Zur Volkszählung am 1. Dez. 1900.
Vom 27. bis 29. November, also binnen kurzem, wird behufs Austeilung der HauS- haltungsliste für di« allgemeine Volkszählung vom 1. Dezember 1900 wie im ganzen Deutschen Reiche, so auch in Württemberg in jede Haushaltung ein von der Gemeinde ausgestellter sogenannter Zähler kommen. Eine große Zahl opferwilliger Männer ohne Unterschied der sozialen Stellung hat sich bereit gefunden, der mühevollen Aufgabe der Zählung sich zu unterziehen, und diese Männer dürfen erwarten, daß ihnen ihre Aufgabe in jeder Weis« erleichtert werde und daß der von ihnen dem öffentlichen Interesse geleistete Dienst allgemein die verdient« Wertschätzung finde.
Der Zähler wird in der Zeit vom 1. Dez. nachmittags bis 3. Dezember abends die Haushal- tüngsliste, welche inzwischen genau auSzufüllen ist, wieder abholen und bei dieser Gelegenheit über alle etwaigen Zweifel bereitwilligst Auskunft geben.
Da« Gelingen der ganzen Volkszählung hängt in allererster Linie von dem Zusammenarbeiten der Haushaltungsvorstände mit dem zu ihnen kommenden Zähler ab. Es ist eine Ehrenpflicht aller unserer Mitbürger, alles zu vermeiden, was die Zählung stören könnte.
Jeder einsichtige Haushaltungsvorstand weiß, daß die VolkszählungSergebniffe heutzutag zu den unentbehrlichsten Unterlagen unseres ganzen öffentlichen Lebens gehören und daß weder die Gemeinde noch später da« Statistische LandeSamt auf Rückfragen verzichten dürfen und werden, wenn die einzelnen Fragen nicht schon bei der Zählung selbst in allen etwa 475 000 Haushaltungen des württem« bergischen Volkes gewissenhaft und deutlich beantwortet werden.
Schon di« Frage nach den Blinden, Taubstummen, ferner nach Wohnort und ArbeitSort u. a. werden jedem Denkenden zeigen, daß e« sich bei dieser, an die Wende des ganzen Jahrhunderts fallenden Volkszählung nicht etwa um eine „bureaukratische" oder gar eine „fiskalische" Belästigung des Volkes handelt, sondern vielmehr um «in Werk, welches den Interessen des ganzen Volkes dienen soll und wird, für welches daher auch die lebhafte und hingehende Unterstützung des ganzen Volkes erwartet werden darf.
Zur Viehzählung am 1. Dez. 1900.
Nach Beschluß des BundcSratS soll am 1. Dezember d. Js. gleichzeitig mit der Volkszählung eine Viehzählung im Deutschen Reiche stattfinden. Zur Durchführung dieser Zählung in Württemberg sind die erforderlichen Anordnungen durch die K. Ministerien des Innern und der Finanzen in der Verfügung vom 16. August d. I, Reg.-Bl. Seite 665, getroffen worden.
Die Viehzählung erstreckt sich aufPferde, Rind - vieh, Maultiere und Maulesel, Esel, Schafe, Schweine, Ziegen, Federvieh (und zwar Gänse, Enten, Hühner, Truthühner, Perlhühner) und Bienenstöcke. Die Ermittlung de- Viehbestandes erfolgt gemeindeweise durch Umfrage von HauS zu Haus. Zur Einrichtung und Leitung des Zählgeschäfts wird in jeder Gemeinde durch den
Gemeinderat und auS dessen Mitte eine ZählungS- kommission unter dem Vorsitze de« Ortsvor- steherL gebildet. Jeder Besitzer oder Verwalter eines Hauses hat die Zahl der in dem HauS (Gehöft, Anwesen) und den dazu gehörigen Nebengebäuden und sonstigen Räumlichkeiten in der Nacht vom 30. Noo. zum 1. Dez. vorhandenen Viehstücke in eine ihm von der Zählungskommission spätestens bis zum 30. November mittags zuzustellende Hausliste genau nach den auf der Rückseite der Hausliste abgedruckten näheren Vorschriften einzutragen. Damit auch die Zahl der o i« Hb es itz e n d en Haushaltungen ermittelt werden kann, ist vorgeschrieben, daß, wenn mehrere Haushaltungen ermittelt werden kann, ist vorgeschriebe», daß, wenn mehrere Haushaltungen in dem HauS, Gehöft oder Anwesen sich befinden, der Viehstand für jede dieser Haushaltungen gesondert in die Hausliste einzutragen ist. Nach erfolgter Ausfüllung der HauSliste hrt der Besitzer oder Verwalter des Hauses die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben durch Namensunterschrift zu bescheinigen und die Liste zu« Wiederabholung vom 3 Dezember vormittags ab bereit zu halten.
Mit der diesmaligen Viehzählung werden Erhebungen über den Wert und dar Gewicht der Tiere sowie über den Honigertrag des Jahres 1900 verbunden, wofür als Schätzungsbezirke die Oberamtsbezirke und als Schätzungsorgane die landwirtschaftlichen Bezirksvereine bestimmt sind. Für die Ermittlung des Honigertrags wird empfohlen, soweit möglich die im Bezirk bestehenden Bienenzuchts- (Jmker-) Vereine heranzuziehen.
Die bevorstehende umfassende Viehzählung soll zeigen, welche Entwicklung ein wichtiger Zweig der landwirtschaftlichen Produktion in den letzten Jahren genommen hat; sie wird außerdem auch für dre Entscheidung de« Handels- und wirtschaftspolitischen Fragen wertvolles Material an die Hand geben und ihr Nutzen wird sich nicht auf Reich und Staat beschränken, sondern auch den Gemeinden und deren einzelnen Gliedern zugute kommen. Die erfolgreiche Durchführung dieser Zählung hat zur unerläßlichen Voraussitzung die gewissenhafte und vollständige Beantwortung der gestellten Fragen und an alle Beteiligten ergeht di« Aufforderung, noch Kräften zu ihrem Gelingen beizutragrn.
Lagesneuigkrilen.
** Calw. Die Cäcilienfeier des kath. Kirchenchors war am letzten Sonntag so stark besucht, daß die Räumlichkeiten in der Dreiß'schen Brauerei kaum ausreichten, die vielen Teilnehmer von hier und auswärts aufzunehmen. Man sieht hieraus, welch allgemeiner Sympalhie der kath. Kirchenchor und sein unermüdlicher Direktor sich erfreut. DaS Programm bot in seinem ersten Teil viel klassische Musik; einzelne Stücke waren darum dem Publikum weniger ins Ohr fallend, obwohl sie gut vorgetragen wurden. Mit wohlgeschulter Stimm« sang Frau Gerichtsnotar Carlein eine Arie auS Freischütz. De, zweite Teil des Programms entsprach mehr dem Ohr der Zuhörer; die einzelnen Nummern wurden mit reichem Beifall ausgenommen. Der Chor „Wenn eine Mutter betet für ihr Kind" fand schon durch seinen schönen Text, der Rosenwalzer durch seine anmutigen Melodien bei allen Zuhörern Anklang. Die
komischen Stücke „Die Töchter de« Veteranen" (Hr. Weckemann) und „Der Sänger auf dem Standesamt" (HH. Weckemann und Heindel) waren sehr gut einstudiert und mit so ergötzlicher Komik vorgetragen, daß der Beifall nicht enden wollte. So zeigte der Kath. Kirchenchor oufS neue, was auch wenige Personen zu leisten im Stande sind, wenn sich alle auS Eifer zur Sache um den ebenso rührigen als sachverständigen Direktor scharen.
sAmtlicheS aus dem Staatsanzeiger.j Se. Maj. der König hat di« erled. Humanist. Hauptlehrstelle an der mittl. Abt. deS ReallyceumS in Calw dem Oberpräzeplor Strudel in Markgröningen übertragen.
Nagold, 26. Nov. Der gestrige Sonntag schloß mit einer F-uerSbrunst. Wohnhaus und Scheuer deS Fuhrmann Kirn „auf der Insel" brannte in kurzer Zeit nahezu ganz nieder. Der Feuerwehr gelang es, das in unmittelbarer Nähe gelegene Anwesen deS bisherigen Abg. Wollwarenfabrikanten Schaible zu retten.
Crailsheim. Der „Fränk. Grenzbote" veröffentlicht einen Brief de« Chinasoldaten Chr. Hertfelder, Musketier in der 8. Kompagnie des 3. ostasiatischen Infanterieregiments, an seine Eltern in Lautenbach vom 4. Okt. aus Junglu bei Tientsin. Der Brief besagt (mit einigen unwesentlichen Kürzungen): Wir haben die 6 Wochen, wo wir auf dem Schiff waren, viel ausgehalten, aber noch mehr, als wir gelandet waren. In Taku, da war alles zusammengebrannt; Hunde, Vieh und Menschen lagen herum und schwammen auf dem Wasser. Der Gestank und die schlechte Luft, wo da war! Die Russen halten eine große Freude, als wir kamen. Wir waren in Taku über Nacht, aber nichts zu essen, bloß Thee! Am zweiten Tage ging eS weitrr mit der Bahn nach Tientsin, wir hatten aber so Hunger, daß wir das Laufen bereits nicht vermochten; wir fuhren 4 Stunden, urterwegS sahen wir nichts als abgebrannte Dörfer und Heuschrecken. Wir kamen um 1 Uhr mntagS in Tientsin an und mußten noch eine Stunde laufen, bis wir in daS Lager kamen Hier sind wir vor Hunger niedergesunken, der Major hat gesagt, eS giebt erst morgen zu essen. Als wir das hörten, standen einige auf, gingen in ein Dorf und nahmen den Chinesen einen Ochsen, die sich noch bedankten, gingen mit zum Lager, schlachteten und aßen einen ganzen Ochsen ohne Brot. Am andern Tag kam Essen genug bis heute. ES hat aber ncch nicht einer gemurrt, ein jeder sagt, wenn unsere Vorfahr-n es ausgehalten haben 1870 und 71, so wollen vir er auch aushalten. — Die Chinesen, wenn sie das diutsche Hurra hören, springen sie zum Teufel. W-nn Japaner, Raffen oder Indier vorbeilaufen, springen sie auf uns Deutsche zu und drücken uns die Hände vor Freude; sie sagen, so stramme Soldaten giebt es nicht mehr wie die Deutschen. — Junglu ist ein Torf bei Tientsin, da sind 500 freiwillig« Arbeiter, »der die haben wir die Aussicht. Wir haben er dabk, sehr schön. Denen, welche Christen find, nehmen wir nichts, aber den andern haben wir ihren Götzentempel zerrissen, die Götzen auf einen Haufen gethan und abgebrannt. Da mußten um die Götzen all« herumstehen und beten und zusehen, wie ihre Götzen brennen.
meinen früheren Reedern. Und wenn nicht ein anderer Mann desselben Namens existierte, so wurde es befehligt von meinem alten Schiffsmaat Daniel Thompson, der auf dem .Montrose' zweiter Maat war, als ich auf diesem Schiff den Posten d«S dritten inne hatte.
Diese Zeitungsanzeige mit den mir bekannten Namen versetzte mich sofort wieder ganz auf di« See. Alle alten Erinnerungen erwachten in mir, und bald hatte ich mich so in dieselben vertieft, daß ich trotz deS Geraffels der vorbeifahrenden Droschken und Omnibusse, daS mir vertraute Rauschen deS OceanS hörte, und auf ihm lebte, als ob ich ihn nie verlassen hätte. Ich war in der Sydneybai an Bord deS .Strathmore' gewesen, und sah ihn so deutlich vor mir, wie nur irgend «inen allen Bekannten. Ein Gedanke reihte sich an dm andern. Ich malte mir au», wie Kapitän Thompson, bezaubert von der Anmut von Florence, ihr den Arm bot, um sie, unter dem Vorwand zu scharfen Seegangs, windwärts zu führen; ich sah da« heitere Bild der großen Kajüte vor mir, wie «S sich an schönen Tagen bietet: die einladmde Tafel, mit ihrem glänzenden Damast und schimmernden Krystall, die geschäftigen Steward«, die heiter plaudernde und lachende Tischgesellschaft, und Florence zwischen Thompson und Tante Damari». Dann wieder erhob sich ein tropischer Abend vor mir: im Süden der Mond, das ganze Himmelsgewölbe übersät von den funkelnden Sternen, Thau, wie Diamantenstaub, auf der Reling und den Oberlichtern, die Häupter der leis« rauschenden, lichtgrünen, durchsichtigen Wellen, gekrönt mit weißem Schaum, und Florence, allein stehend, ihren sinnenden Blick in die unendlich« Ferne gerichtet.
Und wie ich sie so sah, deutlich, als stände sie vor mir, da krampst« sich auf einmal mein Herz in bitterem Weh, di« Wirklichkeit trat wieder vor mich, und ließ «ich mit Schrecken daran denken, wie sie so bald ganz unerreichbar für «ich sein würde. Der Atem stockte mir, doch gleichzeitig, wie «in Blitz, durch
zuckte eS mich. Ein unbeschreibliches Entzücken schwellte meine Brust. Ich sprang auf, rannt« im Zimmer umher, und meine Wangen brannten plötzlich vor innerer Erregung.
Und was war «», was in mir wirkte wie eine Pinte besten RumL? Nichts andere», als die einfache Frage, die ich mir stellte: „Warum gehst du nicht mit ihr? ja, warum denn nicht?" ES war die» für mich so leicht ausführbar daß ich sitzt gar nicht begriff, wie mir der Gedanke nicht auf der Stell« gekommen war. Ich muß wie betäubt und benebelt gewesen sein. Glückselig steckt« ich mir eine Pfeife an, und setzte mich, nach all dem Jammer, so recht behaglich in meinen Lehnstuhl, um nun in aller Ruhe die Sache eingehend zu überdenken, und mir «inen Plan zu machen, nach dem ich verfahren wollt«.
ES war ei» Abenteuer, welches zu unternehmen niemand sich bester eignete, als «in Seemann. Wie, wenn ich in dem .Strahmore' mitführe? Ich war «in freier Mann, kein Mensch kümmert« sich darum, ob ich in London, oder sonst wo hauste. Mir fehlten die Mittel nicht, und wenn jener Daniel Thompson derselbe war, für den ich ihn hielt, so konnte ich ihm al» alten Freund, den Zweck meiner Reis« ruhig anvertrauen und auf seine Hilfe rechnen. ES war ein köstliches Gefühl, jetzt auf einmal die Aussicht zu habe», mehrere Monate beständigen Verkehr mit meinem geliebten Mädchen zu pflegen, «S Stunden und Stunden an meiner Seit« sehen zu können, ohne vom Vater verscheucht zu werden, mit keinem andern Aufpaffer, als einer alte» Tante, di« mich nicht kannte, und die, soviel an mir lag, auch, vorläufig wenigsten«, nicht erfahren sollt«, wer ich war.
Bi« tief in die Nacht hinein beschäftigten sich mein« Gedanken mit «einem Plan, und al« ich endlich zu Bett ging, fand ich lange keinen Schlaf.
(Fortsetzung folgt.)