blick nach innen ins eigene Herz, nach oben zu Gott und nach Vor­wärts in festem Vertrauen. Die Ansprachen wurden durch allgemeine Gesänge und Dekla­mationen in anregender Weise unterbrochen.

Neuenbürg, 12. Nov. (Schweinemarkt.) Starke Zufuhr von Milchschweinen; Preise 10 bis 20 Pr. Paar.

Deutsches Weich.

Unter dem Titel:Unsere Parteien", bringt dieDeutsche Warte" vom 8. Rovember folgende Darstellung: Die alten Schlagworte der Parteien haben sich längst überlebt. Wollend oder nicht wollend haben die verschiedenen poli­tischen Gruppen dem mächtigsten aller Reforma­toren. der Zeit, gehorchen müssen und ihre schon halb erstarrten Formeln und Schablonen durch den belebenden Hauch der natürlichen Fortent­wicklung auftauen lassen. Die einst bestehende Scheidewand zwischen konservativen und fort­schrittlichen Parteien hat sich seit langer Zeit verschoben. Prüfen wir z. B. den grundsätzlichen Standpunkt dieser beiden Gruppen der Börse gegenüber, so ergiebt sich, daß hier die konser­vative Partei die fortschrittliche ist. welche eine Reform der Börse verlangt, während die fort­schrittliche sich konservativ gegen jede Neuerung sträubt. Durch zahlreiche weitere Beispiele ließe sich erweisen, wie wenig heut noch die Schlag­worte der Parteien mit ihrem wirklichen Stand­punkt übereinstimmen.

In unseren sämtlichen Parteien hat sich langsam aber sicher eine immer stärker anwachsende Zersetzung und Umwälzung vollzogen.

Als die heutigen Parteien sich bildeten, da standen die politischen Fragen im Vordergründe des öffentlichen Interesses. Die Fragen Monarchie oder Republik, Absolutismus oder Parlamentar­ismus verdrängten alle übrigen Interessen. Im Laufe der letzten vier Jahrzehnte haben sich jene Fragen geklärt, sie haben eine auf lange Zeit hinaus endgültige Beantwortung gefunden.

An die Stelle der politischen Fragen treten seit Jahren mehr und mehr die wirtschaftlichen. Diese neuen Fragen wurden wie ein Keil in die alten Parteien eingetrieben, so daß Stein auf Stein von dem alten Bau abbröckelte.

Die alten Parteien zerfielen auf diese Weise in Gruppen mit durchaus verschiedenen Grund­sätzen. So zweigte sich von der konservativen Partei der christlich-soziale Flügel ab, welcher eine weitgehende soziale Reform des heutigen Erwerbslebens auf sein Banner geschrieben hat. Aus dem Zentrum bildet sich immer mehr ein konservativer Flügel als selbstständige Gruppe heraus, während auf dem linken Flügel eine demokratische und eine sozialdemokratische Gruppe nur noch aus parteitaklischen Gründen am Ganzen festhält. Die nationalliberale Partei verdeckt nur schwer, daß sie aus zwei Gruppen besteht, von welchen nur die eine lediglich den nicht allzu weitherzigen Standpunkt der Industriellen vertritt. Die freisinnige Partei spaltete sich längst in einen rechten und einen linken Flügel, von denen nur noch der letztere unter Eugen Richters Führung sich krampfhaft gegen jede foziale Neuerung sträubt. Von der sozialdemo­kratischen Partei hat sich die streng revolutionäre Bewegung unter dem Namen derUnabhängigen"

bereits abgesondert; der Zwiespalt zwischen den beiden jetzt vorhandenen Gruppen, von denen die eine zur praktischen Mitarbeit an staatlichen Reformen geneigt ist. dürfte auf dem demnächst stattfindenden Parteitage nur mühsam verdeckt worden.

Wohin wir blicken sehen wir, daß die poli­tischen Parteien der Gegenwart einem langsamen, aber sicheren Verfalle entgegenschreiten, daß das öffentliche Leben der Gegenwart mit Macht einer neuen Gestaltung entgegenringt. Weit über die zum großen Teil doch recht kleinlichen Streitfragen der Gegenwart ragt die große soziale Frage, die gebieterisch eine Lösung er heischt. Diese große Frage, eine Frage vorwiegend wirtschaftlicher Natur, ist der Leuchturm, nach dem die Parteien der Zukunft ihren Kurs richten müssen, wenn sie nicht an den Klippen des praktischen Lebens scheitern wollen. Diejenige Partei, welche sich diese Erkenntnis zuerst zu Nutze macht, wird die führende Stellung im öffentlichen Leben an sich reißen. Die Parteien der Zukunft werden keine politischen, sondern wirtschaftliche Parteien sein.

Am letzten Mittwoch wurde der preußische Landtag durch eine vom Ministerpräsidenten Grafen Eulenburg verlesene Thronrede eröffnet. Dieselbe ist rein geschäftlicher Natur, weist auf das längst bekannte Defizit im Betrage von 42 Millionen hin. welches hauptsächlich durch die Erhöhung der Betriebs-Ausgaben für die Staatsbahnen und die gleichzeitige Verminderung der Frachteinnahme entstanden und durch eine Anleihe zu decken ist; da das laufende Etatsjahr keine wesentliche Besserung zeigt, so muß auf äußerste Sparsamkeit gedrungen und die Frage bezw. die Aufbesserung der Staatsbeamten noch zurückgestellt werden. Die Thronrede kündigt ferner ein neues Wahlgesetz für den preuß. Landtag und einige Eisenbahn-Vorlagen an.

Berlin. II. Nov. Die Polizei beschlag­nahmte heute die erste Nummer einer anarchistischen Arbeiterzeitung, gerade als 4000 Exemplare fcrtiggestellt waren und abgeholt werden sollten. Gleichzeitig wurden die Platten zerstört. Bei dem Verleger und Herausgeber, einem Vergolder, wurde Haussuchung gehalten.

Das Protektorat über sämtliche Feuer­wehren Preußens hat der Kaiser übernommen, für 25jährige Dienstzeit ein Kreuz gestiftet und für sonstige Auszeichnungen der Wehr einen Orden in Aussicht gestellt.

Württemberg.

Der König empfing den Kommerzienrat Siegle von Stuttgart in Angelegenheiten des Kaiser Wilhelm-Denkmals.

In derLandeshauptstadthat die Wahl­agitation betreffend die Besetzung des Postens eines Stadtvorstandes, welche am 18. Nov. vorzunehmen ist. eine ziemlich lebhafte Gestalt angenommen, nachdem von volksparteilicher Seite Obersteuerrat Rümelinin Stuttgart als Gegen­kandidat gegen den Landtagsabgeordneten und besoldeten Gemeinderat Dr. von Götz auf den Schild gehoben worden ist. Die Gegner des letzteren werfen ihm Zugeknüpftheit vor, welche aber nichts weniger als Hochmut ist, sondern dem ganzen Naturell des Mannes entspricht, der im übrigen jedem, der ihm wirklich näher tritt, durchaus freundlich enlgegenkommt. Von Obersteuerrat Rümelin weiß man nicht sicher, welcher Parteirichtung er angehört. Er ist der Schwiegersohn des Rechtsanwalts Oesterlcn, eines früheren Führers der Volkspartei und war vor mehreren Jahren der Urheber einer Geldsamm­lung für Ludwig Pfau. Auf welche Seile sich die Schale des Sieges neigen wird, ist sehr fraglich.

Stuttgart, 7. Nov. In erschreckender Weise sind in der letzten Zeit Herz- und Hirn- schläge vorgekommen. Am Sonntag erlag einem Hirnschlag der in den weitesten Kreisen bekannte und beliebte Lithograph Rübsamen; am Sams­tag wurde Ingenieur Otto Lehmann von der K. Generaldirektion der Slaatseisenbahn während seiner Berufsthätigkeit vom rötlichen Schlage getroffen. Am Sonntag nachmittag unternahm Korrektor Zoller von der Greiner und Pfeiffer­

schen Offizin mit seinem Sohn einen Spazier­gang in den Wald und wurde im Dachswald vom Schlage getroffen. Sonntag abend kam der etwa 3Öjähr. unverheiratete Hoflakai Daniel von dem Familiendiner aus dem Wilhelmspalais und nahm sich wegen seiner schweißelnden Füße ein warmes Fußbad. Als sein Mitbewohner ins Zimmer trat, fand er seinen Kollegen tot, den einen Fuß noch im Wasserbehälter.

Cannstatt, 5. Nov. Die Daimler- Motoren-Gesellschaft hier hat einen Mo­torwagen (sog. Daimler-Wagen) ausgeführt mit etwa l'/rpferdigem Motor, der zum Befahren von neuen Straßen von beliebiger Beschaffenheit wie auch von bergigem Terrain bis zu 10 und I2°/o Steigung bestimmt ist. Der Wagen ist zweisitzig gebaut und ruht aus 4 Rädern, welche aus Hickoryholz mit Stahlreifen und Stahlnaben bestehen. Eine kräftige Bremse ist im Stande» den Wagen in raschem Abwärtssahren auf wenige Meter zum Stillstand zu bringen. Der Motor, der unter den Sitzen angeordnet ist, wird mit rektifiziertem Petrol betrieben, was weder Rauch noch Geruch erzeugt. Eine Bedienung des Motors während des Ganges ist nicht nötig; es genügt, alle Stunden einmal nach dem Oel und Kühl­wasser zu sehen. Die Fahrgeschwindigkeit ist regulierbar auf 8, 12 oder 18 Kilometer pro Stunde und erreicht auf guter ebener Chaussee bis zu 22 Kilometer.

Ludwigsburg, 6. Nov. Die deutsche Partei hier sprach sich noch weniger zustnnmend zur Militärvorla ge aus, als die Stuttgarter. Die Erhöhung der Präsenzziffer sei durchaus abzulehnen, wenn nicht die Notwendigkeit bewiesen werde, und auch dann nur, wenn vorher der öffentliche Militärstrafprozeß eingeführt wäre. Mehrerfordernisse seien durch die obersten Steuer­klassen zu tragen, das Volk im großen Ganzen müsse mit neuen Steuern oder Steuererhöhungen verschont bleiben.

Heilbronn, 11. Nov. In der Hege l- m aier-Angelegenheit ist eine neue Etappe zu verzeichnen. Es wurde an Hegelmaier dieser Tage die Mitteilung gemacht, daß die Disziplinar- Untersuchung gegen ihn wieder ausgenommen sei und er sich bereit zu Hallen habe, sich behufs Empfangnahme von Eröffnungen rc. auf dem Oberamt einzufinden. Darauf soll, wie man sich hier allgemein und vor solchen, die es wissen können, erzählt, H. geantwortet haben, er müsse bedauern, dem nicht Folge leisten zu können, so lange das MedizinalkoUegium sein Gutachten über ihn nicht zurückgenommen habe, denn er könne doch einem k. Oberamt nicht zumuten, daß es mit einemGeisteskranken" verkehre!

(S. M.)

Nordheim, 6. Nov. Gestern früh ent­ging der Personenzug 4 Uhr 28 Min. (Heil- bronn-Stutlgarl) bei Klingenberg einer großen Gefahr. Nahe am Dorf waren neben dem Bahndamm in einem Garten eine Herde fetter Hämmel über Nacht eingepfercht. Durch irgend welchen Umstand wurden dieselben aufgeschreckt, drückten die Umzäunung durch und gerieten auf das Geleise, eben als der Zug heranbrauste. Voll Furcht rannten die geängstigten Tiere auf dem Geleise weiter. Der Zug ereilte sie und warf alles vor sich nieder oder auf die Seite. Teils zermalmt, teils schwer verletzt lagen etliche 60 Stück der schönsten Hämmel auf und neben dem Bahndamm. Durch die überfahrenen Tiere wurde der Zug zum Stehen gebracht. Wenig hätte gefehltund der Zug wäre aus dem Viadukt bei Klmgenmrg entgleist und ein gräßliches Un­glück wäre die Folge gewesen. Dem Schäfer ist durch dieses unglückliche Ereignis ein sehr bedeutender Schaden entstanden.

Ausland.

Während die Teilung des an der deutschen Grenze liegenden VI. Armeekorps, also die Ver­mehrung des französischen Heeres um ein ganzes Armeekorps in sicherer Aussicht zu stehen scheint, wird sich die Abgeordnetenkammer zu­nächst mit der neuen Militärvorlage, die Um­gestaltung des iGeschützwesens zu beschäftigen haben. Das von Freycinet ausgearbeitete Cadre- gesetz für das Heer will die Stämme für die Reseroe-Artillerie-Regimenter schaffen, indem bei