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dieses Belichten nachholen und fand zu seinem freudigen Erstaunen, daß die Platten bereits sichtbare Bilder enthielten. D. sing an, das alte Möbelstück als einen Wunderschrank zu betrachten. Da entdeckte er plötzlich, daß die meisten Risse und Fugen des Spindes Quecksilber enthielten, aus einem zerbrochenen Gefäße herrührend. Daguerre durchschaute sofort den Zusammenhang; und in der That erhielt er, indem er jodierte Silberplatten, welche er nur kurze Zeit dem Lichte ausgesetzt hatte, über Quecksilberdämpfe hielt, sofort dauerhafte Lichtbilder. Auf dieser Entdeckung, die man Daguerrotypie genannt hat, beruhen alle Verfahren der Photographie, so verschieden sic immerhin sind. 1838 legte Daguerre die ersten Proben seiner Lichtbilder, Humboldt, Arago, Gay-Lussac u. A. vor; für eine jährliche Rente von 6000 Fr., welche ihm die französische Regierung zahlte, gab er am 19. Aug. 18A9 in der vereinigten Sitzung der Pariser Akademien der Wissenschaften und der Künste das Geheimnis seine Kunst preis.
Miszellen.
Aer Mord bei Warville.
Kriminal-Roman von Paul Labarritzre.
Deutsch von Emil Neumann.
(Fortsetzung.;
Mitten im Zimmer stehen bleibend und in der Runde umherblickend, gedachte die würdige Dame der vielen Stunden, die Hektar hier in emsiger Thätigkeit zugebracht hatte, und sie dankte dem Himmel, der es so gnädig gefügt, daß man hoffen dürfe, den Genesenden bald wieder zur gewohnten Thätigkeit in diese Räume zurückkehren zu sehen.
Schon hatte sie das Schreibpult aufgeschlossen und zog nun den Schubkasten auf, in welchem — wie sie wußte — Hektar, außer den wichtigeren Papieren, auch seineBanknoten aufzubewahren pflegte.
Richtig, da lag ein ganzes Packet Banknoten; als sie einige davon herausnahm, bemerkte sie unter den Banknoten einen offenen Brief, der von der Hand ihres Sohnes geschrieben war. Kaum hatte sie die ersten Zeilen dieses Briefes gelesen, als sie erbleichte, und nach vergeblichem Versuch, sich aufrecht zu erhalten, neben dem Schreibpult niederstürzte.
Jene Zeilen lauteten:
„Herr Prokurator der Republik!
„Ich selbst bin der Mörder des Grafen von Bidione . . .!" Arme, unglückliche Mutter, deren Herz noch eben so freudig schlug in der sicheren Aussicht auf eine hoffnungsreiche Zukunft! Wo ist nun das Glück zu finden, von dem Du träumtest?
Jener Gauliot, den Du betrauertest, ist glücklicher als Du! Aus der Gefahr, die ihn bedroht, kannst Du ihn erretten, denn Du kennst jetzt den wirklich Schuldigen! Der kleinen Simone wirst Du den Vater zurückgeben, den sie beweint, denn es hängt ja nur von Dir ab, ihn den Händen der Henker zu entreißen!
Aber was wird dann aus Deinem Sohn? Und was wird aus Dir?-
Als die Köchin, beunruhigt durch das lange Ausbleiben ihrer Herrin, sich nach Hektors Arbeitszimmer begab, fand sie Madame Lauziäre besinnungslos auf dem
Fußboden ausgestreckt. Beim Niederstürzen mußte sie sich die Stirn verletzt haben, denn es rannen Blutstropfen aus einer Wunde an der Stirn über die Wangen hinunter.
„O mein Gott! sie ist tot!" schrie das Mädchen erschrocken, indem sie neben der Besinnungslosen niederkniete:
Madame Lauziere, durch diesen Schrei aus tiefer Ohnmacht erweckt, gebot dem Mädchen zu schweigen.
„Als ich hier, in diesen unerwärmten Raum eintrat," sagte sie, sich erhebend, „befiel mich plötzlich ein heftiges innerliches Frösteln, und ich wurde ohnmächtig.
— Deshalb brauchen Sie doch nicht das ganze Haus in Aufruhr zu bringen! Eine halbe Stunde Ruhe, und Alles ist vorüber! Hier haben Sie Geld!"
Mit diesen Worten reichte sie der Köchin einige Banknoten und verließ dann schwankenden Schrittes, aber scheinbar ruhig, das Gemach, den verhängnisvollen Brief in der Tasche. —
Zur selben Zeit, als die alte Dame über den Hausflur nach dem oberen Stockwerk hinaufgehen wollte, trat Herr Beulette in das Haus ein, aber nicht in seinem sonstigen gewählten Anzuge, sondern als Nimrod bekleidet und eine große Weidtasche über die Schulter gehängt. In der linken Hand die Jagdflinte, hielt er mit dem ausgestreckten rechten Arm einen feisten Hasen in die Höhe, und sagte, sich vor der Dame des Hauses verneigend:
„Erlauben Sie mir, Madame, Ihnen diesen König unserer Fluren, den zu erlegen mir gelang, als Freundschaftszeichen darzurcichen. Möge er beweisen, daß die kleinen Nadelstiche und die Seilenhiebe, welche Ihr Herr Sohn mir im Kriminalprozeß Gauliot versetzte, mein Herz nicht getroffen haben!"
Madame Lauziere verbeugte sich dankend, während der kühne Jäger den „König der Fluren" der Köchin übergab, die sich eiligst damit entfernte.
„Aber was ist Ihnen, Verehrteste?" wandte Herr Beulette sich wieder an die Dame, — „Ihr Herr Sohn ist doch nicht etwa wieder kränker geworden?"
„Nein es geht ihm so gut als möglich!
— Ich selbst fühle mich jedoch ein wenig erschöpft."
„Nehmen Sie sich wohl in Acht, daß Sie nicht ernstlich erkranken!"
„O, seien Sie unbesorgt; ... ich bin nicht so schwächlicher Natur ..."
„Das weiß ich wohl; indessen haben auch des Stärksten Kräfte eine Grenze, die er nicht ungestraft überschreiten darf-"
Schon wollte der Jnstruktionsrichter sich verabschieden, als er noch vertraulich fragte:
„Sie haben doch Ihre Vorsichtsmaßregeln für übermorgen getroffen?"
„Findet die Hinrichtung bestimmt an jenem Tage statt?"
„Ganz bestimmt.... übermorgen, Dienstag, Schlag sieben Uhr morgens!"
„Kann den Unglücklichen denn nichts mehr retten?"
„Nichts! Dem Unglücklichen — wie Sie ihn nennen — bleibt nichts weiter übrig, als sich auf seinen letzten Gang vorzubereiten, eingedenk der Dichterworte:
„Huu 8p68 vieti8, nullam 8perar6 8Ulut6M." —
Für Herrn Beulette schien es keinem Zweifel zu unterliegen, daß Gauliot dieses Dichterwort kannte und es sich als Trostwort für den letzten Gang in's Gedächtnis rufen werde. „Wenn er nun aber unschuldig wäre?" fragte Madame Lauziere.
„Er ist nicht unschuldig, . . . denn er ist verurteilt worden!"
„Ich setze den Fall, es hätte Jemand den Beweis seiner Unschuld in Händen.. ?"
„Wie kommen Sie darauf?"
„Ich interessiere mich für Rechtsfragen, als Witwe eines Rechtsgelehrten und Mutter eines Advokaten. Wäre Hektar nicht noch zu schwach, so würde ich mit ihm diese Frage erörtern."
„Nun denn, wenn Jemand Beweise für Gvuliots Unschuld in Händen hätte, so brauchte er sie nur dem Prokurator der Republik auszuhändigen, der die Vollstreckung des Urteils aufheben würde, falls die Beweisstücke sich als glaubwürdig erwiesen."
„Würde ein Brief genügen, worin der wirkliche Thäter seine Schuld bekennt?" fragte Madame Lauziere, deren Gesicht unbeweglich blieb, wie dasjenige einer Bildsäule.
„Unbedingt! Das wäre ein vom Gesetz vorgesehener Grund zu einer Revision der ganzen Prozedur . . . Aber unser Freund Gauliot hat auch nicht die geringste Aussicht zu einem derartigen Zwischenfall. Das Beste, was ihm noch begegnen könnte, wäre die Festnahme seines Mitschuldigen Framin, dessen Spur man bis Brüssel verfolgte. Leider hat man nichts von seinem weiteren Verbleib entdecken können; er ist völlig verschwunden. — O, wie viel schlaflose Nächte hat dieser Halunke mir bereitet! . . Doch, Verehrteste, es ist schon spät, und ich muß mich verabschieden, Leben Sie wohl, . . . und schonen Sie sich! . . . Ihre Hand glüht, als hätten Sie das Fieber! . . . Wachen Sie nicht mehr die Nächte hindurch am Bette Ihres Sohnes!"
Madame Lauziöre wachte thatsächlich in der nächsten Nacht nicht am Bette ihres Sohnes; zum ersten Male seit dessen Erkrankung ließ sie einen Diener an ihrer Stelle wachen. Sie zog sich in ihr Schlafzimmer zurück, wo sie sich einschoß und die ganze Nacht unbeweglich in einem Fauteuil zubrachte, die Augen unaufhörlich auf einen offenen Brief gerichtet, der vor ihr auf dem Tische lag.
Als der Morgen graute, ergriff sie jenen Brief, wie von einer unsichtbaren Gewalt getrieben; sie streckte die Hand langsam nach dem Kamin aus uud ließ, ohne hineinzublicken, den Brief auf die schon verglimmeuden Kohlen niederfallen. Eine Sekunde hindurch krümmte das Papier sich in die Höhe, dann schlug die Flamme durch und verwandelte es in Asche. —
In dieser einen Nacht war Hektors Mutter um zehn Jahre gealtert. — (Fortsetzung folgt.;
Auslösung der Charade in Nr. 19k.
Schneeball.
(Richtig gelöst hat auch Schüler A. Finkbeiner hier.)
Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Meeh in Neuenbürg.