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Rebellion und Bedrohung von Beamten zu verantworten. (F. I.)
Paris. Der Unter - Intendant Reichert wurde am Sonntag abend wieder auf freien Fuß grsetzt, nachdem er die Aussage, deren er sich zuerst weigerte, wahrheitsgemäß abgegeben hatte und die Kommission in den Besitz der Papiere, die sie von .ihm haben wollte, gelangt war. — In verschiedenen Teilen Frankreichs sind am Pfingstsonntag heftige Erdstöße verspürt worden.
Zur Katastrophe in Pennsyl- vanien. In englischen Blättern finden sich noch täglich seitenlange Berichte über die entsetzlichen Vorgänge in Pennsyl- vanien. Wir entnehmen einer solchen Zusammenstellung die folgenden: Von dem Schicksal der vier kleinen Städte oberhalb Johnstowns verlautet gar nichts. Sie waren der Wut des Anpralles zunächst ausgesetzt und sind offenbar noch gründlicher weggefegt worden als Johnstown, von dessen Dasein hin und wieder eine stehen gebliebene Wand zeugt. Es ist jetzt festgestellt, daß die Flut die 27 Irin zwischen dem Behälter und der Stadt Johnstown in einer einzigen Stunde zurücklegte. Ein Reiter, der die Hiobspost vom South Forkel-Hotel nach Johnstown überbringen wollte, ward unterwegs erfaßt und ertrank. Es bestätigt sich, daß der Dammbruch den Johnstownern telegraphisch angezeigt ward; aber das Telegramm fand nur beschränkten Glauben, und ehe von Sout Fork-Station weitere Telegramme über die Gefährlichkeit des Dammbrnches abgesandt werden konnten, waren die Telegraphenbeamten dort wie hier schon weggeschwemmt. In Johnstown war es eine Frau Ogle, die bis zum letzten Augenblick heldenmütig auf ihrem Posten aushielt und kurz vor dem Hereinbrechen der Flut noch an ihre Kollegin in South Fort telegraphierte: „Dies ist meine letzte Botschaft." Mit den Erzählungen der Ueberlebenden ließe sich ein Band füllen. Die traurigste ist die einer Mutter, die vor dem Flusse händeringend steht und ihre sieben Kinder sucht. „Wir wurden" — so erzählt sie, — „durch die grausame Flut in unserm Hause bis auf den Speicher getrieben. .Dort auch drang sie hin und wuchs, bis wir mit unfern Köpfen die Dachwand berührten. Länger zu bleiben, wäre unser Tod gewesen; ich öffnete daher das Fenster und setzte meine Schätzlein, eins nach dem andern, auf irgend ein Stück Treibmaterial, mit vollem Vertrauen auf die Vorsehung. Als ich den Letzten hinaussetzte, meinen kleinen Knaben, sah er mich an und fragte: „Mama, du hast mir immer erzählt, daß Gott für mich sorgen werde. Wird er sich nach mir umschauen?" Ich sah ihn forttreiben, sein liebes kleines Gesicht mir zugewandt, und während meines Gebetes für seine Rettung entschwand er mir für immer aus den Augen. Im nächsten Augenblicke stürzte das Dach ein und ich schwamm draußen, um 15 Stunden später gerettet zu werden. Wenn ich nur eines meiner Kleinen wiederfände, würde ich mich vor dem Willen Gottes beugen, aber sie sind alle tot und jetzt kehre ich zurück nach
meiner Heimat, um mich zum letzten Schlafe niederzulegen." Noch sei erwähnt die Geschichte der reichsten und schönsten Erbin von Johnstown: „Unter denjenigen", so erzählt ein Berichterstatter, „welche Rationen empfiengen, befand sich ein Mädchen, das mit nackten Füßen, einen Shawl über den Kopf und nur einen Unterrock um die Lenden, an dem Ufer stand. Bald erkannte ich in ihr die Schönheit der Stadt, die Tochter eines reichen Banquiers. Der Shawl und der Unterrock war alles, was ihr von ihres Vaters Reichtum geblieben war." — Bon einer Bevölkerung von 50000 Einwohnern, welche Johnstown vor dem Dammbruch zählte, sind bisher erst die Namen von 18000 als am Leben verzeichnet worden. Das Wegräumen des riesigen Trümmerhaufens, welcher sich an der Brücke aufgestaut hat, schreitet nur langsam vorwärts. Es müssen 6 200000 Kubikfuß fortgeräumt werden. Heute stießen die Arbeiter auf die Leichen von 5 Handlungsreisenden. An der Brust eines Jeden war die Karte des Betreffenden mit einer Nadel angesteckt. In dem Schutte einer Methodistenkirche fand man die Leichen eines Mannes und einer Frau, welche sich so fest umschlungen hielten, daß man sie so bestatten mußte. Als die Flut hereindrang, fand gerade eine Trauung statt. Braut und Bräutigam ertranken, der Geistliche und die Trauzeugen dagegen wurden gerettet. Eigentümlich ist der Einsturz des sehr fest gebauten, 78 Fuß über dem Flusse liegenden Aquädukts. Die Ingenieure sagen, daß derselbe unbedingt dem Wasser widerstanden hätte, wenn er nicht ans andere Weise zerstört worden wäre. In South-Fork befand sich nämlich ein Dynamitlager. Dieses wurde von der Flut mit der Geschwindigkeit von 20 Meilen den Fluß hinunter gerissen, bis es an den steinernen Pfeilern des Aquädukts explodierte. Meilenweit hörte man die Explosion. Die Quadern wurden 200 Fuß hoch in die Luft geschleudert.
Mityellcn.
Der Sonnenwirt.
Bon Erich Norden.
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung.;
„Ich weiß immer noch nicht, warum Du heut eigentlich in die Sonne gegangen bist, Wilhelm?"
„Dem Sonnenwirt zum Trotz! Wenn er mir die Thür gewiesen hätte, so konnte er was erleben. Jetzt sitzt der Lump und Vagabund an seinem Tisch und er muß ihn bedienen. So kann's mir gefallen! Aber er hat's schon gehört, daß ich nicht auf der Straße zu lungern und hungern brauche, und da zieht er andere Seiten auf. Ich bleibe hier als Kehraus, bis zuletzt soll er mich bedienen."
Wilhelm schwieg jetzt, der Wirt stand gerade am Nebentische und das allgemeine Sprechen und Erzählen hatte einen Abschluß gefunden.
„He, Sonnenwirt", sagte ein Bauer, „wirst müssen der Sonne ein anderes Stockwerk aufsetzen oder Dir elne neue
bauen, die wird mit der Zeit zu klein wir sitzen ja hier wie die Pökelheringe,"
„Schaden könnte das nichts", ent- gegnete der Sonnenwirt, „hab's'schon längst eingesehen, aber Bauen kostet Geld und keiner giebt mir einen Heller dazu,"
„Baut Euch ein Gasthaus, wie drüben in Herrendorf der Sternwirt", sagte wieder einer.
„Ja der Sternwirt", war des Sonnenwirts Antwort, „der hat Glück gehabt, der ist erst verhagelt, hat hohen Schaden^ ersatz gekriegt, mehr als er je von da Ernte gehabt hätte, und dann halte ei auch noch das Glück, daß ihm sein ganzes Gehöft, das er gut versichert hat, abbrannte,"
„Da müßt' man ja seinen guten Freunden nichts Besseres wünschen", rief einer, „als daß ihnen der Hagel den Erntesegen zerschlüge und zu guterletzt das Feuer ihr Hab und Gut verzehrte."
„Führt nicht so gottlose Reden", donnerte ein alter Bauer mit schneeweißen, Haar dazwischen, „Der Gott da oben läßt sich nicht spotten. Mir brechen allemal die Thränen in die Augen, wenn ich so ein geknicktes Getreidefeld sehe, und mich packt das Grauen, wenn ich den roten Hahn auf einem Dache sehe."
„Sonnenwirt, bist Du gut versichert?" fragte wieder einer.
„Ob!" kam die Antwort zurück, - „und wenn der ganze Plunder niederbrennt und ich nicht einen Holzschemel behalte, habe ich doch keinen Schaden, Das bringt mir die Sonne schon ein, daß ich die paar Thaler mehr Versicherungsgeld zahlen kann."
„Sonnenwirt, noch einen Doppelkorn", rief Härtel laut.
Der Wirt brachte, was begehrt wurde und mischte sich wieder unter die anderen Gäste, das finstere Gesicht des abgewiesenen Freiers war ihm unheimlich.
„Ich muß nochmal nach Riekes Fenster schauen", flüsterte Wilhelm dem Freunde zu, „wer weiß, wann ich mal wieder herkomme. Bleib hier, da fällt es nicht so auf."
„Ich muß heimgehen", sagte Lehfeld, „es ist schon spät."
„Wir trinken noch ein Glas zusammen und ich begleite Dich, ich will in Herrendorf nächtigen und erst morgen weiter- gehcn."
Als Wilhelm zehn Minuten später wieder in das Schenkzimmer trat, hütete Lehfeld sich, eine Frage an ihn zu richten, — er sah gar zu finster aus und Lehfeld fürchtete, daß noch ein wilder Zornesausbruch erfolgen könne,
Die Stammtische wurden jetzt leer, einer nach dem andern wünschte guten Abend und gieng. Lehfeld und Härtel waren die letzten, trotz des Drängens des ersteren.
„Ich Hab' Dir's ja gesagt, ich will den Kehraus bilden beim Herrn Sonnenwirt. Aber jetzt ist der Wirt nicht mehr hier, da können wir auch gehen. Aber fertig sind wir noch nicht miteinander. Der Herr Wirt und ich! Den „Lump" und den „Vagabund" vergeß ich ihm nicht bis zur letzten Stunde."
(Fortsetzung folgt.; _
Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Meeh in Neuenbürg.