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Das Ministerium Crispi in Italien wurde Ende Januar wider alles Erwarten gestürzt. War doch kurz zuvor bei den allgemeinen Parla­mentswahlen eine große regierungsfreundliche Mehrheit gewählt worden, wobei die Radikalen die meisten ihrer bisher inncgehobtcn Litze ver­loren. Aber Crispi selbst war hiedurch allzu­sehr in Sicherheit gewiegt worden und glaubte etwas derb dreinfahren zu dürfen. Am I. Fcbr. winde das Kabinet Rudini ernannt. Dieses versprach vov allem Sparsamkeit in alle» Staats­ausgaben, Aufrechterhaltung des finanziellen Gleichgewichts ohne neue Steuern und eine fried­liche auswärtige Politik. Das neue Kabinet war im Gegenlatz zu Crispi sehr höflich gegen die Franzosen, so daß letztere bereits in der Hoffnung sich wiegten, Italien vom Dreibünde loslösen zu können. Damit war es aber nichts. Rudini, welcher mit dem deutschen Reichskanzler eine Begegnung Halle, unterschrieb die Verlänger­ung des Dreibundvertrages aus weitere 6 Jahre und fand dabei die Zustimmung nicht nur der großen Mehrheit des Parlamentssondernauch des ganzen italienischen Volkes. Im September ver- urjachte ein thörichter Streich eines Teilnehmers au den französischen Pilgerzügen heftige BolkS- kundgebungen, so daß weitere Pilgerzüge ver­boten werden mußten. Doch ließ sich die Re­gierung auf die von radikaler Seite gewünschte Aufhebung des Garanliegesetzes, wodurch derPapst zur Abreise von Rom sicher gezwungen worden wäre, nicht ein. Im Oktober fand in Nom der internationale Friedenskongreß statt, welcher von Parlamentsmitgliedern der meisten konsti­tutionellen Staaten Europas besucht war. Schon vor der Zusammenkunft gab cs unliebsame Er­örterungen über dasProgramm" und als endlich die Friedensverhandtungen begannen, kam es zu erregten Scenen und die ganze Sache endigte wie weiland das Hornberger Schießen. Letzten Herbst hatte.Rudiui auch eine Zusammkunft mit dem russischen Minister des Aeußern, Herrn v. Giers. Was dabei ausgemacht wurde, ist bis jetzt nicht öffentlich bekannt geworden, aber es liegt aus der Hand, daß der Russe die italienische Regierung, wenn er dies überhaupt versuchte, von dem Dreibund nicht wegbrachte. Rudini hat nicht lange nachher im italienischen Parla­ment ausdrücklich versichert, wie auch in seiner Mailänder Rede, Haß Italien bei dem Dreibund verbleiben müsse und daß Oesterreich im Notfall die Unabhängigkeit Italiens werde verteidigen helfen. Durch den neuen Handelsvertrag mir Deutschland und Oesterreich hat Italien jo wert­volle Vorteile erlangt, daß der Dreibund noch populärer bei den Italienern geworden ist, als er dies bisher schon war.

Deutsches Reich.

Bei den kaiserlichen Majestäten fand am Neujahrstage im Weißen Saale des Berliner Residcnzschlosses die übliche große Gratulations­cour statt, nachdem der Zermonie ein feierlicher Gottesdienst in der Schloßkirche vorange­gangen war.

Der Reichstag wird sich bekanntlich nach Ablauf seiner Wechnachlsferien mit dem deutsch­schweizerischen Handelsverträge zu be­schäftigen haben, welcher jedenfalls nochmalige lebhafte Debatten veranlassen wird. Es heißt, die entschiedenen Schutzzöllncr im Reichstage seien entschlossen, einen umfassenden Angriff auf den Handelsvertrag mit der Schweiz zu unter­nehmen und sich hierbei vor Allem auf die vielen Zollcrhöhungen zu stützen, welche der neue schweizerische Tarif im Vergleiche zu dem bisherigen ausweist.

Die deutschen Jute fab rikanten haben sich über eine Einschränkung der Produktion und gleichzeitig eine angemessene Preiserhöhung für Garne und Gewebe geeinigt. Die Produktions­einschränkung war notwendig, um den inländischen Markt, welcher schon seit langem mit Jutestoffen weit überfüllt war, normal zu gestalten. Die Erhöhung der Preise wäre schon seit längerer Zeit geboten gewesen, wenn die Fabrikanten, entsprechend den steigenden Preisen des Roh­materials hätten Vorgehen können. Erst durch die geschaffene Einigung sind sie hiezu in den Stand gesetzt. Die Wirkungen der getroffenen

Abmachungen werden sich unmittelbar erweisen; als eine dieser Wirkungen ist wohl die Kurs­steigerung der Jute-Aktien anzusehen.

Ueber den Stand des Buchdruckerstreiks stehen sich widersvrechende Meldungen gegenüber. Nach der einen Nachricht hätten die Führer der streikenden Buchdruckergehilfen in Berlin und Leipzig an zuständiger Stelle die Erklärung abgegeben, daß die Ausständischen zur bedingungs­losen Wiederaufnahme der Arbeit bereit seien. Hiermit stimmt aber die andere Nachricht nicht überein, wonach die streikenden Buch­drucker und Hilfsarbeiter im Druckergewerbe in Berlin wie in Leipzig in öffentlichen Ver­sammlungen einstimmig den Beschluß gefaßt haben, bis zur Erfüllung ihrer Forderungen weiterzustreiken. Die Bewegung ist in ein neues Stadium eingetreten. Der Minister für öffentliche Arbeiten Frhr. v. Berlepsch hat den streitenden Parteien seine Vermittelung ange­boren und hat die Vertreter der Buchdruckerei­besitzer empfangen. Heute vormittag sind die Vorsitzenden der Lokalausschusse der Buchdruckerei­besitzer zu einer gemeinsamen Sitzung zusammen­getreten, um die Bedingungen für das Wieder­eintreten der Gehilfen zu formulieren. Aus London meldet ferner einHerold"-Tele- gramm, daß die von Berlin gemeldete Nachricht, daß der Buchdruckerstreik beendet sei, in den dortigen Arbeiterkreisen große Erregung hervor- gerusen habe. Döblin telegraphierte indessen sofort, daß der Kampf weitergeführt werde. Gleichzeitig ersuchte derselbe um weitere finanzielle Unterstützung. Shipton meldete darauf die Ab­sendung von 500 Pfd. Sterl. mit dem Zusatz, daß täglich größere Summen Geldes für die Unterstützung der Streikenden eingiengen, welche nach Berlin gesandt würden.

Wiesbaden, 28. Dez. DerRh. Korr." berichtet: Wie man hier erzählt, soll der plötz lieh in Konstantinopel verstorbene General Steffen Pascha bei dem Konkurse der Gebrüder Sommer­feld in Berlin 500 000 ^ verloren haben. Steffen soll ein Depot in der angegebenen Höhe bei den Gebrüdern Sonimerfeld gehabt haben, das er, als er nach Konstantinopel übersiedelte, kündigte. Gebrüder Sommerfeld konnten aber das Depot nicht zurückzahlen, sahen sich vielmehr genötigt, den Konkurs anzumelden, der somit in ursächlichem Zusammenhang mit der Berufung des Major Steffen nach Konstantinopel stände. In hiesigen Offizierskreisen wird die Darstellung für richtig gehalten, die verlorene Summe soll noch mehr als 500000 ^ betragen, doch soll sie nicht das ganze Vermögen Steffen Paschas darstellen, vielmehr ist noch ein Teil bei der Reichsbank deponiert.

Metz, 30. Dez. Dem Raubmörder Uebing, welcher in der Nacht vom 7. Mai das seiner Zeit gemeldete scheußliche Verbrechen an dem sächsischen Oberstlieutenant Prager verübte und deshalb vom Militärgericht zum Tode verurteilt worden war, wurde angezeigt, daß der Kaiser von seinem Begnadigungsrecht keinen Gebrauch gemacht habe und das Urteil morgen früh 7 Uhr vollstreckt werde.

Mors bronn, 27, Dezbr. Achtung vor den Zigeuuern! Eine hiesige Bauersfrau, welche ihren Mammon im Bette verborgen hielt, wurde beim Bettmachen von mehreren Zigeunern angebettelt. Aus Furcht, die Zigeuner möchten ihr Geld nehmen, steckte sie dasselbe zu sich; aber fast ebenso schnell hatte es einer der Zigeuner in seine Tasche übergeführt und suchte das Weite. Die Frau bemerkte ihren Verlust erst als es zu spät war. Die gestohlene Summe beträgt über 100 Mk.

Würzburg. Ein schreckliches Unglück ereignete sich in G a u k ö n i g s h o f e n. Der 25 Jahre alte Schmid Dominikus Grub von dort schoß in einem Garten nach einem Marder. Da das Tier mit dem ersten Schüsse nicht gleich tätlich getroffen war, versetzte,, ihm Grüb einige Kolbenschiäge, wobei der andere Schuß losging und die ganze Schrotladung in die Brust drang. Nach Verlauf einiger Stunden verstarb der auf so jämmerliche Weise Verun­glückte.

Württemberg.

St uttg a rt, 31. Dez. Nachdem die Hof­haltung Ihrer Mas. der Königin Olga in den Monaten November und Dezember, wenn auch in abgesonderter Berechnung, so doch zum Teil noch in gemeinschaftlicher Verwaltung mit dem Königlichen Hofe geführt worden ist, tritt mit dem 1. Jan. 1892 die Organisation des selb­ständigen Hofes I. Mas. der Königin O'ga ins Leben.

In einer letztwilligen Verfügung traf der verewigte König Karl die Anordnung, daß sein Nachlaß an Leibweißzeug, an Zivilkleidern und an Uniformen, also die gesamte Garderobe, in das Eigentum desjenigen Teils seiner Diener­schaft übergehe, welche am meisten um die Person des Königs beschäftigt war: Kammerdiener, Lakaien u.s.W. Man kann hierin einen charakter­istischen Zug erkennen, welche der Herzensgüte des verewigten Monarchen in vollem Maße ent­spricht. Es bedarf wohl kaum der Bemerkung, daß es sich um einen sehr erheblichen Wert handelte, der diesen testamentarisch zugewendet wurde. Der Verkauf konnte beginnen, nachdem die Siegel von den Schränken u.s.w. abge­nommen waren. Die Berechtigten machten aus dem Gesamtvorrat 3 Anteile, je nach der Stufe, auf welcher sie standen. Daß der Verkauf so rasch ging und daß er heute schon so gut als abgeschlossen betrachtet werden kann, ist wohl dem Umstand beizumessen, daß eine Menge von Personen die Gelegenheit benützten, um ein An­denken zu erwerben, welches zu der Person des hochverehrten Monarchen in Beziehung stand.

(S. M.)

Ulm, 30. Dezbr. In Neu-Ulm ist mit 1. Januar eine städtische Sparkasse in Thätigkeit getreten mit Einlagen von 2- bis 3000 und 3prozentiger Verzinsung. Ein Zweck die Spar­kasse ist auch, Summen im Voraus sicher zu stellen für Konfirmation eines Kindes, zur Aus­steuer eines Mädchens, zur Bestreitung von Beerdigungskosten.

Ulm. 31. Dez. In der heutigen Sitzung der Handels- und Gewerbekammer Ulm kam ein Erlaß der königl. bayer. Staatsregieruna zur Mitteilung, worin letztere es ablehnt, auf die mehrfachen Anregungen betreffend die Ketten­schifffahrt aus der Donau von Ulm nach Regens­burg irgend näher einzugehen. Die Kammer bedauert aufs lebhafteste diese kurzsichtige Haltung der bayer. Staalsregierung, während doch die ganze neuere Verkehrspolitik auf gesteigerte Be­nützung der Wasserwege Hinweise; die Kammer hält es denn auch für ihre Pflicht, diese für Ulm so wichtige Frage nicht fallen zu lassen und mit Hilfe des Reichs früher oder später eine Lösung zu suchen. Bezüglich der neuen Handelsverträge spricht die Kammer ihre Ansicht dahin aus, daß, wenn auch deren Wirkung sich noch nicht vollständig überschauen lasse, unsere Industrie wohl kaum erhebliche Vorteile zu er­hoffen haben werde. Namentlich seien die Klagen über die voraussichtlichen Wirkungen des Schweizer Tarifs jetzt schon vielfach hervorgetrelen, und es wird beschlossen, schleunigste Umfrage bei den Interessen des Kammerbczirks über den schweizer­ischen Tarif zu halten und womöglich noch den Gegenstand auf die Tagesordnung des auf 15. Januar einberufenen Handelstags in Berlin bringen zu können.

Die neuen Verordnungen über die Abgabe stark wirkender Arzneimittel, deren Einführung feststeht, enthalten sehr strenge Be­stimmungen. Das Publikum darf sich also nicht wundern, wenn eS in den Apotheken Arzneien, die früher ohne weiteres abgegeben wurden, nicht mehr so erhält, und wenn Arzneien auf das nämliche Rezept nicht mehr als einmal abgegeben werden. Das gilt besonders von Morphium und Chloralhydrat. Ferner sind in Zukunft alle Mittel, die eingenommen werden, in runden Flaschen, alle zum äußerlichen Gebrauch dienen­den in sechseckigen Flaschen, an denen 3 Seiten glatt und die übrigen drei mit Langrippen ver­sehen sind, abzugeben. Hierdurch sollen alle Verwechselungen von Arzneien zum äußeren Ge­brauch mit solchen zum inneren Gebrauch unmög­lich gemacht werden.