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an dem dankbaren Schachtarbeiter den Segen der Arbeitergesetze so recht deutlich gesehen, auch nach der Richtung hin, daß sie eine freundlichere Stimmung und Stellung der Arbeiter ermöglichen, so war das hier noch mehr der Fall.
Als der Mann schied, stimmte er ein hohes Lied an auf Deutschland und seine „Reichshilfe", und das that meinem vaterländischen Sinne sehr wohl. Wird Deutschland gelobt, dann ist mir allemal, als ob ich selbst gelobt würde. Hartnäckig wie der lustige Grubenheimer gebrauchte auch der Schwede dieses Wort „Reichshilfe", und darum soll es auch als Ueber- jchrift stehen über diesem kleinen Bericht aus dem Gebiete der Seelsorge.
Der Ursprung der Marseillaise.
Es war zu Anfang der französischen Revolution; auch der Maire von Straßburg, Charon Dietrich, war einer ihrer glühendsten Anhänger geworden.
Als Freund Lafayettes und wie dieser der Konstitution mit Leib und Seele ergeben, versammelte er allabendlich eine Gesellschaft Gleichgesinnter in seinem Hause und täglich wurde der Kreis größer, den er beim schäumenden Becher durch seine Freiheitsreden mit sich fort riß. Zu seinen täglichen Gästen gehörte ein junger Offizier Rouget de Lisle, der in Straßburg in Garnison war.
Als Poet und Musiker zugleich bildete er den Mittelpunkt der Gesellschaft und oft hatte er durch sein Talent die sinkende Begeisterung wieder belebt. Da kam der unheilvolle Winter 1792 und mit ihm die Hungersnot; täglich zogen Schaaren von zerlumpten, bleichen Gestalten, nach Brot schreiend, durch die Straßen Straß- burgs. Auch das zu Beginn der Revolution so gastfreie Dietrich'jche Haus war verarmt.
Traurig und niedergeschlagen saßen die Freunde beim kärglichen Mahl. Die Frauen weinten; auch Rouget de Lisle, der „Liedermund" war verstummt und hatte heul' nicht einmal ein Wort zum Tröste.
„Es ist noch eine Flasche Wein im Keller," unterbrach Dietrich die Stille. „Leeren wir sie auf die Freiheit! — Wir werden bald in Straßburg ein patriotisches Fest feiern; wir brauchen ein Lied dazu, ein Lied, das die Menge entflammt und mit sich fortreißt! — Rouget soll aus diesem letzten Tropfen die Begeisterung zu einem Hymnus schöpfen, der in die Seele des Volkes die Trunkenheit überträgt, aus der er erstanden!"
Man holte den Wein herbei und füllte die Gläser von Dietrich und Rouget. Als beide die Gläser erklingen ließen, kehrte die Begeisterung noch einmal zurück und das eben noch so stille Gemach erbebte wieder von dem Ruf „Vivo la, liborto!"
Rouget starrte lange das Glas an, den letzten funkelnden Wein, wie die letzten Tropfen der versiegenden Hippokrene — dann trank er langsam, als gelobe er etwas dabei, bedächtig, als wäre es ein Zauber- trank. — Es war spät und die Nacht war kalt. Rouget wurde träumerisch. — Sein Herz war bewegt, sein Kopf erhitzt; die Kälte überfiel ihn. Schwankend erreichte
er sein Zimmer. Dort sah er lange vor sich hin. Er suchte die Begeisterung in seiner nach Freiheit schmachtenden Seele; er entlockte seinem Instrumente dumpfe Töne, lose, unvermittelte Akkorde.
Bald fand er die Melodie ohne das Wort; bald das Wort ohne die Melodie. Er konnte die Musik von der Poesie nicht trennen, das Gefühl nicht von dem Ausdruck. Die schwankenden Gestalten seiner Phantasie nahten sich ihm, erdrückten ihn fast, ohne daß er sie in Worte oder Töne hätte kleiden können. Unter diesem beängstigenden Gefühle schief er ein.
Am andern Morgen, als der Tag kaum graute und er gestärkt erwachte, hatten Wort und Melodie sich von seiner schöpferischen Seele losgelöst; die Töne klangen an sein Ohr, die Worte entströmten seinen Lippen.
Er schrieb die Komposition auf und stürzte zu Dietrich. Dieser weckte seine Frau, daß sie ihm accompagniere, rief die Freunde herbei und so wurde die damals noch namenlose Marseillaise im Hause des Maire von Straßburg von Rouget de Lisle, dem Dichter und Komponisten, vor dem kleinen Zuhörerkreis gesungen. Man war entzückt; man weinte und lachte; man jauchzte und begeisterte sich; das Vaterland hatte seine Hymne gefunden.
Sie ahnten noch nicht, daß es auch der Hymnus des Schreckens werden sollte.
Dieses Straßburger Lied flog von Stadt zu Stadt. Nicht als ob eine Menschenbrust es gesungen — nein - als hätte der Finger des Zeitgeistes Aeols- harfen berührt, als hätten Geister der Luft es an jedes Ohr gesummt.
In Marseille eröffnete und schloß man jede politische Versammlung mit diesem Lied, und die Marseiller sangen es auch auf ihren Revolutionszügen durch Frankreich: daher der Name Marseillaise.
Die alte Mutter von Rouget de Lisle, eine gute Royalistin und fromme Katholikin, schrieb ihm: „Was hat es denn mit dem Gesang zu bedeuten, der von wilden Horden, die plündernd durch Frankreich ziehen, gesungen wird und die unsern Namen dabei nennen?"
Die Zeiten hatten sich geändert, die edle Freiheitsgöttin hatte sich in eine rasende Furie verwandelt. Auf dem Kleberplatz zu Straßburg stand die Guillotine und Dietrich war einer der ersten, der die verhängnisvollen Stufen betrat.
Sein Wunsch war in Erfüllung gegangen: Das Lied hatte die Trunkenheit, der es entsprungen, in die Seele des Volkes getragen. Empörte Volksmasfen begleiteten ihn unter Absingung der Marseillaise zum Schaffot.
Rouget de Liste wurde als Anhänger der Gironde verbannt und da er als Flüchtling in den Schluchten des Jura umherirrte, war es sein Lied, das wie der Tod hinter ihm herjagke, dem er mit Mühe entkam. „Wie heitzt dieses Lied?" fragte er einen Bauern.
„Die Marseillaise," antwortete dieser. So erfuhr er auf der Flucht den Namen feiner eigenen Schöpfung. Er wurde verfolgt von dem Enthusiasmus, den er erregt. Die Waffe kehrte sich gegen die Hand, die sie geschmiedet. H. L.
Berlin. 8. Septbr. „Der Roman eines Findlings" überschreibt die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" folgende rührende Geschichte: Ein nur mit einem leichten Hemdchen bekleideter, zweijähriger Knabe war es, den vor etwa zehn Jahren an einem Winterabend Gäste des B.'jchen Restaurants in der Auguststraße beim Betreten des Hofes im Schnee liegend fanden und den sie in das Lokal hineintrugen, wo die Frau des Wirtes sich des Kleinen annahm. Frau B. meldete nun den Fund des kleinen Burschen der Polizei, welche feststellte, daß der Knabe der Sohn einer Gefallenen sei, welche, in einem Hause der Linienstraße wohnend, am Tage vorher nach der Chariio gebracht worden und die darauf im Kranlen- hause verschieden war. Das B.'sche Ehepaar suchte nun nach Verwandten des Kleinen, welche jedoch erklärten, von der Waise nichts wissen zu wollen, sodaß B. entschlossen den Kleinen an Kindesstatt annahm und, wiewohl er mit Glücksgütern nicht sonderlich gesegnet war, seinen Liebling doch aufs sorgfältigste erzog. B. siedelte im Laufe der Jahre nach der Friedrichstadt über, wo er in einem feinen Weinrestaurant Geschäftsführer wurde. Hier verkehrte u. a. auch ein Rittergutsbesitzer v. P., der eines inneren Uebels wegen in Berlin ärztliche Hilfe suchte. Diesem erzählte eines Tages B. die Geschichte seines Pflegesohnes. Von diesem Tage an blieb Herr v. P. aus dem Restaurant fort, ohne daß B. sich das Ausbleiben seines Gastes erklären konnte. Vor etwa vier Wochen wurde B. von einem Notar ersucht, bei ihm vorzusprechen. Hier stellte es sich nun heraus, daß v. P. der Vater des Kleinen gewesen, der damals in Berlin als Einjährig-Freiwilliger sein Jahr abgedient und ein Verhältnis mit der Tochter seiner Zimmervermieteriu gehabt, das nicht ohne Folgen geblieben. Das Mädchen hatte sich später einem liederlichen Lebenswandel ergeben und war aus der Wohnung der Mutter verschwunden, um in öffentlichen Balllokalen ihren leichtfertigen Lebenswandel fortzusctzen. Vor etwa acht Wochen ist Herr v. P. an einer Krebsoperation gestorben, und hat in seinem Testament seinem natürlichen Kinde ein Erbteil von 120 000 vermacht, welches bis zu dessen Mündigkeit B verwalten soll. Für Mühewaltung und bis jetzt verauslagte Erziehungsgelder hat der Verstorbene dem braven Adoptivvater 30 000 hinterlassen.
Gemeinnütziges.
sZur Versendung und Ueberwinterung von Tafelobsts giebt es kein geeigneteres Material als die Holzwolle. Sie wirkt gegen Fäulnis, erhält die Luft rein, schützt als schlechter Wärmeleiter vor dem Frost und erhält das Obst frijch. Wer seine Winteräpfel in gut gefügten, mn Holzwolle ausgefütterten Holzkisten und mit Holzwolle zwischen den einzelnen Früchten uno Schichten auf dem Speicher (nicht im Keller) ausbewahrt, der hat bis zu Ostern noch schönes Obst. Die verbrauchte Holzwolle ist noch zum Einlegen zwischen Fenster und Vorfensür, zum Einbinden von Wasserleitungsröhren, Brunnen u. s. w. sowie als Einstreu und zu Polsterzwecten zn verwenden, geht also nicht verloren.
Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Meeh in Neuenbürg.