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empfand? War das Ruhe, was ihn Hinaustrieb in die Nacht, während andere schliefen? War das Ruhe, das ihn zu dem blumengeschmückten Fenster Hinschauen ließ? Seine Haare waren schneeweiß, und seine Züge nicht nur von der Sonne verbrannt, sondern vom Alter durchfurcht, und doch schlug und hämmerte sein Herz, daß er seinen lauten Schlag hörte in der Stille der Nacht. Ueber die Hand, mit welcher er den Kopf stützte, rannen heiße Thränen. Warum schlug sein Herz und warum rannen die Thränen? Warum schauten seine Augen nach Rosels Fenster, warum streckte er seine Hand aus und sagte leise einmal um das andere:Rosel! Rosel!"

Er hatte ein Recht dazu. Das ein­same alte Mädchen da drüben mit dem weißen Haar war einst seine Rosel ge­wesen, seine Braut, als sie jung und schön war und das Leben ihnen lachte vor dreißig dreißig langen Jahren. Wenn ste's wüßte, daß Franz, ihr Franz, an dessen Namen Schande klebte, der für einen gemeinen Verbrecher vom eigenen Bruder gehalten worden, zurückgekehrt war übers Meer, weil die Sehnsucht nach der Heimat ihm am Herzen fraß! Ob sie ihm die Hand reichen würde? Doch, doch, sie würde es, auch wenn sie alle sich von ihm abwendeten; hatte sie sich nicht gestern abend weinend über seinen Brief gebeugt? Hatte sie nicht alles, was er ihr einst geschenkt, aufbewahrt? Wie mochte es ihr ergangen sein während der dre'ßig Jahre? War's auch der Gram, der ihr Haar gebleicht hatte, der Gram um ihr verlorenes Leben und um seines?

Und der Bruder, der sein und ihr Leben zerstört, war ein Verbrecher, büßte seine Schuld im Zuchthaus ab für Lebens­zeit. Er hatte gehofft, daß einmal noch ein Augenblick kommen müsse, da der Bruder bereuen müsse und zurücknehmen, was er gesagt. Nun schwand auch diese Hoffnung, und wollte er sich auch hier eine neue Heimat gründen, mußte er doch ein Fremder bleiben, unter angenommenem Namen leben. Herr Gott, es war eine entsetzliche Last, leben zu müssen als ein Gebrandmarkter und doch mit dem Bewußt­sein, das Unrecht, welches ihm das Brand­mal aufgedrückt, nie begangen zu haben.

Keiner würde erraten, wer es sei, niemand würde ihn erkennen, dreißig ver­lorene Jahre hatten nicht umsonst an ihm gearbeitet, sie hatten den letzten Rest ver­wischt von dem, was er einst war.

Er war in seinem Heimatsdorfe ge­wesen, um Erkundigungen einzuziehen, niemand hatte ihn erkannt. Er konnte es wagen, Rosel cntgegenzutreten, wenn der Zufall es fügte, sie würde ihn nicht erkennen. Wenn er nicht gewußt hätte, daß sie es war, hätte er sie auch nicht erkannt: Dreißig verlorene Jahre hatten auch an ihr ihre Arbeit gethan.

Und Abend für Abend kehrte John an denselben Platz zurück, ob es eine stille, sternenhelle Nacht war oder ob der Sturm tobte und der Regen vom Himmel herniederrauschte. Und immer trat er wenigstens für einen Augenblick dicht ans Fenster heran, warf einen Blick in das Stübchen und nannte leise Rosels Namen.

Im Dorf gab es erst des Redens und Berwunderns viel über den Fremden, der das Gasthaus gekauft und ihm sein altes Schild hatte wiedergeben lassen.

Aber wie es mit allen Dingen ist, so war es auch hier. Nachdem acht Tage lang die Neugier und das Kopfschütteln an der Tagesordnung gewesen, war alles wieder im alten Geleise, hatte das Neue seiuen Reiz verloren. Die Bauern meinten, sie hätten anderes und besseres zu thun, als sich um einen fremden Mann mit schnurrigen Einfällen zu scheren.

Nur für die Mädchen aus der Strick­stunde behielt der Fremde einen eigenen Reiz. Sie sprachen täglich von ihm und wenn ihn eine auch nur aus weiter Ferne gesehen hatte, so erzählte sie's dann bei der Rosel triumphierend.

(Fortsetzung folgt.'!

(Eine interessante Episode aus dem deutsch-französischen Kriege), welche durch das große deutsche Turnfest in München gewissermaßen aktuell geworden ist, sei hiermit erzählt: Es war während der trotz der eisigen Temperatur, die herrschte heißen Kämpfe, welche im Dezember 1870 das deutsche Heer der von Aurelles de Paladine befehligten Loire-Armee lieferte. Eine preußische und eine bayerische Armee standen Schulter an Schulter auf einem der Hügel, die sich längs der Loire er­heben, und feuerten gegen die von den Franzosen besetzten Positionen. Die Bayern waren mit solchem Ungestüm ins Zeug gegangen, daß sie sichverschossen" hatten, und ein Hauptmann trat an einen Offizier der preußischen Batterie mit der Bitte heran, ihm einige Munition zu überlassen. Der Preuße willfahrte dem Gesuch, und eine Portion Sprenggeschosse wurde auf einen Karren verladen. Da sprengte der

preußische Regimentskommandeur heran und erkundigte sich nach dem Sach­verhalt. Er zeigte sich sehr ungehalten darüber, daß die Bayern nicht sparsamer und vorsichtiger mit ihrem Schießmaterial umgingen, und bereitete dem bajuvarischen Hauptmann ein förmliches Donnerwettter. Dieser ließ dasselbe unbeweglich, wie es sich einem Untergeordneten gegenüber einem Rangvorderen geziemt, über sich ergehen, schwenkte dann salutierend ab und ritt mit der Munition zu seinen Leuten. Da kam ihm ein Unteroffizier entgegen, der den Hauptmann mitkönigliche Hoheit" an­redete. Nun wurde der Oberst stutzig, erkundigte sich bei seinem Adjutanten, setzte dann sein Pferd in schärfsten Trab, um den Bayer einzuholen. Er stieg vom Roß herunter, verneigte sich tief.Königliche Hoheit", sprach er,ich wußte nicht, mit wem ich die Ehre hatte zu reden. Wollen gütigst meinen barschen Ton entschuldigen

aber meine Bemerkungen über den

unnützen Verbrauch der Munition muß ich aufrecht erhalten."Und daran thun Sie recht, Herr Oberst", erwiderte der bayerische Hauptmann, der niemand anders war als Prinz Ludwig von Bayern, der Redner vom Turnfest. (F. I.)

Welches Schreibwerk die Verwalt­ung einer 1'/- Millionenstadt wie Ber­lin erfordert, ist aus einem Berichte der

Deputation für Beschaffung der Schreib­materialien rc. an den Magistrat ersicht­lich. Nach demselben waren im Vn- waltungsjahr 1888 89 erforderlich: 7 329 240 Bogen Papier, darunter 6 123 915 Bogen Druck- und 1 205325 Bogen Schreibpapier. Zu metallografischen Vervielfältigungen sind verbraucht worden 320 546 Bogen, zu hektografischen Ab­zügen 17 200 Bogen. Zusammen wäre das ein Papierverbrauch in einem Jahre von 7 676 986 Bogen. Hierzu treten noch 60155 Stück Couverts mit gedruckter Adresse und 315 910 ohne gedruckte Ad­resse. Ferner sind noch verbraucht wor­den 1886 Liter schwarze Tinte, 58'/- Liter rote und blaue Tinte, 2725 Gros Stahlfedern, 41 Bund Federhalter L 25 Stück, 18 123 Stück Bleistifte, 6356 Stück farbige Stifte, 637 Pfund Siegellack, 85'/- Pfund Oblaten, 211 Federmesser, 175 Papierscheeren, 444 Flaschen Stempel­farbe rc.

Der Abzug vonPorto. Bekannt­lich hat das Reichsgericht schon längst ent- ? schieden, daß der Abzug des Portos bei ! Bezahlung von Rechnungen mittels Post­anweisung unstatthaft ist. Das scheint aber wenig bekannt zu sein oder aber nicht genügend beachtet zu werden. Solche Knickerei ist einem Geschäftsmann in Dort­mund teuer zu stehen gekommen. Er hatte 20 Pf. an dem schuldigen Betrage von 3 -M 90 abgezogen. Der Empfänger war hiermit nicht einverstanden und cs kam infolge dessen zur Klage, welche siir den Verklagten ungünstig ausfiel. Der Prozeß um die 20 Pf. verursachte chm 19 60 Kosten.

Eine seltene Naturerschein­ung ereignete sich vergangenen Sonntag in St. Pierre d'Abigeg (Savoyen.) Bei einem heftigen Gewitter regnete es plötzlich eine Menge kleiner Kröten. Die­selben hatten etwa die Größe eines 2- Frankstücks.

Die Emigranten.

Ein X und ein stolzes Ipsilon,

Die lagen im Setzerkasten;

Dort mußten die Beiden seit Jahren schon Mit blutendem Herzen rasten.

Die Setzer, die griffen nur immerfort Nach ganz gewöhnlichen Lettern,

Und manch' empfindliches Stichelwort Verhöhnt die exotischen Vettern.

Da haben, der schweren Unbill satt,

Zu fliehen die Beiden beschlossen;

Der deutschen Sprache Beschränkung hat Sie tief in der Seele verdrossen.

An alle diejenigen, welche Tiere töten.

Blutig ist ja Dein Amt, o Schlachter, darum übe es menschlich,'

Schaffe nicht Leiden dem Tier, das Du zu töten bestimmt!

Leit' es mit schonender Hand und töte es sicher und eilig;

Wünschest Du selbst ja auch:Käme doch sanft mir der Tod."

(Wandinschrist im Siegener Schlachthaus.)

Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Meeh in Neuenbürg.