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geschmackvoller Abwechslung die übrigen Stücke folgten. Unter dem Vielen und Schönen, das ge­boten wurde, heben wir besonders hervor ein StreichkonzertStändchen" von Hager (vorgetragen von den HH. Gebrüder Frank, Karl Beißer und Theodor Kraushaar), ein BlasquartettSchiffer­gesang" undAbschied vom Walde" (vorgetragen von den Herren Kaufmann Schräg, Gebr. Frank und Hennefarth), ein ViolinsoloAbschied" von Eulenstein (vorgetragen von Hrn. K. Beißer), ein ViolinduettTraum der Sennerin" von Labitzky (gespielt von den HH. Stadtm. Frank und Th. Kraushaar) und eineGavotte" von Scholz (ge­blasen von Hrn. Zugmeister Schneider). Außer den schon genannten Herren wirkten im Orchester noch mit Hr. Feldwebel Merseburg und einige Mitglieder der städtischen Musikkapelle. Die Kla­vierbegleitung hatte Hr. Organist Vintzon über­nommen und in delikater Weise durchgeführt. Die Vorträge fanden bei den Zuhörern den wärmsten Beifall. Tie Anerkennung, die den Mitwirkenden gezollt wurde, dürfte für diese ein Ansporn sein, auf der betretenen Bahn weiterzuarbeiten und den Orchesterverein als eine bleibende Einrichtung zu heben und zu fördern.

Reutlingen, 4. März. Auf Veranlas­sung der hiesigen Handelskammer haben die fünf Handelskammern Calw, Heidcnhcim, Ravensburg, Reutlingen und Rottweil gemeinsame Eingaben an den Reichstag und den Bundesrat wegen baldiger Einführung des Postsche ckverkehrs gerichtet. Da­rin wird der Erwartung Ausdruck gegeben, daß die Einrichtung so gestaltet werde, daß bei mög­lichster Billigkeit, Raschheit und Einfachheit des Verfahrens eine allgemeine Benützung derselben er­möglicht werde.

Göppingen, 3. März. Gestern abend hielt die Sozialdemokratie eine von etwa 800 Personen besuchte Protest Versammlung gegen die geplante Getreidezollerhöhung ab, auf welcher als Hauptredner die beiden Landtagsabge­ordneten Keil und Blumhardt auftraten. Des elfteren Rede brachte die oft gehörten Ausführungen über die verderbliche Wirkung der Zollerhöhung für das werkthätige Volk" und endigte mit einer flammenden Verurteilung des wirtschaftlich vollständig bedeutungslos gewordenen agrarischen Junkertums. Möge es in Teufels Namen zu Grunde gehen, wenn ihm nur noch durch die Getreidezölle zu helfen ist," so rief er frei nach Klara Zetkin! zum Schluffe in die Versammlung hinein, unter dem tosenden Beifall derselben. Blumhardt spricht die Zuversicht aus, daß die kommenden Zölle ein wachendes Volk finden werden. Es sei nicht das erstemal, daß ein deutscher Sturm solchen Frevel am Volk weggefegt habe. An sich seien solche Sturmzeiten ja nicht zu beklagen. Denn schärfer und klarer als sonst trete in ihnen heraus, was sie, die Sozialdemokraten, für die Zukunft wollen. Zum Schluffe brachte Genosse und Stadtrat Thiele, der die Versammlung geleitet hatte, zwei Resolutionen zur Verlesung und Ab­stimmung, von denen die erste gegen die geplante Erhöhung der Getreidezölle als einen verhängnis­vollen Gewaltakt protestiert und deren Abschaffung überhaupt fordert und zugleich gegen die württem- bergische Regierung den Vorwurf erhebt, daß sie entgegen dem Landesinteresse, die bekannte Zentrums­interpellation im bejahenden Sinne beantwortet habe. Die zweite Resolution, die wie die erste ein­stimmig angenommen wurde, richtet die Aufforderung an die bürgerlichen Kollegien der hiesigen Stadt, sich dem Protest gegen die Getreidezollerhöhung anzuschließen. (Schw. B.)

Gmünd, 3. März. Auf gestern abend hatten die hiesigen Mitglieder der Handelskammer Gmünd-Heidenheim eine Versammlung in den Bären" einberufen, um in der Frage der Korn­zölle Stellung zu nehmen. Der überaus zahlreiche Besuch der Versammlung beweist, daß sich die hiesige Bevölkerung für diese Frage sehr interessiert. Rechtsanwalt Stotz aus Heidenheim, Sekretär der Handelskammer, referierte ausführlich über dieselbe und kam zu dem Schluß, daß eine Erhöhung der Getreidezölle abzulehnen sei. Der Vorstand des hiesigen Konsumvereins, Mancher, und ein Führer der Sozialdemokraten, Wagner, sprachen gleichfalls in seinem Sinne. Landwirtschaftsinspektor Schmid- berger und Stadtschnltheiß Möhler vertraten die

entgegengesetzte Ansicht, erzielten aber keinen Erfolg. Die Versammlung erklärte sich fast einmütig gegen die Erhöhung der Getreidezölle und beschloß zugleich, dem Landtagsabgeordneten Rembold einen scharfen Tadel auszusprechen, daß er als Vertreter einer industriereichen Stadt deren Interesse in dieser Frage nicht gewahrt habe.

München, 5. März. Heute Vormittag 10 Uhr wurde das Haus in Geisenhof, in welchem sich der Räuber Kneisel seit einigen Tagen ver­steckt hielt, von Gendarmerie beschossen. Hierauf stürmten 25 Schutzleute dasselbe. Kneisel setzte sich zur Wehr wurde jedoch durch Schüsse, darunter einen in den Unterleib kampfunfähig gemacht und festgenommen. Das Befinden Kneisels, welcher in die chirurgische Klinik nach München gebracht wurde, ist ein Derartiges, daß er kaum mit dem Leben davonkommen dürfte.

München, 5. März. Heute Morgen wurde durch einen operativen Eingriff die in Kneißl's Unterleib steckende Kugel entfernt. Die Operation ist normal verlaufen, doch läßt sich nach dem Ausspruch der Aerzte vor 24 Stunden kaum entscheiden, ob Kneißl die Verwundung überstehen wird.

Dresden, 5. März. In der vergangenen Nacht hat sich in dem meist von Arbeitern bewohn­ten Vororte Löbtau eine furchtbare Tragödie zuge­tragen. Ein Arbeiter hat drei seiner Kinder durch Zerstückeln getötet. Das vierte Kind und die Frau konnten sich noch rechtzeitig retten.

Dresden, 5. März. Der Arbeiter Wenzel Kunte in Löbtau, welcher seine drei Knaben im Alter von 3 bis 13 Jahren durch Beilhiebe ge- tödtet hat, ist verhaftet. Seine Frau, die er gleich­falls schwer verwundete, ist heute Vormittag ihren Verletzungen erlegen. Ein viertes Kind, ein Mäd­chen im Alter von 10 Jahren, schwebt noch in Lebensgefahr. Der Thäter leidet schon seit Jahren am Säuferwahnsinn.

Berlin, 5. März. (Reichstag.) Am Bundesratstisch: Reichskanzler Graf Bülow, Staatssekretär v. Richthofen und Kriegsminister v. Goßler. Haus und Tribünen sind gut besetzt. Auf der Tagesordnung steht der Etat des Aus­wärtigen. Schädler (Ztr.) erwähnt die in manchen Kreisen vorhandene Mißstimmung und er­bittet Auskunft über die politische Bedeutung der Kaiserreise nach England und des englischen Thron­wechsels für Deutschland. In weiten Kreisen hat die Verleihung des Schwarzen Adlcrordens an Roberts Unzufriedenheit erregt. Angesichts der hyperfreundlichen Politik gegenüber England fürchte man, daß uns diese auf dem Kontinent Feinde machen könne. Er frage deshalb: Wie stehen wir zu den übrigen Mächten, in erster Linie zu den TrcibundSmächten? Das Band nach Rußland darf nicht durchschnitten werden. Stolberg- Wernigerode (kons.) stellt ähnliche Fragen, wie der Vorredner und fragt insbesondere nach der Be­deutung des bekannten Artikels der russischen Han­dels- und Jndustriezeitung über die russische Handels­vertragspolitik. Reichskanzler Graf Bülow: Der Besuch des Kaisers in England ist zunächst weder ein politischer noch ein höfischer, sondern ein rein menschlicher. Wie lange der Enkel am Sterbe­bette der Großmutter weilen will, und ob er an der Beisetzung der Großmutter teilnehmen konnte, war eine Gefühlssache; darüber konnte nur das Empfinden des Kaisers entscheiden. Daß das eng­lische Königshaus und das Volk den Besuch mit warmer Dankbarkeit ausgenommen hat, war doch erklärlich und ganz in der Ordnung. Wenn über solche rein menschliche Empfindungen hinaus bei diesem Anlaß in England der Wunsch hervorgetreten ist, friedliche und sekundliche Beziehungen zu Deutsch­land zu Pflegen, so liegt politisch gar kein Anlaß vor, dies übel zu nehmen. (Heiterkeit.) Auch wir können ja nur wünschen, daß es Deutschland und England beschicken sei, im Frieden und für den Frie­den zu wirken. Selbstverständlich ist die volle Gleich­berechtigung zwischen dem deutschen und englischen Volke die eonäirio «ins gu» non jedes Zusammen­wirkens beider. In unserem Verhältnis zu England hat sich gar nichts geändert, seitdem ich hier erklärt habe, daß wir gerne bereit sind, auf der Basis gegen­seitiger Rücksichtnahme und absoluter Parität mit Eng­

land in Frieden, Freundschaft und Eintracht zu leben. Wenn der Kaiser durch seinen Besuch in England die Bahn freigemacht hat für die Fortsetzung eines solchen normalen und guten Verhältnisses zwischen Deutschland und England, so ist dies für beide Länder nur nützlich. Gewiß bestehen zwischen Deutschland und England manche Reibflächen, aber auch viele und notwendige Berührungspunkte. Beide Länder sind auf gute Nachbarschaft ange­wiesen und es ist kein politischer Grund vorhanden, warum wir die Beziehungen zu England nicht ebenso herzlich pflegen sollten, wie andere Mächte es thun. Durch den Thronwechsel ist in den Be­ziehungen zwischen Deutschland und England nichts geändert. ES hat gleich Leute gegeben, die gehofft haben, daß der Thronwechsel eine ungünstige Rück­wirkung ausübe auf die deutsch-englischen Bezieh­ungen. Diese Wirkungen sind nicht eingetreten. Auch das ist nützlich für das Verhältnis der beiden Länder und die allgemeine Ruhe. Der Besuch des Kaisers soll, so wird behauptet, der neutralen Haltung widersprechen, die wir gegenüber den südafrikanischen Wirren eingenommen haben. Ich habe auch häufig Parallelen gelesen zwischen dem Besuch des Kaisers in England und dem Nichtempfang des Präsidenten Krüger. Diese Parallelen sind unzutreffend. Die prejektierte Reise des Präsidenten Krüger nach Berlin verfolgte ausgesprochencrweise den Zweck, uns in einer ungewöhnlichen Form zur Einmischung in die südafrikanischen Wirren zu nötigen, während der Besuch des Kaisers in Englandmüdem südafrikanischen Krieg nichts zu thun hatte. Gewiß sind dem Kaiser­in England Aufmerksamkeiten erwiesen worden, und er hat die Aufmerksamkeiten erwidert. Ich bestreite aber auf das allereutschiedenste, daß der Kaiser irgendwie dem Wohl des Landes zuwidergehandelt hat, indem er Aufmerksamkeiten entgegennahm und erwiderte. Die Ordensverleihung an Roberts beruht auf dem persönlichen Ehrenrecht der preußischen Krone. Im übrigen ist Roberts keine politische Persönlichkeit und die Ordensauszeichnung hatte keine politische Bedeutung. (Be­wegung.) Was die Beziehungen zu Rußland anbelangt, so bleibe ich durchdrungen davon, daß die Pflege der freundnachbarlichen Beziehungen zu dieser Macht eine der vornehmsten Aufgaben unserer Politik ist. Aber die Grundlage voller Gleichheit und die Basis jeder Verständigung über die handels­politischen Interessen mit den andern Mächten kann nur volle Reziprozität und volle Unabhängigkeit unseres eigenen Landes sein, nicht irgend welches Vasallentum. Die auswärtige Politik wird nicht durch verwandtschaftliche Beziehungen, sondern durch ruhig und nüchtern erwogene Staatsinteressen be­stimmt. (Bravo.) Diese bestimmen auch die Haltung des Kaisers, welche auf die gewissenhafteste Fürsorge für die Wohlfahrt, Sicherheit und Zukunft des Reiches gerichtet ist. Ich selbst wäre für eine andere Politik als eine nationale deutsche Realpolitik nicht zu haben. (Beifall.) Abg. Oertel (kons.) giebt zu, daß unsere gegenwärtige auswärtige Politik von den: Vertrauen weiter Volkskreise nicht getragen sei. Weshalb Krügers Besuch habe abgewiesen werden müssen, könne er, Redner, auch heute noch nicht Ansehen. Auch die Duldung von Waffenlieferungen habe mit Recht die Besorgnis ungenügender Neu­tralität genährt. Besorgnis herrsche ferner wegen einer zu großen Indignität Englands, weil dieses es an Reziprozität fehlen lasse. Der Draht mit Rußland scheine sehr gestört zu sein. Gute Be­ziehungen zu Rußland könnten nicht hoch genug geschätzt werden, aber nachlaufen dürften wir natür­lich niemanden, das habe Fürst Bismarck.schon gesagt. Staatssekretär von Nicht Hofen stellt in Abrede, daß die Neutralität nicht genügend gewahrt sei. Unrichtig sei auch, daß die Regierung Reichs­angehörigen im Auslande von unseren Konsulaten nicht genügenden Schutz gewähre. Auf den Vorwurf, daß Deutschland mit England zu intim sei, ohne daß England Reziprozität gewähre, müsse er ant­worten, daß dies nicht der Fall sei. Abg. Hehl von Herrnsheim (natl.) polemisiert gegen den Abg. Richter bezüglich unserer handelspolitischen Verhält- nisse zu Rußland. Abg. Graf Kanitz (kons.) erinnert den Abg. Richter daran, daß der Zentral-Verband der Industriellen sich mit der Erhöhung der Land­wirtschaftszölle einverstanden erklärt habe. Abg. Münch-Färber (natl.) empfiehlt eine von ihm beantragte Resolution betreffend Errichtung deutscher