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Samstag früh stattgefunden haben. Eine Hurrach'sche Brettjäge wurde von dem Wasserstrom samt allen Holz- und Brett­vorräten, samt der Wohnung des Brett­sägers, ja samt dem Brettsäger und drei anderen Menschen weggeschwemmt, die Leichen der Verunglückten wurden noch nicht gefunden. Von da brach das Wasser, zu ungeheurer Höhe angeschwollen, weiter in die Ortschaft Rackowic ein, wo auch einige Häuser und Menschenleben zum Opfer sielen. Noch weiter westlich brach das Wasser in die Ortschaft Prichowic ein, wo eben die Bewohner die Orts­wallfahrt feierten, und riß an beiden Ufern des sonst wasserarmen Baches ganze Häuser­reihen nieder, unter deren Trümmern neun Kinder teils erschlagen wurden, teils er­tranken. Die schwersten Regenwolken müssen sich längs des ganzen Angelthales von Predenic bis Kronporitschen entladen haben, denn das schwerste Unglück wurde dem Bezirkshauptmann in der Früh ge­meldet, daß nämlich in der Gemeinde Jino sieben Häuser samt allem weggeschwemmt und an achtundzwanzig, nach anderen Nachrichten sogar zweiunddreißig Menschen­leben zu Grunde gegangen sind. Der Bezirkshauptmann begab sich dahin und brachte die traurige Bestätigung von dem Gemeldeten zurück. Auch sollen zwei kleine Kinder sich an Weidengebüsche an­geklammert haben, zu denen niemand ge­langen kann und noch ist es nicht gewiß, ob sie gerettet werden.

Aus l a n d

Das entsetzliche Gespenst,Nihilismus" geheißen, geht wieder um in Rußland. Die entdeckte Verschwörung gegen den Zaren ist weiter verzweigt, als anfänglich geglaubt wurde. Verschiedene Regimenter in Moskau, Elizabetgrad und Warschau sind kompromittiert. Mehrere Ossiziere wurden verhaftet, drei verübten einen Selbstmord, um der Verhaftung zu entgehen. Sprengbomben wurden in War­schau entdeckt.

In Frankreich macht man wieder einmal in militärischen Reformen. Seit vorigen Dienstag debattiert der Senat über das neue Rekrutierungsgesctz und führen namentlich die Bestimmungen über die Befreiung der Studierenden und der Geistlichen vom Militärdienste zu lang­wierigen Debatten.

Newyork, 5. Mai. Die Mount Welcome-Schule im nordöstlichen Teile von Kentucky, zwölf Meilen von Bar- boursville entfernt, war vor einigen Tagen der Schauplatz wildester Aufregung. Die Schule, welche von einer Miß Sarah Jarvis geleitet und von etwa vierzig Kindern aus der Umgegend besucht wird, liegt inmitten romantischerGebirgsregionen, rings von dichten Wäldern eingeschlossen. Falls die Kinder nicht von erwachsenen Personen begleitet werden, kommen die­selben meistenteils zu Pferde in die Schule, einesteils wegen des weiten gebirgigen Weges, andernteils, um der Gefahr, von reißenden Tieren abgefangen zu werden, zu begegnen. So lange die Schule be­steht, hatte sich jedoch kein Unfall dieser Art ereignet und um so überraschender wirkte daher folgender Vorfall. An dem

betreffenden Tage, einige Stunden nach Mittag, erwartete die Lehrerin den Besuch des County-Schul-Inspektors. Plötzlich scholl ein eigenartiges Geräusch durch die Luft, das wie ein Pochen an der Thüre klang. In der Meinung, 0er erwartete Inspektor sei angelangt, ließ Miß Jarvis die Kinder von den Bänken aufstehen und öffnete ein Fenster, um hinauszusehen, kaum war jedoch der Fensterhaken gelöst, als sich eine große schwarze Tatze durch den Spalt drängte, welcher der unge­schlachte Kopf eines braunen Bären folgte. Die diesem Anblick folgende Bestürzung unter den Kindern war unbeschreiblich, unter wildem Angstgeschrei stürzten sie über und durch einander. Nur Miß Jar­vis behielt ihre Kaltblütigkeit. Sie er­griff einen Stuhl und schlug auf den Bären ein, so oft er Miene machte, sich auf die Fensterbank zu schwingen, dabei rief sie den Kindern zu, durch die Hinter­thür zu entfliehen und Hilfe zu holen. Erst als das letzte der Kinder den Raum verlassen hatte, trat die kühne Lehrerin zurück und eilte hinweg, während der wütende Bär mit einem mächtigen Satze in das Zimmer sprang. Ebenso schnell jedoch hatte Miß Jarvis das Haus um­schritten, das Fenster flog zu und Petz war in der Falle! Die Geistesgegenwart des jungen Mädchens hatte gesiegt. Zwar brach der Bär bald genug seine Fesseln, er zertrümmerte ein Fenster und entsprang, doch hatte Miß Jarvis inzwischen Zeit gefunden, das Weite zu suchen. Merk­würdigerweise kehrte der Bär gerade in dem Augenblicke, wahrscheinlich von einer erfolglosen Suche nach dem Schulzimmer zurück, als einer der inzwischen alarmierten Farmer mit seinen Schußwaffen anlangte. 'Zwei wohlgezielte Schüsse endigten die Laufbahn des gefährlichen Schul-Jnspektors.

(W. L.-Ztg.)

Miszellen.

Im Uriesterhause.

Eine Jugend-Erinnerung.

(Nachdruck verboten.)

(Fortsetzung.)

Der Anblick wirkte beängstigend; wir sahen einander an und lasen eine in der andern Gesicht dieselbe Furcht; dazu kam der noch immerverräterisch lauteSchallunsrerTritte, das böse Gewissen, das uns das Unbe­rechtigte unsres Hierseins vorwarf, kurz, wir beschlossen gleichzeitig, den Rück­weg anzutreten. Dort von jener Seite waren wir gekommen, dort mußte es hinausgehen; nein, der Gang führte in einen, der mit einer Thür schloß, wir mußten es mit einem andern versuchen, auch hier war kein Ausweg, dort auch nicht, und plötzlich sahen wir uns in einem Komplex von sich kreuzenden Gängen, in denen sich überall kleine Thüren be­fanden. Wir hatten uns verirrt und wagten in so unmittelbarer Nähe der Gemächer nicht, noch ferner suchend um­herzugehen. sondern drückten uns wie er­schreckte Vögelchen ratlos an die Wand. Wenn er jetzt käme?" Adele hatte die Frage geflüstert und da ich mir die gleiche im Innern vorgelegt, wußte ich, daß sie den tiefsinnigen Pfarrer meinte. Ja,

wenn er jetzt käme, schlürfenden Schrittes, hager, gespenstisch, immer näher und näher, grade auf uns los? Wir lauschten mit angehaltenem Atem nach dem Geräusch, das wir so unendlich fürchteten und doch erwarteten; und, horch! kam da nicht etwas vom Ende des Korridors her? Heiliger Gott, ja! Ein Schlürfen, wie mit Pantoffeln, ein schwerer, schleppender Gang, und da, da war er. der große, dunkle Mann, mit wirrem Haar, tief­liegenden Augen und hohlen Wangen, und grade auf uns zu bewegte er sich. Ein gellender Schrei aus Adelens Kehle machte ihn auf uns aufmerksam und schien ihn einen Augenblick zu erschrecken. Dann trat er dicht zu uns heran und sagte mit einer Stimme, die wunderbar sanft und freundlich klang?Wie kommt ihr hier­her, Kinder? Habt ihr euch verirrt und soll ich euch hinausgeleiten lassen?" Die wenigen Worte beruhigten mich sehr. Nein, vor diesem Manne brauchte man keine Furcht zu haben; traurig, tief traurig sah er aus, wie einer, der seit Jahren das Lächeln verlernt hat, aber weder häßlich, noch böse. Auch Adele, die sich bei der Annäherung des Priesters hinter mir versteckt hatte, kam hervor und be­gann eben mit wiederkehrender Keckheit: Ach ja, hochwürdiger Herr, wenn Sie so gut" als sie sich, von neuem er­schrocken, unterbrach. Das Gesicht des Mannes hatte sich bei ihrem Anblick selt­sam verändert. Ueberraschung, namenlose Aufregung spiegelte sich darin, und wie vor einer Geistererscheinung wich er vor meiner hübschen Gefährtin zurück. Adele", rief er,kleine Adele, Du kannst es nicht sein und bist es doch; nein, ich bin nicht von Sinnen, ich sehe dich wirklich, deine lieben Augen, dein lichtes Gesicht sprich zu mir, um Gotteswillen, sage mir, wer du bist !" Adele heiße ich", sagte das Kind zitternd, aber ich kenne Sie nicht. Mein Papa ist schon lange tot, drüben in Amerika gestorben, und ich habe nur meine Mutter, die heißt auch Adele."Und

wie, wie hieß-er, dein Vater?"

stammelte der Priester, indem er Adelens Hände fest umklammerte und das brennende Auge erwartungsvoll auf sie richtete. Willmann, TheodorWillmann."Gott, du bist gnädig!" rief der Priester;sie ist's, sie lebt, sie lebt! Kind meiner Schwester, ihr Ebenbild, komm her z» mir, komm, laß dich umarmen und sage mir, wo ich deine Mutter finde, und laß uns gleich zu ihr gehen, daß ich Ver­zeihung von ihr erbitten und meine Schuld gut machen kann. Wo ist sie, wo?" - Zu Hause, in der Glockengasse, bei der Nähmaschine, sie muß sehr schwer arbeiten, die gute Mutter, denn wir sind ganz arm."Ihr sollt es nicht länger sein, Gott sei gepriesen! Sieh her, Kind, was die Reue aus mir gemacht, einen ge­brochenen Mann; aber ich fühle, daß es schon jetzt anders mit mir ist, die Geister des Trübsinnes weichen von mir, ich werde noch gutmachen können, denn meine Schwester lebt ja."

(Fortsetzung folgt.)

Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Meeh in Neuenbürg.