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digungsfrist, also gesetz- und vertrags­widrig, die Arbeit eingestellt hätten und die Interessen der Arbeitgeber durch bedingungsloses Gewähren der Forderungen der Arbeiter nicht gewahrt werden könnten. Schließlich machen die Arbeitgeber auch darauf aufmerksam, daß sie mit den Arbeiter­ausschüssen gar nicht gut verhandeln könnten, weil keine Bürgschaft vorhanden sch daß die Arbeiter die Abmachungen, welche ihre Abgeordneten mit den Arbeit­gebern vereinbaren, auch halten. Erweist sich diese Klage der Grubenverwaltungen und Fabrikdirektionen als stichhaltig, so wäre in Bezug auf das Verhältnis der Arbeiter zum Arbeitgeber in unseren sozialen Organisationen geradezu eine Lücke vorhanden und müßte die Gesetzgebung dafür sorgen, daß die erwählten Ausschüsse derArbeiter verbindliche Vollmachten haben, für die von ihnen vertretenen Arbeiter haftbare Verträge mit den Arbeit­gebern abzuschließen.

Die gefährlichste Seite der großen Arbeitseinstellungen in Westfalen besteht darin, daß beide Parteien auf ihren Forderungen beharren zu müssen glauben und daß dadurch der Notstand vergrößert wird und schließlich zu revolutionären Ausschreitungen seitens der schließlich brot­los werdenden Arbeiter ausarten kann.

Ein unter dem Vorsitze des Fürsten Bismarck stattgehabter Ministerrat hat sich, wie zuverlässig verlautet, mit der Lage des von dem Bergarbeiter streik be­troffenen rheinisch-westfälischen Jndustrie- bezirks beschäftigt. An der Beratung nahmen verschiedene höhere Bergbeamte Teil.

Berlin. Die N. N. schreiben: Der Kaiser empfängt über die Ereignisse im rheinisch-westfälischen Kohlenrevier täglich ausführliche Berichte und über Fälle mili­tärischen scharfen Vorgehens telegraphische Meldungen, auf welche hin derselbe wieder­holt mit dem Kriegsminister konferiert und angeordnet hat, daß die Fälle, in welchen eingehauen oder gefeuert worden ist, auf ihre Berechtigung gemäß der Sachlage genau geprüft werden. Es ist den kom­mandierenden Offizieren strengstens zur Pflicht gemacht, sich mit den Zivilbehörden ins Einvernehmen zu setzen und nicht eher als bis die Mittel der Zivilgewalten sich als unzulänglich erweisen, einzuschreiten; dann aber auch mit vollster Energie. Die Gensdarmerie der im Ausstand befindlichen Distrikte ist verstärkt und hat besondere Vorschriften erhalten. Auch sind Berliner Kriminalbeamte dorthin abgcsandt. Der Kaffer selbst hat diese Maßregel gebilligt, damit verhütet werde, daß die Streikenden durch auswärtige Agitatoren zu Aus­schreitungen aufgereizt werden.

Berlin, 10. Mai. Es verlautet, daß s>» höherer Beamter von hier nach dem Kohlenrevier abgereist ist. Der Oberprä- ffdent von Westfalen setzt seine Bemühungen, elnen Ausgleich herbeizuführen, fort.

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Dortmund, 10. Mai. Die Nach­richt von der Ermordung des Bergrats «chrader durch streikende Bergleute auf ZecheEwald" bei Herten bestätigt sich "'cht- (A. I.)

Die Aktion des Reichskommissars W i ß- mann in Ostafrika hat gestern im eigent­lichen Sinne begonnen; der deutsche Kom­missar hat gegen den Führer der Auf­ständischen, Bushiri, die Offensive ergriffen, und dessen Lager bei Bagamoyo völlig zerstört. Bushiri ist entkommen.

Berlin, 7. Mai. Der Bau des Nordostseekanals beansprucht nicht allein aus dem Grunde besonderes Interesse, weil er das erste Unternehmen dieser Art ist, welches das Reich selbst und in eigener Regie ausführt. Die Bedeutung und der Umfang der Bauausführung ist auch an sich geeignet, die Aufmerksamkeit rege zu machen. Schon der Kostenbetrag von 150 Millionen Mark, welcher für die Bau­ausführung in Anschlag gebracht ist, läßt die Großartigkeit des Unternehmens deut­lich erkennen. Allein auch im Einzelnen tritt diese augenfällig in Erscheinung. So sind nicht weniger als 14 Trockenbagger in Thätigkeit. Die Zahl der Arbeiter beträgt 3000. Der Wert des Inventars der einzelnen Unternehmer ist ungemein groß. Bei dem einen erreicht der Wert desselben den hohen Betrag von 2 Mill. Mark. Die Bauausführung selbst macht den günstigsten Eindruck. Auf der ganzen Linie, mit Ausnahme der Strecke bei Rendsburg, wo die Kanallinie selbst einer Aenderung gegen den ersten Plan unter­zogen ist, sind die Bauarbeiten im vollsten Betriebe. Sie befinden sich naturgemäß überwiegend noch im Stadium der Erd­arbeit, nur an zwei Stellen wird im Wasser gearbeitet. Neben den eigentlichen Arbeiten sür den Kanal laufen eine Reihe von Bau­ausführungen her, welche die Verlegung derjenigen Eisenbahnstrecken bezwecken, die von dem Kanalbau in Mitleidenschaft ge­zogen werden. Das Terrain hat bisher keinerlei unvorhergesehene Schwierigkeiten bereitet. Von besonderem Interesse ist die Bauausführung auf derjenigen Strecke bei Hochtonn, auf welcher der Kanal durch ein großes Sumpfterrain durchgelegt werden muß. Hier werden parallel in gewisser Entfernung zwei Sanddämme vorweg ge­trieben, deren Versinken dem Terrain die nötige Festigkeit gewährt, um dazwischen das Bett des Kanals mit Sicherheit aus­heben zu können. Der Grunderwerb für den gesamten Kanal ist bis auf einige Kleinigkeiten durchgeführt. Im Großen und Ganzen ist das gestellte Arbeitspensum bisher innegehalten worden und haben die deutschen Unternehmer das in sie ge­setzte Vertrauen vollständig gerechtfertigt.

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Die deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger erstattet ihren Rück­blick auf das Jahr 1887/88. Die Stationen der Gesellschaft haben im Berichtsjahre 23 mal erfolgreich in Thätigkeit treten können und dabei 94 Personen der Seegefahr entrissen. Dadurch steigt die Gesamtzahl der seit Begründung der Gesellschaft ge­retteten Menschenleben auf 1703. Auch die letzten Regierungsstationen zu Neu­fahrwasser, Pillau und Memel wurden übernommen; es ist damit der gesamte Rettungsdienst an den deutschen Küsten in den Händen der Gesellschaft vereinigt. Die Zahl der Rettungsstationen beläuft sich nunmehr auf 111. Die Zahl der Bezirksvereine ist mit 57 unverändert ge­

blieben. Die Vertreterschaften sind von 220 auf 242 gestiegen. An ordentlichen Mitgliedern zählt die Gesellschaft 47 173 mit einem jährlichen Gesamtbeitrage von 141170 M. 8 Pf. gegen 46 460 Mit­glieder mit einem Jahresbeiträge von 140 457 M. 19 Pf. im Vorjahre. An außerordentlichen Beiträgen sind 104 020 Mark 52 Pf. gegen 94 545 M. 92 Pf. im Vorjahre eingegangen. Die Einnahmen aus den Sammelbüchsen haben 25 231 M. 43 Pf. gegen 21 741 M. 30 Pf. im Vor­jahre betragen. Die Gesamteinnahme des Berichtsjahres ist mit 278 252 M. 88 Pf. gegen 262 981 M. 45 Pf. im Vorjahre die größte, welche die Gesellschaft seit ihrer Gründung zu verzeichnen gehabt hat. Die Gesamtausgaben der Gesellschaft betrugen 172 180 M. 80 Pf. gegen 159 035 M. 69 Pf. im Vorjahre. Die von der Ge­sellschaft alljährlich zu verleihende Ehren­gabePreis Emilie Robin" in Höhe von 400 M. ist dem Führer des Norddeutschen LloyddampfersFulda", Herrn Kapitän R. Ringk, zuerkannt worden.

Lahr, 8. Mai. (Vom Reichswaisen­haus.) Mit dem abgelaufenen Schuljahr sind abermals 11 Zöglinge des Reichs­waisenhauses aus der Schule entlassen worden. Der Verwaltungsrat, welcher von dem Grundsätze ausgeht, daß es nur halb gebotene Hilfe wäre, wenn man die Kinder nach ihrer Entlassung aus dem Haus ihrem Schicksal überlassen wollte, hat jedem der Zöglinge ein geeignetes Unterkommen in einer Lehrstelle verschafft. Die Knaben sind jetzt sämtlich an ihren künftigen Bestimmungsort abgereist.

Pforzheim, 11. Mai. Der Garten­bauverein wird am Sonntag den 26. Mai im Stadtgarten ein Kinderfest, nach Art der schwäbischen Malenfeste, ähnlich dem­jenigen des Vorjahrs, abhalten.

Württemberg.

Stuttgart, 10. Mai. Ihre Maje­stäten haben Nizza am Donnerstag den 9. Mai vormittags 10'/i Uhr verlassen und die Reise über Ventimiglia, Savona, Luino, den Gotthard, Zürich, Jmmen- dingen und die württemb. Gäubahn ge­macht. Bon der Landesgrenze an waren die Stationen beflaggt und hatte sich auf denselben eine zahlreiche Bevölkerung ein­gefunden. In Rottweil waren sämtliche Beamte, die Geistlichkeit und die Schul­jugend mit Fahnen auf dem Bahnhof an­wesend. Während des daselbst nur zwei Minuten dauernden Aufenthalts ließen Seine Majestät die Vorstände des K. Landgerichts und den Landwehrbezirks­kommandeur zu Sich in den Wagen rufen. In Horb wurde dieselbe Ehre dem Ober­amtmann und dem Landmehrbezirkskom­mandeur zu teil. Der Präsident des Staatsministerinms Dr. Frhr. v. Mittnacht war dem Kgl. Zug bis auf die Station Hasenberg entgegengefahren, um Seine Majestät hieher zu geleiten. Der K. Extra­zug legte die Reise in ununterbrochener Fahrt innerhalb 25 Stunden glücklich zu­rück und lief zur bestimmten Zeit unter dem Geläute der Glocken der Stadt und und den Salven der Geschütze des Schützen- Hauses auf dem Bahnhof hier ein, woselbst, nachdem die Majestäten für einen offiziellen Empfang bei der Ankunft hatten danken