5.
In Paris hatte der gewaltsame Tod des Grafen von Vidione einiges Aufsehen gemacht; man sprach fast eine ganze Woche hindurch davon. Alle Journale enthielten Berichte über die Beisetzungs-Feierlichkeit, die auf besonderen Wunsch der Madame Daupin sehr glänzend ausgestattet worden war. — Hinter den Coulissen derjenigen Theater, welche der Gras regelmäßig zu besuchen pflegte, wechselte man an einigen Abenden über ihn mehr oder weniger geistreiche Spöttereien, und im „Großen Club" widmete ihm der Herzog von Rilly, ein hochangesehenes Mitglied dieser ehrenwerten Vereinigung, ein bedeutungsvolles Wort der Erinnerung.
Als man ihm die Nachricht von dem Tode des Grasen von Vidione überbrachte, hielt der Herzog eben die Bank am Baccarat-Tisch. Ganz erschüttert legte er das Spiel Karten vor sich hin, und sagte nach kurzem Nachdenken feierlich:
„Schade um ihn! Er liebte das hohe Spiel."
Dann nahm der herzogliche Bankhalter die Karten wieder auf und das Spiel nahm seinen weiteren Verlauf.
Dies war der höchste Grad des Bedauerns, welches das Andenken an den Grafen von Vidione unter seinen Freunden erregte.
Am betrübtesten schien Madame Daupin zu sein. Zwar bekundete sich ihre Betrübnis zumeist durch ihre häufigen Besuche bei der Modistin, zur Anprobe der verschiedenen Trauer-Toiletten, andererseits jedoch entdeckte sie erst jetzt, nachdem der Gras aus dem Leben geschieden, wie sehr sie ihm zugerhan gewesen; „denn", sagte sie, „bei allen seinen kleinen Fehlern und Schwächen, war er doch immerhin ein echter Kavalier, ein wahrhaft vornehmer Mann!"
Die gute Dame wurde aber bald sehr unangenehm überrascht durch die Aufklärungen. welche die Nachlaß-Regulierung brachte. Der Graf war gänzlich mittellos gestorben, selbst das im Faubourg Saint- Honorv belegene stattliche Haus, ein Erbstück der Familie Vidione. war mit Hypotheken überbürdet. Ueberdies hatte er die Mitgift seiner Gemahlin bis auf den letzten Sou vergeudet.
Zudem stellte sich eines Tages ein Mann ein, der eine Rechnung von drei- undfünfzigtausend Francs sechszig Centimes vorzeigte für ein im Aufträge des Herrn Grafen an Demoiselle Nana Tran- chard geliefertes Mobiliar; sodann liefen sehr bedeutende Rechnungen ein für Schmuck, Toiletten. Pferde und Wagen; endlich meldeten sich eine Anzahl von Ehrenmännern, die dem nun Verblichenen baares Geld geliehen und dafür Wechsel erhalten hatten, die aber nicht eingelöst worden waren.
Madame Daupin, die sehr am Gelde hieng, riet dazu, alle jene Leute ohne Weiteres abzuweisen; die Gräfin jedoch bezahlte alle jene Forderungen, ohne zu feilschen. Da sie jede Erinnerung an die unglückliche Vergangenheit auszulöschen wünschte, so verlangte sie auch den Verkauf des Hauses im Faubourg Sainl- HonorL, trotz der Einwendung ihrer Tante,
die der Meinung war, der Besitz eines* so aristokratischen Hauses gebühre sich unbedingt für die Witwe eines hochadeligen Mannes.
Es fand sich bald ein Käufer, der für das schwerbelastete Grundstück einen verhältnismäßig hohen Preis bezahlte, und die Gräfin siedelte in eine freundliche Privat-Wohnung über, die sie in einem Hause des Boulevard Malesherbes mietete.
Madame Daupin äußerte darüber in einem Gespräche mit Jean Trescou: „Glauben Sie mir, Martha hat sich zu diesem Wohnungswechsel nur deshalb entschlossen, weil es ihr zu schmerzlich war, in denselben Räumen zu weilen, wo sie früher mit ihrem Gemahl lebte. — Hätten Sie, lieber Freund, jemals geglaubt, daß meine Nichte eine so innige Neigung für jenen Unwürdigen empfand, der sie hinter- gieng und einen großen Teil ihres Vermögens verschwendete? . . . Zum Glück ist sie noch immer reich genug, um jederzeit eine andere gute Partie machen zu können; denn ich stimme durchaus dafür, daß sie sich nach überstandener Trauerzeit, die ja doch einmal eingehalten werden muß, wieder verheiratet. — Ich weiß auch bereits mehrere, die ihr gern die Hand antragen möchten, z. B. Fürst Corcollano, der Marquis von Belleville und der Baron Rigault; aber der erstere hat einen zu fremdartigen Namen, der zweite ist nicht reich genug, und der dritte gehört keiner altadeligen Familie an!"
„Nun, und ich . . .?" fragte Jean Trescou.
„Sie?"
„Zähle ich nicht mit?"
„Ah, Sie scherzen, mein Lieber!" er- wiederte Madame Daupin, die ihre Worte mit einem Blick begleitete, der dazu bestimmt war. eine derartige Anmaßung ein für allemal zu beseitigen. Und von jenem Tage an erklärte Madame Daupin ihren Cousin für einen Menschen, der sich gern überhebt, wenn man ihn nicht in die gebührenden Schranken zurückweist.
Jean, der sich in seinem Innern über die Entrüstung der würdigen Dame köstlich amüsierte, teilte den Vorfall der Gräfin mit, indem er hinzufügte:
„Ich gebe Ihnen übrigens die Versicherung. daß ich, ohne meine Reise nach Marville, anmaßend genug wäre, als Bewerber aufzutreten!"
Die Gräfin errötete ein wenig bei dieser Anspielung, die sie aber nicht übelnahm, denn sie gab ihr eine erwünschte Veranlassung, sich einmal gegen einen vertrauten Freund, der ja in das Geheimnis ihres Herzens eingeweiht war, offen auszusprechen. Seit länger als einem Monat von Hektor getrennt und ohne Nachricht von ihm, fühlte sie das Bedürfnis, wenigstens über ihn und die Hoffnungen zu sprechen, die sie für die Zukunft hegte. Denn nun, da keine andere Pflicht sie fesselte, konnte sie ja frei und offen von ihrer Liebe sprechen. — Und auf diese Weise wurde Jean der Vertraute seiner schönen Cousine in allen ihren Herzens- Angelegenheiten. Er saß oft stundenlang mit ihr in ihrem Boudoir und hörte ihre Liebesversicherungen für einen andern mit an. O, wie wollte sie ihn — den andern
— in Zukunft entschädigen für seine gegenwärtige zarte Zurückhaltung, die sie ihm nie genug danken konnte!
So angenehm und reizvoll eine solche Vertrauten-Rolle bei einer schönen jungen Frau auch sein mag, — sie ist doch nicht ohne Gefahr, und Jean Trescou mußte seine ganze moralische Kraft zusammennehmen, um seine von Zeit zu Zeit immer von neuem sich regende Liebe zu unterdrücken.
„Wer weiß, was geschehen wäre," sagte er sich zuweilen, „wenn der Zufall sie nicht mit Hektor zusammengeführt hätte!" — (Fortsetzung folgt.',
Ein Denkmal für den Dichter des bekannten Kirchenliedes: „Wer nur den lieben Gott läßt walten", das im kommenden Jahre grade 250 Jahre alt ist, zu errichten, wird vom Pastor Stoltenberg in Süderbrarup projektiert und hat in weiteren Kreisen bereits allgemeinen An- klang gefunden. — Sehr Wenigen dürfte die Entstehungsgeschichte des Liedes, ebenso der Dichter desselben. Georg Neumark bekannt sein. — Im Jahre 1640 wurde Neumark auf der Reise nach Königsberg bei Gardelegen in der Altmark durch Räuber ausgeplündert; der aller Baar- mittel Beraubte bettelte sich über Magdeburg nach Hamburg durch und begab sich, als er auch hier seinen Lebensunterhalt nicht erringen konnte, nach Kiel, wo er durch eine unerwartete Fügung eine Hauslehrerstelle erhielt und noch an demselben Abend jenes Lied verfaßte. -- Später wurde der Dichter Sekretär des schwedischen Residenten von Rosenkranz in Hamburg und starb im Jahre 1681 als geheimer Archivsekretär und Bibliothekar in Weimar.
Stuttgart. Unter den mancherlei interessanten Dingen, welche der gegenwärtig hier veranstaltete Wohlthätigkeits- bazar aufweist, befindet sich auch ein Auto- graphen-Album. Persönlichkeiten aus der Gesellschaft, Vertreter von Kunst und Wissenschaft, auch die Königin, haben für dasselbe Beiträge geliefert. Neben sehr kuriosen Poesien enthält das Album auch einige recht wertvolle Eintragungen. Von letzteren verdient wohl der schöne Spruch hervorgchoben zu werden, welchen der Dichter Karl Gerok gewidmet hat:
„Der beste Autograph!
Auf Tafeln der Geschichte in Granit und Marmelstein
Schreiben mit des Schwertes Spitze Helden ihren Namen ein.
Mit der Feder flücht'gen Zügen schreibt ein schöpferisch Talent,
Seines Fleißes Meisterwerke auf Papier und Pergament.
Aber schöner als die Bücher, besser als in Stein und Erz
Schreibst Du Dich mit Liebesthaten in ein dankbar Menschenherz."
(Lakonisch.) Händler: Ich lasse Ihnen dieses Huhn um fünf Mark! — Käufer: (weggehend): Ich auch!
Bestellungen auf den Knzthäler
können täglich bei allen Postämtern gemacht werden.
Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Meeh in Neuenbürg.