536

daß wir innerhalb 12 Stunden 4 Selbst­morde zu verzeichnen haben. In Hes­lach, Bothnang und Feuerbach hat je ein junger Bursche sich erschossen; in Cann­statt ein verheirateter Mann sich den Hals abzuschneiden versucht.

Ulm, 1. August. Ulm befindet sich gegenwärtig im Belagerungszustände, denn es wird hier eine Belagerungsübung vor­genommen, welche viele interessante Kriegs­bilder bietet. Gestern früh wurden zur Erprobung der Transportfähigkeit wohl ein Dutzend schwerer Festungsgeschütze von hier über Herrlingen, Mähringen, Lehr, Jungingen nach Haslach gefahren. Vor letzterem Orte wurde im Laufe des gestrigen Tages eine Batterie vollkommen feldmäßig gebaut und mit 15 ein Ring­kanonen armiert. Ebenso in letzter Nacht eine Batterie 10 Minuten südlich neben dem Wäldchen. Die Richtung der Ge­schütze ist auf die Stadt Ulm. Sodann hat der Angreifer im Bösinger Wäldchen Thalfingen zu ganz versteckt eine Mörser­batterie angelegt, die demnächst gegen das Alpeckerfort donnern wird. Hinter letzterem flogen gestern nachmittag mehrere Minen auf.

Der Hagelschaden des Gewitters vom 13. Juli ist nach demRottenb. Neckarboten" in Hemmendorf an Ge­bäuden auf 50 000 an Feldfrüchten auf 160000 -/sL, in Dettingen an Ge­bäuden aus 8500 an Feldern auf 135 000 cM geschätzt, beträgt also in diesen beiden Gemeinden sogar mehr als in Mössingen, Oeschingen, Dußlingen rc. und steht nur demjenigen in Ofterdingen nach. Auch in Frommingen und in Hirr- lingen ist der Schaden sehr groß.

Höpfigheim, 28. Juli. Heute wurde hier ein junger Mann von 16 Jahren, namens A. Weller beerdigt, der beim Pflügen einen Insektenstich ins Ohr erhalten hatte. Blutvergiftung hatte seinen Tod herbeigeführt.

Calw, 31. Juli. Heute vormittag 9 Uhr fand im Saale des Georgenäums der feierliche Schlußakt des abgelaufenen Schuljahres des Reallyzeums statt, Heuer zum erstenmale nicht mehr im Frühjahr, da seit Einführung der neuen Ferien­ordnung auch hier der Schuljahrsanfang in Uebereinstimmung mit den übrigen höheren Lehranstalten des Landes in den Herbst verlegt worden ist.

Wildbad. Bis zum Schluß v. Mts. beziffert sich die Zahl der Kurgäste auf 4051.

Ausland.

London, 2. Aug. Die Morgen­blätter widmen dem deutschen Kaiser warme Willkommenartikel.Morningpost" schreibt:Der Kaiser sei die sichtbare Verkörperung der Idee des europäischen Friedens. In dem Bestehen des großen deutschen Heeres erblicke England keine Drohung; England begrüße daher den Kaiser mit Achtung und Herzlichkeit. Wenn der Kaiser die lange Reihe der salutieren­den Kriegsschiffe passiere, so werde er die Merkmale des Willkommens sehen, als auch den sichtbaren Ausdruck der Stärke und Solidität der für beide Länder so viel verheißenden englischen Allianz."

Frankreich. Die Säuberung der Aemter von den Boulangisten setzt die Re­gierung eifrig fort. Es geht das Gerücht, 3 Generäle seinen gleichfalls gemaßregelt worden wegen boulangistischer Gesinnung.

Türkei. Ein Telegr. desStandard" aus Athen berichtet von einem blutigen Zusammenstoß zwischen Christen und Muha- medanern auf Kreta. Ein von 150 christlichen Familien bewohntes Dorf ward total niedergebrannt. Der griechische Kon­sul sandte seine Familie nach Syra.

Miüft-llen.

Aer Sonnenwirt.

Bon Erich Norden.

(Nachdruck verboten.)

(Fortsetzung.)

Das war vor dreißig Jahren gewesen. Der Sonnenwirt hatte diese Erinnerungen immer zurückgedrängt, so viel er konnte. Aber jetzt, in der einsamen Zelle, in den langen Nächten, kamen dieselben und fluteten über ihn, daß er vermeinte unter den reißenden Wogen begraben zu werden. Des Franz totbleiches Gesicht schaute ihn aus allen Ecken an, er hörte seinen Schrei durch die stillen Nächte tönen, und ihm war es, als Halle er durch das ganze Gefängnis wieder. Er sah auch die zorn­blitzenden und haßsprühenden Augen der Rosel Walter, und hörte die Verwünsch­ungen und Flüche, welche über ihre bleichen Lippen drangen.

Ja, die Rosel war ihm zum Fluch geworden in seinem ganzen Leben, hatte die Erinnerung an den Bruder ewig wach erhalten, war ihm gefolgt, wohin er gieng.

Denn als er des Vaters Bauerngut verkauft und in einer anderen Provinz kaum einige Jahre ansässig war, erschienen plötzlich Rosel Walter und ihre Mutter in demselben Dorfe und kauften das Haus, in dem die Rosel jetzt noch wohnte.

Den Sonnenwirt überkam noch jetzt ein Gruseln, wenn er daran dachte, wie plötzlich Rosel Walter eines Abends am Fenster seines Gasthauses gestanden, hinein­geschaut hatte und mit geballter Hand ausgerufen:Verflucht sei der Sonnen­wirt und was zu ihm gehört!" Seine Frau und die Gäste waren des Todes erschrocken, der Sonnenwirt hatte sie be­ruhigt und ihnen gesagt, die Rosel sei halb verrückt. Rosel war auch nicht wiedergekommen, aber die Leute wußten's alle, daß sie den Sonnenwirt haßte, wie nur einer zu hassen vermag, und daß sie ihm fluchte, täglich und stündlich. Ja, wie der Sonnenwirt sich während der fünf Jahre seiner Haft das alles wieder ins Gedächtnis rufen mußte! und wie er sich manchmal, ohne es zu wollen, ge­zwungen fühlte, Vergleiche anzustellen zwischen dem Geschick seines Bruders und dem eigenen! Er, der wohlangesehene Sonnenwirt, war verdächtigt und verur­teilt worden, weil kein anderer Thäter aufzuspüren war, um unvorsichtiger Reden willen und wegen eines Ganges um die Scheune herum. Er hatte seinen Bruder, den ernsten, stillen Bruder, der ein Pastor werden wollte, verdächtigt und verurteilt, weil das Geld nicht zu finden war, und

er den Bruder vor des Vaters TchxH, tisch, noch dazu auf dessen Geheiß, Ug,'- ^ troffen hatte. Wer halte wohl ein großes Recht sich zu beklagen? und ob wM sein Bruder ebenso gehandelt hätte? M ob ihn jetzt nicht blos die Vergeltung er­eilte? ob er nicht verurteilt war, un- schuldig verurteilt war, eben weil ei» gerechter Gott im Himmel war, oer ihm nun mit dem gleichen Maße maß, da er mit gemessen?

Alle diese Erinnerungen, Gedanken und Bilder waren böse Gesellen in den engen Gefängnismauern und den dunklen, end­losen Nächten, verjagten den Schlaf und flößten Furcht und Grauen ein.

Abwehrend streckte der Sonneimirt wieder und wieder die Hände in dir Finsternis, um sich zu schützen gegen das totbleiche Gesicht des Bruders, welche durch das vergitterte Fenster ohne Unter­laß schaute. Aber der Bruder, den ei zum Verbrecher gestempelt, dem er dal Leben gestohlen, an dessen Erbteil er sich schließlich bereichert hatte, verließ ihn nicht Ob Franz noch lebte? Drei Jahrr lang hatte man denselben in allen Zeit­ungen aufgerufen und weil erfolglos. . nicht nur als verschollen, sondern als tot erklärt, und auf Grund der Gesetze sprach ! das Gericht dem Sonnenwirt Franz' Erb- i teil zu.- t

Ein Tag gieng hin wie der andere, k dem Sonnenwirt war es gleich ob er an dem Schnee, der auf den Gefängnismaum lag, merkte, daß cs Winter war, oder ob er an den Bäumen im Garten des Gefäng- nisinspektors ersah, daß es Frühling und Sommer war. Frühling, Sommer, Herbst und Winter waren hohle, leere Worte für den Gefangenen, nur daß der Winter noch endlosere, schwärzere Nächte im Ge­folge hatte, und somit größere Schrecken, als die anderen Jahreszeiten. So waren aus fünf Jahren acht Jahre geworden.

Da trat eines Tages der Gefängnis­geistliche mit sichtlicher Aufregung in die Zelle 213.

Der Gefangene hatte nicht aufgeschaut, als draußen das Schlüsselbund klirrte, als der Schlüssel im Schloß gedreht wurde, auch nicht, als einer eintrat und wieder zuschloß ihm war es ja gleich- t giftig, wer in seine Zelle kam. j

Erst als der Pastor dicht neben ihm stand, schaute er auf und grüßte.

Der Pastor fragte einiges hin und her, der Sonnenwirt gab einsilbige Ant­worten.

Sie haben immer gezweifelt", sagte da der Pastor plötzlich,daß es einen gerechten Gott im Himmel giebt; ich hoffe, Sie erfahren es noch, daß Gott die Pläne der Bösen doch zuschanden macht, und verborgene Schuld ans Tages­licht bringt."

(Fortsetzung folgt.) j

Marktpreise. Neuenbürg, 3. Aug.

Butter V, Kilo 1.20.-1.30.

Eier pr. St. 7, 2 St. 1113 Kartoffeln 2 und 3 pr. '/» Kilo.

z. Teil sehr schöne.^

Bestellungen auf den KnzMer

können täglich bei allen Postämtern ge­macht werden.

Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Me eh in Neuenbürg.