617
Kronik.
Deutschland.
Die Nachricht, daß an die Witwe des bei der Eisenbahn-Katastrophe in Röhr- moos umgekommenen Oberforstmeisters 100 000ausbezahlt worden seien, wird nun als irrig bezeichnet. Die Verwaltung der bayerischen Staatsbahn habe bisher weder Vorschläge noch irgend welche Zugeständnisse in der Entschädigungsangelegenheit gemacht, sei aber in diesen Tagen durch die Angehörigen einer der beteiligten sächsischen Familien veranlaßt worden, dieser Frage nunmehr näher zu treten.
In Nierstein stürzte der neu erbaute Keller des Weingutbesitzers Bomper zusammen, wobei 22 Stück Niersteiner Wein zertrümmert wurden; das erste Faß lief vollständig aus; der Wein steht etwa 5 Fuß hoch im Keller. Der Gesamtschaden beträgt über 50 000 vlL
Aus Baden. Die Brauereibesitzer Meyer u. Söhne in Riegel haben ihrt Brauerei in ein Aktienunternehmen mi einem Grundkapital von 1 400 000 umgewandelt. — Zur Nachahmung verdient hervorgehoben zu werden, daßSonncn- wirt Frei von Löffingen den Hagelbeschädigten in Engen 77 Zentner Heu gespendet und Johann Gebertz von Löffingen das Heu umsonst nach Donaueschingen gefahren hat.
Vom Odenwald, 29. Ang. Eine nicht üble Verwechslung ist dem Hofbauer L. passiert, der den Viehmarkt in M. . . . besuchen wollte und für seine Tiere die vorgeschriebenen Zeugnisse vom Tierarzte mitnehmen sollte. Statt deren hatte er in der Eile die „Impfscheine" seiner Kinder eingesteckt und der anhaltende Polizist soll deshalb nicht wenig gelacht haben. Zum Glück blieb es bei einer Ordnungsstrafe, da die richtigen Papiere nach einer Weile zur Stelle geschafft wurden.
Pforzheim. Am Samstag nacht wurde wegen fortgesetzter Ruhestörung ein Goldarbeiter von Neuenbürg verhaftet. Der Tumult war derart, daß sich eine große Schaar Neugieriger auf dem Schauplatze ansammelte. (Pf. B.)
Württemberg.
Friedrichshafen, 30. August. Heute nachmittag statteten Ihre Königlichen Hoheiten der Großherzog und die Frau Großherzogin von Baden mittelst Extraschiffs von der Insel Mainau aus bei Ihren Majestäten einen Besuch ab und kehrten nach kurzem Aufenthalt wieder nach der Mainau zurück.
Die „Straßb. Post" schließt ihre sehr anerkennenden Berichte über die Jubi- läums-Schulausstellung in Stuttgart mit folgenden Sätzen: „Der württembergische Staat hat manchem das Lehrgeld bezahlt durch die Organisation des beruflichen Zeichnens, die Ausbildung des gewerblichen Fortbildungswesens, die Verallgemeinerung des beruflichen weiblichen Unterrichtes; er hat ausprobiert, eingeführt und verbessert, Männer in alle Länder geschickt, um im Interesse des
Landes zu sehen und zu studieren. Möchte die Zeit recht bald kommen, wo auch unser Gewerbe die Notwendigkeit erhöhten Strebens erkennt. Möchte Elsaß-Lothringen zum eigenen Vorteile jenem Lande nacheifern, das durch diese letzte Ausstellung wiederum bewiesen hat, mit welch großem Erfolge es seine Thätigkeit auf dem Gebiete der gewerblichen Erziehung durch Schulen entfaltet!"
In Ludwigsburg siel beim Umbau des Dachstockes am Tapezier Stahl'- schcn Hause in der Körnerstraße eine große Anzahl von alten Silbermünzen auf die Straße herab. Die älteste der Münzen trägt die Jahreszahl 1649, die jüngste 1750; es sind größtenteils württembergische Münzen, aber auch baden-dnrlachische, bayreuthische, hessische, französische. Die Münzen wurden von Vorübergehenden aufgelesen und der Eigentümer des Hauses hat nur einen kleinen Teil zurückerhalten.
Vaihingen, 30. Aug. In Kleinglattbach brachte heute eine Magd die Hand so unglücklich in die Futterschneidmaschine, daß ihr vier Finger abgetrennt wurden und die Hand infolge dessen schließlich noch abgenommen werden muß.
MiM-llen.
Wapokons Letzter Hag.
(Ein Epilog zum Sedantage von H. Treber.)
„Der Mensch erfährt, er sei auch, wer er mag, Ein letztes Glück und einen letzten Tag."
Der Mann des zweiten Dezembers und zweiten Septembers huldigte noch immer der schon zu Anfang seiner Regierung veraltet gewesenen gesellschaftlichen Sitte der Souvenir-Album oder Stammbuchverewigungen, und auch unser Heimgegangener Kaiser Friedrich, als er am Ende des Jahres 1856 sich in Begleitung des Herrn v. Moltke am Hofe Napoleons befand, entgieng nicht der Aufforderung, irgend ein Impromptu dem Stammbuch des Herrschers der Franzosen einzuverleiben. Gar illüstre Persönlichkeiten, darunter ein großer Teil europäischer Potentaten, hatten hier anscheinend flüchtig, aber doch meist wohlerwogen, einen „Gedankensplitter" hingeworfen. Es waren alle Sprachen vertreten Das ziemlich voluminöse, kostbar ausgestattete Album — es hat einen „positiven" Werl von über 80 000 Francs — befand sich, wie man bestimmt versichern kann, noch im Jahre 1874, als die verwitwete Kaiserin in Chislehurst weilte, in deren Besitz und dürfte dies auch noch heute sein.
Besagtes interessantes Stammbuch holte Napoleon eines Tages — es mag im Jahre 1868 gewesen sein — plötzlich hervor und unterbreitete dasselbe der eben von Bougival nach den Tuilerien zu Besuch gekommenen Freundin der Kaiserin, der Fürstin Pauline von Metternich, — Gattin.,dcs damaligen österreichischen Botschafters.
„Sie fehlen noch immer, Fürstin", sagte Napoleon und überreichte der Letzteren eine bereits eingetauchte Feder. „So, bitte — aber denken Sie nicht erst
viel nach, schreiben Sic, was Ihnen gerade einfällt, so etwas recht Prickelndes, Pikantes, wie man es von Madame Pauline gewöhnt ist."
„Darf es in der That nichts Ernstes sein, Sire?" erwiederte die Fürstin mit graziösem Lächeln, das einzig Schöne, das sie außersihrem eminenten Geist und Witz ihr Eigen nannte.
„Schreiben Sie, was Sie wollen, Fürstin. Aus Ihrer Feder geflossen, kann das Ernsteste nur humoristisch-geistreich klingen und wirken."
„Sehr schmeichelhaft, Sir", erwiderte Fürstin Paulinc, die Tochter des wilden ungarischen Grafen Sandor, berühmtesten Reiters seligen Angedenkens. Und sie ergriff die ihr hingehaltene Feder und schrieb folgende Worte in das Album:
„Der Mensch erfährt, er sei auch, wer er mag, Ein letztes Glück und einen letzten Tag!"
tu, bonlieur, ein deutsches Vers", sagte der Kaiser in seinem scharf accentu- ierten und meist falsch formierten Deutsch. Und dann las er die zwei Zeilen ohne besondere Schwierigkeiten herunter, „vern- iore bonllaur, ckormor jour!" sprach er mit einem komisch-tragischen Seufzer hinterher. „Wie sentimal das klingt! Ich wette, Fürstin, daß, hätten Sie irgend einen x-beliebigen Gedanken in Ihrer eigentlichen Muttersprache, der ungarischen, so würde er sicherlich weit flotter und lustiger klingen. Doppelt hält besser, Fürstin; darf ich Sie bitten, mir auch noch etwas in dieser so sympathisch klingenden Sprache zu verzeichnen? „Madame", wandte er sich an die Kaiserin, „Pardon, wenn ich Ihre Geduld auf die Probe stelle, aber die Metternich wird, so gütig
sein-" Und die Metternich war so
gütig und schrieb noch zwei Zeilen in ungarischer Sprache:
„Lüugba. borul s .2 6Z,
Hs, ü nax en/osilc."
„Und das würde in eine mir bekannte Sprache übersetzt lauten?"
„Blutig rot erglüht das Firmament,
Und der Tag, er neigt sich!"
„So schließt ein herrliches Gedicht unseres unvergeßlichen ungarischen Schiller, Alexander Petöfi", berichtete die Metternich, die Feder weglegend.
„Wo haben Sie heute Ihren sonst so sprudelnden Humor gelassen, Fürstin? sagte Napoleon. „Seinen letzten Tag erfährt man früh genug, — wenn er sich der Erde zugeneigt hat!
Allons, Fürstin, erzählen Sie uns den neuesten Klatsch aus dem Quartier St. Germain. Also der Marquis de Grassey soll wirklich mit der ehrbaren Frau seines Schneiders durchgegangen sein? Muß der Mann lange Weile gehabt haben! Und welche Thorheit, erst durchzugehen! Ja, ja, meine Franzosen verfallen noch den tollsten Ideen, wenn wir nicht bald ein wenig Krieg haben!"
-I-
(Schluß folgt.)
Westell'ungen auf den HnzilMr
können täglich bei allen Postämtern gemacht werden.
Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Meeh in Neuenbürg.