zurücklegen zu können, machte er es sich so bequem als möglich.
Schon war das Zeichen zur Abfahrt gegeben, und man konnte jeden Augenblick erwarten, daß der Zug sich in Bewegung setzen werde, als plötzlich die Wagenthür aufgerissen wurde und ein Mann der in der einen Hand eine Reisetasche hielt, in der andern eine aus einer Reisedecke, einem Plaid und einem Schirm gebildete große Rolle, ganz gemächlich einstieg, trotzdem ein Bahnhossbeamter ihn zur höchsten Eile drängte. Noch war der Reisende nicht völlig cingestiegen, da fuhr der Zug ab. Der Beamte schloß die Wagenthür und schleuderte damit den Säumigen ziemlich unsanft in die Kissen des Wagens.
Hektar konnte eine mißmutige Bewegung über diese Störung nicht unterdrücken; in seinem nervösen Zustande verursachte ihm der Eintritt jenes Lästigen eine so heftige Erregung, als wäre ihm ein Unglück begegnet.
Der Andere, dem man auf den ersten Blick den Sohn Albions ansah, wenn er auch nicht „6oääam" gerufen hätte, als er willenlos zum Sitzen gebracht wurde, kümmerte sich übrigens durchaus nicht um seinen Mitreisenden. Mit großer Umständlichkeit brachte er seine Reisetasche unter, nachdem er aus derselben eine schottische Mütze hervorgenommen, die er an Stelle des bei Seite gestellten Hutes auf sein mit semmelblondem Haar reichlich geschmücktes Haupt setzte. Er kämmte und bürstete seine gleichfarbigen langen Bart-Coteletten und rückte die blaue Brille zurecht, die sich augenscheinlich mit der Form seiner Nase nicht vertrug. Sodann entrollte er die Reisedecke und den Plaid, wickelte seinen werten Körper darin ein und warf sich stöhnend in eine Wagenecke, seine langeu Beine auf der gegenüberliegenden Posterbank ausstreckend. Schließlich zog er ein in roten Maroquin gebundenes Buch hervor, in welches er sich nun vertiefte.
Obgleich der Engländer durchaus nicht geneigt schien, eine Unterhaltung anzuknüpfen, so hielt es Hektar doch für ratsam, um jedem darauf etwa zu richtenden Versuch vorzubeugen, die Augen zu schließen und sich schlafend zu stellen. Wenn er jedoch zuweilen durch die nicht festge- schlosscnen Augenlider zu seinem Gegenüber hinschielte, so glaubte er zu bemerken, daß dieser nicht ausschließlich in sein Buch sah, sondern ihn selbst in höchst sonderbarer Art anblickte und ihn zu beobachten schien.
Dieses Benehmen belästigte und beunruhigte ihn gewaltig. Er fürchtete, daß dieser Mann ihn kenne, oder daß er wohl gar einer jener gefährlicher Verbrecher sei, die harmlose Reisende während des Schlafs überfallen und berauben, wenn nicht auch töden.
„Ich werde auf der nächsten Station in einen andern Wagen übersteigen:" sagte sich Hcktor.
Hinterher jedoch schämte er sich seiner kindischen Furcht und da der Engländer ruhig in seiner Ecke blieb und immerfort las, so gab er die vorher gefaßte Absicht aus und tröstete sich mit dem Gedanken, daß er in einem andern Coupo vielleicht
noch viel lästigere Gefährten antreffen würde.
Ohne daß die Beiden eine Silbe mit einander gewechselt hatten, kam der Zug bis Dijon, wo der Engländer ausstieg, das aufgeschlagene rote Buch auf seinem Platz zurücklafsend, damit dieser nicht etwa von Jemand eingenommen werde.
Unwillkürlich sah Hektor nach der aufgeschlagenen Seite jenes Buchs, wo ihm ein in leuchtenden Charakteren gedruckter Titel auffiel, der lautete:
„Ende gut, Alles gut!"
Diese Worte gaben ihm viel Stoff zum Nachdenken; er versuchte vergeblich, sie auf seine Lage anzuwenden und auf den Zweck seiner gegenwärtigen Reise, die zwar zu einem Ende führen sollte, das man aber doch nicht als ein „gutes" bezeichnen konnte.
(Fortsetzung folgt.f
(Explosion einer Granate aus dem Jahre 1864.) In dem Vereinslokal des Kampfgenossenvereins in Sonderburg explodierte dieser Tage kurz vor Eröffnung einer Versammlung eine Granate aus dem Kriege 1864. Die Kampfgenossen bewahrten nämlich als Erinnerung an die Kriegszeit eine preußische und eine dänische Granate in ihrem Lokale auf; man glaubte die Geschosse ihres totbringenden Inhalts entledigt, doch sind offenbar Pulverteile in der explodierten Granate zurückgeblieben. Glücklicherweise hatte im Augenblick der Explosion noch kein Mitglied den Saal betreten, so daß ein Verlust an Menschenleben nicht zu beklagen ist. Furchtbare Verwüstungen wurden im Lokal angerichtet, der Ofen, die Thüren, die Mobilien, die Fensterscheiben wurden in Atome verwandelt, die Mauern arg beschädigt. Hätte die Explosion wenige Minuten später, nach Eröffnung der Versammlung, stattgefunden, eine entsetzliche Katastrophe wäre unabwendbar gewesen.
Die Influenza hat sich bekanntlich schon einmal, und zwar zu Ende des 16. Jahrhunderts, über drei Erdteile ausgebreitet. Es ist nun interessant, was eine alte rheinhessische Chronik darüber schreibt: „Im Herbstmond anno 1580 erhob sich eine seltzame geschwinde vnd unerhörte Seuche; erstlich kam es die Leute mit Frost an, etliche auch mit Hitze, davon entstund der Huste und Heiserkeit, wurden Wund in Hälsen, wäret aber 3 oder 4 Tage mit einem. Die zur Ader liesfen, stürben gemeiniglich, die andern nicht. Man nennte es den Nürnberger Pipff, war aber kein Statt oder Dorff in ganz Deutschland frey davor. Ja man sagt, es sei durch gantz Europam also gegangen."
(Der letzte Soldat Napoleons.) Aus Parana in Südbrasilien schreibt man uns: Am Tage der Enthronung Dom Pedro's verstarb Hierselbst, erschüttert durch die unerwartete Kunde, Wilhelm Scharrenweber im Alter von 100 Jahren und Il?/r Monaten. Er war geboren am 1. Januar 1789 in Hannover und machte unter Napoleon den russischen Feldzug von 1812 mit; in den folgenden Jahren stand er in den Reihen der preußischen Armee und focht
sowohl bei Leipzig als auch bei Waterloo. In der Mitte der Zwanziger Jahre ließ er sich in die Leibgarde Dom Pedro's I. anwerben und lebte Jahre lang am Hofe in Rio Janeiro, wo er oft, wie er erzählte, den späteren Kaiser Dom Pedro II. auf seinen Armen getragen hatte. Seit 25 Jahren bezog er aus dessen Privat- Schatulle eine Pension. Scharrenweber verehrte den Kaiser in der aufrichtigsten Weise. Am 1. Januar d. I. feierte er seinen hundertsten Geburtstag, zu dem eine große Zahl Deutscher aus allen Orten der Provinz Parana herbeigeeilt waren. Auch der Kaiser hatte ihm einen telegraphischen Glückwunsch gesandt, und in fröhlicher Stimmung erzählte Scharrenweber den Anwesenden seine Lebensgeschichte. Den 15. November aber konnte der Veteran nicht überleben; er starb wenige Stunden nach dem Eintreffen der telegraphischen Nachricht vom Sturze des Kaiserreichs.
(B. N. N.)
Der Phonograph dürfte demnächst seinen Einzug halten in das Gebiet der Heilkunde und zwar besonders in das Gebiet der Ohrenheilkunde. Das neue Instrument vermag, darüber haben auch die Aerzte keinen Zweifel, alle für ein normales Ohr wahrnehmbaren Töne wiederzugeben. Dadurch wird es möglich die Schärfe des Gehörs verschiedener Kranken in zuverlässiger Weise festzustellen, während bisher der Arzt auf sein persönliches Dafürhalten angewiesen war, das auf seiner, durch keinen realen Maßstab kontrolierten Empfindung beruhte. Gegenwärtig handelt es sich nun darum, eine für die praktische Anwendung wie für den wissenschaftlichen Gebrauch gleich zweckmäßige Norm der Einteilung der Schallstöcken zu finden.
Einen ganz merkwürdigen Fund hat in Koblenz ein Schlächtermeister Lichtenberg gemacht. Derselbe fand im Magen eines Ochsen einen schweren goldenen Ring, der folgende Inschrift trug; „Mpolecm III., Lmporvur 1862". Welche Schicksale mag jener Ring durchgemacht haben, bevor er in den Magen des Ochsen geriet?
Kellner (im Cafä Bauer): „Was wünschen die Herren?" Erster: „Mir bringen Sie einen Cognac." Zweiter: „Mir bringen Sie einen Schwarzen." Dritter (schwer betrunken): „Mir bungen Sie nach Hause!"
Auflösung des Quadraträtsels in Nr. 202.
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Die nächste Nummer wird auf Neujahr ausgegeben. Für diese Nummer bestimmte Veröffentlichungeu müssen mit Rücksicht auf die Postverbindungen des Bezirks bis Montag mittag ausgegeben sein.
Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Meeh in Neuenbürg.