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gespielt werden soll. Es ist damit auch den Fremden Gelegenheit geboten, das herrliche Werk zu hören.

Der Hilfswärter Müller von Wimpfen wurde am 20. d. Mts. auf dem Bahn­hof in J'agstf eld während eines Rangier­manövers von einem Wagen erfaßt und getötet.

X Calmbach. Unter äußerst zahl­reicher Beteiligung der Gemeindemit­glieder von Calmbach-Höfen fand Sonntag den 22. ds. Mts. im Anschluß an den Vormittagsgottesdienst die Investitur des Herrn Pfarre r Mayer durch Herrn Dekan Cranz statt. Die vorausgehende, ansprechende, formgewandte und tiefreligiöse Predigt überzeugte jeden Zuhörer, daß der erlittene Verlust nach bereits 9 Monaten nun reichlich ersetzt sei, und wir wieder einen tüchtigen Kanzelredner und einen eifrigen, treuen und gewissen Seelsorger an Herrn Pfarrer Mayer haben. Die Handlung der Einsetzung selbst verlief äußerst feierlich und würdig und hat durch die dabei gehaltenen geistreichen Ansprachen viele Herzen gerührt, erquickt und gestärkt. Auch das darauffolgende gemeinschaftliche Essen im Gasthof z. Sonne vereinigte viele Teilnehmer um die werte Pfarrfamilie. Auch diese Teilnahme, sowie die dabei ge­haltenen Toaste gaben den sprechendsten Beweis, wie herzlich erfreut man allerseits ist über diese glücklich getroffene Wahl. Bei der am 21. ds. Mts. stattgehabten Gemeinderatswahl wurden mit großer Stimmenmehrheit wiedergewählt: Ge­meindepfleger W. Pro ß und Bärenwirt Volle 86n.

Ausland.

Paris, 23. Dez. Meldungen aus Lissabon zufolge fürchtet die Regierung republikanische Kundgebungen anläßlich der Ausrufung des Königs Karl am 28. Dez.

Wie dieKöln. Ztg." erfährt, hat der französische Oberkriegsrat nach langen Be­ratungen sich gutachtlich dahin geäußert, daß mitRücksicht auf die Teilung des l 5. deutschen Armeekorps und die damit zusammen­hängenden Neugestaltungen des deutschen Heeres Grund vorliege, die Garnisonen an der Ostgrenze zu verstärken und ein zweites 6. Armeekorps unter der Bezeich­nung 6 bi8 zu errichten.

MisMen.

Aer Mord bei Marville.

Kriminal-Roman von Paul Labarriere.

Deutsch von Emil Neumann.

(Fortsetzung.)

Schon waren auf seinem Schreibtisch ganze Stöße von Journalen angesammelt, die er niemals entfaltet, geschweige durch­gelesen hatte, ... als er eines Tages fast unbewußt eine Nummer des Figaro zur Hand nahm. Absichtslos schweifte sein Blick über die Spalten hinweg, plötz­lich jedoch haftete er auf einer Notiz über die Reisen verschiedener Mitglieder der Pariser vornehmen Welt. Es hieß darin:

Gegenwärtig befinden sich: Fürst Okowitz in Cannes, Lord Sturby in Mentone, die Gräfin von Vidione und Madame Daupin in Hyeres . . .

Die Nummer des Journals war bereits zwei Wochen alt, und als Hektor seine Erinnerungen sammelte, überzeugte er sich. daß bereits mehr als ein Monat verflossen war seit dem Tode Gauliots, ohne daß sich sein Gewissen beruhigen konnte; aber er fühlte auch, daß seine Liebe zu Martha niemals erlöschen werde, denn jene kleine Notiz hatte sein Herz in einer Weise erregt, wie er es nicht mehr für möglich gehalten hätte. Und doch war ihm jede Hoffnung auf die Zukunft für immer verschlossen.

In dieser gänzlichen Trostlosigkeit faßte er den Entschluß, seinem elenden Leben ein Ende zu machen.

Zwar hatte er das Versprechen gegeben, sich nicht tödten, oder doch den Versuch machen zu wollen, weiterzuleben; aber dieses Versprechen war ihm abgezwungen worden, und er hielt sich überzeugt, daß seine Mutter ihn selbst desselben entheben würde, wenn sie die ganze Schwere seiner gegenwärtigen Bekümmernis ermessen könnte. Aber sie sollte überhaupt nicht erfahren, daß sein Tod ein freiwilliger sei,

Er wollte eine Reise machen, während welcher sich irgend eine Gelegenheit finden werde, sein Leben zu beenden, ohne daß man einen Selbstmord vermuten könne. Es bedurfte ja nur einer scheinbaren Un­vorsichtigkeit. um auf der Eisenbahnfahrt unter die Räder der Wagen zu geraten,. .. und alle Leiden wären vorüber. Die Journale verzeichnten alsdann einen Eisenbahn-Unfall mehr, der schon am nächsten Tage vergessen sein würde.

Bevor er aber aus dem Leben schiede, gedachte er noch ein einziges Mal die Gräfin von Vidione wiederzusehen, und wäre es auch nur aus der Ferne, so daß sie ihn nicht sähe; zum letzten Mal noch sollten seine Augen sich weiden an dem Anblick der Geliebten, bevor sie sich für immer schließen würden!

Fest entschlossen, diesen Plan so bald als möglich auszuführen, sagte er noch an demselben Tage zu seiner Mutter:

Höre mich an, liebe Mutter! Unsere gegenwärtige Lebensweise ist für die Dauer unerträglich; das wirst Du ebensowohl einsehen wie ich! Es bleibt nur eine einzige Möglichkeit zur Erlangung künftiger Beruhigng: wir müssen Marville ver­lassen, . . . wenigstens für einige Zeit."

Die Heimat verlassen? das Haus der Familie Lauziore die Gräber ihres Gatten und einer früh verstorbenen Tochter? ...

Das war das größte Opfer, welches man von der armen Frau verlangen konnte. Zu jeder andern Zeit hätte sie einen solchen Vorschlag mit Entrüstung zurückgewiesen; jetzt aber, wo sie schon erfreut war. ihren Sohn einen Wunsch aussprechen zu hören, nach einer so langen Zeit gänzlicher Teil- nahmlosigkeit, jetzt war sie zu jedem Opfer bereit; deshalb erwiderte sie:

Ich werde Alles thun, was Du willst, mein Sohn. Wohin gedenkst Du zu reisen?"

Das weiß ich noch nicht genau." sagte er zögernd.Uebrigens wünsche ich für jetzt allein abzureisen . . ."

Allein?"

Ja, liebe Mutter;... Du folgst mir später nach. Zunächst aber fühle ich

das Bedürfnis, mir selbst überlassen zu sein! . . . Unterbrich mich nicht! Es wird mir ohnehin sehr schwer, Dir diesen meinen Entschluß mitzuteilen. Sei überzeugt, daß ich Dich deshalb nicht weniger liebe, als sonst; . . . aber wir müssen uns für einige Zeit trennen!"

Große Thcänen entrollten den Augen der unglücklichen Frau und fielen auf ihre gefalteten Hände nieder.

Hektor erhob sich und kniete vor ihr nieder. Dieser stumme Schmerz seiner Mutter rührte ihn selbst bis zu Thrüneu. Auf ein einziges bittendes Wort ihrerseits hätte er vielleicht seine Absicht anfgcgeben und wäre bei ihr geblieben, wenigstens vorläufig; aber sie sprach keine derartige Bitte aus, sie unterdrückte sogar ihre Thränen. Ihr Herz drohte zu brechen, aber sie ließ nichts davon merken und überredete sich, daß Hektor eigentlich Recht habe, denn gegen gewisse Leiden sei das Heraustreten aus dem gewohnten Lcbens- kreise das beste Mittel.

Gott schütze Dich, mein Sohn!" flüsterte sie, indem sie ihre Hände auf Hektars Haupt legte und ihn aus die Stirn küßte.

Er erhob sich und setzte nun in schein­barruhigstem Tone seinen Reiseplan ausein­ander. Wie er sagte, würde er ohne Unter­brechung über Paris nach Nizza reisen, dort würde er eine Woche bleiben, oder auch etwas länger, um die wohlthuende Wärme des herrlichen südlichen Klimas zu genießen und gleichzeitig ein hübsches, einsam gelegenes Häuschen auszusuchen, wo sie Beide, Mutter und Sohn, später ungestört leben und Trost in ihrem Leid finden könnten. Vielleicht dehne er seine Reise noch weiter aus, jedenfalls werde seine Abwesenheit nicht lange währen, und wenn er zurückkomme, um die Mutter ab­zuholen, hoffe er schon halb geheilt zu sein von seinem Lebens-Ueberdruß.

Die bedauernswerte Mutter ließ sich durch seine Worte in süße Träume auf bessere Tage einlullen. Ganz glücklich würden sie Beide ja niemals mehr werden, das wußte sie wohl; aber sie hoffte wenig­stens den inneren Frieden wiederzugewin­nen ; und wenn die Erfüllung dieser Hoff­nung nur durch eine zeitweise Trennung von ihrem geliebten Sohn zu erkaufen war, so wollte sie sich gern in die grausame Notwendigkeit seiner Abreise fügen.

Nachdem sie sich einmal zu diesem Opfer entschlossen hatte, betrieb sie sogar die Abreise mit allen Kräften, damit ihm der Entschluß nicht etwa wieder leid werde. Sie willigte in Alles, selbst darein, daß Hektor noch am abend des nämlichen Tages seine Reise antrete.

Ja, Du hast Recht!" sagte sie zu ihm; reise noch heute abend. Morgen hätte ich vielleicht nicht mehr den Mut, Dich fort zu lassen . . .!"

Sie ließ es sich nicht nehmen, selbst alle Gegenstände zusammenzupacken, die sie zur Bequemlichkeit ihres Sohnes für nötig hielt; und bei dieser Beschäftigung verging ihr die Zeit so schnell, daß sie ganz erstaunt war, als ihr gemeldet wurde, der Wagen sei zur Abfahrt nach dem Bahnhofe bereit.

(Fortsetzung folgt.)

Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Meeh in Neuenbürg.