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Deutschland.
Kaiser Wilhelm erholt sich gegenwärtig in den Wäldern Ostpreußens beim edlen Waidwerk von den vielfachen Manöver- und Reise-Anstrengungen der letzten Zeit. Das Befinden des erlauchten Monarchen ist ungeachtet dieser Anstrengungen fortgesetzt das allerbeste. Ueber seine Rückkehr nach Berlin, resp. Potsdam sind erst noch nähere Mitteilungen abzuwarten , vermutlich wird dieselbe in den ersten Oktoberlagen erfolgen. Die Hinreise des Kaisers von Kassel nach Ostpreußen war durch ein besonderes Moment ausgezeichnet, durch seine Teilnahme am Stapellauf des neuen Panzerschiffes „Brandenburg" in Stettin. Der kaiserliche Herr selbst vollzog die Taufe des neuen stattlichen Kriegsschiffes und wies er in seiner Rede daraus hin, wie dasselbe einen Namen tragen solle, der der Grund- und Eckstein unserer vaterländischen Geschichte und die Bezeichnung eines Landes geworden sei, dessen Bewohner sich durch Tradition eng mit dem Hohenzollernhause verbunden fühlten. Dann warf der Kaiser noch einen kurzen Rückblick auf die Zeit des Großen Kurfürsten, daran erinnernd, daß dieser Stettin zur Uebergabe genötigt und daß er seine Flotte weithin über das Meer gesandt habe; schließlich taufte der Kaiser das Schiff aus den Namen Brandenburg.
Berlin, 26. Sept. Der Zug mit dem russischen Kaiserpaar traf gestern abend */-10 Uhr hier ein. Prinz Leopold von Preußen mit Gemahlin und die Generäle v. Hahnke, v. Wittich und Graf v. Schlieffen waren zum Empfange anwesend. Der russische Kaiser, der Zivil trug, begab sich mit der Kaiserin, den Prinzen und Gefolge in die Fürstenzimmer, wo ein Abendessen eingenommen wurde. Die Weiterreise in dem Sonderzuge erfolgte nach einer Stunde.
Berlin, 26. Sept. Der Zar hat heute wieder die Grenze seines Reiches im Rücken, eine Begegnung mit dem Deutschen Kaiser ist nicht erfolgt. Eine politische Folge hätte aber auch eine Begrüßung der beiden Monarchen schwerlich gehabt. Die Zeit des Liebeswerbens nach Osten hin ist endgiltig vorüber. Die ganze deutsche Politik, von der Zusammenkunft in Alexandrvwo. welche die geschichtliche Markscheide sür die Periode der Allianzen bildet, bis zur Einladung, welche Wilhelm der Zweite au den Zaren richtete, war ein rastloses Werben um die Geneigtheit Rußlands Die erste Reise des jungen Deutschen Kaisers, die er wenige Monate nach seiner Thronbesteigung unternahm, halte den Zweck, den Zaren zu begrüßen, und er ließ sich durch den späten Gegenbesuch nicht abjchreckeu und kam wieder. Rußland hat sich durch diese Bemühungen auch nicht um eines Haares Breite von dem eingeschlagcnen Pfade ablenken lassen, frostig duldete es das Entgegenkommen, ohne es zu lohnen, die deutschen Grundbesitzer wurden aus Rußland verjagt, die Feinde der Deutschen gewannen den stärksten Einfluß im Rate des Zaren, die französischen Sympathien wurden immer mächtiger, bis schließlich in Kronstadt die
innige Verknüpfung zwischen Rußland und Frankreich ungescheut verkündet wurde. Der Zar ist Gegner des deutschen Reiches, an dieser Ueberzeugung ändert kein Händedruck und keine Begrüßung auch nur das Geringste. Die Wurzel dieses Gefühls läßt sich nicht geographisch ausdrücken und ist auch nicht auf irgend einem Punkte der Landkarte zu finden. Es handelt sich dabei weder um Bulgarien noch um die Sophienkirche, sondern um die politische Stellung Deutschlands. Das geeinigte und mächtige Deutsche Reich mit seiner beherrschenden Kraft verletzt die Eigenliebe des Zaren, und nicht gegen die deutsche Politik, sondern gegen Deutschland selbst richtet sich sein Widerspruch. Das russische Kabinet wird von dem Stachel der Rivalität getrieben, und deshalb sind alle Höflichkeiten und Zugeständnisse unnütz, und eine Versöhnung wäre nur möglich, wenn Deutschland sich freiwillig verkleinern wollte. Die Verbindung Frankreichs mit Rußland entspringt nicht blos den Erwägungen des Verstandes und der Gemeinschaft der Interessen, sondern auch der Gemeinschaft der Leidenschaften. Frankreich will Elsaß erobern und Rußland den Orient. aber diese Verschiedenheit wird aufgehoben i» der höheren Einheit des gleichen Hasses. Mit diesem Stande der Dinge hat man bei uns zu rechnen, und man thut dies ohne Leidenschaft und ohne Erregung.
Die Gerüchte, daß die neue 3prozenlige russische Anleihe auch in Berlin' zur Zeichnung aufgelegt werden soll, haben sich bestätigt. Die Bedeutung der damit geschaffenen Thatsache wird dadurch noch erhöht, daß die Regierung gegen die Auflegung der Anleihe nicht nur keinen offenen Widerspruch ^erhoben, sondern ausdrücklich ihre Zustimmung erteilt hat. Die deutsche Regierungwill, wie sie cs durch teilweiseAuf- hebung des Paßzwanges in den Reichslandcn Frankreich gegenüber gethan hat, auch Rußland gegenüber ihre Friedensliebe bekunden. Nichtsdestoweniger können wir aber auch heute nicht dem Publikum den Rat erteilen. sich an der Zeichnung auf die neue russische Anleihe zu beteiligen.
Nach dem jetzt festgestellten Ergebnis der badischen Wahlmännerwahlen gewinnen voraussichtlich die Demokraten und Freisinnigen vier, das Zentrum sieben, die Konservativen zwei und die Sozialdemokraten drei Sitze.
Münster, 2l. Sept. Eine äußerst rohe That wurde gestern abend an einem schuldlosen Tiere begangen. Der Ackerer Fisch besaß ein schönes junges Pferd, welches er mit seinen Kühen auf der Melkerei weiden ließ. Als er das Vieh in den Stall bringen wollte, lag das Pferd tot auf der Wiese; bei der Untersuchung ergab sich. daß eine ruchlose Hand die Brust des Tieres durchstochen halte. Dem Eigentümer erwächst hiedurch ein Schaden von 500 Von dem Misseihäter war keine Spur mehr zu entdecken.
In Joseph Bi kt o r v. S ch eff el's Nachlasse wurden die Manuskripte einer ganzen Reihe prächtiger, ursprünglich finden „Trompeter von Sä klingen" bestimmrerGcdichtegefundeii,21 an derZahl, außer diesen auch noch andere. Wie man hört, wird dieser Nachlaß, dem man heute schon mit Spannring enlgegensieht, noch
im Laufe des Herbstes bei Adolf Bonz u. Eo. hier unter der Titel: „Aus Heimat und Fremde" erscheinen.
Württemberg.
Stuttgart, 21. Sept. Dem „St.- Anz." zufolge werden nunmehr auch die beiden Dragoner-Regimenter des Kgl. Armeekorps, welche bisher Holzlanzen führten, mit Stahlrohrlanzen, wie solche die Ulanen-Regimenter seit einigen Jahren führen, ausgerüstet werden.
Stuttgart, 22. Sept. Auf Veranlassung des Sanitätsrats Dr. Bilfinger fand kürzlich im Caffee Merz eine Versammlung zur Gründung eines Vereins gegen den Impfzwang statt, dessen Ehren- vocstandschast Generallieutenant z. D. v. Knörzer übernommen hat. Der Vorsitzende machte die Mitteilung, daß schon über 2000 Petitionen in dieser Richtung bei der derzeitigen Petitionskommissivn des Reichstags eingelaufen Pud.
Stuttgart, 27. Sept. Das „Volksfest" beschäftigt schon seit letzter Woche jedermann. Das Wetter hat sich trotz bedrohlicher Anzeichen zu Anfang der Woche, wenigstens bis zum Hauptfesttag vorzüglich gestaltet und somit den Herzenswunsch vieler Geschäftsleute aus ein „gewinnbringendes" Volksfest wenigstens teilweise erfüllt. Schon am Freitag nahm das Fest mit dem üblichen Markt seinen Anfang. Nach und nach wurde das Bild mannigfacher und am Nachmittag war schon ein richtiges Bolksfesttreiben vorhanden. Am gestrigen Hauptfesttage wunderten ungeheure Menschenmassen dem Wasen zu, namentlich waren auch sehr viel Landleute erschienen, welche die offizielle Feier mit der Vieh- Prämiierung angelockt hatte. Nachdem am Freitag abend die Prüfungskommission ihre Arbeiten, behufs Prämienverteiluug beendet, erfolgte gestern früh durch Se. Hoh. den Prinzen Wilhelm in Vertretung Sr. Mas. des Königs die Preisverteilung, welche in üblicher Weise wie alljährlich vor sich ging. Zur Aufrechthaltung der Ordnung waren auch die berittenen Landjäger aus dem Oberland kommandiert. Nach der Preisverteilung erfolgte das übliche Baueru- renneu mit ernem Staatspreise von 400 Mark. Als Sieger mit dem ersten Preis ging aus dem Rennen Carl Brekle von Ludwigsburg hervor, während den 2. Preis der Sohn des Hirschwirts Strobel von Wangen erhielt. Bei dem darauffolgenden Offiziersrenuen mit einem Staatspreis von 800 -/A und Zurücklegung einer Strecke von 2000 in d. h. zweimal durch die Bahn herum, erhielt den ersten Preis Frhr. von Gültlingen, während den 2. Preis Rittmeister Frhr v. Röder errang. Nach diesem Rennen war die offizielle Feierlichkeit beendet und widmete sich das Publikum nun der Besichtigung der Ausstellungen von Obst, landwirtschaftlichen Maschinen und sonstigen sehr reichhaltig vertretenen, auf die Oekonomie bezugnehmenden Gegenständen, sowie den leiblichen Genüssen, welche bei der Hitze des Tages wohl berechtigt waren. Die Wirte hatten dieses Jahr vielfach für eine eigene Musikkapelle Sorge getragen, dafür schenkten sie aber auch nur ganze Liter und ließen sich mit Schoppen gar nicht mehr euch Durch den .ikMlngriff genommenen Brückenbau hat