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Kronik.
Deutschland.
Der Kaiser richtete sofort, nachdem ihm die Meldung über die Annahme des Einkommenssteuergesetzes im Herrenhause zugegangen war, eine längere Depesche an den Finanzministcr Dr. Miquel. In derselben beglückwünscht der Monarch Herrn Dr. Miquel in warmer Weise zu der erfolgreichen Erledigung dieses ersten Abschnittes der Steuerreform und knüpft hieran den Ausdruck der Hoffnung, daß dieser Erfolg eine gute Vorbedeutung sür die erfolgreiche Weiterführung der Steuerreform in Staat und Gemeinde sein möge.
Berlin, 15. Mai. Wie man aus durchaus zuverlässiger Quelle erfährt, ist dasEntlassungsgesuch des Ministers Maybach vom Kaiser genehmigt worden. Der Nachfolger ist bereits ernannt.
Charlottenburg, 16. Mai. Der Kaiser wohnte dem heutigen Armee- Jagdrennen bei Westend bei und überreichte den Siegern (den Lieutenants von Graevenitz, v. Waldow und v. Decken) eigenhändig die Ehrenpreise.
Der Besuch des deutschen Kaisers in London ist nunmehr endgiltig auf den 10. Juli festgesetzt. In Guildhall findet ein Frühstück zu Ehren des erlauchten Gastes statt, wobei demselben die vom Londoner Gemeinderate beschlossene Be- grüßungs-Adresiein einem goldenen Kästchen überreicht werden wird.
Wie sich ein Münchener Blatt aus Berlin berichten läßt, sollen die angekündigten handelspolitischen Verhandlungen zwischen Deutschland und Rußland bereits eingeleitet worden sein. Die Bestätigung dieser ganzen Nachricht wird jedoch noch abzuwarten sein, bislang wenigstens schien die Stimmung in den maßgebenden russischen Kreisen einer handelspolitischen Verständigung mit Deutschland keineswegs sehr geneigt zu sein.
Der neuerrichtete deutsche Colonialrat wird am 1. Juni zum ersten Male zusammentreten. Ihm gehören 20 Mitglieder an, Männer, welche die Verhältnisse in unseren Colonien in Ost- und Westafrika, in Neuguinea und den Süd- sce-Jnseln gründlich kennen. Es läßt sich darum erwarten, daß die neue Körperschaft eine ersprießliche Thätigkeit entfalten und die deutsche Kolonialpolitik günstig beeinflussen wird.
. DerDreibund ist neuerdings wieder "> stärkerem Maße ein Gegenstand der Politischen Tagesdiskussion. Gewisse Leute zerbrechen sich den Kopf, ob der Bündnisvertrag Deutschlands und Oesterreich-Ungarns mit Italien erneuert werden wird, oder nicht. Auf diese Frage giebt nun eine gerade jetzt veröffentlichte Broschüre des Abgeordneten Dorraca, betitelt „Neutralität oder Bünd- uffse?" eine bemerkenswerte Antwort. Dorraca, welcher Direktor des zum Ministerium Rudini in Beziehungen stehenden s^Ees „Opinione" ist, erörtert die Frage desDreibundes ausschließlich unter dem Ge- stchtspunkte der italienischen Interessen und
er zu dem Schluffe, daß die Gründe,
Italien im Jahre 1881 bewogen, I Rutsch-österreichischen Allianz an- öUMleßen, in ihrer Mehrzahl auch heute
«noch fortbestünden. Da guter Grund zu der Annahme vorhanden ist, daß die Bro- chüre Torraca's indirekt wenigstens die Anschauungen des gegenwärtigen italienischen Kabinets widerspiegelt, so kann die Erneuerung des Dreibundes als zweifellos gelten.
Frankfurt. 16.Mai. Die elektrische Ausstellung ist heute mittag in Anwesenheit der Kaiserin Friedrich, des Großherzogs von Hessen, der Landgräfin von Hessen, sowie der Spitzen der staatlichen und städtischen Behörden nach einer Ansprache des Vorsitzenden Sonnemann durch Finanzminister Dr. Miquel feierlich eröffnet worden.
Ausland.
In der französischen Hauptstadt ist ein interessanter Pfingstgast eingetroffen — Prinz Louis Napoleon — der in russischem Militärdienst stehende jüngere Bruder des bonapartistischen Thronprätendenten Prinzen Victor Napoleon. Prinz Louis tritt in Paris in strengstem Jncognito auf, womit er sehr weise thut, denn das Ausweisungsgesetz gegen die Mitglieder der früheren Herrscherfamilicn Frankreichs könnte sonst leicht auch gegen ihn zur Anwendung gelangen. Der Prinz gedenkt sich etwa eine Woche in Paris aufzuhalten, vermutlich behufs eingehender Besprechungen mit den Führern der bonapartistischen Partei.
Petersburg, 15. Mai. Es steht nunmehr fest, daß der Urheber des Attentats gegen den Großfürsten-Thronfolger ein japanscher Polizist war, der — wer dächte hier nicht an den „Bock als Gärtner?" — dem Großfürsten persönlich als Sicherheitswache zur Seite stehen sollte! Die Kameraden des seltsamen Sicherheitswachmannes von der japanschen Polizei schlugen ihren Genossen nieder, nachdem Prinz Georg von Griechenland mit seinem Stock den zweiten Hieb des Attentäters pariert hatte. Die Wunde des Zarewitsch befindet sich an der rechten Stirnseite.
Petersburg, 16. Mai. Bei dem gestrigen Geburtstagsfrühstück bei der Großfürstin Wladimir hat die nunmehr beruhigte Kaiserin ein ihr direkt zugegangenes ausführliches Telegramm des Großfürsten Thronfolgers verlesen. Derselbe nennt darin die Verwundung eine ganz leichte, bereits im Vernarben begriffene Schramme. Das kaiserliche Paar war sehr gerührt durch die herzlichen von allen Herrschern eingelaufenen Glückwünsche, besonders warm ist die Depesche des Sultans gehalten.
Petersburg, 16. Mai. Man erzählt sich hier, daß ein kleiner Kreis der hiesigen Stockrussen, die sich als Freunde des Friedens und der Ordnung Unterzeichneten, jüngst den Fürsten Bismarck telegraphisch zu seinem Wahlerfolg beglückwünschte und an denselben große Hoffnungen für die deutsch-russischen Beziehungen knüpfte.
Auf der Insel Korfu ist durch die dortige Judenhetze die Lage geradezu eine trostlose geworden. Die Behörden erweisen sich dem Treiben des antisemitischen Pöbels gegenüber als vollkommen machtlos. Mehrere Juden wurden von der aufgeregten Volksmenge getötet, viele andere schwer mißhandelt. Ein starker Truppen
gürtel ist um das Judenviertel der Stadt Korfu gezogen worden, die Läden sind geschlossen. Von Athen ist ein Stabsoffizier nach Korfu abgegangen, um die Ordnung wieder herzustellen. Auch auf der Insel Zante sind ernste antisemitische Unruhen ausgebrochen.
Miszellen.
EU.
Erzählung von Jenny Hirsch.
(Fortsetzung.)
Der Kommerzienrat fuhr so heftig zusammen, daß er beinahe den Ring fallen ließ.
„Diesen Rubin hätte Emsmann verschenkt ?"
„So sagt Peppi, die ihn meiner Frau gezeigt und mir verkauft hat. Sie erzählte auch, er habe noch einen solchen Stein in Wien verkauft und viel Geld dafür bekommen. Meine Frau sagt, sie habe nur ein mal in ihrem Leben solche Rubine gesehen uud zwar —"
An dem Becher meiner Frau," unterbrach ihn der Kommerzienrat. „Mein Gott, mein Gott, wäre es möglich, hätten wir Georg doch mit dem Verdachte unrecht gethan."
„Selbst wenn Emsmann nicht der Dieb wäre, woran ich keinen Augenblick zweifle, giebt es Beweise dafür, daß Herr Georg Blanke den Becher nicht genommen haben kann," entgegnete Herr Engelhardt. „Meine Frau war an dem Abende, als er entwendet ward, nach feiner Entfernung bei ihrer Schwester und hat den Becher noc^ gesehen."
„Aber warum sagte Klara das nicht?,,
„Die Erklärung möchte ich mix Vorbehalten bis der Dieb entlarvt ist," antwortete Rat Engelhardt, „wenn ich Ihnen einen Rat geben dürfte, so verlieren Sie keine Minute, dazu die nötigen Schritte zu thun."
„Emsmann ist gestern mit meiner Frau nach Putbus gereist."
„So folgen Sie augenblicklich dahin. Ich bin gern bereit, Sie zu begleiten."
„Tausend Dank, ich nehme Ihr Anerbieten an. Wir wollen noch heute ab- reisen; ich will mich aber auch des Beistandes eines gewiegten Polizisten versichern."
Der Kommerzienrat begab sich sofort nach dem Polizeipräsidium und erbat sich denselben Beamten, der damals das Verhör mit seinen Leuten angestellt hatte. Bereitwillig wurde ihm dessen Hilfe zur Verfügung gestellt. Als er vernommen, was zu Tage gekommen war, lächelte er und sagte:
„Also endlich hat sich der Bursche doch fangen lassen."
„Haben Sie denn einen Verdacht gegen ihn gehabt?"
„Von Anfang an, auch habe ich ihn unausgesetzt beobachtet, aber nichts Verdächtiges bemerken können. Leider ist eine Ueberwachung während seines Aufenthaltes in Wien unterblieben. Hätten Sie mich damals die Untersuchung weiter führen lassen, wer weiß, ob der wahre Verbrecher nicht doch entdeckt worden wäre?"
Ich fürchtete, mein Neffe könnte als solcher zum Vorschein kommen, und habe