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Geilage zu Nr. 75 des CnMlers.
Neuenbürg, Donnerstag den 14. Mai 1891.
Nronifl.
Württemberg.
Calw, 9. Mai. Gestern war der Ausschuß des evang. Kirchengesangvereins hier versammelt, um mit den hiesigen maßgebenden Persönlichkeiten über das stattzufindende Kirchengesangsfest zu beraten. Die Festaufführung wird in der Stadt- kirche stattfinden, der gemütliche Teil in der Turnhalle. Als Tag des Festes wurde der 24. August, Bartholomäusfeiertag, bestimmt. Voraussichtlich werden etwa 300 Sänger auftreten.
S ch w e i z.
In der Schweiz macht die Einrichtung eines wirklichen Volksregiments immer weitere Fortschritte. So wurde am Sonntag im Kanton Basel über den aus der Mitte der Bürgerschaft gestellten Antrag abgestimmt, das Volk sollte die Richter wählen dürfen. Der Antrag wurde auch mit 3389 gegen 2299 stimmen angenommen. Es werden demnach im Kanton Basel künftig vom Volke selbst gewählte Richter amtieren; ob hiermit die eidgenössische Justizpflege eine Verbesserung erfährt, muß freilich noch dahingestellt bleiben.
Ausland.
Nach einer dem „Reuter'schen Bureau" in London zugegangenen Meldung aus Rangun ist der flüchtige Ras ah von Manipuri am 8. d. M. gefangen genommen worden. Wo die Gefangennahme des ausständigen Rajah's erfolgte, geht aus obiger Meldung nicht hervor, jedenfalls befindet er sich in den Händen der Engländer, die mit dem grausamen Hinjchlächter der englischen Offiziere in Manipuri kurzen Prozeß machen werden.
Belgrad, 7. Mai. In einer hier zur Schau gestellten Menagerie unterhielt sich der englische Legationsekretär Mac- lour damit, den Elefanten mit Backwerk zu füttern. Als er kein Backwerk mehr hatte, faßte ihn das darüber erzürnte Tier mit dem Rüssel um den Hals und schleuderte ihn in die Höhe. Maclour wäre dann unfehlbar von dem Elephanten zerstampft Morden, wenn nicht die Wärter durch Wäge mit schweren Eisenstangen das Tier gezwungen hätten, von seinem Opfer abzulassen. Das anwesende Publikum ver- ließ entsetzt die Menagerie.
Ml-ytllkn.
Echt.
Erzählung von Jenny Hirsch.
«Fortsetzung.)
Zu der letzten Aeußerung war Frau Engelhardt veranlaßt worden durch die Mitteilung des Kommerzienrates, daß er mit seiner Frau nach Wien zu kommen und dort mit ihnen zusammenzutresfen gedenke. Man hatte infolge dessen in dem Hotel in der Ringstraße in Wien, in welchem das kommerzienrätlichc Paar schon M einigen Wochen wohnte, ebenfalls
Quartier bestellt, fand das Ehepaar aber bei der Ankunft daselbst nicht mehr vor. Ein nicht unbedeutender Brand in einer seiner Fabriken hatte Herrn Blanke veranlaßt, früher, als er beabsichtigt, in die Heimat zurückzureisen.
Nanny war durch diese Nachricht nicht gerade unangenehm überrascht, denn abgesehen von der Becher-Affaire war ihr die frömmelnde, förmliche Kommerzien- rätin nicht gerade die Gefährtin, die sie für den Anfenthalt im lustigen Wien wünschte.
Einige Wochen genossen die beiden Gatten in vollen Zügen die Herrlichkeiten, die ihnen die Kaiserstadt mit und ohne Ausstellung bot, und nicht ohne Bedauern ging Nanny endlich daran, ihre Vorbereitungen zur Reise zu treffen, die sie nun ohne jeden weiteren Aufenthalt wieder zu ihrem Wohnorte in Norddeutschland zurückführen sollte.
Das zu diesen Vorbereitungen gehörende Packen der Koffer war in Anbetracht der vielen Einkäufe, die in Wien gemacht worden waren, eine nichts weniger als laichte Arbeit und die junge Frau nahm deshalb gern dabei die Hilfe des anstelligen bildhübschen Stubenmädchens an, das sie während ihrer Anwesenheit im Hotel bedient und durch ein echt Wienerisches Geplauder dergestalt belustigt hatte, daß sie mit der säubern Peppi vertraulicher umging, als dies sonst ihre Art Dienstboten gegenüber zu sein pflegte.
Auch während des Packens hatte Peppi die „gnädige Frau" aufs Lebhafteste unterhalten ; plötzlich wurde sie aber still, sah nachdenklich den soeben verschlossenen Koffer an, auf dessen Deckel der Name und Wohnort des Besitzers auf einem Metallschild graviert war und fragte, nachdem sie die Worte mühsam zusammenbuchstabiert:
„Ew. Gnaden sind also aus demselben H . . ., aus dem die Herrschaft war, die vorher hier gewohnt hat?"
„Meinst Du Kommerzienrat Blanke's?" Ja, die sind mit uns aus einer Stadt."
Peppi nickte. „Ja, die meine ich. Kennen Ew. Gnaden die Herrschaft?"
„Gewiß kenne ich sie."
„Und kennen Ew. Gnaden auch den Kammerdiener von der gnädigen Frau?" fragte Peppi weiter und zupfte dabei so verlegen am Schürzenbande, daß Frau Engelhard aufmerksam ward und lachend antwortete:
„Ei schau doch einmal, der fromme Herr Emsmann scheint Dich ja gewaltig zu interessieren. Hat er Dich bekehren wollen?"
„Bekehren?" fragte das Mädchen, „bekehren ? ei nicht doch, ich bin ja grad eine so gute katholische Christin wie er."
„Was, Emsmann wäre Katholik, das ist mir ja ganz etwas Neues!" rief Nanny, der die Geschichte immer mehr Spaß zu machen begann.
„Er ist's, er ist's" beteuerte Peppi, „er hat's nur da draußen in dem ketzerischen Land — nix für ungut Ew. Gnaden -
und bei der ketzerischen Herrschaft nicht zu sagen getraut. Aber hier ist er mit mir ins Hochamt und zur Messe gegangen —."
„Nicht auch zu Tanz?" unterbrach sie neugierig die Zuhörerin.
„Ei freilich zu Tanz sind wir auch gewesen. Ich mochte zuerst nicht viel von Emsmann wissen, war mir zu alt und zu grausam ernsthaft, aber wissen Ew. Gnaden, das ist nur auswendig. Er kann kreuzfidel sein wie Einer, die Frau Kom- merzienrätin dars's nur halt nicht sehen."
„Das will ich meinen, die würde außer sich geraten, wenn ihr Einer das von Emsmann erzählte und es gar nicht glauben."
„Sie wird halt den Glauben schon in die Hand bekommen, denn Emsmann ist die längste Zeit bei ihr gewesen."
„Er will fort, wo denn hin?"
„Ei hier her, denn mich bringt er mein Lebtag nicht mit nach dem H. —"
Habe ich recht verstanden, Du willst Emsmann heiraten?"
Peppi nickte. „Er geht nur erst noch mit der gnädigen Frau in's Seebad. Das hat er nicht anders gekonnt, schreibt er mir gestern, dann kommt er aber."
„Und was will er denn hier anfangen'"
„Ei, Ew. Gnaden, der Emsmann ist ja reich. Er hat eine große Erbschaft gemacht, Gold und Silber und Edelsteine, damit läßt sich denn schon Hausen."
„Bon wem hat er denn geerbt?" forschte Frau Engelhardt, welche die Geschichte mehr und mehr interessierte.
„Von einem Onkel oder einem Vetter, was weiß ich, ist mir auch einerlei, wenn nur das Geld da ist."
„Weißt Du das aber auch gewiß?"
„O ja, daß weiß ich, Ew. Gnaden, er hat einen von seinen Steinen hier verkauft, dafür hat er einen großen Beutel Geld bekommen und mir hat er einen in einen Ring fassen lassen, o der ist echt!"
„Ei zeige mir doch den Ring," bat die junge Frau.
Peppi verließ das Zimmer und kam nach einigen Minuten mit einem Kästchen zurück, dem sie einen in Watte verpackten Ring entnahm und ihn Nanny so entgegenhielt,daß ihr der in schwarze Emaille gefaßte Stein in die Augen funkelte.
Die junge Frau fuhr erschrocken zusammen. Selbst eine große Liebhaberin von Schmuck, verstand sie sich auf Edelsteine und erkannte sofort, daß dies ein Rubin von seltener Größe und Schönheit war — ein Rubin, wie sie ähnlich in ihrem Leben nur erst ein mal gesehen hatte — an dem Becher der Kommerzien- rätin. Sprachlos vor Staunen nahm sie dem Mädchen den Ring aus der Hand und betrachtete ihn.
„Ist er nicht echt?" drängte Peppi. „Nicht wahr, er ist schön, nicht wahr, er ist echt?"
Nanny hatte sich inzwischen gefaßt. Sie sah ein, daß sie hier vorsichtig handeln müsse.