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Deutschland.

Der deutscheKaiser hat, wie schon berichtet, den russischen Minister des Aus­wärtigen, Herrn v. Giers, auf dessen Rückreise von Paris nach Petersburg in Audienz empfangen; der Reichskanzler hatte mit dem Russen eine längere Unter­redung. über deren Inhalt wohl schwerlich etwas an die Oeffcntlichkeit dringen wird. Man weiß aber, daß Rußland in seiner großen Finanznot Annäherungsversuche an Deutschland macht, nachdem Herr v. Giers ohne Zweifel in Paris zur Erkenntnis ge­kommen ist, daß die Franzosen für eine neue russische Anleihe absolut kein Geld haben. Es ist eine beleidigende Anmaß­ung sondersgleichen, wenn die Russen uns Deutsche für dumm genug halten, nach allem Borausgegangenen ihnen entgegen­zukommen oder gar Geld zu ihren Kriegs- rüstungen gegen uns zu leihen. Bevor Rußland nicht vollständig abrüstet und sein Heerlager an der Westgrenze aufhebt, so lange müssen wir Rußland als unsern Feind betrachten, der sich auf uns stürzen wird, sobald er genug neue Repetierge­wehre hat. Herr v. Eaprivi wird den Russen hoffentlich darüber aufgeklärt haben, daß wir von ihm nichts mehr zu erwarten haben als eine Kriegserklärung und daß er bei uns nichts holen kann als deutsche Hiebe.

Berlin, 26. Nov. Sehr lebhaft er­örtert wurde in den Nebenräumen des Reichstags heute die Meldung des frei- konservativenDeutschen Wochenblattes", der Reichskanzler v. Caprivi sei ar­beitsmüde und plane seinen Rücktritt, der allerdings noch nicht beschlossen sei. Im Allgemeinen wurde diese Angabe na­türlich nicht ernst genommen; wer auch nur einen leisen Zweifel betreffs ihrer Un­richtigkeit hegte, beeilte sich, in Kreisen, welche dem Reichskanzler nahe stehen, nähere Erkundigungen einzuziehen. Wie mitgeteilt wird, war das Ergebnis, daß man es mit einer durchaus haltlosen Er­findung zu thun habe. Der Reichs­kanzler hatte in den letzlvergangenen Tagen Besprechungen mit den Führern ver­schiedener Parteien des Reichstages. Es stellte sich dabei heraus, daß der Kanzler mit dem lebhaftesten Interesse nicht nur den Arbeiten gegemüberstehe, welche den jetzigen Reichstag beschäftigen, sondern sich auch mit denkbarstem Eifer den Fragen zu­wende, welche sich aus den jetzigen Ver­handlungen entwickeln müssen. Man erwartet, daß die Handelsverträge noch vor den Weihnachtsferien im Reichs­tag zur Verhandlung kommen und etwa in der ersten Dezembcrwoche vorgelegt werden. (Str. P.)

Dem Reichstag sollen in nächster Zeit Gesetzentwürfe gegen das Zuhältertum und gegen die Ausschreitungen an der Börse zugehen. Was letzteres Gesetz be­trifft, so erscheint es mindestens als sehr überflüssig, daß einzelne Blätter über die beabsichtigte Unterdrückung der Börsen überhaupt jammern. Das legitime Börsen­geschäft wird sicher nicht eingeschränkt und noch weniger unterdrückt werden. Gegen die künftige Verteuerung von Lebensmitteln durch unsaubere Spekulationen aber muß

wohl etwas geschehen und ebenso gegen die horrenten Mißbräuche an der Effekten­börse, durch welche schon viele Kapitalisten mm ihr sauer erworbenes Vermögen ge­prellt worden sind.

In den nächsten Tagen werden die neuen Schulreformpläne für die preußischen Gymnasien publiziert. Die humanistischen Vorschläge der Siebener­kommission sind abgethan. Das Lateinische soll fortan erst in Tertia, das Griechische erst in Sekunda beginnen. Die dadurch für die unteren Klassen entstehende freie Zeit soll für neue Sprachen verwendet werden.

Berlin, 24. Nov. Im Reichstage beantwortete Bötticher die Interpellation Hitze betr. Maßnahmen zur Hebung des Handwerkerstandes. Infolge der Hand- werkermeisterkvnferenz sei beschlossen wor­den, auf dem Verwaltungswege die Frage der Konsumvereine, der Gefängnisarbeit, des Submissionswesens, der Geschäfts­praxis der Abzahlungsgeschäfte zu regeln. Die Ausdehnung der Unfallversicherung auf Handwerker sei in Vorbereitung, da­gegen seien obligatorische Innungen und deren Forderung, der Befähigungsnachweis, unmöglich einführbar. Den Uebelständen des Handwerks soll die Organisation der Handwerkerkammern abhelfen, damit das Handwerk auch ferner die feste Stütze des Thrones und Vaterlandes sei und seinen goldenen Boden" wiedersinde.

Fürst Bismarck. Im Reichstage scheint man den Fürsten Bismarck nun­mehr mit Bestimmtheit zu erwarten. Auf der vorderen Bank der Rechten im Sitz­ungssaale ist seitens des Bureaus bereits der Name des verstorbenen Abgeordneten von Schlickmann herausgenommen und durch den NamenFürst Bismarck" er­setzt worden.

An der Influenza sind etwa 70 Mann der Berliner Garnison erkrankt. Ein Modewarengeschäft bleibt wie ein an der Thür angebrachtes Plakat ver­kündet wegen Erkrankung des Personals an der Influenza bis auf Weiteres ge­schlossen.

Von der Antis k lav er ei- L o tt e ri e hat am Dienstag die erste Ziehung begonnen, und zwar gleich mit einer großen Ueberraschung, denn schon vormittags sind die beiden Hauptgewinne von 150 000 und 75 000 Mark gezogen worden. Der erste Haupttreffer ist auf die Nr. 128 808, der zweite, etwa zwanzig Minuten später gezogen, auf die Nr. 58 664 gefallen.

Der bei Apolda durch Gasex­plosion herbeigeführte Brand eines Postwagens hat einen Schaden von etwa 400000 Mark verursacht.

Im Großherzoglichen Theater in Oldenburg ist in der Nacht vom 25. ds. Feuer ausgebrochen und ist dasselbe bis auf die Umfassungsmauer abgebrannt; Verluste an Menschenleben sind nicht zu beklagen.

Württemberg.

Die Reichstag ersa tzwahl im 11. württembergischen Wahlkreis hat ein merk­würdiges Resultat ergeben. Nach der schweren Niederlage, welche der bisherige Reichs- u. Landtagsabgeordnete Leemann bei der Landtagswahl in Oehringen er-'

litten hat, wollte seitens der Deutschen Partei niemand eine Kandidatur für den Reichstag wagen und so blieb der demo­kratische Kandidat Hartmann, der so­eben in Oehringen gesiegt hatte, sozusagen alleiniger Kandidat, da die Mandatsbe­werbung des Sozialdemokraten Agster ernstlich doch nicht in Betracht kommen konnte und noch weniger die Zählkandi­datur des Zentrumkandidaten Landrichters Dr. Kiene. Die Deutsche Partei hatte allen denjenigen, welche mit der Kandidatur Hartmann nicht einverstanden seien, Wahl­enthaltung empfohlen. Die Volkspartei fühlte zum Voraus, daß ihr Sieg nur dann eine Bedeutung habe, wenn eine Mehrheit der Wahlberechtigten ihrem Kan­didaten die Stimmen gäbe; sie setzte des­halb alle Hebel der Agitation in Beweg­ung, sandte ihre gewandtesten Redner in den Wahlkreis und bearbeitete die Wähler in jedem Dorfe, damit sie sich doch an der Abstimmung beteiligen sollen. Weder die Städter noch die Landbewohner halten irgend einen Grund, sich der Abstimmung zu enthalten; das Wetter war gut, die landwirtschaftlichen Geschäfte ruhen und die Städter haben ohnedies immer Zeit. Nun haben aber von 23 199 Wahlbe­rechtigten nur etwas über 9300 abge­stimmt und davon erhielt Hartmann nur rund 7800, der Sozialdemokrat 1200 und der Zählkandidat des Zent.ums 300. Im Bezirk Oehringen selbst haben von 6352 Wahlberechtigten 2814 abgestimmt; Hart­mann erhielt 2647 Stimmen, also an­nähernd 600 weniger als bei der kürzlichen Landtagswahl. Im Bezirk Backnang haben von 6090 nur 2340 abgestimmt, wovon Hartmann 1801 Stimmen erhielt. Dem­gemäß sind ca. 65 der Wahlberechtigten mit dem Demokraten Hartmann nicht einig und das Wahlergebnis ist kein so glänzendes.

Drei größere Bankerotte in Stuttgart machen gegenwärtig viel von sich reden; sic betreffen die Firmen L D. Valzachi, S. M. Wormser und die Dampfziegelei Stuttgart-Gablen- berg. Bei der ersteren Firma handelt es sich um eine verfehlte Spekulation in italienischen Weinen; der flüchtiggegangene Hopfenhändler Wormser soll schon geraume Zeit mit einer Uebecschuldung gekämpft und letztere durch einen großen Aufwand zu verheimlichen gesucht haben. Wormser soll sich verschiedener betrügerischer Mani­pulationen schuldig gemacht haben: einem kleinen Stuttgarter Bankgeschäfte lockte er 10 000 in Wertpapieren mit dem Ver­sprechen heraus, am folgenden Tage Bar­zahlung zu leisten; einer Firma im württembergischen Allgäu soll er Wechsel abgeschwindelt und den Erlös aus deren Diskontierung für sich behalten haben. Der erst seit letztem Frühjahr in Stutt­gart etablierte Banquier Max Oster­berg hatte vor wenigen Monaten die Aktien der Ziegelei Sluttgart- Gablenberg an der Stuttgarter Börse zum Kurse von 115 °/o cinzuführen gesucht. Derselbe soll namhafte Verluste erleiden, nachdem er kurz vorher schon durch den Zusammenbruch der von ihm mitgegründe- etn Verlagsaktiengesellschaft Helvetia einen großen Teil seines Vermögens eingebüßt ' hatte. In Eßlingen ist der Kaufmann