580

Gervais wollte ursprünglich auch den Belgiern in Ostende einen Besuch abstatten, hat aber schließlich darauf verzichtet. Den diesjährigen französischen Herbstmanövern, wobeifganzeArmeen gegeneinander operieren, werden die russischen Obergeneräle Gurkow und Dragomiroff beiwohnen. Ersterer wird im Kriegsfälle die russische Armee gegen Deutschland, letzterer die russische Armee gegen Oesterreich kommandieren. Andere fremdländische Offiziere dürfen den französischen Manöver» nicht beiwohnen. Diese demonstrative Waffenbrüderschaft zwischen Frankreich und Rußland ist ein sehr ernstes Zeichen.

Paris 27. Aug. Die Regierung er­hielt die amtliche Nachricht von dim be­vorstehenden Gegenbesuch der russischen Flotte in Cherburg.

P e t e rs b urg, 2.7 Aug. Die Rede des KaisersWilhelm in Merseburg beschäftigt fortgesetzt die russische Presse, welche sich nachzuweisen bemüht, wenn der Dreibund nicht eingeschüchtert wäre, hätte der Kaiser sich nicht mit so dunklen Andeutungen über die Abnahme der Friedensaussichten begnügt.

Während verschiedene Meldungen aus Petersburg eine baldige Wiederauf­hebung des Roggenausfuhr-Verbots in Aussicht stellen, hat die russische Regier­rung das Ausfuhrverbot auch für Finn­land ausgedehnt, so daß jetzt nur noch die Häfen des Eismeeres für die Roggenaus­fuhr offen stehen. Ziemlich glaub­würdigen Meldungen zufolge gelüstet es der russischen Kaiserin für den künftigen Krieg die Rolle der Kaiserin Eugenie zu spielen; sie soll die letzten Bedenken des Zaren gegen ein Bündnis mit Frankreich überwunden und gleichzeitig durchgesetzt haben, daß in den Bündnisvertrag eine Bestimmung ausgenommen werde, wonach Deutschland im Falle seiner Niederlage auch Schleswig an Dänemark abtreten müsse. Die russische Offizieren versichern jedermann, daß spätestens im Frühjahr 1893 der Krieg ausbrechen werde. Bis dahin kann sich noch viel ereignen, unter anderem auch eine Revolution in Ruß­land.

Wisftlicn.

Am Meer.

Erzählung von L. Frank.

(Nachdruck verboten.)

(Fortsetzung.)

Das wage ich nicht; er kann die ganze Familie nicht leiden; es muß früher etwas vorgefallen sein, das beide Familien zu Feinden gemacht hat, aber ich kann es nicht erfahren."

Hm, dann steht es mit Ihrer Sache freilich schief. Doch nur^den Mut nicht verlieren! Zählen sie auf mich. Glauben Sie mir, in solchen Fällen hilft eine rasche Thal mehr als Jammern und Seufzen. Sie gehen zum Lloyd, ich kenne einen Kapitän, der Ihnen für eine Stelle sorgen soll. Also abgemacht, nicht?"

Franz schwieg, die Augen auf den Boden geheftet. Sein erregtes Gesicht zeigte an, daß er in seinem Innern schwer um eine Entscheidung und um eine Lösung seiner Zweifel kämpfte, daß es ihm schwer

wurde, eine Antwort zu geben. Zögernd sagte er endlich:

Lieber Herr, Sie sind so gut gegen mich und wollen mir zu meinem ersehnten Glück verhelfen. Ich danke Ihnen dafür; aber ich kann Ihnen nicht folgen; nehmen Sie mir's nicht übel, ich kann nicht. Sehen Sie, mein Großvater ist wohl ein harter und strenger Mann. und oft habe ich ihm schon gegrollt uud daran gedacht, einfach fortzuzehen. Aber er hat mich so gern, der alte einsame Mann; ich war immer sein Liebling; er hält so große Stücke auf mich und meint es in seiner Art herzlich gut mit mir. Ich kann ihm den Kummer nicht anthun. Und wenn ich an meine Schwester Anna und meine kleinen Geschwisterlein denke, die in so rührender Liebe an mir hängen, wenn ich mir vorstelle, daß ihre lieben, traurigen Augen mich jede Stunde suchen und mich

vorwurfsvoll anblicken-lieber Herr,

ich kann, ich darf nicht gehen!" Große Thränen standen in seinen Augen, seine Gesichtsmuskeln zuckten, die mächtige Brust arbeitete erregt. Der Maler saß tief be­wegt aus seiner Bank. Voller Bewunderung sah er zu Franz hinüber. Er mußte staunen, wie in dieser rauhen Hülle ein solch weiches und warmes Gemüt ringe- schlossen sein könne. Gerührt sagte er: Sie sind ein braver Mensch, Franz, und verdienen, daß Sie glücklich werden. Möge es nun kommen wie es wolle; in jedem Fall finden Sie an mir einen Freund. Hier meine Hand!"

Schweigend drückten die beiden Männer einander die Hand. Jeder in sich gekehrt und seinen Gedanken nachhängend, legten sie den Rest des Weges zurück. Es war schon 3 Uhr, als sie in Norderney ankamen. Der Dampfer war längst abgesegelt. Der Maler sprang leichtfüßig an das Land, während Franz das Boot anlegte.

So, da wären wir endlich. Mein Gepäck, Franz, bringen Sie in jenen Gasthof dort, gehen Sie aber recht sorglich mit den Rahmen und den Paletten um, daß sie nicht beschädigt werden, Warten Sie dort auf mich, ich werde gleich Nach­kommen , habe nur ein kleines Geschäft vorher zu besorgen."

Er ging dem Kurplatz zu. Dieser war noch von einigen Kurgästen belebt, die am Strande auf- und abgingen. Er musterte sie flüchtig; es waren fast nur Herren. Unter diesen fiel ihm ein kräftiger, untersetzter und energisch dahinschreitender Herr, der den Seemann nicht verleugnen konnte, als bekannt auf. Dieser schien ihn auch bemerkt zu haben; denn er kam rasch auf ihn zu.

Ah, grüß Gott, Herr Kapitän, was thun Sie hier?"

Ja, wahrhaftig, Herr Frese! Wie in aller Welt kommen Sie denn zu dieser Jahreszeit hieher? Man mag doch gehen und stehen, wo man will, gleich kommt so ein Künstler angeschneit.,, wieder Motive gesammelt, schöne Fischermädchen, alte Teerjacken, Fischerweiber, die sehn­süchtig am Strand stehen und auf Männer warten? Epochemachendes Bild im Plan! Große Medaille baumelt Ihnen schon vor den Augen, drum so vergnügt,,, ,!"

Getroffen, Kapitän! Doch, wie geht'z in Bremen? Kommen mir wie eine Ewig, keit vor, die drei Wochen Abwesenheit, Hat sich niemand nach mir erkundigt, hat mich niemand vermißt? Wie geht's " Fräulein Emmy?" .

Sie Schwerenöter! Was, Sie wollen i auch noch vermißt sein, während Sie die ganze Welt vergessen und in einem ver­schollenen Erdwinkel Ihren Vergnügungen nachgehen! Natürlich Atclierstaub abge- » wischt, Seelust geatmet, anderer Mensch geworden, in friesische Schönheiten sich verliebt. Kann mir's denken!"

Kennen meine Grundsätze, Kapitän. Doch was schaffen Sie hier? Ich hätte geglaubt, Sie schwimme» längst auf dem atlantischen oder indischen Ozean. Ent­schuldigen Sie, bin, wie Sie wissen nicht stark in Geographie."

Ah, Sie wissen schcint's noch nicht, daß ich zum Kapitän derWestphalia" ernannt worden bin. In drei Wochen ist der Stapellauf. Strammes Schiff, mit dem ich Staat machen werde. Dann geht's frisch nach Indien, China, Japan. wissen ja, Konkurrenzunternehmen gegen Eng­länder. Da bin ich nun da, mir für dieses Prachtschiff Matrosen zu erwerben, echtes, frisches Friesenblut. Zusammenge- laufenes Gesindel kann ich nicht brauchen. Diese Jnselfriesen gerade recht, die reinsten Amphibien, just, wie ich sie brauche. Doch wo wohnen Sie, Herr Frese?"

In derStadt Bremen;" mein Fähr­mann bringt da eben mein Gepäck."

Donnerwetter, Frese, was haben Sie da für einen Prachtkerl von Matrosen? Gewiß in Marine gedient, sehe ihm an. Strammer Mensch, ganz mein Fall. Wie heißt er?"

Franz Jenssen, Insel Skanderoog."

Zum Teufel, den muß ich haben! solche Leute brauche ich."

Den können sie leicht bekommen, Käpitän, wenn Sie seinen Starrkopf von Großvater überreden können."

Kommen Sie, Frese, zu einem steifen Grog. Wollen weiter davon sprechen."

Ja und auch noch von etwas anderem, denn mir nagt ein Wolfshunger zwischen den Rippen."

Die beiden betraten das Hotel. Franz war ihnen mit dem Gepäck schon voraüs- gegangen. _(Fortsetzung folgt.)

Redaktion, Druck und Verlag von Chrn. Meeh in Neuenbürg.