Eingesendet zur Reichstagswahl.
Denkt zurück!
Man vergißt schnell in unserer raschlebigen Zeit. Das ist'in mancher Beziehung freilich recht gut, aber anderseits giebt es auch Dinge, die man nicht vergessen sollte. Dazu gehören auch die Vorgänge, die wir in folgendem betrachten wollen und die wir unfern Lesern jetzt besonders deshalb ins Gedächtnis zu rufen für nützlich halten, weil die volksparteilichen Blätter nachgerade den Mund etwas gar zu voll nehmen. Wir wollen dabei unfern Lesern keine langatmigen Auseinandersetzungen vorführen, wir wollen einfach die Thatsachcn reden lassen; sie sprechen deutlich genug. Wir halten uns dabei an die „Politische Geschichte der Gegenwart" von Wilh. Müller. Es heißt dort in dem das Jahr 1870 behandelnden Bande:
„Das württcmbergische Ministerium hatte sich die Demokratie über den Kops wachsen lassen und stand zu Anfang und in der Mitte des Jahres vor einem ungewissen Etwas, das einer stattlichen Auflösung nicht so ganz unähnlich war. . . Die demokratische Partei, welche in dem „Beobachter" ihr Preßorgan und in dessen Redakteur Mayer ihren Führer hatte, suchte sich für den Mangel an parlamentarischer Thätigkeit durch vermehrte Agitation der Landes- und Be- zirksversammlnngen schadlos zu halten. Die Landesversammlung der württemb. Bolkspartei, welche am 6. Januar in Stuttgart tagte, beschloß einen Adressensturm an die Kammer gegen das am 18. Januar 1868 angenommene Kriegsdienstgesetz in Scene zu setzen. Die Emissäre wanderten in den darauf folgenden Wochen durch das ganze Land, hielten in Städten und Dörfern Volksversammlungen, donnerten aufs neue gegen Cäsarismns und Militarismus, schilderten den Leuten die Lasten des Kriegsdienstgesetzes in den schwärzesten Farben, ohne eine einzige Lichtfarbe daran zu entdecken und stellten ihnen Herabsetzung der Steuern als angenehme Folge der Herabsetzung des Kontingents und der Präsenz vor. Es wurde sofort von Hans zu Haus geschickt, Unterschriften wurden gesammelt, und nach wenigen Wochen konnte der „Beobachter" mit gesperrter Schrift verkünden, daß 150 000 freie Schwaben dem preußischen Soldatenwescn den Krieg ankündigten und die Adresse gegen das
Kriegsdienstgesetz unterschrieben hätten.
Mancher ehrenhafte und gebildete Württemberg er sagte es offen, er schäme sich, ein Württemberger zu sein ... .
Die Kammer wurde auf den 8. März einberufen .In der Sitzung vom 11. März
wurde der parlamentarische Feldzug gegen das Kriegsdienstgesetz eröffnet. 45 Abgeordnete stellten den Antrag: „Die Kammer wolle 1) der Staatsregierung erklären, daß sie in den militärischen Einrichtungen solche Aenderungen geboten finde, welche die größten volkswirtschaftlichen und finanziellen Nachteile des bestehenden Systems erheblich, insbesondere durch Herabsetzung der Präsenz zu mildern geeignet sind, und daß sie die Ausgaben für Zwecke der militärischen Einübung mcht in der bisherigen Höhe zu verwilligen vermöchte; 2) demgemäß die Regierung bitten, noch im Laufe der Saison entsprechende Vorlagen cinbringen zu wollen .... Am 20. März fanden sich etwa 400 Delegierte der Volkspartei von vielen Bezirken des Landes in Stuttgart ein und erklärten, daß sie den 45 Abgeordneten, welche die Mehrheit der Kammer bilden, für ihren Antrag vom 11. März den Dank des Volkes aussprechen, daß sie das übereinstimmende und gleichzeitige Vorgehen der bayerischen Nachbarn gegen die von Preußen aufgedrängte Militärdauer mit Freuden begrüßten und zu demselben Thun das ganze deutsche Volk im Süden, wie in Oesterreich und im Nordbund ermahnen, um so vereint den Staaten Europas ein Beispiel der Freiheit und eine Bürgschaft des Friedens zu geben. Zugleich wurde an jeden der 70 Landtagsabgeordneten eine Deputation gesandt, welche denselben die Adresse des Volkes gegen das Kriegsdienstgesetz, mit der Zahl der Unterschriften versehen überreichen, sollte."
Diese Bewegung, welche die Führer der Volkspartei ins Leben gerufen hatten,-hatte bekanntlich die Abdankung des Ministeriums zur Folge, doch führte sie keineswegs zu dem von
Karl Mayer und seinen Schildknappen ersehnten Ziele, vielmehr wurde an Stelle des den Demokraten so mißliebigen Freiherrn v. Wagner zum Kriegsminister der Generalmajor v. Suckow ernannt, der durch seine gegen den Arcolay- Schwindel gerichtete Flugschrift: „Wo Süddeutschland Schutz für sein Dasein findet" in den nationalen Kreisen aufs beste bekannt und von den Preußenfressern aufs gründlichste gehaßt war. Was aber eingetretcn wäre, wenn „das ganze deutsche Volk im Süden wie im Nordbund" auf die Phantastereien der Volkspartei cingegangen wäre, weiß man jetzt. Am 19. Juli desselben Jahres, genau vier Monate nach der Dankerklärung der 400 erfolgte die Kriegserklärung, und Süddeutschland wäre, wenn die demokratischen Pläne verwirklicht worden wären, wehrlos dem Einbruch der Franzosen preisgegebcn gewesen. Gottlob kam es nicht dazu und vor der Begeisterung, die nun lichterloh emporschlug, verwehte die Milizschwärmerei und der Kantönlitranm wie Spreu u. die volksparteilichen Führer waren wenigstens so gescheidt, sich nun zu ducken und zu schweigen. Das befreit die Partei aber nicht vor dem Borwurf, durch ihr unkluges Ge- bahren die Geschäfte Frankreichs, unseres Erbfeindes, besorgt zu haben und, soweit es an ihr lag, alles für den Ruin Deutschlands gethan zu haben.
Nicht anders faßte denn auch die französische Regierung die Sache auf. Sie schloß aus dem wüsten Treiben, daß sie im Falle eines Krieges mit Deutschland Württemberg, wo die Volks- Partei das große Wort führte, für sich haben könnte. Das geht sonnenklar aus einem interessanten französischen Aktenstück hervor, welches von Paris aus der französischen Gesandtschaft in Stuttgart zugestellt wurde. Die „Nationalzeitung" veröffentlicht dasselbe in ihrer Nummer vom 11. Juli 1870. Es waren 41 Fragen, welche der Gesandte dem wißbegierigen Kabinett zu beantworten gehabt hat. Dieselben betrafen hauptsächlich die Angabe der Namen der hervorragenden Männer in Württemberg, das dortige Parteiwesen, die Presse, die politische Stimmung, die Handelsinteressen. Am Schluß wurde gefragt, ob die württcmbergische Regierung das mit Preußen abgeschlossene Schutz- und Trutzbiindnis bedaure, ob sie im Kriegsfall mit Preußen gehe, ob Frankreich im Falle eines Krieges Bundesgenossen im Süden finden würde; wie der Geist der württembergischen Armee sei; warum die württcmbergische Regicrund ihre Armee immer mehr zu verpreußen suche, ob die Regierung den Eintritt in den Nordbung wünsche; welches die politischen Ansichten und Tendenzen der hauptsächlichsten Mitglieder des Kabinetts seien; ob Württemberg von Rußland unterstützt werde, ob die gegenwärtige Lage (d. h. die Herrschaft der Demokraten im Lande) von Dauer sein und welche Vermutungen man für die Zukunft anstellen könne.. Der Schwerpunkt des Aktenstückes lag in der Frage nach der Wehrfähigkeit des Landes und nach der Möglichkeit, daß dieselbe, durch eine Allianz Süddeutschlands mit Frankreich, letzterem zu gute komme.
Es ist selbstverständlich, daß die Volkspartei bei ihrem damaligen Treiben nicht die bewußte Absicht hatte, für Frankreich zu arbeiten, sie wollte nur gegen Preußen arbeiten um jeden Preis, und sah in ihrer Verblendung nicht, daß die Manöver, welche sie zu dem Ende unternahm, ihrer eigenen Heimat am meisten schaden mußten. Denn von der französischen Grenze nach Berlin ist ein weiter Weg, von Straßburg nach Stuttgart ein verhältnismäßig recht kurzer. Es kommt aber bei solchen Fragen nicht auf die Absicht an, sondern auf die Wirkung, die erzielt wird. Wenn ein Haus niederbrennt, so fragt der Besitzer wenig danach, ob die Dummheit eines Kindes oder die Bosheit eines Dienstboten das Feuer angelegt hat, denn in einem wie im andern Falle hat er sein Hab und Gut verloren. Um wie viel mehr ist das der Fall, wo cs sich nicht um ein Haus, sondern um ein ganzes Land handelt. Es ist gewiß nicht das Verdienst der Bolkspartei, daß die böse Wirkung ihrer Agitation nicht cintrat. Um so weniger haben wir Grund, ihr damaliges Verhalten zu vergessen und besonders bei der jetzigen Wahlbewegung wird man gut thun, sich gründlich daran zu erinnern.
(Aus der Schwarzw. Bürgerzcitung.)
Aronik.
Deutschland.
Die Ansprache des Kaisers an den Staatsrat. Mit der Ansprache, durch die der Kaiser den Staatsrat eröffnet hat, ist ein neuer wichtiger Schritt gelhan zur Verwirklichung der hochherzigen Initiative des Monarchen zur Besserung der Lage der Arbeiter. In klarer Weise wird dem StaatSrat die Ausgabe eines Gutachtens für die Aufstellung der Gesetzentwürfe zugewiesen, über die den parlamentarischen Körperschaften dann die Beschlussfassung zusteht. Die internationale Verständigung, welche Aufgabe der Diplomatie ist, wird begreiflicherweise nur kurz berührt.
Berlin, 18. Febr. Die „Nordd. Allg. Ztg. Ztg." erfährt, das verbrecherische Treiben von gewissenlosen Auswanderungs-Agenten, welche die Landbewohner in Pommern beschwindeln und zur Auswanderung nach Brasilien bereden, gelangte zur Kenntnis des Kaisers, welcher befohlen hat, der Ausbeutung der Landbewohner durch amtliche Warnungen in den Krcisblättcrn entgegenzutreten.
Württemberg.
Mühlacker, 14. Febr. Der Bau deS zweiten Geleises auf der bisher einspurigen Bahnstrecke Mühlacker - Bretten ist so weit vorangeschritten, daß vom 15. d. M. ab der zweispurige Betrieb zunächst auf der Teilstrecke Mühlacker-Maulbronn stattfinden kann. Auf der Strecke Maul- bronn-Bretten wird mit dem Legen der Schienen demnächst begonnen. Für das ganze zweite Geleise kommt die Haar- maun'sche Schwellenschiene zur Anwendung.
Calmbach. Das Preisgericht der Jubiläums-Schulausstellung 1889 hat folgenden Schülern der gewerblichen Fortbildungsschule Calmbach: 1) Philipp Schmidt. Schlosser für gute Leistungen im technischen Zeichnen, 2) Friedrich Barth, Kaufmann und 3) Adolf Prob, Mechaniker sür gute Leistungen im geometrischen Zeichnen je eine öffentliche Belobung zuerkannt.
Ausland
Fi u m e, 18. Febr. Graf Julius Andrassy ist heute nacht um 3 Uhr in Volosca gestorben. Oesterreich-Ungarn betrauert in Andrassy seinen ersten Staatsmann, einen anerkannten Patrioten, einen Edelmann von hoher Gesinnung,' Deutschland beklagt den Verlust des Begründers und überzeugtesten Anhängers der deutschösterreichischen Allianz.
New-Jork, 18. Febr. Aus Rio traf heute ein Dampfer mit 5l Personen ein, größtenteils Deutschen, welche nach Brasilien ausgewandert waren, aber enttäuscht zurückkehren.
Frankfurter Course vom 18. Februar 1890 Geldsorten. ^
20-Frankenstücke.16.20-24
Englische Souvereigns .... 20.37—42
Ruß. Imperiales.16.65
Dukaten.S. 59—63
Dollars in Gold. 4.16—20
Für die Redaktion verantwortlich: Chrn. Meeh; Druck und Verlag von Jak. Meeh in Neuenbürg.
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