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silbernen Hochzeit. Aus diesem Anlaß wurde ihm von einer Abordnung der bürgerlichen Kollegien Namens der Stadt ein prachtvoller silberner Tafelaufsatz überreicht. Schon am Vorabend wurde ihm vom Liederkranz und heute früh von der städtischen Musikkapelle ein Ständchen gebracht.
Die Maul- und Klauenseuche in Dennjächt ist als erloschen zu betrachten, dagegen ist sie in Ober- reichenbach ausgebrochen.
Neuenbürg, 25. Juni. Es war ein netter Gedanke des Lesevereins, anläßlich des Regierungs-Jubiläums Sr. Majestät des Königs auf heute abend ein kleines Gartenfest mit Musik und italienischer Nacht zu veranstalten. Die Ausführung wurde willkommen geheißen und der allgemeinen Einladung hiezu um so lieber entsprochen, als die prächtige Witterung, und der für solche Unterhaltungen günstig gelegene Platz: „Das Münster", mit seiner landschaftlich so schönen Umgebung noch besonders einladend war. Bald hatte sich eine zahlreiche Gesellschaft, durch einen Damenflor ausgezeichnet, zu dieser Abendpromenade, wozu der Platz mit Lampions erhellt wurde, eingefunden, um sich den harmlosen Genüssen in der wohligen Natur hinzugeben. So konnte es nicht fehlen, daß auch die Muse Terpsichore ihren Einzug hielt und die Jugend, und wie man zu sagen pflegt, auch die ältern jungen Leute, sich um so williger ihrem Scepter unterordneten. Aber nur zu bald war dieser Regentschaft ein Ende bereitet, es mußte das Programm in der bengalischen Beleuchtung der Schloßruine zum Schlüsse geführt werden. Die befriedigten Teilnehmer sind dem Vereinsausschuß dankbar für die so bereitete Feier und würden ein baldiges segu6N8 mit Freuden begrüßen.
Ausland.
London. 20. Juni. 150 Menschen verbrannt. Bei einer in Akbarpore (Indien) am 26. April abgehaltenen Hoch- zeitsseier brach ein Feuer aus, welches 150 Männern, Frauen und Kindern das Leben kostete. Die Flammen versperrten den Ausgang des Hauses und der Frauen und Kinder bemächtigte sich sosort eine sinnlose Panik Der Vater des Bräutigams hatte die Geistesgegenwart, seinen Sohn und die Braut aus der Menge herauszureißen, sie aufs Dach zu führen und sie dann an einem Seile in ein kleines, neben der Wohnung befindliches Seitengäßchen hinabzulassen. Da erinnerte sich der Mann, daß er 150 Rupien im Hause gelassen hatte. Er eilte zurück und fand den Sack auch wirklich, als er aber den Ausgang zu gewinnen suchte, klammerten sich die Frauen unter herzzerreißenden Klagen an ihn und flehten, er möge sie retten. Die Folge war, daß er zu Boden gerissen wurde. Als das Feuer ausgetobt hatte, fand man an der Stelle einen wirren Haufen verkohlter Leichname.
Miszellen.
Aer Sonnenwirt.
Bon Erich Norden.
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung.)
Die Rosel wußte von dem Verhältnis zwischen Wilhelm Härtel und Rieke Schulz, wußte auch, wie sehr der Sonnenwirt dagegen sei. Konnte sie es auch mit ihres Todfeindes Tochter nicht halten, so hielt sie's doch mit Wilhelm, reizte und stachelte ihn auf gegen den Sonnenwirt, und als vor acht Wochen der Sonnenwirt den Wilhelm mit Schimpf und Schande von seiner Schwelle gejagt, weil er seine Rieke zum Weibe begehrt — hatte die Rosel drohend die Hand gegen „die Sonne" hin erhoben und zum Wilhelm gesagt: „Laß gut sein, die Abrechnung wird kommen, muß kommen, cs häuft sich Schuld auf Schuld von einem Jahr zum andern — verflucht sei der Sonnenwirt mit dem ehrlichen Gesicht und dem schuldbeladenen Herzen." Als aber der Wilhelm forschen wollte und fragen, hatte die Rosel abgewehrt und gesagt, „Es muß noch nicht die rechte Zeit sein — von Westen her, wo Amerika liegt, muß der Kläger kommen." Kopfschüttelnd war Wilhelm fortgegangen und dachte, daß die Leute wohl Recht hätten und es mit der Blumen-Rosel nicht ganz richtig sei.
Keiner sah und keiner wußte es außer Gott im Himmel, der alles sieht und alles weiß, daß die Blumen-Rosel oftmals tags bei sorgsam verschlossenen Thüren, oftmals nachts bei mattem Lampenschein vor ihrer Truhe kniete, vertrocknete Blumen, bunte Bänder, hübsch eingebundene Bücher herausnahm, mit den Händen liebkosend über die Schätze strich, sie an die Lippen drückte und heiße Thränen weinte. Und schließlich faltete sie allemal ein vergilbtes Papier auseinander, auf dem die Schriftzüge durch Thränenspuren fast verwischt waren, und dann las sie von Anfang bis zu Ende und begann immer wieder von neuem und sagte wieder und wieder: „Es ist alles nicht wahr, nicht wahr, ich glaube an dich, o ein ganzes verlorenes Leben! Gott strafe den Sonnenwirt!" Und dann raffte sie hastig ihre Schätze zusammen und verschloß die Truhe. Keiner wußte von den Thränen und von den Schätzen der Blumen-Rosel, man wußte nur von ihrem Haß und ihren Verwünschungen.
Als in der Nacht vom Sonntag zum Montag der Feuerlärm erklang, steckte die Rosel den Kopf zum Fenster heraus und fragte, wo es brenne, und als sie hörte, daß es beim Sonnenwirt sei, schloß sie das Fenster ruhig, suchte ihr Lager wieder auf und murmelte: „Mag es brennen, brennen, mag ihm alles verbrennen !"
Und als in den frühen Morgenstunden Wilhelm Härtel an ihren Fenster vorüber- gieng, klopfte sie ihm und rief ihn herein: „Ist alles niedergebrannt?" fragte sie.
„Nein, nicht alles", entgegnete Härtel, „'s wär dem Sonnenwirt wohl lieber gewesen, er hätte nicht einen Holzbalken übrig behalten, er ist ja hoch versichert.
So kalkuliert er wenigstens, aber", - und in Härtels Zügen malten sich' Haß und Hohn — „es kann sein, der Sonnen- wirt hat sein Haus selbst angesteckt, aus seinen gestrigen Reden konnte jeder die Lust dazu verspüren, und ich will der Ankläger sein, ich will beschwören, was er gesagt, ich kanns beschwören und Leh- feld auch, daß er eine Stunde vor dm Brande bei seiner Scheune hcrumge- schlichen. Sonnenwirt", endete er finster, „die Abrechnung kommt!" — was ist nun besser, ein Lump und Vagabund oder ein Brandstifter zu sein?"
„Sonnenwirt, die Abrechnung kommt', sagte die Blumen-Rosel wie geistesabwesend. Dann faßte sie Wilhelms Am: „Was kann ihm geschehen, dem Sonnen- wirt, wenn er verurteilt wird?" fragte sie und wartete fast atemlos auf die Antwort.
„Die Sache liegt schlimm für den ehrenwerten Sonnenwirt", entgegnete Wilhelm mit erschreckender Gleichgiltigkeit — „vorsätzliche Brandstiftung — und die Guste ist dabei verunglückt, gilt als fahrlässige Tötung, — so wird ihm wohl, wenn er keine entlastenden Zeugen findet, und die findet er nicht, lebenslängliche Zuchthausstrafe zuerkannt werden."
„Lebenslängliche Zuchthausstrafe!" rief Rosel wie triumphierend und eine wilde Freude blitzte aus ihren Augen, so dag selbst Wilhelm sie erschreckt anstarrte - „aber es ist immer nur ein halbes verlorenes Leben gegen ein ganzes! —nein, nein, gegen zwei verlorene Leben!"
„Rosel, was hat Euch der Sonnm- wirt gethan?" fragte Wilhelm.
„Was geht's dich an?" entgegnete sie barsch, „hast doch wohl mit deiner eigenen Sache genug zu thun, oder ist dir's leid um den Sonnenwirt?"
„Mir leid um den Sonnenwirt! Ich will ja sein Ankläger sein. Er hat alles Gute in mir erstickt, er hat mir alles genommen, er hat Gift in mein Herz gesäet, Haß und Rachsucht sind die Früchte dieser Saat!"
Die Blumen-Rosel nickte. „Er hat alles Gute in mir erstickt", wiederholte sie, „er hat mir alles genommen, topp Wilhelm! gieb mir deine Hand, dir wie wir hat er das Gleiche gethan, und wir wollen es ihm nicht vergeben, nicht bis zur letzten Stunde. Brandstifter! ja, ja Brandstifter ist er sicher! Alles, was es Schlechtes giebt auf der Welt, das traue ich dem Sonnenwirt zu. Der einem Menschen Ruf, Vermögen nehmen, der einem sein ganzes Leben zerstören kann, der setzt auch um schnöden Gewinnes halber den roten Hahn auf's eigene Dach, Jetzt kommt die Vergeltung!"
Wilhelm wollte gehen. Ihm wurde unheimlich zu Mute, als die Rosel so vor sich hin sprach, und nie in seinem Leben hatte er einen solchen Ausdruck des Hasses in einem Frauengesicht gesehen, Er wollte gehen um zu hören, wie draußen die Sachen standen, um Hand zu legen an sein eigenes Werk des Hasses und es zu fördern.
(Fortsetzung folgt.) _,
Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Meeh in Neuenbürg.