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Gewicht 70 bis 86 Grad. Ziemlich Vor­rat. Zu Aufträgen ist der Ortsvorsteher gerne bereit.

Her re nb er g, 15. Okt. Der Winter­kurs an der hiesigen Haushaltungsschule nahm heute seinen Anfang. 24 Mädchen traten in die Schule ein, einige sogar von entfernten Gegenden.

Ravensburg, 16. Okt. Heute mittag wurde durch Landjäger eine aus 14 Köpfen bestende Zigeunerbande von Waldsce hieher transportiert. Sie machen hier kurze Zeit Rast, um dann nach Tett- nang und von dort aus nach Bregenz be­fördert zu werden.

Neuenbürg, 19. Okt. Zur Reichstagswahl. Der von derVolks­partei" gegenüber der Kandidatur Staelin znm Reichstagsabgeordneten vorgeschlagene Hr. Emil Georgii von Calw war heute hier, um sich den Wählern vorzustellen und sein Programm zu entwickeln; er be­kennt sich zur Volkspartei und den demo­kratischen Grundsätzen von 1848 und 1849. Sein Programm ist im Allgemeinen das der Bolkspartei, wie es von der Leitung in Stuttgart iu den letzten Tagen ver­öffentlicht wurde; er erklärt auf dem Boden der Reichsverfassung zu stehen unter Fest­haltung der Reservatrechte Württembergs und der bekannten Forderungen, verlangt also Diäten für die Reichstagsabgeordneteu, Wahrung des allgemeinen Stimm- und geheimen Wahlrechts, welches er für ge­fährdet hält, ist gegen alle und jede Aus­nahmegesetze, für Herabsetzung der Gerichts­kosten, will die allgemeine Dienstpflicht, unter etatsmäßiger Prüfung des Militär­etats, unbeschadet der Schlagfertigkeit des Heeres, denn er (Redner) habe als Turner auch eine Freude an einem schlagfertigen Heere, mit welchem aber die Herabsetzung derPräsenzzeit wohl vereinbar sei. (lieber beide letzteren Punkte gehen freilich die Ansichten noch weit auseinander. Wer hat nun Recht, Moltke oder die Herren von der Bolkspartei?) Georgii ist prin­zipiell gegen Zölle, Tabaksteuer rc., denn die Steuerkrast sei zu schonen; der Ge­treidezoll bringe nicht viel ein und wirke eher schädlich, wofür er einige Beispiele anführt, eventuell könne er sich aber im Interesse der Land- und Waldwirtschaft mit den ihnen aufhelfenden Zöllen ein­verstanden erklären. Eine Handels- und Kolonialpolitik mit Dampfersubvcntion sei schon recht, sie dürfe aber nicht ins Blaue hinein gehen. (Wer wollte denn das?) Die neueste Kolonialpolitik Bismarcks sei annehmbar, ebenso könne man sich mit einer gesunden Sozialpolitik einverstanden erklären. Georgii befürchtet, die Reichs­regierung könnte Stück für Stück an den Freiheiten abzuschälen suchen, ihre Stille vor den Wahlen sei verdächtig. Schließ­lich stellt der Herr Kandidat für den Fall seiner Wahl öftere Rechenschaft an die Wählerschaft in Aussicht. Man hört aus seinen Erörterungen, daß Hr. Georgii sich an manches anbequemen könnte, was von der Volkspartei bisher bekämpft worden ist. Zur Empfehlung und Unterstützung der Wahl Georgii's ist Hr. Rechtsanwalt Stockmayer aus Stuttgart mit ein­getroffen. Derselbe, vor allem sich und seine Partei vor der Unterstellung der Reichsfeindlichkeit entschieden verwahrend,

jweiß gegen die beiden Kandidaten per­sönlich nichts zu sagen; die Frage sei ihr Programm und ihre Vergangenheit. Georgii vertrete das volkstümliche, Staelin das reaktionäre (?) Prinzip. Der Hr. Redner will im Allgemeinen gegen das vorliegende Staelin'sche Programm nicht viel ein­wenden, unterwirft dasselbe aber in ein­zelnen Punkten einer eingehenden Kritik, welche die Gegensätze des Programms der Volkspartei hervorhebt und zugleich zur Rechtfertigung die Bestrebungen der Partei ins Licht stellt, welche wie Georgii schon gesagt, auf dem Boden der Reichsverfassung stehe, allerdings in mehr volkstümlichem Sinn. Auch Hr- Stockmayer hält das allgemeine Wahlrecht und geheime Stimm­recht für bedroht; die Stille der Reichs­regierung vor der Wahl erscheine verdächtig, die Württ. Regierung, so unschuldig sie sich stelle, könne doch im Stillen durch ihre Beamten Wahlbeeiufluffung ausüben;

(ist die Regierung während der Wahlen stille, wittert man Unheil, gibt sie zu der­selben ein Lebenszeichen von sich, so wird es als Wahlbeeinflusfung getadelt, wie soll sie es denn da machen?) Hr. Stock­mayer wendet sich gegen die Abhängigkeit des Arbeiters gegenüber dem Arbeitgeber, das Wahlrecht müsse ihm durch die ge­heime Stimmgabe unverkümmert erhalten bleiben. Mit dem Schutz der Land- und Waldwirtschaft stehe die Volkspartei auf gleichem Standpunkt wie Staelin; sie stimme auch in voller Loyalität für den Schutz der Arbeit und stehe der Alters­und Unfallversicherung mit den sozialen Einrichtungen wohlwollend zur Seite, ver­lange aber, daß vorher Erfahrungen ge­sammelt würden; für alles Wirtschaftliche stehe die Volkspartei wie ein Mann. Herr Stockmayer empfiehlt deshalb mit Ueber- zeugung die Wahl Georgiis. Die sehr ge­wandte (Richter und Geschworene ge­winnende)Verteidigungsrede" konnte den Eindruck machen, als habe sie die als Mohr angeschwürztc Volkspartei rein ge­waschen, so weiß wie ein Lümmlein, das nie ein Wässerlein getrübt. Der Partei wurde zugeeignet, daß s i e von jeher das­selbe gewollt, was wir mit Gründung des deutschen Reichs erlangt haben; und es ist sonach eitel Schade, daß Bismarck ihr darin zuvorgekommen ist, die Bolks­partei hätte alles viel besser und auf breiterer Grundlage fertig gebracht. Wenige anwesende Sozialdemokraten mögen enttäuscht gewesen sein und sich durch die Rede isoliert und kalt gestellt gesehen haben.

Aus der heutigen zahlreichen Ver­sammlung einen Schluß zu ziehen, wäre voreilig, da ebenso viele Gegner wie Anhänger im Sale anwesend gewesen.

j standsgeld. Eine schöne Nonne, die Frömm­lerin, die ihre Nase in anderer Leute Thun und Lassen steckt.

Der Pfarrer hustete mit einem warnenden Blick über dieZeitung hinaus, in der er suchte, während Susette entschuldigend einwendete:

Sie war aber ein gutes, vernünftiges Mädchen, die zuverlässigste von uns dreien, darum wir ihr auch das Los in Ver­wahrung gegeben haben, als sie und Dortchen von hier wegkamen. Eine könnt' es doch nur in den Händen behalten.

Mag sein, fuhr Charitas fort, aber neugierig war sie wie 'ne Katze und horchte an den Thüren. Wir konnten sie darum auch nicht behalten, der Herr Pfarrer heißt das

Dieser hatte die Zeitung hingelegt und stopfte seine meerschaum'ne Pfeife mit einer Miene auf Charitas, worin deutlich zu lesen war:Könnt' ich Dir doch's Maul stopfen, Du Hagelgans!" Wo steht's denn mit dem Los, Susette? fragte er.

Es war im Beiblatt, Hochwürden.

Wo ist's Beiblatt, Charita

8 ?

Miszellen.

Kin Mädchentos. (Forts ) Eben brachte die Haushälterin das Journal und der ungeduldige Pfarrer rief ihr entgegen:

Gebt her, Charitas! Denkt Euch, die Habens große Los gewommen, die Susette, unsere Katharine.

Was? die Katharina auch, siel die Köchin etwas erbittert ein. Ei, da kann sie ja nun Nonne werden. Sie wollte ja doch immer nach Fulda oder Fritzlar in's Kloster und es fehlte ihr nur am Ein-

Es ist keins mitgekommen.

Geschwind lauf hinüber, wo's Beiblatt wär? Da unten steht ja auch:Hierbei eine Beilage."

Wo das mit dem großen Los drin steht. Ich weiß schon, rief die forteilende Köchin.

Nun geht die Neuigkeitsglocke durchs Dorf, lachte der Pfarrer.

Susette erzählte nun ihr Mißverständ­nis mit Lorenz und wie sie gekommen sei, des Herrn Vetters Rath zu holen. Sie klagte sich an, den offenherzigen Burschen nicht ehrlich und offen genug abgewiesen zu haben und fragte, ob es nicht eine erlaubte Klugheit sei, durch solcherlei Ausflüchte sich der etwaigen Ränke habsüchtiger Menschen zu erwehren.

Hast ganz Recht! versicherte der Pfarrer. Es gibt Rechtsverdrehungen, die gewissen­los und doch bei den bürgerlichen Ge­richten durchzusetzen sind. Da muß man zur Klugheit seine Zuflucht nehmen und mit unschuldiger Täuschung sein gutes ehr­liches Recht behaupten. Wort und Ver­sprechen messen alles nach der Schnur ab; aber im Thun und Lassen haut man doch zuweilen einmal über die Schnur. Darüber beruhige Dich, und hast Du ja ein großes Vorbild von kluger Benutzung der Zeit und Umstände an unserer heiligen Kirche. So Hai auch sie sich in allen Bedrängnissen glücklich durchgeschlagen, hat die Habsucht und die Uneinigkeit der Könige benutzt, um sich so oder so, wie's am Besten gierig, empor zu arbeiten. Auch wird sie sich jetzt wieder beim Frankfurter Parlament nicht vergessen, wie ich gelegntlich von Männern gehört habe, die dort alles machen und aulegen. Dabei fällt mir auch ein, daß cs doch ein gutes Vorzeichen isteuer Lotterieloos nämlich. Drei arme Mädchen aus dem Volk machen gerade jetzt, wo beim Parlament das Glück unseres Volkes be­raten wird, den großen Gewinn. Eine herrliche Vorbedeutung, wie's mit dem Parlament ausgehen wird! (Jors. folgt.)

Die beiden Schwarzwälder am Oberrhein Des Grußes aus demThal" sich freu'n; Mit neuem Klingelberger Wein Soll kräftig er erwiedert sein!

Ein Prosit dem lieben Enzthal!

Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Me eh in Neuenbürg.