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Nvonik.

Deutschland.

Wochenschau.

Nachdem seit Wochen Frankreich mit seiner tunesischen Frage Italien beunruhigt hatte und England dazu gedrängt hatte für die Rechte Italiens auf Nordafrika einzutreten, ist nunmehr Rußland in den Vordergrund getreten und hat die alte orientalische Frage wieder auf's Tapet gebracht. Herr v. Giers benutzte die mazedonische Bischofsfrage, um Bulgarien etwas am Zeuge zu flicken; man fühlt in St. Petersburg recht wohl, daß die An­erkennung Bulgariens sich auf die Dauer nicht verweigern lassen wird und so richtet man sich bei Zeiten darauf ein.

Obwohl nun bereits ersichtlich ist, daß Rußland die bulgarischen Dinge vorwärts treibt, so ist es doch der Diplomatie der Großmächte gelungen, den Konflikt zwischen Rußland und Oesterreich zu vermeiden und es hat allen Anschein, daß das gebesserte Verhältnis der Kaisermächte an der Newa und an der Donau erhalten bleiben wird trotz aller Unterstützung, die man in Wien dem Fürsten Ferdinand von Bulgarien zuteil werden läßt.

Es hieß sogar, der Erzherzog Karl Ludwig solle nach Petersburg reifen, ja sogar, daß Alexander von Battenberg durch einen Hofbefuch sich mit Alexander III. aussöhnen wolle, aber beide Gerüchte werden als Hochsommer-Enten bezeichnet.

Da ist es natürlich, daß im Lande der Tatarenbotschafter die schon viel besprochene Reise Wilhelm II. zu den russischen Manövern abermals neuen Staub auf­wirbelt. Hatte doch schon vorher ganz zufällig, wie es hieß über Hamburg das Gerücht von einer neuen besonderen Annäherung Deutschlands an Rußland den Weg in die Presse gefunden und abermals den Zwecken, in Wien zu verstimmen nicht verfehlt. Es bleibt in Wien die hoch­feudale und ultramontane Hofgesellschaft mißtrauisch gegen Preußen und so fest­begründet nach 1866 die Allianz dasteht, jenen Wiener Kreisen traut man auch in Italien nicht. Es heißt von ihr noch immer:

A bissele Lieb A bissele Treu Und a bissele Falschheit Js allweil dabei!

Wie die Tägl. Rundschau und das Deutsche Montagblatt mitteilen, soll die vielbesprochene Aushebung des Welsenfonds zu den nächsten gesetzgeberischen Vorschlägen des preußischen Staatsministeriums ge­hören; es soll der Wunsch des Minister­präsidenten v. Caprivi sein, den Antrag auf Fortfall des Fonds von einer Denk­schrift begleiten zu lassen, worin im All­gemeinen dargelegt wird, welchem Zweck das Kapital diente, wie es verzinst wurde, und welchen Veränderungen der Bestand in den einzelnen Jahren unterlag. Die Verwaltung des Welsenfonds befand und befindet sich in den Händen des Reichs­kanzlers als des preußischen Minister­präsidenten, dessen Bestimmungen laut Gesetz der Beurteilung sowohl des Land­tags wie der Oberrechnungskammer sich entzogen. Beider jetzigen Politik ist nun. wie es heißt, kein Anlaß vorhanden, den

Fond bestehen zu lassen, weil sowohl die Staatspolizei wie die offiziöse Presse nach wesentlich anderen Grundsätzen gehand- habt werden, und die Fortdauer der Ver­waltung des Kapitals durch den leitenden Minister ist für denselben eine Last ge­worden, die er von sich abzuwenden be­strebt ist. Aufschlüsse über das bisherige Schicksal des Welsenfonds im Allgemeinen werdet, an maßgebender Stelle, wie es heißt, 'für wünschenswert erachtet. Der frühere Reichskanzler hatte in den letzten Jahren seiner Amtsführung den Welfen- fond in die Beaufsichtigung des Staats­sekretärs des Auswärtigen gestellt, und von diesem wurde der Fonds an den jeHigenWMrzler abgegeben. Die weitere RegeUn^-oieser Angelegenheit nimmt nun­mehr W preußische Finanzmiuister in die HaridMdem die Verwaltung unterstellt

Reichskanzler Herr v. Caprivi hak eine Denkschrift veröffentlicht, worin er gegenüber den fortgesetzten Angriffen deutscher Blätter, das deutsch-britische Ab­kommen bezüglich Ostafrikas zu rechtfertigen sucht und wie wir glauben mit Erfolg. Entsprechend der, gleich nach Bekanntwerden des deutsch-englischen Vertrags, an dieser Stelle ausgesprochenen Vermutung war das Hauptmotiv für den deutschen Reichs­kanzler die Festigung des europäischen Friedens. Wenn der Reichskanzler die Erwägung in den Voroergrund stellt, daß, wenn es auch wegen Ostafrikas nicht wohl zwischen einem Kriege zwischen Deutschland und England gekommen wäre, doch eine nachhaltige Verstimmung beider Völker gegen einander habe beseitigt, bezw. fern­gehalten werden müssen und wenn der Reichskanzler den richtigsten Gesichtspunkt, nämlich die Hereinziehung Englands in den europäischen Friedensbund in seiner Denkschrift unberührt läßt, so ist dies durchaus begreiflich, da Herr v. Caprivi aus naheliegenden Gründen den Franzosen und Russen nicht alle seine Karten zeigen will. Im Uebrigen versteht es der Reichs­kanzler meisterlich den Wert des in deut­schem Besitz verbliebenen Teil Ostafrikas als einen sehr bedeutenden nachzuweisen. Die Denkschrift wird hoffentlich weiteren Angriffen auf das deutsch-englische Ab­kommen in der deutschen Presse ein Ziel setzen.

Wilhelmshafen, 29. Tuli. Der Kaiser hörte gestern den Bortrag des Generalmajors Vogel von Falken­stein in Vertretung des Kriegsministers, sowie den des Admirals Hollmann, empfing heute den Bortrag des Reichs­kanzlers, wohnte dem Laufe des Kriegs­dampfersPelikan" bei und folgte einer Einladung des Seeoffizierkorps. Nach­mittags gedenkt der Kaiser den Vortrag des Chefs des Zivilkabinetts entgegenzu­nehmen. Der Finanzminister Miguel ist zum Bundesralsbevollmächtigten er­nannt worden.

Der Kaiser wird während der schlesischen Manöver den Grafen Moltke besuchen. Es sind bereits Empfangsvor- bereitungen eingeleitet.

Der König von Belgien sprach gegen­über dem Minister des Innern den Wunsch aus, Kaiser Wilhelm einen Empfang

zu bereiten, wie er bisher noch keinem Monarchen Europas zu Teil geworden. Die Regierung beschloß, den Kaiser als Gast des belgischen Volkes zu betrachten und sämtliche Kosten des Empfanges zu tragen.

ES ist endlich gelungen, einen der ge­heimen deutschen Werber für die nieder- ländisch-ostindische Armee zur Strafe zu ziehen. Der Veit Enders von Emmerich wurde des sogen. Seelenverkaufes über­führt und von der Duisburger Straf­kammer zu 4 Monaten Gefängnis ver­urteilt.

Aus der Bar. Der Stand der Feld­früchte ist dieses Jahr ein so ausgezeich­neter, wie seit vielen Jahren nicht. Das Stroh wird über mittelmäßig lang und was die Hauptsache ist, die Aehren sind durchweg schwer und versprechen einen sehr guten Ertrag. Aepfel und Birnen giebt es in Menge, auch die Kartoffelernte verspricht Heuer gut auszufallen.

Schwabhausen, 26. Juli. Eine Blutvergiftung, durch einen Insektenstich veranlaßt, hat den im besten Mannesalter stehenden Hauptlehrer Spritzer dahinge­rafft. Derselbe wirkte seit vielen Jahren hier. Sein hohes musikalisches Talent war weithin bekannt. Er hinterläßt eine Wittwe mit 8 Kindern.

Württemberg.

Friedrichshafen, 30. Juli. S. M. der König beabsichtigt in der zweiten Hälfte des Monats August auf ca. 8 bis 10 Tage nach Bebenhausen sich zu be­geben und von dort hieher zurückzukehren, um Anfangs oder Mitte Oktober das ganze Hoflager wieder nach Stuttgart zu verlegen. Das Befinden Sr. Majestät ist ein erfreulich gutes. Seit heute ist die neue Telephonleitung Ulm-Friedrichshafen im Betrieb. Dieselbe funtioniert sehr gut. Die Verständigung mit Stuttgart ist gegen­über dem bisherigen Telephonverkehr ganz erheblich erleichtert, es bedarf nur des ge­wöhnlichen ruhigen Konversationstones, um in Stuttgart von dem Hörer leicht verstanden und an der Stimme erkannt zu werden.

Stuttgart, 30. Juli. Heute früh wurde ein neuer Straßenbahnwagen mit Daimler'schem Motor durch Dir. Lipken einer Probe auf verschiedenen Linien unterzogen. Der Motor befindet sich in einem neuen Sommerwagen und zwar in der Mitte. Der Führer kann den Wagen von der einen oder anderen Plattform gleich gut und sicher berherschen. Die Maschine nimmt wenig Raum in Anspruch. Die Leistung der Maschine, deren rascherer oder langsamerer Gang vollkommen in der Hand des Führers liegt, hat vorzüglich gute Seiten gezeigt.

Am Dienstag wurde in Bai hin gen aus der Enz ein Leichnam eines etwa 30jährigen Mannes gezogen. Derselbe wurde als der des Metzgers Christian Dillmann von Pforzheim festgestellt.

Altensteig. 27. Juli. Vom herr­lichsten Wetter begünstigt, fand heute hier das 5. Kriegerfest des oberen Nagoldgaues statt, wozu etwa 9 Vereine der Umgebung sowie viele sonstige Festgäste erschienen waren. Der Vorstand des Kriegervereins, Buchbindermeister Schüller, begrüßte die Gäste, Lehrex Schittenhelm hielt die Fest-