er selbst wahre, natürliche Thränen! Er versetzt sich gänzlich an die Stelle seines Clienten und tritt für dessen Schuldlosigkeit mit solcher Zuversicht ein, daß man glauben möchte, er wisse, wer der eigentliche Schuldige sei! . . Das Feuer seiner Rede reißt am Schluß das ganze Auditorium zu enthusiastischem Beifall fort, genau so wie im Theater; und selbst der nicht allzu gefühlvolle Präsident ist so bewegt, daß er darüber vergißt, die Zuhörer wegen der Beifallsbezeugungen zur Ordnung zu srufen. Er wartet sogar ruhig ab, bis der Sturm sich gelegt hat, um sodann die Verhandlung wieder aufzunehmen und, nach Erfüllung einiger Formalitäten, den Geschworenen die üblichen Fragen vorzulegen, deren erste lautet:
„Ist der Angeklagte schuldig, den ihm zur Last gelegten Mord vollführt zu haben?"
In der zweiten heißt es:
„Sind mildernde Umstände vorhanden ?" — Behufs Beantwortung dieser Fragen zogen sich die Geschworenen in ihr Be- ratungszimmer zurück, während der Präsident und seine beiden Beisitzer mit feierlichen Schritten den Sitzungssaal nach der entgegengesetzten Seite verließen.
Auch der Prokurator der Republik sowie der Verteidiger zogen sich zurück, und der Angeklagte wurde von den Gendarmen bis zur Urteils-Verkündigung nach einem Nebenraum abgeführt.
Im Zuhörer-Raum entwickelte sich nun aber eine so ungezwungene Unterhaltung, daß man jetzt erst recht in den Glauben versetzt wurde, sich im Theater zu befinden, während einer Zwischenpause vor dem letzten Akt eines Dramas, über dessen Ausgang die Zuschauer ihre Vermutungen auswechseln.
Herr Beulette benutzte die Pause zu einem Besuch auf der Tribüne, wo er von den Damen freudig empfangen wurde, war scheinbar in der besten Laune, und pries die meisterhafte Anklage-Rede des Procurators, auf Kosten der Verteidigungs- Rede des Advokaten Lauziere, um dadurch seine Besorgnis über den Ausfall der Entscheidung zu verbergen.
Da es inzwischen Abend geworden war, so wurde der Saal durch einige Oel- lampen beleuchtet, die aber nur ein unheimliches Halbdunkel erzeugten; die Gerichtsdiener setzten noch einige Lampen auf den Richtertisch, während die Tische des Gerichtsjchreibers, des Prokurators und des Verteidigers nur durch je eine Kerze beleuchtet wurden.
Zur Erholung von den Anstrengungen der schon fünf Stunden dauernden Sitzung hatten viele der Zuhörer sich in die Corri- dore begeben, wo sie unter lauten Gesprächen umherwandelten, als plötzlich eine Stimme rief:
„Ist nicht hier ein Arzt anwesend?"
In Folge dieses Rufs trat der Doktor Roquy hervor, der eben einer Gruppe von Rechtsgelehrten ganz ausführliche Mitteilungen machte über sein in der vorliegenden Angelegenheit abgegebenes Gutachten.
Auf Ersuchen Desjenigen, der nach
einem Arzt gerufen hatte, folgte der Doktor diesem nach einem Nebensaal.
Allgemein fragte man, was denn geschehen sei?
„Der Angeklagte hat einen Selbstmord-Versuch gemacht!" sagte Einer, während ein Anderer meinte:
„Eine Dame ist ohnmächtig geworden."
Noch andere Vermutungen wurden ausgesprochen und widerrufen, bis plötzlich ein Glockenzeichen ertönte.
Schon hatten der Gerichtsschreiber und der Prokurator ihre Plätze wieder eingenommen ; jetzt traten auch die Geschworenen mit ernsten Mienen herein, aus denen selbst der geübteste Menschenkenner nicht hätte herauslesen können, welcher Beschluß gefaßt worden sei.
Eine tiefe Stille trat ein. die nur durch den Ruf des Huissiers unterbrochen wurde, der den Eintritt des Gerichtshofes ankündigte.
Gleichwie sie gegangen, kamen der Präsident und die beiden Richter mit feierlichen Schritten zurück und nahmen ihre Plätze ein.
Der Präsident entblößte das Haupt und erklärte die Sitzung für wieder ausgenommen, als der Huissier eilig an ihn herantrat und ihm einige Worte zuslüsterte, die den Vorsitzenden sehr zu erschrecken schienen. Er erhob sich und sagte mit lauter Stimme:
„Ich erfahre soeben, daß der ehrenwerte Herr Verteidiger des Angeklagten plötzlich von einem heftigen Unwohlsein befallen wurde, das ihm die Fortsetzung seiner Amtsthätigkeit für jetzt unmöglich macht! — Der Gerichtshof wird darüber in Beratung treten, was geschehen soll."
Diese Mitteilung verursachte eine gewaltige Aufregung, und man ergieng sich in allerlei Vermutungen und Befürchtungen.
Zum Glück dauerte die Beratung des Gerichtshofes nicht lange; man ernannte von Amtswegen für Gauliot einen Verteidiger aus der Zahl der anwesenden Advokaten, der nach Beseitigung einiger formeller Bedenken den von Hektor Lau- ziore leer gelassenen Platz einahm.
Der Präsident ersuchte nun den Vorsitzenden der Geschworenen, die Beantwortung der Fragen vorzulesen.
Dieser stand auf, das verhängnisvolle Papier in der linken Hand haltend, und sagte, die Rechte auf das Herz legend, feierlich :
„Auf meine Seele und mein Gewissen! Die Antworten der Geschworenen lauten:
Erstens: — auf die Frage: „Ist der Angeklagte schuldig, den ihm zur Last gelegten Mord vollführt zu haben?"
„Ja!" mit Stimmen-Mehrheit!
Zweitens: — auf die Frage: „Sind mildernde Umstände vorhanden?"
„Nein!"
Der Präsident und der Prokurator wechselten mit einander triumphierende Blicke; während der Instruktions-Richter, mit leuchtenden Augen um sich schauend, vor sich hinmurmelte:
„Tüchtige Männer, diese Geschwornen!"
Düsteres Schweigen herrschte unter den Zuhörern, die eine solche Entscheidung nicht erwartet haben mochten.
Nun wurde der Angeklagte Gauliot wieder hereingeführt; seine Miene war ebenso teilnahmlos wie immer, und sie veränderte sich auch nicht, als ihm die Entscheidung der Geschworenen mitgeteilt wurde. Man merkte ihm selbst dann keine Erregung an, als der Präsident > — nach Erfüllung der noch erforderlichen Formalitäten — schließlich die Todesstrafe gegen ihn aussprach. —
Nachdem man den Verurteilten fortgeführt, der Gerichtshof sich zurückgezogen, und auch alle klebrigen den Sitzungssaal geräumt hatten, verließ ein trauriger Zug das Gerichtsgebäude durch eine Hinterthür und bewegte sich durch die nun menschenleeren Straßen nach dem Wohnhause Hektor Lauzieres.
Voran schritt der Doktor R6quy, gesenkten Hauptes; ihm folgte eine von zwei kräftigen Männern getragene Bahre, die mit einem grauen Leinentuch verdeckt war, und wenn der Wind zuweilen dieses Leinentuch von einer Seite ein wenig in die Höhe wehte, so konnte man auf der Bahre einen bewegungslosen menschlichen Körper erblicken, der mit einer schwarzen Advokaten-Robe bekleidet war.
7.
Die Gräfin von Vidione an Jean Trescou.
„Paris. 8. Nov., 2 Uhr.
Mein lieber Jean!
Hektor, dicht vor Schluß der vorgestrigen Gerichtssitzung von einer Gehirn- Entzündung befallen, liegt im Sterben. Ich gedenke heute abend nach Marvillc abzureisen. Verlassen Sie mich nicht!- Es erwartet Sie
Ihre trostlose
Martha." —
^ean Trescou an die Gräfin von Vidione.
„Paris, 8. Nov., 3 Uhr.
Teure Cousine!
„Nicht Sie, sondern ich werde heute abend nach Marville abreisen. Ich sehe Sie noch vorher, erwarten Sie mich um 5 Uhr.
Ihr treu ergebener
Jean." —
(For tsetzung fo lgt.)
(Wenn Zwei dasselbe besingen, ist es nicht dasselbe.) Hebel feiert die Stadt Freiburg in einem alemannischen Gedichte mit folgender Strophe:
,,Z' Friburg in der Stadt sufer ischs und glatt, richi Herre, Geld und Gut,
Jungfere wie Milch und Blut, z' Friburg in der Stadt."
Dagegen scheut sich ein altes, in den angrenzenden Gauen heute noch gekanntes und gesungenes Spottlied nicht, zu behaupten :
„Weißt Du auch, wo Freiburg liegt? Freiburg liegt im Thale,
Wo es viele Mädchen giebt,
Aber auch brutale.
Hügelkröpfe haben sie Wie die Pommeranzen,
Schmieren sie mit Eiergelb,
Daß sie besser glanzen!"
Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Meeh in Neuenbürg.