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sonders zu beantworten. Dem Mißtrauens­votum, welches die Mehrheit des Reichs­tags durch Ablehnung dienstlich unentbehr­licher Mittel mir erteilt hat, stehen zahl­reiche Beweise des Betrauens gegenüber, mit welchem das deutsche Voll die von mir vertetene auswärtige Politik Seiner- Majestät des Kaisers zu unterstützen bereit ist. In den Kundgebungen der im Volke lebendigen nationalen Gesinnung finde ich die Ermutigung, auch bei abnehmenden Kräften auszuharren im Kampfe gegen die Parteien, deren Unverträglichkeit unter­einander und deren Einmütigkeit im Wider­stande gegen jede staatliche Leitung die Entwickelung des Reiches hemmen und unsere mit schweren Opfern von der Nation erkämpfte Einheit gefährden. Alle die­jenigen, welche mir in der gegenwärtigen Phase dieses Kampfes ihr Einverständnis kundgegeben und ihren Beistand zugesagt haben, bitte ich, meinen verbindlichen Dank auf diesem Wege entgegennehmen zu wollen, v. Bismarck."

Fürst Bismarck soll in der letzten Sitzung des Staatsministeriums sich gegen eine Auflösung des Reichstags ausgesprochen haben, und zwar, wie derK. Z." be­richtet wird, einmal weil die bisherigen Beschlüsse des Reichstages, welche die Auf­lösung rechtfertigten, noch nicht endgiltig seien, sondern noch der dritten Lesung harren, die möglicherweise, ja, sehr wahr­scheinlicherweise ein anderes Ergebnis bringen wird als die ersten Lesungen. Sodann war es dem Reichskanzler offen­bar nicht erwünscht, daß eine ihn doch in erster Reihe nur persönlich verletzende Maßnahme der Reichstagsmehrheit zur Grundlage einer Auflösung gemacht werde. Der ultramontan-demokratischen Mehrheit stehen noch Proben ihrer Leistungsfähigkeit bevor, die rein politscher Natur sind, bei denen Zu- oder Abneigung gegen den Fürsten Bismarck persönlich nicht in Frage kommen, und bei diesen Proben wird sich dann entscheiden, ob bei der jetzigen Reichs­tagsmehrheit das Reich gefährdet ist oder nicht.

Täglich wächst die Zahl der nationalen Demonstrationen gegen den Reichstagsbe­schluß vom 15. Dezember. In derNordd. Allg. Ztg." werden fortgesetzt Adressen an den Reichskanzler veröffentlicht, die aus dem Jnlande wie aus dem Anslandc ein- gehen, und Zeugnis oblegen, daß die Heldenthat vom letzten Montag als ein Schlag gegen die nationale Ehre des Vaterlandes empfunden ward.

Leipzig, 22. Dez. Anarchistenprozeß. Das heute verkündete Urteil lautet gegen Reinsdorf auf Todesstrafe und 15 Jahre Zuchthaus, gegen glupsch und Küchler auf Todesstrafe und 12 Jahre Zuchthaus, gegen Bachmann und Holzhauer auf je 10 Jahre Zuchthaus. Söhngen, Rhein­bach und Töllner wurden freigesprachen. Der Strafprozeß gegen die Ruchlosen, welche das schönste Fest ihres Vaterlandes zu einer Katastrophe umzuwandeln ge­sucht haben, von der nach Jahrhunderten noch mit Entsetzen gesprochen worden sein würde, hat keine Momente zu Tage ge­bracht, welche besondere Beachtung ver­dienten. Der Urheber und Veranstalter des Komplots ist eine Verbrechernatur, wie sie schon früher aufgetreten sind, be­

vor die Sozialdemokratie und ihr Aus­wurf, der Anarchismus, auftauchten. Höch­stens mehr Heuchelei wendet der heutige Bandit auf, der seinem mordgierigen In­stinkte folgt. Das bedenkliche sind die Mittel. Gar zu leicht ist es heute dem Bösewicht, sich in den Besitz von Spreng­stoffen zu setzen, mittelst welcher ein Massenmord ausgeführt oder ungeheurer Schaden angerichtet werden kann. Wenn sich solches Gesindel vor Gericht damit rühmt, die Menschheitretten" zu wollen, so wird man darin nur einen Borwand erblicken dürfen: das Verbrechen ist ihr eigentliches Ziel, ein Verbrechen, welches sich mit teuflischer Bosheit gegen Sitte und Ordnung, gegen den Geist des Volkes, gegen die höchsten nationalen Ziele wendet.

Pforzheim. Sonntag 28. Dezbr. gibt die vollständige Kapelle des 1. Bad. Leibgrenadier-Regiments Kapellmeister Böttge ein großes populäres Konzert in der Turnhalle, abends 5 Uhr anfangend. Das Programm enthält 12 Nummern.

An den größten Deutschen

betitelt sich ein Gedicht, das dem F. I. aus Bochum eingesendet wurde, welches wir auf Wunsch eines Stuttgarter Freundes als die augenblickliche Stimmung der natio­nalen Deutschen auch hier folgen lassen:

Schick' sie uns heim, die Biedermänner, Schick' sie der deutschen Wählerschaft!

Schick' sie doch heim, die Besserkenner,

Die ihren letzten Trumps verpafft!

Schick' sie uns nur, wir halten alles Zum würdigen Empfang bereit:

Sie kriegt doch endlich ihren Dalles,

Die Demokratenherrlichkeit!

Schick' sie doch heim, die faden Schwätzer, Die an den Pranger uns gestellt;

Die schwarzen und die roten Hetzer,

Sonst werden wir zum Spott "ver Welt!

Lass' sie uns doch nach Hause kommen,

Bei Gott, es kräht kein Hahn darum! Die Atheisten und die Frommen,

Pommade und Petroleum!

Ein Lumpengeld ward Dir verweigert!

Das ist zu viel! Das ist zu stark!j Die deutsche Ehre ward versteigert Um ganze zwanzigtausend Mark!

Uns flammt die Röte in den Wangen,

Dieweil der blanke Schild zerklafft,

Herr Fürst, wir tragen heiß' Verlangen!

Schick' uns die werte Brüderschaft!

Schick' sie uns doch! Viel tausend zittern Vor Zorn ob dieses Backenstreichs.

Es bricht hervor gleich Ungewittern Und harrt nur Deines Fingerzeigs.

Hörst Du des Undanks Schlange zischen?

Ihr Wärter ist ein sader Tropf

Bei Gott, sie soll uns nicht entwischen,

Und wir zerstampfen ihr den Kops!

Schick'unsdie Brüderschaft nach Hause, Die solch' ein Mal uns eingebrannt!

Und wie ein Donnerwetter brause Der Schlachtruf für das Vaterland.

Lass' uns den gift'genjWurm zertreten, Der an der deutschen Ehre frißt!

Wir wollen kämpfen, wollen beten,

Daß dieser Biß sein letzter ist.

Wilhelm Hoppstädter.

Württemberg.

Stuttgart, 23. Dezbr. (Protest­meeting im Bürgermuseum wegen des Reichstagsbeschlusfes vom 15. ds. Mts.) Kein Sedanfest ist früher gefeiert worden, an dem nicht in der Reihe der offiziellen Toaste auch des deutschen Reichstags rühmend gedacht wurde. Freilich ist diese Sitte mit der Zeit allmählich in Abgang gekommen, aber das hätte man damals

nicht erwartet, daß einmal sogar eine Ver­sammlung eigens zu dem Zweck einbe­rufen werden könnte, um der Entrüstung über den Reichstag öffentlichen Ausdruck zu geben.*) Prof. Dr. v. Zech eröffnete die Versammlung mit kurzem Hinweis auf den Zweck der Zusammenkunft und die gleichartigen Kundgebungen durch ganz Deutschland. Der Reichstagsabgeordnete Dr. v. Lenz entrollte vor der Versamm­lung ein Bild von der politischen Situation: auf der einen Seite die glanzvolle Er­öffnung des Reichstags im Beisein der gesamten europäischen Diplomatie, welche die Staatskunst des Fürsten Bismarck zu einer kolonialpolitischen Friedenskonferenz nach Berlin geführt hatte; auf der andern Seite das kleinliche, mit Sparsamkeits­rücksichten nur schlecht bemäntelte persön­lich feindselige Verhalten der Reichstags­majorität, die dem Fürsten Bismarck die Mittel versagen will, die Arbeitslast der auswärtigen Politik auch ferner zu be­wältigen. Prof. Veil lenkt die Gedanken der Versammlung auf jene alten National­fehler der Deutschen: den Absonderungs­geist, das bemängeln und bekritteln alles Großen, die auch jetzt wiederum das neu­gewonnene Nationalbewußtsein zu ver­dunkeln drohen. Der Redner schloß mit dem Appell, die heutige Begeisterung nicht verrauchen zu lassen, sondern sich zu ge­loben, daß jeder an sich selbst und nach dem Maße seiner Kräfte jene National­fehler, welche unsere schlimmsten Vater­landsfeinde seien, bekämpfe. Es wurde darauf die Adresse an den Fürsten Bis­marck verlesen, welche mit dem entschie­denen Protest über jenen Reichstagsbe­schluß die Versicherung treuer Anhäng­lichkeit an den Kanzler verbindet. Ein­stimmig wurde diese Adresse genehmigt und beschlossen, daß das Komite im Na­men der Versammelten unterzeichnen solle, damit sich die Absendung nicht verzögere.

*) Die deutschen Wähler mögen aber auch an die eigene Brust schlagen und nicht Abgeordnete wählen, die ihr Vertrauen so mißbrauchen.

Stuttgart. Staatsanzeiger und Merkur vom 21. Dezbr. bringen eine Bekanntmachung des Kapitalisten-Ver- eins, betreffend die Herabsetzung des Zinsfußes der 4'/- "/o^Vereinsscheine und Pfandbriefe auf 4 °/a, welche auf 1. April 1885 beginnt. Diejenigen Inhaber von Vereinsscheinen und Pfandbriefen, welche von dem vorstehenden Anerbieten 4 °/oiger Papiere keinen Gebrauch machen wollen, haben laut K 12 der Statuten das Recht, die Heimzahlung des Kapitals zu ver­langen. Die Ausübung dieses Rechts kann vom 2. bis 31. Januar unter Vor­lage der betreffenden Scheine und Pfand­briefe behnfs Abstempelung derselben auf der Kasse der Bank geltend gemacht werden. Nach Ablauf dieses Termins werden Kündigungen nicht mehr berück­sichtigt. Die Rückzahlung der gekündigten Beiträge erfolgt vom 1. April 1885 ab an dem Termine, welcher vom Verwal­tungsrat der Bank seiner Zeit wird be­kannt gemacht werden. Werden mehrere Termine anberaumt, so entscheidet bezüg­lich der Reihenfolge der zur Einlösung kommenden Obligationen das Loos. Bis zu dem Rückzahlungstermin dauert die