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Zeit des für Viele so verhängnisvoll gewordenen Milliardensegens und der darauffolgenden Periode des wirtschaftlichen Rückganges des deutschen Reiches erreichte die Zahl der »agierenden Bettler, Stromer und was sonst in diese Kategorie arbeitsscheuer Menschen gehört, eine ganz kolossale Höhe und wenn auch seit dem Jahre 1879 eine langsame Abnahme dieses Nationalübels zu konstatieren ist, so wird die Anzahl der heutzutage ganz Deutschland durchstreifenden verkommenen Individuen der geschilderten Art doch immer noch auf 200,000 geschätzt, eine Ziffer, die vielleicht eher noch zu nieder als zu hoch gegriffen ist.
200,000 wandernde Bettler — welch' eine erschreckende Zahl und welch' eine Summe an verlorenem Kapital und verlorener Arbeitskraft, aber auch an Vergehen und Verbrechen vom einfachen Obstund Felddiebstahl bis zum Raubmord repräsentiert sie nicht. Jeder dieser „armen Reisenden" schnorrt doch täglich mindestens, aber allermindestens zehn und zwanzig Pfennige zusammen, viele bringen es aber an „glücklichen" Tagen auf ein und zwei Mark und man hat bekanntlich schon öfters Landstreicher aufgegriffen, in deren Besitz sich ganz erkleckliche Sümmchen befanden, die allem Anschein nach von den betreffenden Individuen „rechtmäßig erworben", d. h. lediglich zusammen- gebettelt worden waren. Welche Summen diese indirekten Abgaben schließlich dar- stellen, zu denen der rechtschaffene Bürger durch das Stromertum wohl oder übel gezwungen wird, das kann sich hiernach Jeder sehr leicht selbst sagen.
(Schluß folgt.)
Berlin, 12. Sept. Der fanatische Haß, mit welchem die deutsch-freisinnige Presse und Agitation gegen Alle vorgeht, welche die Aufgaben des Liberalismus nicht ganz so auffassen, wie es Richter und Rickert vorschreiben, ist bedauerlicherweise in steter Zunahme begriffen und wird noch sehr unerfreuliche Früchte zeitigen. Wenn sogar in offiziellen Organen der „Freisinnigen" den Parteigenossen empfohlen wird, lieber für einen Polen und Sozialdemokraten als für einen gemäßigten Liberalen oder Konservativen einzutreten, so können wir darin nur einen höchst bedauerlichen Beweis erblicken, wie der Parteifanatismus jede ruhige und patriotische Erwägung zu ersticken droht. Aus solcher Aussaat können nur schlimme Früchte erwachsen, über welche jeder Vaterlandsfreund von ernster Besorgnis erfüllt sein muß. (S. M.)
Düsseldorf, 15. Sept. Die Gesamtleitung der Manöver des 7. und 8. Armeecorps hat der Kaiser in die bewährten Hände des General-Feldmarschalls Grafen v. Moltke gelegt; neben dem berühmten Heerführer sind auch der Kriegsminister General-Lieutenant Bronsart v. Schellendorf und der General-Quartiermeister General-Lieutenant Gras v. Waldersee anwesend. Bei dem hohen militärischen Ansehen, dessen sich jetzt — und hoffentlich für alle Zukunft — das deutsche Reich erfreut, ist es kein Wunder, wenn die Kaisermanöver eine gewaltige Anziehungskraft auf fremde Offiziere ausübcn, von den
Mächten mit wahlberechtigtem Interesse verfolgt werden. Weit über Europas Grenzen hinaus schenkt man ihnen volle Beachtung; so find nicht weniger als fünf japanesische Offiziere anwesend, und selbst die vereinigten Staaten von Amerika haben zum erstenmale einen Vertreter, die europäischen Mächte haben sämmtlich hervorragende Militärs gesandt.
Nach dem „Schw. M." steht ein Besuch des Kaisers von Oesterreich auf der Insel Mainau bei Gelegenheit der Eröffnung der Arlbergbahn in Aussicht.
Wörth, 11. Septbr. Der heutige Ruhetag, zugleich Geburtsfest Ihrer Majestät der Königin Olga von Württemberg, gestaltete sich für die Angehörigen der beiden in Wört kantonnierenden Bataillone des achten Württembergischen Infanterie- Regiments Nr. 126 zu einem Tage voll patriotischer Weihe durch den Besuch der zahlreichen Denkmäler auf dem Schlachtfelde. Um 10 Uhr vormittags standen die Mannschaften mit ihren Offizieren um das weithin sichtbare, frisch bcgränzte Denkmal der III. Armee am Wege von Wörth nach Elsaßhausen. Die Regimentsmusik intonierte „Ein' feste Burg ist unser Gott" , sodann folgte „Die Wacht am Rhein" und, nachdem diese verklungen war, eine kurze, schneidige Ansprache des Regimentskommandeurs, der mit dreifachem begeistertem Hurrah auf den ruhmbedeckten Führer der III.Armee, unfern Kronprinzen, schloß. Unter den Klängen des Pariser Einzugsmarsches setzte sich sodann die lange Kolonne in Bewegung nach dem Denkmal des 3. Württembergischen Jägerbataillons nahe Fröschweiler, wo so mancher Kamerad zur letzten Ruhe bestattet ist. Auch hier hatten treue Hände das Denkmal mit frischem Grün geschmückt und lautlos hörten die Versammelten dem Beethoven'schen Trauermarsch und dann, nachdem der Regimentskommandeur, der geliebten opferfreudigen Landesmutter gedenkend, ihr ein dreifaches donnerndes Hurrah ausgebracht, der „Ruffschen Nationalhymne" und dem „Württemberger Liede" zu. Der „König Karl-Marsch" geleitete die Mannschaften weiter über Fröschweiler auf die Straße nach Wörth, wo das große französische Denkmal auf vorspringcnder Höhe in eigenartig gedrücktem Bau sich von der Umgebung abhebt. Auch dem tapferen Feinde wurde der Zoll der Achtung und der Pietät in einem Choral dargebracht und frisches Reis auf der Stätte der Erinnerung niedergelegt. Es war eine seltene, von jedem tiefempfundene, zu Herzen gehende Feier.
Mannheim, 15. Sept. Ein junges Mädchen, welches gestern von Konstanz auf dem hiesigen Bahnhof ankam, bemerkte mit Schreck, daß ihr während der Fahrt das Portemonnaie mit einigem Geld und ihr Retourbillet entwendet worden war. Vollständig mittellos befand sich das arme Mädchen in einer peinlichen Lage, doch trafen ihre Klagen glücklicherweise die richtige Stelle, indem eine junge, zu Besuch hier anwesende Dame aus Böblingen ihrem Mitleid durch die That Ausdruck verlieh uud der Bestohlenen sofort die Mittel zur Heimreise gewährte, sowie ihr ein Billct nach Konstanz löste.
Aus Baden, 13. Sept. Professor Drei körn vom Gymnasium in Mannheim, welcher die Ferien zu einem Ausflug ins bayrische Hochgebirge benutzt hatte und seit 23. August vermißt wurde, ist nach mehrtägigem Suchen vorgestern nächst dem Witterstein bei Mittelberg (Algäu) als Leiche aufgefunden worden. Man vermutet, daß Dreikorn als Botaniker gefährliche Stellen besucht und durch einen Sturz das Leben verloren habe. Der Verlebte stand im Alter von 37 Jahren. Der letzte Brief an feine Gattin war vom 22. August datiert uud meldete aus einem Ge- birgsdorf, daß Dreikorn eine Fußtour nach Lindau unternehmen werde. Der dorthin voransgeschickte Koffer kam am 25. August an. Frau Dreikorn reiste, als briefliche Nachforschungen resultatlos blieben, am vorigen Sonntag in Begleitung eines Schwagers des Vermißten nach Lindau ab. Die von dort aus angestellten Nachforschungen ergaben das oben mitgeteilte betrübende Resultat, welches durch die Todes-Anzeige, die der Schwiegervater des Verunglückten, Bijouterie-Fabrikant Bertram in Pforzheim, in der heutigen Karlsr. Z. gibt, bestätigt wird. (S. M.)
Württemberg.
Seine Majestät der König haben auf die Nachricht von dem Ableben des Präsidenten v. Böhm den Staatsminister der auswärtigen Angelegenheiten zu beauftragen geruht, den Hinterbliebenen die Höchste Teilnahme an dem von ihnen erlittenen schweren Verluste auszudrücken.
Stuttgart, 12. Sept. Der seit den letzten Wochen des August konstatierte stete Rückgang der Typhusepidemie unter der Infanterie der Garnison Stuttgart dauert in erfreulicher Weise auch im September fort.
Stuttgart, 15. Septbr. Auf der Zahnradbahn wurden gestern in 70 Zügen etwa 4000 Personen und zwar 2200 Pers. zu Berg und 1800 zu Thal befördert.
Stuttgart, 16. Sept. Seine Ex- cellenz der Geh. Rat v. Dillenius, Generaldirektor a. D., welcher am 15. d. anscheinend in voller Gesundheit der Beerdigung des nach ihm zur Leitung der K. Gencraldirektion der Staatseisenbahnen berufenen Präsidenten v. Böhm anwohnte, ist kaum wieder zu Hause angelangt, in Cannstatt, wo er seit seiner Pensionierung Wohnung genommen hatte, in Folge eines Schlaganfalls gestorben. Seine hervorragenden Verdienste um die Entwicklung des Eisenbahnwesens, insbesondere des vaterländischen, fanden allseitige Anerkennung durch die Verleihung zahlreicher inländischer und ausländischer hoher Orden.
(St.-Anz.)
Biber ach, 11. Sept. Die am 7. d. hier erfolgte Pulverexplosion, bei welcher vier erwachsene Personen und drei Kinder höchst gefährlich verwundet wurden, hat bereits zwei Menschenleben gekostet. Vorgestern erlag das 6jährige Töchterlein des bei der Güterbeförderung bediensteten Fuhr- knechts und in der vorigen Nacht starb der Oberbrauer in dessen Wohnung sich das schauerliche Unglück ereignete. Vermutlich werden diesen noch mehrere in das Grab Nachfolgen. Ueber die Art und Weise der Entstehung des Unglückes herrscht immer noch ein geheimnisvolles Dunkel.