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Gasthofe hin- und herzuschweben. Indem der Wirt die graziösen Evolutionen seines Gastes mit steigendem Interesse verfolgt, berührt dieser, vornehm salutirend, den Schirm seiner Mütze und entfernt sich von dem gastlichen Dache mit solcher Schnellig­keit, daß dem verblüfften Wirte die un­bezahlte Rechnung erst dann in den Sinn kommt, als sein freundlicher Lehrmeister schon längst über alle Berge ist. Der Wirt soll geschworen haben, Velocipedisten in Zukunft nur gegen Vorausbezahlung zu beherbergen. Uebrigens gibt er zu, daß ihm noch nie ein Gast so elegant durchgebrannt sei, wie der unbekannte Radfahrer. Hoffentlich wird der Wirt durch eine Postanweisung in den nächsten Tagen darüber belehrt werden, daß der muntere Stahlroßreiter sich nur einen Witz gemacht hat.

Württemberg.

Friedrichshafen, 12. Okt. Auf Befehl Seiner Majestät des Königs wurde der Kreisphystkus Dr. Marc aus Wild­lingen hieher berufen, um nach zweijähriger Unterbrechung wieder über den Gesund­heitszustand Seiner Majestät mit dem Leibarzt Allerhöchstdesselben in Beratung zu treten. Die von den beiden Aerzten gemeinsam vorgenommene Untersuchung hat ergeben, daß der Zustand der Organe, deren Erkrankung seinerzeit die Berufung des Dr. Marc notwendig gemacht hat, sich den zu hegenden Erwartungen durch­aus entsprechend befriedigend gestaltet hat. Wenn hienach die Untersuchung in dieser Richtung eine erfreuliche Besserung ergeben hat, so muß auf der andern Seite hervor­gehoben werden, daß die früher konsta­tierten Veränderungen in den Atmungs­und Kreislauforganen noch fortbestehen. Aus diesem Grunde erscheint auch für den kommenden Winter ein klimatischer Kur­aufenthalt im Süden notwendig. Dann wird sich voraussichtlich unter andauern­der Schonung und thunlichster Fernhalt­ung störender Einflüsse die Gesundheit Seiner Majestät weiter befestigen.

tSt.-Anz.)

Stuttgart, 13. Okt. Im Landes- gewerbemujeum wird im Laufe der nächsten Woche eine möglichst ausführliche Dar­stellung der verschiedenen gegenwärtig in Gebrauch befindlichen Vervielfältigungs- Apparate, soweit sie von Laien selbst ge- handhabt werden können, zu sehen sein. Zugleich wird die Ausstellung die sämt­lichen gegenwärtig im Handel befindlichen Schreibmaschinen vor Augen führen, was um so anregender sein dürfte, als namentlich neuerdings die Schreibmaschinen immer größere Verwendung auch in Deutschland zu finden scheinen. In der Gewerbe­halle ist man seit fast zwei Wochen be­müht, den üblen Nachgeschmack, welche die Hundeausstellung zurückgelassen, zu be­seitigen. Ob es vollständig gelungen, wird vielleicht erst der nächste Hochsommer erkennen lassen.

In Leonberg ist der weltbekannte Hundezüchter, Oekonom Essig, 80 Jahre alt, gestorben.

Die Weinhandlung von Fr. Hiller beim Baumstark in Ulm hatte am Sams­tag eine größere Quantität Pfälzer-Wein

in den Keller geschlaucht, und am Mon­tag früh war der Keller schon fast bis Mannshöhe voll Kohlensäure, daß einem Küfer das Licht erlosch und ihm schon der Atem auszugehen drohte. Doch konnte er sich noch rechtzeitig an die Luft retten. Wenn im Keller das Licht erlöscht, so ist Gefahr im Verzug und schleunige Flucht zu empfehlen.

In Gögglingen, O.-A. Ulm, wurden diesen Sommer, wie sr. Zt. ge­meldet, zwei Mädchen in einer Kapelle vom Blitz getroffen. Das eine hat sich bald wieder erholt; das andere Mädchen, Walpurga Braun, siechte unter schrecklichen Leiden dahin und ist, wie dasU. T." berichtet, jetzt gestorben. Die Section ergab, daß zwei Blitzstrahlen am Rückgrat herunterfuhren, immerhin aber nur äußere Nervenstränge getroffen haben, daher die schrecklichen Schmerzen und das lange Siechtum.

In Friedrichshaf-en entdeckte die Zollbehörde in einem österr. Obstwagen eine Kiste, welche ein Faß mit 300 Liter Zwelschgenwasser enthielt. Nebst Kon­fiskation hat der Beteiligte als Strafe den 4bfachen Betrag des Zolls mit 3000^6 (?) zu bezahlen.

Deckenpfronn, 11. Okt. Die Ge­meinde verwendete in letzter Zeit viel Geld zur Verschönerung des Orts. Die ge­lungene Verschönerung des großen, sich um die frei und schön gelegene Kirche her­ziehenden Platzes kostete über 5000 Im kommenden Jahre wird das Innere und Aenßere der Kirche selbst in würdiger Weise restauriert. Die dunklen Nächte werden seit einiger Zeit durch 6 große Laternen in erwünschter Weise erhellt, und da die Bewohner selbst in löblicher Art ihre Häuser verschönern, so erhält das große Dorf immer mehr ein städtisches Aussehen. (S. M.)

Neuenbürg, 15. Okt. Die heutige Nacht brachte allgemeinen Schneefall, der allerdings wieder im Verschwinden be­griffen ist. Nach den Nachrichten der letzten Tage konnte dies nicht mehr über­raschen, es kommt aber diese Bedrohung des Winters doch etwas gar zu frühe.

Die Alpen und deren Vorberge sind allenthalben mit Schnee bedeckt; auch das hochgelegene Allgäu hatte unter einem Schneesturm zu leiden.

Ausland.

Paris, 13. Okt. Der Kriegsminister Ferron erachtete die Antwort Boulangcrs, er habe noch keine Einsicht in die Zeit­ungen gehabt, welche die ihm zugeschriebenen Aeußerungen enthielten, für ungenügend. Er forderte Boulangec auf, in einer neuen Depesche mit Ja oder Nein zu antworten, ob er die fraglichen Aeußerungen gethan (Boulanger hat behauptet, Ferron habe die Untersuchung nur deshalb eingeleitet, um ihn zu verderben.)

Clermont Ferrand, 14. Oklbr. General Boulanger telegraphierte auf die erneute Aufforderung des Kriegsministers Ferron, er habe die ihm von de» Zeit­ungen zugeschriebenen Aeußerungen aller­dings gethan.

Paris, 14. Okt. Die Blätter melden : Boulanger erhielt dreißigtägigen strengen

Arrest. Der Ministerrat wird später darüber beschließen, ob derselbe des Kom­mandos zu entheben sei. (St.-A.)

Paris, 14. Okt. Auf Antrag Wil­sons vernahm der Untersuchungsrichter Atthalin die Frauen Rattazzi und Limou­sin und den Kreittmayr. Dieselben er­klärten in Gegenwart Wilsons, daß die Beschuldigungen gegen Wilson falsch seien und daß sie dieselben lediglich in der Hoffnung vorgebracht hätten, daß die Sache niedergeschlagen werde.

London, 12. Okt. In London ist heute Nacht der erste Schnee gefallen, und die Vorstädte hatten in der Frühe ein durchaus winterliches Aussehen. In Nord­wales wütet gegenwärtig ein heftiger Schncesturm und die Bergstraßen sind ge­sperrt.

Mityklk'n.

(Zeitgemäße Sport- und Spott-Verse.) Kein Strüßlein so vereinsamt ist, Daß nicht d'ranf fährt ein Bicyclist. Es ist kein Berg so steil und krumm, Es kraxeln d'rauf Touristen 'rum. Es ist kein Flüß­chen schmal und seicht, Daß nicht ein Ruderklub d'rauf streicht. Kein' Einöd' ist, kein' Bergesgrat, Wo nicht drei Männer spielen Skat. Kein Wirtshaus ist so un­beliebt, wo nicht ein Klübchen Kegel schiebt, Kein Teich, wo's auch nur zweimal friert, Wo nicht ein Eisklub manövriert. Kein Wäldchen liegt in stiller Ruh', Gleich fingt's Quartett:Wer hat Dich, Du . . ." Und wo liegt denn ein Dörfchen klein, Das könnte ohn' Vereine sein! Kein Jüngling ist so grün und dumm, Er kriegt doch ein Präsidium. Es geht kein Tag im Jahr vorbei, Daß es nicht giebt 'ne Fahnen­weih'. Kein Sonntag ist im Zeitenlauf, Wo nicht Blau-Montag folgt darauf. Und keine Seele weit und breit, Die nicht klagt über schlechte Zeit.

Hoher" Besuch. Rom bereitet sich vor, die größte Frau der Welt in seiner Mitte zu empfangen. Es ist dies die Aebtissin-Mutter des Klosters St, Meinrad in der Schweiz. Die Aebtisfin mißt gegen neun (??) Fuß, ihr Umfang ist ein der­artiger, daß sie in den weiten braunen Klostergewändern geradezu übermenschlich aussieht. Die Aebtissin kommt in die Ewige Stadt, um dem Papst zu seinem Jubiläum ihre Huldigung darzubringen, und der Heilige Vater erklärte offen, daß er sehr neugierig sei, sie kennen zu lernen.

(Einfacher Dünger für Zimmer- und Topfpflanzen.) Es ist eine alte, aber wenig bekannte Thatsache, daß einige Tropfen Salmiakgeist, dem Gießwasser zugesetzt, eines der besten und billigsten Düngemittel für Topfpflanzen sind, das viele der gerühmtenkonzentrierten" Dünge­mittel ersetzt, von denen manche doch nichts weiter als Schwindel sind.

Goldkurs der K. Staatskasscuverwaltung

vom 15. Oktober 1887. 20-Frankenstücke . . . . 16 »lL 8 Z

Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Me eh in Neuenbürg.