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Neuenbürg, 22. Okt. (Zur Reichstagswahl.) Unser bisheriger Reichstagsabgeordneter Herr Kommerzien­rat Jul. Staelin von Calw, traf gestern, ergangener Einladung entsprechend, hier­ein, um vor einer größeren in allen Stün­den vertretenen Wählerschaft aus Stadt und nächster Umgebung über die jüngsten Verhandlungen im Reichstag zu berichten und seine ihn dabei leitenden Grundsätze darzulegen. Der Entschluß zu Uebernahme einer Wiedervertretung sei ihm bei der großen Aufgabe etwas schwer geworden, aber dem ehrenden Vertrauen gegenüber habe er sich nicht ablehnend verhalten zu dürfen geglaubt. Mit hoher Befriedigung und patriotischer Wärme spricht er sich über die Festigung des deutschen Reichs und seine verdiente, tüchtige Armee aus und wie es Dank dem starken Auftreten des Kaisers und seines Ratgebers Bismarck gelungen, uns trotz drohender Gewitter­wolken den Frieden zu erhalten und Deutschland zum Hort des Friedens für ganz Europa zu machen, wofür wir auch Gott dankbar sein mögen. Die nächsten Aufgaben des Reichstags werden mehr- innere, der friedlichen Arbeit gewidmete Fragen sein. Mit der Aenderung in der Wirtschaftspvlitik sei eine heilsame Bahn eingeschlagen, die pessimistischen Prvphc- zeihungen seien nicht eingetroffen, neue Steuern nicht aufgelegt, die Zolleinnahmen seien vom Ausland bezogen und die Ma- trikularbeiträge haben in Folge dessen sogar abgenommen. Der Einfluß Deutsch­lands in Europa, das wie früher nach Paris, fetzt auf Berlin sieht, beruhe in der auf unser gutes Schwert gestützten großen Leistung Bismarcks in der auswär­tigen Politik, welche in dieser Beziehung indessen nichts ungeprüft verlange, darum die jeweiligen Hetzereien und Rohheiten entschieden nicht verdiene. Staelin will, wie bisher, alle materiellen Fragen der gewissenhaftesten Prüfung unterziehen, insbesondere in den Zollsachen, worin die Ansichten noch sehr auseinandergehen. Für Holz und Getreide sei ein Schutz durch Zölle nötig, ans den Getreidezöllen sei noch keine Verteuerung des Brotes erfolgt und auf der Bahn des Maßhaltens auch nicht zu befürchten, dem Bauernstand müsse aber damit aufgeholfen werden. Die Zuckersteuer sei in Folge Rückgangs in den Einnahmen von größerer land­wirtschaftlicher Bedeutung, darum mit Vorsicht zu behandeln. Das Tabakmono­pol werde vorerst nicht auf die Tages­ordnung kommen, da die Erfahrungen in Straßburg etwas abgemahnt haben; den Gemeinden würde die Tabakbesteuerung indessen zu Hilfe kommen. Der Börsensteuer­entwurf sei etwas zu weit gegangen, denn das legitime Geschäft dürfe nicht damit betroffen werden. Staelin ist aber für eine Börsensteuer, welche auf die Speku­lation zu legen wäre. Ferner für den weitern Ausbau unserer sozialen Gesetz­gebung in der Krankenkassen- und Unfall­versicherung; in der Invaliden- und Altersversorgung dagegen dürfte Maß zu halten sein bis auf weitere Erfahr­ungen, man müsse wegen der Lohn- Verhältnisse mit Ruhe und Besonnen­heit darin Vorgehen. In den so

wichtigen Fragen: Dampfer-Subvention und Kolonialpolitik, welche allerdings nicht zum Voraus berechenbar, habe Redner sich sehr gefreut über die Vorsicht und den großen Scharfsinn Bismarck's, der den nationalen Bedürfnissen des Volkes auch nach dieser Richtung Bahn gebrochen habe. Der Hauptgewinn dabei sei der Schutz der Deutschen im Auslande. Nochmals ans die Militärfrage zurückkommend, hält Staelin die gegenwärtige Präsenz noch für nötig und nicht zu vergessen das Jahr 1870, sollte nicht immer daran gerüttelt Werden, im wohlverstandenen Interesse des Vaterlandes und des Friedens. Im Ausland kosten die Heereseiurichtuiigcn viel mehr, während Deutschland das beste und billigste Heer besitze. In diesem bis jetzt ausgesprochenem Sinn ist Staelin ein Freund der großen Männer Deutschlands, voran Bismarcks. Württembergs Selbst­ständigkeit sei von Berlin aus entfernt nie bedroht, die Bedrohung komme von ganz anderer Seite, durch die Demokratie. Mit einem patriotischen Hoch auf Kaiser und Reich, unser engeres Vaterland und König Karl schließt die interessante Rede.

Staelin macht den Eindruck, daß er mit voller Ueberzeugung, unterrichtet durch eigene Anschauung und Einblick in die Absichten der dermaligen Reichsregierung treu zu Kaiser und Reich steht. Wohl- thuend wirkt die Wärme, mit welcher er der Macht des Reichs, der Tüchtigkeit seines Heeres und der leitenden Persön­lichkeiten gedenkt. Sein Programm ist nicht, wie von gegnerischer Seite da und dort unlauter Weise ausgestreut wird, ein reaktionäres, sondern jener freikonser­vativen Richtung angehörend, mit der sich alle reichs- und wirklich volksfreundlich Ge­sinnten einverstanden erklären können. Er enthält sich aller persönlichen Ausfälle und Gehässigkeiten, in anständiger ehrenhafter Weise seinen Standpunkt darlegend und den Wählern die Entscheidung überlassend.

Hr. Ämtspsleger Weßinger übernimmt es, dem bisherigen Abgeordneten, der seit 7 Jahren sich viele Opfer aufcrlegt und den Wahlkreis in Ehren vertreten hat, den Dank und das Vertrauen der zahl­reich Anwesenden auszusprechen mit dem Wunsche, daß seine Wiederwahl eine ge­sicherte sein möge.

Hr. Staelin geht heute nach Wild­bad, wohin er ebenfalls eingeladen ist.

Bon Nagold wird berichtet, daß die Kandidatur Staelin im Vordergrund steht und die Volkspartei dort wenig Boden hat. Von Herrenalb wird soeben als ganz zuverlässig mitgetheilt, daß Staelin dort alle Aussichten hat.

Stuttgart, 21. Okt. Kartoffel-, Obst-u. Krautmarkt. Leonhardsplatz: 700 Säcke Kartoffeln a 2 ^ 20 ^ bis 2 50 H pr. Ztr. Wilhelmsplatz: 3000

Säcke Mostobst ü 5 50 bis 6 80

pr. Ztr. Marktplatz: 5000 Stück Filder- krant ü 10 bis 15 Pr. 100 St.

Neuenbürg. Kartoffelmarkt. Rothe aus der Gegend von Schielberg in schöner Ware 2 vkL 15 ^ pr. Ctr.

O e st e r r e i ch.

Wien, 21. Okt. Herr Windthorst ist gestern hier eingetroffen, um sich nach

Gmünden zum Herzog von Cumberland zu begeben. (F. I.

MigMen.

Om Wädchenl'os.

(Fortsetzung.)

Eben kam Charitas mit dem Beiblatte zurück, und meldete den Hirschwirt an, der sogleich mit seinem Sohne erscheinen und dieBraut" abholen wolle. Das ganze Dorf sei in Bewegung, erzählte sie, und gratulire dem Herrn Lorenz zur reichen Braut.

Der Pfarrer, ärgerlich über dies für Susetten verdrießliche Gerücht, rief aus:

Ei was Lorenz! Der wär ein guter Bissen für 'ne rechtschaffene Köchin, um seines Schutzpatrons willen; denn der hei­lige Märtyrer Laurentius ist auf dem Rost gebraten worden.

Dieser sonderbare Humor des geistlichen Herrn bestärkte nur Susetten in ihrer ent­schlossenen Haltung gegen die Bewerber, die sie denn auch sehr gefaßt empfieng.

Vater Hambach reichte ihr die Hand und und begrüßte sie als künftige Tochter. Die schwere Hacke, Herr Pfarrer, sagte er in seiner Verlegenheit, Sie bekommen da ein Paar zu trauen, das sich gewaschen hat. Statiös! Was wahr ist, darf ich auch von meinem Sohne sagen. Zugleich wollte ich mir die Ehre auch von Ew. Hochürden aus- bctten, benebst der Jungfer Braut zu 'nein Löffel Suppe, wie man zu sagen pflegt. Es wird aber noch einiges bei der Suppe sein, und imHirsch" ist nicht Schmal­hans Küchenmeister.

Der Pfarrer blickte mit verstohlenem Kopfschütteln Susetten an, und diese er­klärte mit freundlicher Gelassenheit:

Herr Hambach, wir dürfen noch kein sol­ches Aufheben von der Sache machen. Ich darf mich gar nichtBraut" nennen lassen: denn daß Lorenz sich gegen mich im Walde erklärt hat. Nein, ich will nicht im Wald Braut geworden sein, nein!

Das ist's eben, Susette, erwiderte Ham­bach. Drum wollen wir's nun im Hirsch nachholen. Im Walde schießt man auch

leicht einen Bock, und der Hirschwirt-

hält dafür, daß auch Zeugen schicklich sind.

Das Schicklichste scheint mir vor Allem, den Gewinn herbeizuschaffen, erklärte Susette. Und dazu bedarf ich Eures Rates und Beistandes, Vater Hambach. Denn ich habe ja hier außer dem Herrn Pfarrer Niemand, und Seine Hochwürden können sich doch nicht persönlich in die Sache mischen.

Pfarrer Mihm fand das vernünftig ge­sprochen. Hambach hatte Manches ein­zuwenden. Der zurückgehaltene Brief Tanner's drückte ihn insgeheim. Er traute dem Inhalt nicht und fürchtete, dem Post­zeichen nach, ein Zusammentreffen des Jägers mit der in Frankfurt zu erheben­den Glücksbeute. Drum drang er so auf eine vorläufie Verlobung vor Zeugen und ging damit um, im Eheverlöbnis eine Abstandssumme für einen etwaigen Reue­fall festsetzen zu lassen, um auch dann noch eines Anteils am Gewinn sicher zu sein.

(Fortsetzung folgt.)

Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Me eh in Neuenbürg.