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Angeklagten wegen versuchter Erpressung zu 6 Monaten Gefängnis.

Der bekannte Führer der deutschen Turner­schaft, Rechtsanwalt Theod. Georgii von Eßlingen ist im 67. Lebensjahre nach längerem Leiden zu Wilhelmsdorf bei Kornthal ver­schieden. Der Verstorbene widmete sich die größte Zeit seines Lebens neben seinem Berufe der Pflege und der Ausbildung des Turnwesens in Schwaben und Deutschland.

Ulm, 25. Sept. Gestern früh ist Premier­lieutenant Cr am er des Grenadier-Regiments König Karl (5 Württ.) Nr. 123, gegenwärtig als Führer der 1. Ersatzreservekompagnie des genannten Regiments kommandiert, gleich nach dem Besteigen eines von ihm gemieteten Reit­pferdes in der Nähe seiner Wohnung von dem scheuenden Pferde über dessen Hals hinausge­schleudert worden und so unglücklich auf den Kopf gestürzt, daß er schwer verletzt vom Platze ge­tragen werden mußte, und um ll'/s Uhr starb. Der Verstorbene, auch als Musikfreund und guter Sänger geschätzt, erreichte ein Alter von 35 Jahren und hinterläßt eine Witwe und ein Söhnchen, das am letzten Sonntag getauft wurde.

Altensteig, 25. Sept. Gestirn abend war im Gasthof zum grünen Baum hier eine größere Versammlung, wobei Hr. Reichstags- abgeordneter Frhr. v. Gültlingen vor den Wählern über den letzten Abschnitt der letzten Sitz­ungsperiode referierte, welcher vom 11. Novem­ber 1891 bis 31. März 1892 dauerte und 89 Plenarsitzungen hatte. Daneben gab cs 373 Sitzungen der Abteilungen, 493 Sitzungen der Kommissionen, wozu..noch die verschiedenen Fraktionssitzungen kommen. Von 47 einge- kvmmenen Gesetzesentwürfen sind 41 Gesetz ge­worden, 23 Verträge sind erledigt und 64 andre Vorlagen eingebracht worden; dazu kamen noch 28 Anträge, 185 schriftliche und 85 mündliche Berichte, Petitionen mit Unterschriften über Ab­änderung der Gewerbeordnung, Handelsverträge, Jmpfgesetz, Terminhandel, Hausierhandel, Trunk­sucht, Feuerbestattung, Zulassung der Frauen zum Studium. Die erste wichtige Beschäftigung im letzten Abschnitt sei die Beratung der Handels­verträge gewesen. Der österreichische und schwei­zerische seien in Wien, der italienische in Rom und nur der belgische in Berlin abgeschlossen worden. Für den Vertrag mit Oesterreich, Italien, Belgien habe Redner gestimmt. Redner führte uun die Veränderungen auf, welche die Verträge auf dem Gebiet der Landwirtschaft, der Gewerbe, Industrie und des Handels gebracht haben und zeigte, wie wir Zugeständnisse machen mußten, wie aber auch die andern Staaten uns gegenüber solche gemacht haben. Veranlassung zum Abschluß der Handelsverträge sei der be­vorstehende Ablauf der Tarifverträge der ein­zelnen Staaten gewesen, man wollte einen all­gemeinen Zollstrcit vermeiden und die gegen­seitige Einzelabschließung zwischen den einzelnen Staaten verhindern und Deutschland selbst einen Einfluß auf derartige Abschließungen sichern. Es haben freilich die deutschen Jndustriezölle eine bedeutende Ermäßigung erfahren, und die Erfahrung werde lehren, ob die gegnerischer Seils gemachten Zugeständnisse gleichwertig sind. Festgehalten habe man auch diesmal am Grund­satz, die nationale Arbeit zu schützen, das Ab­satzgebiet zu erweitern, und hoffe, daß diese Verträge auch eine Friedensbürgschaft des Drei­bunds werden. Bis jetzt habe sich gezeigt, daß sicherere, befestigendere Verhältnisse durch die Handelsverträge eingetreten sind. Man werde sich nun in Zukunft hüten, weitere Zollerhöhung zu beantragen, aber auch hüten, weitere Zoll- ermäßigung zu befürworten. Nachdem Redner noch länger über die geschäftliche Abwicklung der Handelsverträge gesprochen hatte, auch weitere Abkommen mit Spanien, Amerika rc. berührt hatte, ging er mit dem Wunsche, die Verträge alle möchten zu Nutzen und Frommen des deutschen Vaterlandes sein, über auf den Gesetzesentwurf, betreffend die Belagerungszustände in Elsaß- Lothringen, auf das Weingesetz, auf die Gesetze des Verkehrsgebiets, auf die über Gesellschaften mit beschränkter Haftbarkeit, auf das Kranken­kassengesetz und die freien Hilsskassen. Ueber die Gesetzgebungssucht sprach sich Redner unter

dem Beifall der Versammlung abfällig aus. Schließlich rechtfertigte derselbe seine Abstimmung über das Gesetz, betr. die Entschädigung der Familien der im Frieden Einberufenen, wegen der er vielfach angegriffen worden sei, damit, daß er dem Entwurf, wie er von der Regierung vorgelegt worden sei, wohl seine Zustimmung hätte geben können, nicht aber demjenigen der Kommission, nach welchem die Angehörigen der Einberufenen zusammen nicht weiter als 60°/o des ortsüblichen Taglohus, der zudem im Reiche und sogar in nebeneinander liegenden Gemeinden verschiedener Oberamtsbczirke sehr verschieden sei, hätten bekommen sollen, wodurch gerade die Bedürftigsten mit zahlreicherer Familie benach­teiligt werden. Daß er den Angehörigen gerne mehr verwilligt hätte, beweise sein Eintreten für die Abänderung der Bestimmungen über den Abzug an den Jnvalidenpensionen, die zu großen Ungerechtigkeiten führen und deren Berücksichtig­ung nun auch von der Reichsregierung zugesagt sei. Auch über aus der Mitte des Reichstags eingebrachte Anträge sprach er sich aus, so über die Diätenfrage. Weil allgemeines Wahlrecht und die Diätenlosigkeit in ganz enger Verbind­ung stehen und ersteres durch Aenderung der Diätenlosigkeit gefährdet sein könnte, seie Redner selbst für Beibehaltung der Diätenlosigkeit. Sämtliche Ausführungen des Hrn. Reichstags- abgeordneten waren eingehend und klar, was auch Hr. Stadtpfarrer Hetterich, welcher im Namen der Versammlung dem Hrn. Abgeordneten den Dank für seinen Besuch und das Referat aussprach, warm betonte. Nachher hatte der Reichstagsabgeordnete noch die Güte, über mehrere Punkte zu sprechen,, so über die bevor­stehende Militärvorlage, die 2jährige Präsenz­zeit. In nächster Zeit wird derselbe auch in anderen Orten des VII.Wahlkreises seinen Wählern ähnlichen Bericht erstatten.

Alten steig, 24. sept. Lehrer St. in H. hat diesen Sommer in einem Baumstamm ein wildes Bienenvolk entdeckt. Mit Mühe sägte er dasselbe aus dem Stamm heraus und ver­brachte es in einen Kasten mit beweglichen Waben. Das wilde Volk ließ sich diese Kultivierung willig gefallen und sammelte aus Dankbarkeit wie die andern Völker fleißig Honig. Der Schwarzwälder Bienenzuchtverein wird nächstens eine Lotterie veranstalten und dabei 4 Zentner Honig zur Verlosung bringen. Ueber schwierigen Absatz der Heuer so reichlichen Honig- menge wird allgemein geklagt.

Stuttgart, 27. Sept. Kartoffel- und Kraut­markt. Zufuhr am Leohardtsplatz: 500 Ztr. Kar­toffeln, Preis pr. Ztr. 2 ^ bis 2 80 Zu­

fuhr am Marktplatz: 2000 Stück F-ilderkraut, Preis pr. 100 Stück 1618

Zustand.

Marseille, 26. Sept. In einer längeren Ansprache, die der deutsche Reichstagsabgeordnete Liebknecht in der gestrigen Sitzung des natio­nalen Arbeiter-Kongresses hielt, führte er zunächst aus, daß es für die Sozialisten keine Nationali­tätenfrage gebe.Wir kennen nur 2 Nationen", sagte Liebknecht,eine Nation der Besitzenden und eine Nation der Proletarier. Zu dieser letzteren gehören wir alle, die deutschen Sozialisten und die französischen Sozialisten. Die Arbeiter aller Länder bilden eine einzige Nation im Kampfe gegen die andere. Zwischen euch Franzosen und uns Deutschen fließt ein breiter Blutstrom, an dem wir schuldlos sind. Vergossen haben ihn unsere Feinde. Aber dieser Blutstrom bildet für uns Sozialisten keine Grenzlinie des Hasses. Wir sind Brüder, wir protestieren gegen den Bruderkrieg von 1870. Die Bourgeoisie-Blätter werfen uns vor, wir hätten die revolutionäre Fahne verlassen und wären Chauvinisten ge­worden. Das ist eine schmachvolle Lüge. Wir sind internationale Revolutionäre geblieben und werden es bleiben. Wir bilden ein großes Heer, in welchem die französischen und deutschen So­zialisten und die der anderen Länder die einzelnen Armeekorps bilden. Wir (!) haben Bismarck nach einem Kampfe von 25 Jahren geschlagen ung sind bereit, für den Sozialismus den letzten Blutstropfen zu vergießen. Ich schließe meine Rede mit dem Rufe, mit dem wir alle unsere sozialistischen Versammlungen in Deutschland

schließen, mitjdem Rufe, der den Geist unserer Bewegung kennzeichnet:Es lebe die inter­nationale revolutionäre Demokratie!" (Beifall.) Ferroul dankte hierauf mit dem Rufe:Es lebe das Deutschland der Arbeit!" Von einem Mitgliede des Kongresses wurde die elsaß­lothringische Frage berührt. Liebknecht erwiderte:Laßt uns nur unsere demokratische soziale Republik errichten und die ganze elsaß­lothringische Frage ist aus der Welt geschafft. Ein Krieg wird nimmer eine Lösung bringen, denn nach dem Krieg giebts nicht Sieger, nur Besiegte. Nehmen Sie au, Elsaß-Lothringen würde Ihnen zurückgegeben, 10 Jahre später hätten Sie aufs Nene eine Schlacht; alles wäre wieder in Frage gestellt. Unseren, Bebels und meinen Protest von 1870/71 gegen die Weg­nahme Elsaß-Lothringens sind die sozialistischen Freunde im Reichstage immer bereit, Wiederauf­leben zu lassen. Ich wiederhole: allein der Sieg des Sozialismus in Frankreich und Deutschland würde diese Frage zum Schweigen bringen!"

Paris, 26. Sept. DerFrance" zufolge habe Ministerpräsident Loubet beschlossen, den am Sozialistenkongreß in Marseille teil­nehmenden deutschen Abgesandten, Reichstags­abgeordneten Liebknecht wegen der gestern dort gehaltenen Rede auszuweisen.

Paris, 27. Sept. Der Marseiller Ar­beiterkongreß hat heute keine Sitzung abge- halten. Liebknecht, der, wie versichert wird, schon bei seiner Ankunft seine Abreise auf Dienstag festgesetzt hatte, ist heute Mittag nach Deutsch­land abgereist.

Belgrad, 27. Sept. Gestern überfielen bewaffnete Männer eine liberale Parteiversamm­lung in einer Vorstadt Belgrads. Als die Gendarmen sie verhafteten, entpuppten sie sich als verkleidete Gemeindepanduren mit ihrem Kommandanten an der Spitze. Bei dem Ver­hör gestanden sie, daß sie vom Bürgermeister, der bekanntlich ein Radikaler ist, beauftragt waren. Der Fall dürfte die ohnehin geplante Auflösung des Belgrader Gemeinderats be­schleunigen.

London, 26. Sept. Unter den Gardes du Corps zu Windsor brach am Samstag eine Meuterei aus. Die Meuterer haben achtzig Sättel und Pferdegeschirre vernichtet. Die Wider­setzlichkeiten werden auf Ueberanstrengung im Dienste zurückgeführt. Die gesamte Mannschaft wurde in den Kasernen eingeschlossen.

Telegramme an den Enzthäler.

Charlotten bürg, 28. Sept. Von vor­gestern auf gestern sind 17 Fälle asiatischer Cholera hier festgestellt. Sämtliche Fälle sind jedoch leicht.

Homburg, 28. Sept. Die Kaiserin Friedrich ist gestern Abend mit der Prinzessin Margarethe nach Como abgereist.

Hamburg, 28. Sept. Die Vertreter der Banken und Handelsfirmen beschloßen die Gründ­ung einer Vorschußkassc für kleine Geschäftsleute; demnächst finden Zeichnungen für den Garantie­fonds statt. Die Gesamtsumme der für die Notleidenden Angegangenen Beträge übersteigt 1 620 000 viL. Von den abessinischen Brunnen sind schon viele fertig.

Berlin, 28. Sept. Bei den heutigen » Wahlen von 3 Stadtverordneten wurden an Stelle der ausgetretenen Sozialdemokraten die 3 Sozialisten Metzner, Wernau und Bruns ge­wählt.

Rostow Don. In der Nacht vom 26 September überfiel eine bewaffnete Bande von 15 Mann bei der Station Konokowo den nach Rostow fahrenden Zug; sie überwältigten das Stations- und Zugspersonal, verwundeten den im Zuge befindlichen Eisenbahnkassenboten und raubten ihm 5000 Rubel. Außerdem ver­wundeten sie den zweiten Maschinisten und einen Techniker. Der Kassenbote erlag den Wunden.