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* Von den Beratungen, zu denen sich die Vertreter der französischen wie der ausländischen Sozialisten seit Anfang voriger Woche in Paris zusammen gefunden haben, ist bislang nur verhältnismäßig wenig in die Oeffentlich- keit gedrungen und wahrscheinlich wird man erst nach Beendigung der Verhandlungen über deren Ergebnisse etwas Näheres hören. Indessen, schon das Wenige, was der Telegraph über die Besprechungen der in Paris versammelten Delegierten der europäischen Sozialistenwelt bis jetzt zu berichten wußte, genügt bereits zu einer Charakteristik des Pariser Sozialistenkongresses, denn es läßt erkennen, daß auch dieser zunächst dazu bestimmt ist, den engeren Zusammenschluß der Sozialisten aller Länder zu fördern, während andere Fragen, wie internationale Arbeiterschutz-Gesetzgebung u. s. w. erst in zweiter Linie in Betracht kommen. Speziell hat es Herr Liebknecht, einer der Hauplwortführer der in Paris erschienenen deutschen Sozialdemokraten, ja laut verkündet, daß der Kongreß dazu bestimmt sei, eine „Allianz" zwischen den deutschen und den französischen Arbeitern zu bewerkstelligen und drohend fügte der politische Busenfreund des Herrn Bebel hinzu, die ganze Welt werde bald die Wirkung dieses Bündnisses spüren. (?)
Der Zar hat seit seiner Rückkehr aus den finnischen Schaeren zu mehreren Personen seiner Umgebung die Absicht geäußert, schon auf der Hinfahrt nach Dänemark eine Zusammenkunft mit dem deutschen Kaiser zu veranstalten. Er soll nur Bedenken gegen eine Fahrt nach Berlin hegen, vielmehr wünschen, daß die Zusammenkunft an einem Küstenptatze erfolge. Die amtliche Ankündigung des Besuches dürfte in nächster Zeit nach Berlin abgehen und die Zusammenkunft am 20. oder 21. August stattfinden.
* Großfürst ConstantiuNicolaje- witsch, der Oheim des Zaren und Bruder Ihrer Majestät der Königin von Württemberg, gegenwärtig in Pawlowsk bei Petersburg weilend, verlor infolge einer leichten Lähmung der rechten Gesichtsscite und der Gliedmaßen die Sprache; doch soll der Zustand des Großfürsten zu keinen Besorgnissen Anlaß geben.
Newyork, 20. Juli. Infolge heftiger Regengüsse kam es im Westen Chicagos, sowie in Cincinnati und an anderen Punkten des Kanawha-Thals zu Ueber- schwemmungen. Der hierdurch sowie durch einen Wolkenbruch verursachte Schaden ist ein sehr beträchtlicher, auch sind mehrere Menschen umgekommen.
MisMen.
Aer Sonnenwirt.
Von Erich Norden.
(Nachdruck verboten.,,
(Fortsetzung.,
Aber auch zerschlagene Herzen gab es in den kleinen Zellen. Wenn der Pastor Sonntags in der kleinen Kapelle stand, und von allen Seiten aus den Zellen die Gefangenen herbeigeführt wurden und jeder in dem mit seiner Nummer ver
sehenen, von dem nächsten durch hohe Holzwände abgeschlossenen Raum Platz nahm, konnte er wohl bemerken, wie hier und da bei einem ein Wort cinschlug, wie ein zündender Blitz, und manches Auge voll Angst, Schrecken und Sehnsucht auf ihm haftete.
Mancher, der seine Strafe abgebüßt hatte, verließ das Gefängnis, um nach kürzester Zeit zu neuer Strafabbüßung wieder eingeliefert zu werden. Verbrechen war ihm zur Gewohnheit geworden. Andere aber, die vorher ein wüstes Leben geführt, hatten eine Wandlung durchgemacht, hatten arbeiten gelernt und begannen ein neues Leben.
Von einem Seitenkorridor kam jetzt ein Gefängniswärter und trat grüßend zu dem Pastor: „Nr. 250 ist recht krank, Herr Pastor, und bittet um Ihren Besuch." „Ich war eben auf dem Wege dahin", war des Pastors Antwort, „ich komme von Nr. 213." „Ja Nr. 213", sagte der Aufseher, „wenn ich nur daraus klug würde! Das ist ein eigentümlicher Fall, und wo und wie es dort noch einmal hinaus will, weiß ich nicht. Der Mann ist noch nie renitent gewesen, hat noch nie bestraft werden dürfen, aber er arbeitet auch nur, was er arbeiten muß, hat noch nie über die gebotene Zeit hinaus gearbeitet. Wenn ich's ihm geraten habe, damit er sich einen Sparpfenmg sammle und auch an den Sonntags-Vergünstigungen inbetreff des Essens oder des Tabaks teilnehmen könne, sieht er mich nur finster an, ohne ein Wort zu sprechen." Der Pastor seufzte: „Ich habe ihn beobachtet durch die fünf Jahre hindurch, ich habe über ihn nachgedacht Tag und Nacht, ich habe ihm liebevoll und ernst zugeredet, ich erreiche nichts als die Antwort: ich solle ihn mit einem Gott in Ruhe lassen, der aller Gerechtigkeit Hohn spreche und einen unschuldigen, unbescholtenen Mann von Gericht und Menschen als Verbrecher verdammen lasse."
„Daß sic unschuldig sind, behaupten sie ja alle", sagte der Aufseher.
„Ja, sie behaupten es fast alle, und die Schuligsten am meisten, die schreien, fluchen und verschwören sich. Aber Nr. 213 ist immer nur finster gewesen, und es mehr und mehr geworden, ich fürchte, daß es kein gutes Ende mit ihm nehmen wird. Trotz der anscheinend unwiderlegbaren Schuldbeweise hat sich bei mir die Ueberzeugung festgesetzt, daß der Mann thatsächlich unschuldig ist."
Der Aufseher nickte und entgegnete flüsternd: „Ich Hab' es auch schon gedacht, Herr Pastor. Gott schaffe Licht."
Der Pastor gieng nach der einen Seite, der Aufseher nach der anderen, man hörte das Auf- und Zuschließen von Thüren und dann war wieder alles still, totenstill.
In Nr. 213 saß der Sounenwirt auf hölzernem Schemel und beugte sich tief über eine Stroharbcit herab. Er arbeitete, weil er arbeiten mußte, eine bestimmte Aufgabe in bestimmter Zeit.
Schneeweiß waren seine Haare und gebeugt seine Gestalt, zum Erschrecken finster seine Züge. Fünf Jahre, fünf
lange, entsetzliche Jahre hatte er bereits in dieser engen Zelle verbracht, ein Verbrechen abbüßend, das. wie er zähne- knirschend und fäusteballend sich immer wiederholte, er nie begangen kM Und das Urteil lautete auf Lebenszeit Wie lange würde das sein? Manchmal noch jetzt nach fünf Jahren, glaubte er^ daß ein schrecklicher Traum ihn äffe, das er im Fieberwahnsinn sei; aber die kahle» Wände seiner Zelle, die vergitterten Fenster, die verschlossene Thür bewiese» ihm bald, daß er nicht träume und auch nicht fiebere. Schweigend und finster nahm er sein Frühstück und begab sich an die Arbeit, schweigend und finster folgte er vor- und nachmittags dem Aussetzer, der ihn zu dem halbstündigen Spaziergang im Gefängnishof abholte.
Da gieng er, der Sonnenwirt Schulz, mit mehreren anderen Verbrechern, immer in zehn «schritt Entfernung in einem abgrenzten Kreis. Von allen Seiten starrten ihm hohe Mauern und die vergitterten Fenster entgegen; da hinter den Mauern lag die Welt, in der er gelebt, als ein angesehener Mann, in die er nie wieder hineintreten sollte, Wagengerassel und Stimmengewirr drangen bis in den Gefängnishof, wo ewiges Schweigen herrschte, lieber ihm wölbte sich der Himmel und der Sonnenwirt hätte gern die Faust geballt gegen den Gott, der dort thronte, aber da stand ja der Aussetzer, und jede verdächtige Bewegung würde gerügt und bestraft werden.
(Fortsetzung folgt.',
Gemeinnütziges.
sDer Nährwert der Chocolade.s Von viele» wird die Chocolade nur als LuxusgetrLnk angesehen; sehr mit Unrecht, denn sie ist nicht nm von bester Wirkung bei chronischen Leiden, sondern sie sagt auch dem schwächsten Magen zu. Die Chocolade regt, weil sie Theobromin enthält, die Herzthätigkeit ebenso an, wie Kaffee oder Thee; aber das Theobromin übt nicht die nachteilige Wirkung des Thein oder Kassew aus. Chocolade ist nicht nur wohlschmeckend, sie gewährt auch eine nachhaltige Sättigung und trägt zur Sammlung der Geisteskräfte in hohem Grade bei. Die Chocolade verdanken wir der Entdeckung Amerikas. Dort, im südlichen Amerika, ist der Kakaobaum überall heimisch; die Sorten vom feinsten Aroma aber reifen jedoch an den Ufern des Maracaibo und des Magdalenen- stromes. Seit im 19. Jahrhundert die Chocolade zuerst nach Spanien kam, hat die Vorliebe siir dieses aromatische Getränk sich dort ungeschwächt erhalten und bei allen Gelegenheiten, wo die Höflichkeit das Darbieten einer Erfrischung verlangt, wird Chocolade gereicht, die nach der Versicherung der Spanierinnen sehr an Geschmack gewinnen soll, wenn man sie am Tage vorher zubcreitet und dann beim Gebrauch aufwärmt. Fabrikmäßig wird die Chocolade erst seit etwa sechzig Jahren hergestellt; früher mußte der Handbetrieb den Bedarf decken, und man röstete damals in manchen Haushaltungen die Kakaobohnen, wie man heute noch vielfach den Kaffee röstet. — Bessere Sorten Chocolade sind mild und aromatisch; die billigen Sorten sind bitter und bedürfen eines großen Zusatz von Zucker. In elfterem überwiegt also der Kakaogehalt und sie haben folglich, abgesehen von der Schmackhaftigkeit , einen höheren Nährwert; denn die Chocolade ist nicht lediglich ein Genußmittcl, sondern, da sie thatsächlich mit verzehrt wird, ein Nahrungsmittel von hervorragender Güte, welches verdient, mehr gewürdigt zu werden, als es bis jetzt der Fall ist.
Redaktion, Druck und Verlag
von Jak. Meeh in Neuenbürg.