617
Regierung in Aussicht stehen. Sämtliche preußische Behörden sind angewiesen, wegen des Defizits die äußerste Sparsamkeit anzuwenden.
Aus Wien meldet man: Kaiser Franz Joseph wurde gebeten, die Patenstelle bei der jüngst geborenen Tochter Kaiser Wilhelms zu übernehmen, ebenso der König und die Königin von Württemberg.
Zur Frage der Sonntagsruhe erfährt die „Magd. Ztg.", die Regierung beabsichtige an den Ausführungsbcstimmungen so viel wie möglich zu mildern; eine ähnliche Nachricht geht auch der „Voss. Ztg." zu.
Berlin, 29. Sept. Die Stadtverordneten wählten heute den Bürgermeister Zelle mit 94 gegen 22 Stimmen zum Oberbürgermeister von Berlin an Stelle des verstorbenen Hrn. v. Forckenbeck.
Berlin, 28. Sept. Ueber die von den hiesigen Morgenblättern gemeldeten, in Charlotten bürg angeblich vorgekommenen 17 Erkrankungen an der Cholera ist an den zuständigen Stellen nichts bekannt.
Berlin. 29. Sept. Die Berliner Zeitungen erklären, es bestehe für Berlin bei der Sorgfalt der Behörden und der Trefflichkeit der Wasserwerke, sowie der obwaltenden Reinlichkeit absolut keine Gefahr der Verbreitung der Cholera.
Hamburg, 29. Sept. Amtlich werden gemeldet 70 Erkrankungen und 25 Todesfälle, davon gestern 44, bezw. 16; Transporte 16, bezw. 12.
Karlsruhe, 28. Sept. Das großher- zogliche Paar spendete für die Notleidenden Hamburgs 3000 vlL Die hier bisher für Hamburg gesammelte Summe beträgt 11 000-^
Badenweiler, 27. Sept. Heute Vormittag ist der Große Generalstab unter Führung seines Chefs, des Generallicutenants Grafen v. Schlieffen, in einer Stärke von 36 Offizieren, 71 Unteroffizieren und Gemeinen und 71 Pferden auf seiner diesjährigen Uebungsreise hier cinge- troffen, nachdem er bereits vor wenigen Tagen unsere Gegend berührt hatte, wo er in Müllheim einquartiert war und von wo ihn dann seine Uebungsreise über den Belchen, Todtnau, Titisee. Freiburg und Staufen führte.
Brand en b urg, 28. Sept. Das Kriegsgericht verurteilte den Zirkusdirektor Schumann, weil er sich der Militärpflicht entzogen habe, zu Monatlichem Gefängnis; Schumann wurde als felddienstuntauglich zur Landwehr 2. Aufgebots überwiesen.
Mannheim, 28. Sept. Wegen Fälschung von 49 Wechseln im Betrage von 84 415 Mark verurteilte die hiesige Strafkammer den Fabrikanten Theodor Hirsch zu 3 Jahren 9 Mon., seinen Sohn Ludwig Hirsch zu 4 Jahren 6 Mon. Gefängnis.
Metz, 27. Sept. Ein erschütterndes Unglück auf der Jagd ereignete sich dieser Tage in Rohlingen. Vier Jäger aus Metz hatten Treiber bestellt zum Auftreiben der Rehböcke, darunter den 13jährigen Schneiderssohn Stefan Felix. Wirklich kamen Rehe in die Schußlinie, auf welche einer der Jagdgenossen sofort anlegte, ohne zu bemerken, daß in dem dichten Gebüsch gegenüber der erwähnte kleine Treiber stand. Ein lauter Schrei ertönte und nur noch mühsam schleppte sich das arme Kind heran, das getroffen zusammenbrach und bald darnach den Geist aufgab. Zehn Schrotkörner Nr. 4 waren ihm in der Nähe des Herzens in die Brust gedrungen. Als der Vater des Kindes herbeikam, fiel er ohnmächtig an die Seite des Toten nieder. Der unglückliche Schütze ist verzweifelt über das Verhängnis, das ihn betroffen hat. Er hat sich gleich dem Gerichte gestellt.
Württemberg.
Stuttgart, 26. Sept. Das Wei ritz es ch äst hat begonnen. Die Wirte und Geschäftsleute, welche ihre Vorräte ergänzen müssen, sind zum Teil schon auf Reisen in die Wein- gegenden begriffen. Das Herbstgeschäft nruß beginnen. Portugieser und andere frühe Sorten sind, als Folge der Regen in letzter Woche, der Gefahr ausgesetzt, überreif und deshalb faulig zu werden. Was die Menge betrifft, so gehen die Ansichten weit auseinander. Als Preise hört
man, jedoch völlig unmaßgeblich. Summen von >50—200-^ für den Eimer nennen. Was den Rang betrifft, welchen das heurige Gewächs im Vergleich mit seinen Vorgängern einnehmen wird, so ist diese Frage wohl etwa erst Mitte des kommenden Monats in bestimmterer Form zu entscheiden. Die edelsten Sorten von Trauben haben noch eine Zeit von 3 Wochen zu völliger Ausreifung vor sich. Das ist eine Frist, die hoch anzuschlagen ist, insbesondere wenn die Witterung so günstig bleibt, wie seit mehreren Tagen.
Heilbronn, 27. Sept. In der heutigen Sitzung der bürgerl. Kollegien, welcher Reg - Präsident v. Häberlen anwohnte, wurden eingehende Mitteilungen aus dem gegen den vom Amte suspendierten Oberbürgermeister Hegelmaier vorliegenden Beweismaterial gemacht. Die Anklageschrift zerfällt in 9 Abteilungen, deren Verlesung über 2 Stunden in Anspruch nahm. Nach den Darlegungen des Regierungspräsidenten handelt es sich um einen typischen Fall von Querulantenwahnsinn auf Grund erblicher Belastung und infolge krankhafter Ernährungsstörungen des Gehirns. Die Störung datiere in ihren Anfängen auf einer Reihe von Jahren zurück, sei unheilbar und bleibend, kaum einer Besserung zugängig und leicht mit weiteren Explosionen verknüpft. Aus dem vorgetragenen Belastungsmaterial gehe hervor, daß Hegelmaier wegen dienstlicher und moralischer Unbrauchbarkeit hätte des Dienstes entlassen werden müssen; dessen Verfehlungen seien noch ärger, als man gewußt habe. Nu» muß er wegen Geisteskrankheit des Dienstes enthoben werden. Das Medizinalkollegium hat unter Zuziehung des Vorstandes einer Irrenanstalt einstimmig erkannt, daß Hegelmaier für geisteskrank und als Querulant zu erklären sei. Es folgt daraus, daß Hegelmaier schon, als er in städtische Dienste trat, geistig nicht normal gewesen sein konnte. Dem Staat hatte er 14 Jahre Dienst geleistet, der Stadt Heilbronn als Vorstand derselben 7. Zur Regelung der Pensionsfrage ist eine Kommission eingesetzt. Der Eindruck, den die Mitteilung hier hervorrief, läßt sich kaum beschreiben.
Ein ähnliches Fest, wie es im Laufe des Sommers der „Liedeikranz" in Freuden st adt feiern durfte, der sein 50jähriges Jubiläum beging, hielt am 25. Sept. der Bruderverein desselben, der Gesangverein „Männerchor". Dieser weihte seine neue Fahne, eine Standarte aus der Fahnenfabrik Aulendorf; zu der Feier war außer dem „Liederkranz" von Freudenstadt nur noch der „Liederkranz Friedrichsthal" eingeladen worden. Der Vorstand des festgebenden Vereins, Redakteur Zeeb, hielt die Festrede. Stadtschultheiß Hartranft überbrachte in schwungvoller Rede die Glückwünsche der Stadtgemeinde.
Altensteig. In unserer Stadt wird eine Brunnenleitung gegraben. Dabei stießen die Grabarbeiter in der Nähe der Kirche auf ein Kellergewölbe, das etwa 5 Meter lang und 4 Meter breit, gut erhalten, sogar noch weiß getüncht ist. Von demselben geht ein unterirdischer Gang ins Schloß und ein anderer führt thalabwärts der Schill'schen Mühle zu. Manche behaupten, der Gang führe von dort weiter unter der Nagold durch und münde im Hafnerwald aus.
Obstpreiszettel. Stuttgart 27. Sept Güterbahnhof. Mostobst: schwciz. 5, Hess. 1, östreich. 1 Waggon, Preise: schweiz. per Waggon 700—750, das andere 830—900 -4L, per Ztr. 3 -4L 90 bis 4 -4L 20 ^ und 5-4L bis 5^L 30^. Heilbronn, 27. Sept. Gem. Obst 5-4L 40 bis 6 ^4L, gebroch. Obst 7—9-4L je per Zentner. Reutlingen, 27.Sept. Obstmarkt. Zufuhr etwa 50 Wagen, Preise: 4-4L bis 4-4L 40-4 der Ztr. Verkauf sehr lebhaft. Stuttgart, 29. Sept. Zufuhr aus dem Wilhelmsplatz: 1800 Zentner württ. Mostobst zu 6 -4L bis 6 -4L 20 , auswärtiges 4 -4L 50 ^ bis
4 -4L 80 ^ per Ztr. — 28. Sept. Güterbahnhof. Schwz. Mostobst 15, Hess. 2 Waggons, Preis per Waggon 760 bis 800-4L und 900 bis 1000-4L, per Zentner 4 ^L—4 -4L 30 ^ und 5 -4L—5 -4L 20
Eßlingen, 28. Sept. sObstmarkt.j Zugeführt waren 250 Ztr. Mostobst, Preis 6-4L 10^!— 6-^. 30^ per Zentner.
Weinpreiszetlel. Vaihingen. Hohenhaslach 26. Sept. Käufe gem. Gew. 160per 3 Hl.
Vom unt. Remsthal, 27. Sept. Die gegenwärtige prächtige Witterung bringt unsere Trauben vollends rasch zur vollständigen Reife, so daß voraussichtlich in 14 Tagen der H erbst seinen Anfang nehmen
wird. Der Stand der Weinberge ist ein vorzüglicher, und dürfen wir in Anbetracht dessen, daß bei uns nur wenige Trollinger gepflanzt werden und also auch nur wenige Trauben durch den Sonnenbrand notgelitten haben, annähernd auf V- Herbst hoffen. Daß wir auf etwas Gutes rechnen dürfen, beweisen die allseitigen Vorausbestellungen und gemachten Schlägverkäufe; in einzelnen Orten, wie z. B. in Kleinheppach, ist das meiste Gewächs schon verstellt. Bei der voraussichtlichen Güte des heurigen Gewächses ist es unfern Weingärtnern wegen der Einfuhr italienischer Weine nicht bange, ja sie glauben, daß gerade das Weißgewächs, zum Verschneiden mit ital. Rotwein, Heuer mehr gesucht wird als je.
Hohenhaslach O.A. Vaihingen, 26. Sept. Infolge des diesjähr. sehr trockenen Sommers blieben unsere Weinberge von Rebenkrankheiten gänzlich verschont. Obwohl die tropische Hitze dem Trollinger, der hier, wie überhaupt schwarzes Gewächs, vorherrschend ist, etwas zugesetzt hat, ist der Stand der Weinberge doch ein vorzüglicher. Der Reisegrad der Trauben ist sehr vorgeschritten und beginnen heute einzelne Weingärtner das Frühgewächs (Portugieser) zu lesen.
Ausland.
In Oesterreich nimmt die Cholerafurcht nachgerade lächerliche Dimensionen an. Die Reisenden werden gründlich durchgeräuchert und das Gepäck samt Koffer mittels Dampf total durchweicht und so ruiniert. Eine galizische Bahn hat sogar den gesamten Verkehr eingestellt und die großen Wollspinnereien in Bielitz müssen ihren Betrieb einstellen, da die Einfuhr von Wolle verboten ist und sie ihre Vorräte aufgcarbeitet haben. Tausende von Arbeiter werden hiedurch brotlos.
Unterhaltender Teil.
Unter blendender Hülle.
Bon Gustav Höcker.
(Fortsetzung 4.1
„Um welche Zeit mag denn nur der Mord geschehen sein?" frug Kandier wie im Selbstgespräch.
„Um Mitternacht."
„Um Mitternacht?" brauste er im Tone unwilligen Zweifels auf.
„Nun, fahre mich nur nicht so an," verbat sich Jette. „Daß es um Mitternacht war, ist eine ausgemachte Sache. Die Zeiger der goldenen Uhr, die auf dem Boden lag, wiesen auf zwölf. Die Uhr ist in Folge des Falles stehen geblieben denn sie war aufgezogen."
„Ah bah! die Uhr kann auch falsch gegangen sein."
„Ich kenne die Uhr, sie ging stets richtig. Auf die Uhr allein kommt's übrigens auch nicht an. Heute Morgen um acht Uhr, unmittelbar nach der Entdeckung des Mordes, hat Doktor Schesfer die Leiche untersucht und an ihr bereits die blauroten Totenflecken gefunden. Er sagt, daß diese Flecken erst nach acht Stunden ein- lreten. Folglich kann die Frau nicht später als um zwölf Uhr zu leben aufgehört haben, eher früher. Um elf war sie noch am Leben, das habe ich selbst bezeugt."
„Du?" rief Kandier.
„Ja, ich," nickte Jette, fast erschrocken vor dem stieren Blick, mit welchem ihr Mann sie anschaute.
„Du wirst Dich in der Zeit geirrt haben. Es kann auch um zehn gewesen sein."
„Die Turmuhr schlug ja laut genug und ich werde wohl noch bis elf zählen können."
„Du kannst Dich um eins verzählt haben."
„Dann müßte sich Justine auch verzählt haben.
„Wieso Justine?"
„Ihr Mansardenzimmer liegt nach der Straße zu; sie schlief noch nicht und hörte mich mit Frau Bredow sprechen." Auch sie sagt, es sei um II gewesen, denn sie hat die Schläge der Turmuhr ebenfalls gezählt. Genau um die Mitternachtsstunde ist Frau Bredow ermordet worden, das steht bombenfest, und da Du sie doch nicht wieder lebendig machen kannst, so kann Dir's ja auch gleichgiltig sein."
Unruhig und mit großen Schritten durchmaß Kandier das Zimmer. Der Gram über den Tod seines Kindes hatte heute sein Gesicht gebleicht; aber Jette kam es jetzt noch viel bleicher vor.
Plötzlich blieb er vor der kleinen Leiche