335

Kronik.

Deutschland.

Der Kaiser richtete sofort, nachdem ihm die Meldung über die Annahme des Einkommenssteuergesetzes im Herrenhause zugegangen war, eine längere Depesche an den Finanzministcr Dr. Miquel. In derselben beglückwünscht der Monarch Herrn Dr. Miquel in warmer Weise zu der erfolgreichen Erledigung dieses ersten Ab­schnittes der Steuerreform und knüpft hieran den Ausdruck der Hoffnung, daß dieser Erfolg eine gute Vorbedeutung sür die erfolgreiche Weiterführung der Steuerreform in Staat und Gemeinde sein möge.

Berlin, 15. Mai. Wie man aus durchaus zuverlässiger Quelle erfährt, ist dasEntlassungsgesuch des Ministers Maybach vom Kaiser genehmigt wor­den. Der Nachfolger ist bereits ernannt.

Charlottenburg, 16. Mai. Der Kaiser wohnte dem heutigen Armee- Jagdrennen bei Westend bei und über­reichte den Siegern (den Lieutenants von Graevenitz, v. Waldow und v. Decken) eigenhändig die Ehrenpreise.

Der Besuch des deutschen Kaisers in London ist nunmehr endgiltig auf den 10. Juli festgesetzt. In Guildhall findet ein Frühstück zu Ehren des erlauchten Gastes statt, wobei demselben die vom Londoner Gemeinderate beschlossene Be- grüßungs-Adresiein einem goldenen Kästchen überreicht werden wird.

Wie sich ein Münchener Blatt aus Berlin berichten läßt, sollen die ange­kündigten handelspolitischen Verhandlungen zwischen Deutschland und Rußland bereits eingeleitet worden sein. Die Bestätigung dieser ganzen Nachricht wird jedoch noch abzuwarten sein, bislang wenigstens schien die Stimmung in den maßgebenden rus­sischen Kreisen einer handelspolitischen Verständigung mit Deutschland keineswegs sehr geneigt zu sein.

Der neuerrichtete deutsche Colo­nialrat wird am 1. Juni zum ersten Male zusammentreten. Ihm gehören 20 Mitglieder an, Männer, welche die Ver­hältnisse in unseren Colonien in Ost- und Westafrika, in Neuguinea und den Süd- sce-Jnseln gründlich kennen. Es läßt sich darum erwarten, daß die neue Körper­schaft eine ersprießliche Thätigkeit entfalten und die deutsche Kolonialpolitik günstig beeinflussen wird.

. DerDreibund ist neuerdings wieder "> stärkerem Maße ein Gegenstand der Politischen Tagesdiskussion. Gewisse Leute zerbrechen sich den Kopf, ob der Bündnisver­trag Deutschlands und Oesterreich-Ungarns mit Italien erneuert werden wird, oder nicht. Auf diese Frage giebt nun eine gerade jetzt veröffentlichte Broschüre des Abgeordneten Dorraca, betiteltNeutralität oder Bünd- uffse?" eine bemerkenswerte Antwort. Dorraca, welcher Direktor des zum Mini­sterium Rudini in Beziehungen stehenden s^EesOpinione" ist, erörtert die Frage desDreibundes ausschließlich unter dem Ge- stchtspunkte der italienischen Interessen und

er zu dem Schluffe, daß die Gründe,

Italien im Jahre 1881 bewogen, I Rutsch-österreichischen Allianz an- öUMleßen, in ihrer Mehrzahl auch heute

«noch fortbestünden. Da guter Grund zu der Annahme vorhanden ist, daß die Bro- chüre Torraca's indirekt wenigstens die Anschauungen des gegenwärtigen italien­ischen Kabinets widerspiegelt, so kann die Erneuerung des Dreibundes als zweifellos gelten.

Frankfurt. 16.Mai. Die elektri­sche Ausstellung ist heute mittag in Anwesenheit der Kaiserin Friedrich, des Großherzogs von Hessen, der Landgräfin von Hessen, sowie der Spitzen der staat­lichen und städtischen Behörden nach einer Ansprache des Vorsitzenden Sonnemann durch Finanzminister Dr. Miquel feierlich eröffnet worden.

Ausland.

In der französischen Hauptstadt ist ein interessanter Pfingstgast eingetroffen Prinz Louis Napoleon der in russischem Militärdienst stehende jüngere Bruder des bonapartistischen Thronprätendenten Prinzen Victor Napoleon. Prinz Louis tritt in Paris in strengstem Jncognito auf, wo­mit er sehr weise thut, denn das Aus­weisungsgesetz gegen die Mitglieder der früheren Herrscherfamilicn Frankreichs könnte sonst leicht auch gegen ihn zur Anwendung gelangen. Der Prinz gedenkt sich etwa eine Woche in Paris aufzuhalten, vermutlich behufs eingehender Besprech­ungen mit den Führern der bonapartist­ischen Partei.

Petersburg, 15. Mai. Es steht nunmehr fest, daß der Urheber des Atten­tats gegen den Großfürsten-Thronfolger ein japanscher Polizist war, der wer dächte hier nicht an denBock als Gärtner?" dem Großfürsten persönlich als Sicher­heitswache zur Seite stehen sollte! Die Kameraden des seltsamen Sicherheitswach­mannes von der japanschen Polizei schlugen ihren Genossen nieder, nachdem Prinz Georg von Griechenland mit seinem Stock den zweiten Hieb des Attentäters pariert hatte. Die Wunde des Zarewitsch be­findet sich an der rechten Stirnseite.

Petersburg, 16. Mai. Bei dem gestrigen Geburtstagsfrühstück bei der Groß­fürstin Wladimir hat die nunmehr be­ruhigte Kaiserin ein ihr direkt zugegangenes ausführliches Telegramm des Großfürsten Thronfolgers verlesen. Derselbe nennt darin die Verwundung eine ganz leichte, bereits im Vernarben begriffene Schramme. Das kaiserliche Paar war sehr gerührt durch die herzlichen von allen Herrschern eingelaufenen Glückwünsche, besonders warm ist die Depesche des Sultans gehalten.

Petersburg, 16. Mai. Man er­zählt sich hier, daß ein kleiner Kreis der hiesigen Stockrussen, die sich als Freunde des Friedens und der Ordnung Unter­zeichneten, jüngst den Fürsten Bismarck telegraphisch zu seinem Wahlerfolg beglück­wünschte und an denselben große Hoff­nungen für die deutsch-russischen Bezieh­ungen knüpfte.

Auf der Insel Korfu ist durch die dortige Judenhetze die Lage geradezu eine trostlose geworden. Die Behörden erweisen sich dem Treiben des antisemitischen Pöbels gegenüber als vollkommen machtlos. Mehrere Juden wurden von der aufge­regten Volksmenge getötet, viele andere schwer mißhandelt. Ein starker Truppen­

gürtel ist um das Judenviertel der Stadt Korfu gezogen worden, die Läden sind ge­schlossen. Von Athen ist ein Stabsoffizier nach Korfu abgegangen, um die Ordnung wieder herzustellen. Auch auf der Insel Zante sind ernste antisemitische Unruhen ausgebrochen.

Miszellen.

EU.

Erzählung von Jenny Hirsch.

(Fortsetzung.)

Der Kommerzienrat fuhr so heftig zu­sammen, daß er beinahe den Ring fallen ließ.

Diesen Rubin hätte Emsmann ver­schenkt ?"

So sagt Peppi, die ihn meiner Frau gezeigt und mir verkauft hat. Sie er­zählte auch, er habe noch einen solchen Stein in Wien verkauft und viel Geld dafür bekommen. Meine Frau sagt, sie habe nur ein mal in ihrem Leben solche Rubine gesehen uud zwar"

An dem Becher meiner Frau," unter­brach ihn der Kommerzienrat.Mein Gott, mein Gott, wäre es möglich, hätten wir Georg doch mit dem Verdachte un­recht gethan."

Selbst wenn Emsmann nicht der Dieb wäre, woran ich keinen Augenblick zweifle, giebt es Beweise dafür, daß Herr Georg Blanke den Becher nicht genommen haben kann," entgegnete Herr Engelhardt.Meine Frau war an dem Abende, als er ent­wendet ward, nach feiner Entfernung bei ihrer Schwester und hat den Becher noc^ gesehen."

Aber warum sagte Klara das nicht?,,

Die Erklärung möchte ich mix Vorbe­halten bis der Dieb entlarvt ist," ant­wortete Rat Engelhardt,wenn ich Ihnen einen Rat geben dürfte, so verlieren Sie keine Minute, dazu die nötigen Schritte zu thun."

Emsmann ist gestern mit meiner Frau nach Putbus gereist."

So folgen Sie augenblicklich dahin. Ich bin gern bereit, Sie zu begleiten."

Tausend Dank, ich nehme Ihr An­erbieten an. Wir wollen noch heute ab- reisen; ich will mich aber auch des Bei­standes eines gewiegten Polizisten ver­sichern."

Der Kommerzienrat begab sich sofort nach dem Polizeipräsidium und erbat sich denselben Beamten, der damals das Ver­hör mit seinen Leuten angestellt hatte. Bereitwillig wurde ihm dessen Hilfe zur Verfügung gestellt. Als er vernommen, was zu Tage gekommen war, lächelte er und sagte:

Also endlich hat sich der Bursche doch fangen lassen."

Haben Sie denn einen Verdacht gegen ihn gehabt?"

Von Anfang an, auch habe ich ihn unausgesetzt beobachtet, aber nichts Ver­dächtiges bemerken können. Leider ist eine Ueberwachung während seines Aufenthaltes in Wien unterblieben. Hätten Sie mich damals die Untersuchung weiter führen lassen, wer weiß, ob der wahre Verbrecher nicht doch entdeckt worden wäre?"

Ich fürchtete, mein Neffe könnte als solcher zum Vorschein kommen, und habe