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Aber der Verhaftete hörte nicht. In erschüttertem Tone rief er aus: „Ich ein Mörder und dazu noch eines Frauenzimmers! O Gott, meine Frau und meine Kinder, was werden diese hierzu sagen." Mit beiden Händen griff er sich verzweifelt nach der Stirne, und dann lachte er plötzlich, laut und unheimlich, so daß selbst der Gerichtsschreiber sich ergriffen fühlte.
„Fassen Sie sich, Brockert," sprach er teilnehmend, „und gehen Sie mit dem Polizeibeamteu. Sie sind ja nicht der erste, der unschuldig im Verdachte eines Verbrechens gestanden hat."
Auch der Polizeidiener redete dem Unglücklichen nochmals zu, und als jener seinen Arm erfaßte, folgte er dem Beamten willenlos wie eine Maschine.
„Ich glaube der Mann ist unschuldig," sagte nach Entfernung des Gefangenen, Herr Wagner.
„Das glauben Sie, der Sie noch länger im Dienste sind als ich, trotz der überwältigenden Beweise! Herr Wagner, ich hätte Ihnen etwas weniger Weichherzigkeit und etwas mehr kaltes Blut zugetraut."
„Wir wollen sehen, Herr Rat, So wie der hat sich, so lange ich am Gerichte bin, noch keiner benommen, dessen Schuld sich schließlich als unzweifelhaft herausstellte."
„Na, es soll mir lieb sein, wenn ich mich irre, weniger wegen des Mannes, als wegen dessen Familie. Heute abend wollen wir noch einige Zeugen vernehmen, und morgen geht es in aller Frühe vorläufig nach unserem Wohnsitz wieder zurück. Es ist jetzt 2 Uhr, gehen Sie unverzüglich zum Bürgermeister und veranlassen ihn, die Familie Brockert auf 6 Uhr hierher zu bestellen. Ich werde inzwischen einen Spaziergang unternehmen."
Der Schreiber hatte sich kaum entfernt, als der Herr Rat seinen eleganten dunkeln Anzug, den er auffallender Weise für diese Reise mitgenommen. sorgfältig ausbürsten ließ, dann ein Paar neue und knapp sitzende Glacehandschuhe anzog und hierauf durch einen Blick in den Spiegel sich überzeugte, ob seine Frisur und überhaupt sein Aeußeres vollkommen in Ordnung sich befänden. Nachdem diese Untersuchung zu seiner vollen Zufriedenheit ausgefallen, frug er den Hausknecht, wie er am schnellsten und leichtesten ohne Führer nach der Villa Greifenstein gelangen könne.
„Oh, die können Sie gar nicht verfehlen," entgegnete der Gefragte an der Hausthüre, „gehen Sie nur immer in dieser Richtung der Chaussee nach und nach etwa einer Viertelstunde werden Sie die Villa auf einer Anhöhe vor sich sehen, ebenso den Weg, der zu ihr hinaufführt."
„Meinem Versprechen muß ich unter allen Umständen Nachkommen", sagte der Rat zu sich selbst, als er den breiten Kiesweg zu der malerisch gelegenen Villa hinanschritt; „aber wird Sie sich meiner überhaupt noch erinnern und wie wird sie mich empfangen? War ihre Einladung vielleicht nur eine leere Höflichkeitsformel und wie wird erst der menschenscheue und arrogante Gemahl meinen Besuch aufnehmen? Am Ende thätest du doch besser,'
du kehrtest um, ehe es zu spät ist, Hugo, denn diese sanfte Augen und dieses himmlische Gesichtchen könnten deinem Seelenfrieden verhängnisvoll werden; ihn aber wieder zu gewinnen, gäbe es dann kein Mittel, denn auch nur in Gedanken, das Weib eines andern zu begehren, ist ja schon ein Verbrechen.
Aber der Herr Rat kehrte nicht um. Wie mit unsichtbarer Gewalt zog es ihn zu der Villa, wo die anmutige, ihm unvergeßliche Erscheinung weilte, und mit einem Male, ohne daß er vorher es bemerkt hatte, befand er sich vor einem ausgedehnten, mit einem eisernen Gitter umgebenen Garten, in dessen Mitte die luxuriöse Villa errichtet war. Er zog die Klingel neben dem eisernen Gitterthore und frug den Bedienten, der auf das Signal eiligst herbeikam, ob der Herr Baron nicht zu sprechen sei.
„Der Herr Baron sind vor etwa einer Stunde auf die Jagd gegangen," war die Antwort.
„So melden Sie mich der gnädigen Frau, hier ist meine Karte.
(Fortsetzung folgt.,
Der schnellste Zug auf dem Festlande ist, wie dem „Hann. Kurr." geschrieben wird, der abends 7 Uhr 10 Min. von Berlin, Friedrichstraße-Bahnhof, nach Hamburg abgehende Jagdzug, der dort 10 Uhr 40 Min. eintrifft; also in 3'/r Stunden durchfährt derselbe 289,5 km oder 77 km die Stunde, den Zeitunterschied von 14 Minuten zwischen beiden Städten ungerechnet. Der Zug hält nur einmal auf der Hälfte der Linie, Wittenberge. Es ist dies eine Leistung, wie sie im deutschen Eisenbahnbetrieb noch nicht erreicht worden ist.
In Schweinfurt starb kürzlich der Lohnkutscher und Posthalter Teller, eine weithin bekannte und beliebte Persönlichkeit. Seine das gewöhnliche Em- bonpoint weit übertreffende „complete" Figur veranlaßte seiner Zeit den Kaiser Friedrich zu einer launigen Bemerkung. Herr Teller ließ es sich bei der Anwesenheit des damaligen Kronprinzen nicht nehmen, in eigener Person, die noch dazu in das schmucke, knappe Habit eines bayerischen Postillons gekleidet war, den hohen Herrn zu kutschieren. Der Kronprinz war überrascht über die großen Dimensionen eines Rosselenkers, die weit über das Maß jener des Rößlewirtes von Cannstatt hinausgingen, mit denen, wie behauptet wird, Bismark vor Paris dem argwöhnischen
Jules Favre den guten Zustand der Belagerungstruppen nachgewiesen hat. Leutselig unterhielt sich der hohe Herr mit seinem Postillon, und am Ende der Fahrt meinte er lächelnd mit einem bezeichnenden Seitenblick auf die Breitseite seines eben wegfahrenden Kutschers: „Ich bin weit in der Welt herumgekommen, bis nach Jerusalem bin ich fortgewescn, aber eine solche Aussicht, wie heute bei der Fahrt, habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehabt!"
(Der amerikanische Doktor-Titel.) Den Mitgliedern des letzten medizinischen Kongresses geht nachträglich eine Schrift zu, die dem Kongreß gewidmet war und jetzt erst fertiqgestellr werden konnte. Diese mit einem Pseudonym, Dr. Joh. Odontius, gezeichnete Schrift behandelt die Frage des amerikanischen Doktortitels. Die Berliner medizinische Fakultät hat sich vor kurzem dahin erklärt, daß der Besitz eines transatlantischen Doktordiploms den Besitzer desselben vom Augenblick seiner Immatrikulation an der hiesigen Universität zur Führung des Doktortitels nicht berechtigt. Dr. Odontius hofft, daß auch die übrigen Universitäten dem Beispiele Berlins folgen werden. Der Verfasser weist nach, daß die transatlantischen Leistungen auf dem Gebiete der Medizin schwanken zwischen höchster ärztlicher Kunst, unglaublichem Unsinn und geriebenstem Betrüge. Das „Studium" der Medizin in Amerika dauert höchstens drei Jahre. Unter anderem wird in einigen Kollegs eine „Glaubens- Kurmethode" gelehrt, bei der sich Arzt und Theologe zu einer höheren Einheit verbinden. Die homöopathischen und elektrischen Schulen seien Schwindel und Betrug.
Weiupreiszettek.
Brackenheim. Stadt Brackenheim 9. Okt. Mehrere Weinkäufe zu 125 ^ Pr. 3 Hektl.
Haberschlacht 9. Okt. Ein Gang durch unsere noch schön belaubten Weinberge und der Anblick der rasch ausreisenden Trauben ist gegenwärtig sehr erfreulich. Die Stöcke hängen voll von Trauben, das hier vorherrschende Frühgewächs ist besonders schön und reif. Daß der Heurige ein „Guter" wird, ist jetzt schon sicher. Die Lese wird voraussichtlich am 20. Okt. beginnen. Das Quantum wird das vorjährige um mindestens V, übersteigen.
Von der Osiander'schen Buchhaudlung in Tübingen liegt der heutigen Nummer ein Prospekt über das illustr. Wissenschaft!. Werk „Brehms Tierleben" bei, worauf wir besonders aufmerksam machen.
K cr lrv. Iruchtpreise am 24. September 1890.
Getreide-Gattungen.
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Haber, neuer . .
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Redaktion, Druck und Verlag von Chrn. Me eh in Neuenbürg.