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ließen ihn liegen und gingen weiter. Nun suchte er sich selbst mit Ausbietung aller Kräfte weiterzuarbeiten, was ihm auch gelang, und am Wagen angekommen, band er sich selbst darauf fest und fuhr hieher vor die Polizeiwache. Hier wurde dem unglücklichen und wie wir hören sehr braven und zuverlässigen Dienstboten die nötige Hilfe geleistet.
Ludwigsburg. 22. Aug. Die neue Kanzel für die verbesserte und verschönerte Stadtkirche, in der hiesigen Orgelbauanstalt von E. F. Walcker u. Cie. nach dem Entwürfe von Architekt Bauder in prächtiger Eichenholzschnitzerei kunstvoll ausgeführt, kann jetzt in der permanenten Ausstellung des Kunstgewerbevereins in Stuttgart besichtigt werden.
Heilbronn, 24. August. Neuer Wein! Ein Zeichen, wie weit unsere Trauben bereits vorgeschritten sind, dürfte sein, daß heute schon neuer Wein hier getrunken wird. Derselbe ist aus Frühtrauben aus dem Gartenweinberge des Herrn Heinr. Sauber hier gekeltert und wird bei C. Fleinerz, Rebstock das halbe Liter zu 40 Pf. ausgeschenkt. Im allgemeinen stehen unsere Weinberge sehr schön und gehen bei günstiger Witterung rasch der Reife entgegen.
Stuttgart, 24. August. Kartosselmarkt: 400 Ztr. ü 2 80 bis 3 ^ 50 ^
per Ztr. — Filderkraut: 4000 Stück. 10 bis 15 Per 100 Stück. — Mostobst württ.: 200 Ztr. ü 5 50 ^ bis 5 ^ 80 pr. Ztr.
Ausland.
Frankreich. Die Wahlvorbereitungen nehmen einen lebhaften Fortgang. Wie aus Paris gemeldet wird, ist die boulangi- stische Partei bereits mit ihrer Bewerberliste auf dem Plan erschienen. Unter den fünfhundert veröffentlichten Namen sind blos 22, die man allenfalls als republikanische bezeichnen kann; alle übrigen gehören den Bonapartisten und Monarchisten an.
Der Intendant des Herrn Boulanger im Kriegsministerium, der in letzter Zeit vielgenannte Reichert, ist einer Pariser Meldung zufolge nunmehr definitiv wegen pflichtwidrigen Vergehens seines Amtes entsetzt worden.
Herr Antoine, von dem es in letzter Zeit still geworden ist, gedenkt sich, um die Reklame-Trommel für sich wieder in Bewegung zu setzen, den Wählern von Neuilly als Kandidat zu präsentieren. Die Hoffnung, an Stelle Boulangecs die Hoffnung Frankreichs zu werden, hat er wohl aufgegeben.
Der italienische Ministerpräsident Crispi hat soeben eine vor mehr als 30 Jahren von ihm verfaßte Broschüre (im Jahre 1857 erschienen) verbreiten lassen: „Jtalia o Francia." Die Broschüre trägt als Nachschrift folgenden Satz: „Wenn Italien von Frankreich allein seine Unabhängigkeit und seine Einigkeit zurückerhielte, so würde letzteres noch nicht einmal all' das Unrecht wieder gut machen, welches jenem im Lauf der Jahrhunderte durch Frankreich zugefügt wurde." — Die Broschüre zählt alle französischen Invasionen seit Karl dem Großen auf.
Mizellen.
Der Sonnenwirt.
Von Erich Norden.
(Nachdruck verboten.)
(Schluß.)
Ehe Franz noch etwas sagen konnte, wurde die Thür heftig aufgemacht und die Sonnenwirtin trat ein: „Franz", flehte sie unter Thränen und voller Angst, „kommen Sie mit zu meinem Mann, es ist zu viel für ihn gewesen, er fiebert und redet irre."
Franz folgte ohne weitere Ueberlegung der Schwägerin und stand ihr in den folgenden Tagen treu zur Seite.
Der Sonnenwirt lag im heftigsten Fieber. Er richtete sich im Bett auf, schaute voller Angst um sich, schlug die Hände zusammen und rief wieder und wieder: „Armer, armer Franz! Ein ganzes verlorenes Leben, o Gott erbarme dich!"
Franz saß an des Bruders Lager, faßte seine heißen Hände, wie um ihn zu beruhigen. Die Augen wurden ihm feucht und das Herz that ihm weh, als der Sonnenwirt plötzlich voller Todesangst nach dem Fenster wies: „Die Rosel, die Rosel! Sie sagts wieder und wieder: verflucht sei der Sonnenwirt und was zu ihm gehört! — ja, ja, arme Rosel! armer Franz! und verflucht der Sonnenwirt!"
Im Dorfe hatte sich die Kunde von dem, was sich in der Sonne ereignet, gar schnell verbreitet und mit Spannung wurde die weitere Entwicklung erwartet. Halb voll Neugier, halb voll Teilnahme versammelten die Gäste sich in der Sonne, welche die Sonnenwirtin mit rotgeweinten Augen bediente. Die größte Teilnahme galt aber ^der Rosel und dem fremden Mann, und es war keinem nach Sinne, daß die Rosel ihr Häuschen nicht verließ und der Fremde sich auch nicht sehen ließ.
Wenn erst der Sonnenwirt gesund wurde, muße ja alles anders werden. Den Sonnenwirt verließ das Fieber und er wurde wieder gesund, aber er war und blieb ein gebrochener Mann, über dessen Lippen kein Lächeln mehr kam und dessen Augen nie mehr froh blickten.
Das eigene schwere Unrecht, das er erlitten, hatte ihn trotzig, hart und bitter gemacht. Die Erkenntnis aber, daß er seinem Bruder durch ungerechten Verdacht und ungerechte Beschuldigung sein ganzes Leben zerstört und gestohlen — und somit auch der Rosel das Leben zerstört auf ungerechte Weise, — brach ihm den Trotz und das Herz.
Obgleich ihn der Bruder Stunde um Stunde auf herzlichste Weise der Vergebung versicherte, obgleich die Rosel zu ihm kam und ihm zur Versöhnung die Hand reichte, so war er doch nicht aufzurichten.
Von früh bis abends saß er in seiner Stube, angesichts des Schreibtisches, der erst das Dunkel verursacht und schließlich das Licht herbeigeführt hatte.
Er war durch nichts und durch niemand zu bewegen, die Leitung des Gasthauses wieder in die Hände zu nehmen, überließ jegliche Anordnung und jegliches Geschäftliche seiner Frau. — Nur die Regelung des von seinem Vater vererbten
Vermögens und die Vergleichung mit Franz hatte er selbst übernommen und durchgeführt, voller Entsetzen aber jeden Anteil an den 3000 Thalern zurückgewiesen Und als Franz sich weigerte, dieses Ka^ pital unbedingt entgegenzunehmen, geriet der Sonnenwirt in so furchtbare Aufregung, daß, um einen Krankheitsfall zu verhüten, Franz stillschweigend in alles willigen mußte. — Da erst wurde der Sonnenwirt wieder ruhiger.
Diese Vermögensausgleichung war des Sonnenwirles letzte Thätigkeit. Von da an saß er nur noch still am Fenster, grübelnd und seufzend und wenn Franz kam, faßte er seine Hände, streichelte sie, sah ihn traurig an und sagte: „Armer, armer Franz!"
Einmal noch, als der Sommer sich zu Ende neigte, verließ der Sonnenwirt aus eigenem Antrieb sein Haus.
Im Dorfkirchlein fand eine eigentümlich bewegende Feier statt. Dort standen ein Bräutigam und eine Braut mit schneeweißem Haar, und was vor dreißig Jahren ihr Wunsch und ihre Sehnsucht gewesen war, erfüllte sich jetzt, wenn auch in anderer Weise, mit anderen Empfindungen als sie es damals erwartet hatten. Pastor Hellmann gab ihre Hände zusammen, damit das greise Paar die letzte Lebenszeit, die Gott der Herr ihnen noch schenkte, zu- sammenwandle in Liebe und Dankbarkeit.
Hinter dem Franz und der Rosel stand das liebliche Pastor-Grethchen im weißen Kleide, sie hatte durchaus bei der Rosel „Brautjungfer" sein wollen, wie sie stolz und glücklich sagte.
Die Feier hatte ganz in aller Stille stattfinden sollen, aber einer hatte es dm andern gesagt und das Dorfkirchlein war bis auf den letzten Platz gefüllt und wenige Augen blieben trocken.
Der Sonnenwirt brach fast zusammen, als er nach beendeter Feier zu Franz trat und seine Hand erfaßte: „Armer Franz!" sagte er wieder, „erst jetzt nach dreißig Jahren."
Des Sonnenwirts gebrochene Gestalt war eine laute Predigt gegen Herzenshärte und vorschnelle Verdächtigung, und die Predigt drang tief ins Herz.
Wenige Tage später schlug des Sonnenwirts letztes Stündlein.
Franz hielt seine Hände bis zum letzten Augenblick, und als der Sonnenwirt mit einem leisen: „Gott erbarme dich!" den letzten Atem ausgehaucht hatte, kam es wie ein Friedensgruß aus jener Welt zu denen, die am Todenlager knieten. Und Friede lagerte sich über das Antlitz des Entschlafenen.
(Ein Ohrenschmaus.) „Gestern hatten wir wirklich einen großartigen Ohrenschmaus." — „So, Sie sind im Konzert gewesen?" — „Nee, aber wir haben Erbsen mit Schweinsohren gegessen!"
Der Gesamtauflage unserer heutigen Nummer liegt ein Prospekt betreffend die (gegen Rheumatismus, Gicht, Kopf- und Nervenschmerzen) ärztlich empfohlenen
chemisch imprägnierten Wollunterkleider und Wollstoffe von A. Friedrich's Wollstoff-Versand in Eßlingen a. N. bei.
Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Meeh in Neuenbürg.