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Absichten sich erfüllen werden, hängt, wie alle menschlichen Dinge, von Hähern Schicksalsmächten ab. Nach den Gefühlen der Anwesenden, durch welche wir alle Stände der Einwohnerschaft so zahlreich vertreten sahen, einen prophetischen Schluß zu ziehen, dem eine sympatische Vorahnung beigemessen werden darf, sind unsere Hoffnungen auf dem besten Wege, in Erfüllung zu gehen und so schließen wir mit dem herzlichen Wunsche für eine gedeihliche harmonische Zukunft unserer Stadt und ihres Vorstandes.
Miszellen.
Die neue Houvernanie.
Novelle von Emil Mario Vacano.
(Fortsetzung.)
7. Kapitel. Viele Leute.
Es war ein lieblicher Maiennachmittag, als das Schloß Wasserwald viele Gäste empfing. Die Bekannten aus der Umgegend und aus der Stadt waren zu einem Frühlingsront geladen worden. Es gab nichts Balsamischeres als diese linde Maienluft, nichts Glänzenderes als die heiter und schon siegreich strahlende Sonne, welche mit frohem Stolz ihre jungen Werke überblickte: das Knospengrün und den Blütenfchnee. Alle Bäume waren übersäet davon und glichen riesigen Schneeballen, auf denen die Morgenröte schimmert.
Man tummelte sich im Park, der heute zum erstenmale wieder laut und belebt war. Man hatte die Goutertafel auf die Terrasse placirt und von hier aus flatterte man überall hin, bald unisono, bald in Gruppen. Gräfin Nesti war fast die Lauteste von Allen. Sie sah reizend aus in ihrer knospengrünnen Frühjahrsrobe. Von Damen waren anwesend: die Prinzessin Ranuncula, die Oberin des Damenstiftes, ihr Bruder Prinz August, (der so viel Altweiberhaftes an sich hatte, daß er stets zu den Frauen gerechnet wurde), die Baronin Kihildis von Prunstätten mit den dreiundvicrzig Ahnen und die Gräfin Helorsen, welche nie nach Hanse kam. Die hatte auch zwei Nichten mitgebracht, welche aussahen wie Stahlstiche, redeten wie Taschenbücher und die Arme stets wie Guirlanden über den Busen kreuzten. An Herren gab es den Grafen Seeburg, den Jagdfreund des Hausherrn, den dicken Major, zwei, drei Hauptleute und Oberlieutenants, zwei Lieutenants und einen moldauischen Fürsten, der bei Seeburgs zu Gast war. Die Männer rauchten ihre Cigarren und die Damen ihre Cigarretten nach dem Naschen. Es bilden sich gern Gruppen, wenn man sich vom Gouter erhebt. Die Männer sprachen von der gestrigen Zeitung und von einer Differenz im Adelskasino von Reitenburg, und die Damen, den fistelstimmigen Prinz August in der Mitte, bildeten brus ckossus bims ckossous eine kleine Kolonne, welche sich die Terrassentreppe hinabbewegt, um über die Männer zu medisiren — zur Verdauung.
„Dieser Fürst Muresti ist ein Prachtmensch!" sagte die Gräfin Helorsen in ihrer ungenirten amazonenhaften Weise, sobald man am Fuße der Treppe ange
kommen. Sie hatte eine so laute, tiefe Altstimme, daß man es wohl bis auf die Terrasse hinauf hören konnte.
„Ollut! Er kann Sie ja hören!" er- wiederte die Prinzessin Ranuncula.
„Aber das will ja die Gräfin wahrscheinlich!" zischte Prinz August boshaft und sein Gesicht glich dabei einer runzeligen Limonie. Er war beiläufig gesagt die Einzige unter den „Damen", die nicht rauchte. „Nicht wahr?" zischelten ihm die beiden Nichten entgegen, die stets unisono dasselbe sprachen, wie der Chor in einem griechischen Trauerspiel. „Die Gräfin ist von einer abscheulichen uMyorio! — Der arme Fürst!"
„Ich, für meinen Teil, finde den kleinen Vollbart des Italieners viel hübscher", sagte Gräfin Nesti in ihrer kindlichen Art. „Er hat das seltene schwarze Haar, welches nicht blau, sondern rötlich erglänzt."
„Ja, dieser Lieutenant Simoni oder wie er heißt, ist recht interessant", gab die Freiin von Prunstätten zu, „aber ist er denn auch nur von Adel? Was hilft mir das Jnteressantsein ohne Ebenbürtigkeit. Kann man da auch nur eine Jntrigne anfangen?"
„Bah!" lachte die Helorsen tönend, „Ln amour ist der Stammbaum so ziemlich Null. Die Uniform ist übrigens auch eine Ziffer!"
„Hoffähig ist noch nicht liebesfähig!" sagte die Freiin, stolz wie eine Gracchen- mutter.
„Jawohl, das sieht man an Prinz August!" sagte die Helorsen etwas gedämpft und schnippte ihre Cigarette ganz kunstgerecht ab mit einer Chiquenande. „Bei mir ist aber nur das Aeußere maßgebend. Man heiratet ja seine Anbeter nicht."
„Das ist ein Glück für dieselben!" zischte Prinz August gelber und boshafter als je zwischen den zwei Nichten, welche unisono Beifall kicherten.
„Die Damen fliegen uns davon!" rief in diesem Augenblick der Fürst Muresti über die Balkonbrüstung hinab. Der Fürst hatte einen prächtigen rumänischen Typus mit einer jener Nasen, die sich im Profil wie ein Prototyp des Edlen ausnehmen, wenn sie auch in Wirklichkeit grotesk sind. Er war sehr dunkelschauend und ernst, und wenn er mit einer Frau sprach, machte dieselbe stets einen hilflosen Eindruck.
Und die Männer eilten nun die Treppe hinab; der alte joviale Major schrie ein lustiges „Sammelt Euch!" Und man sammelte sich wirklich bald ans der grünenden Spielwiese. Zuerst war die ganze Gesellschaft ein Knäuel, dann zersplitterte sie sich in Gruppen. Die beiden Nichten umschlangen den Oberlieutenant, die Helorsen suchte mit dem Moldauer eine Plauderei anzuknüpfen, kam aber bald darauf, daß derselbe mit Absichtlichkeit ein Gespräch mit der Dame des Hauses suche. Sobald sie das merkte, stürzte sie sich mit einer Art von Frenesie in einen geistreichen Dialog mit dem häßlichen, klatschigen Oberlieutenant. Bald aber war die ganze Gesellschaft in ein unisono-bronllada verstrickt. Graf Aquilin und Graf Seeburg wurden nämlich von der Freifrau Prun
stätten und der Prinzessin-Oberin ganz neckisch und jugendlich gekapert, um beim caollo-oaollo mitznspielen, und es wurde wirklich ein Blindekuhspiel arrangirt im Park. Sämtliche Teilnehmer waren ganz selig darüber; man konnte sich da im Verborgenen ausplaudern und ausgähnen nach Herzenslust. Lieutenant Primo Simoni machte sich lachend und flüchtend von zwei lichten Seidenroben frei, um wie zufällig die Terrassentreppe wieder hinaufzueilen.
Er hatte nämlich da oben Mirza jauchzend über die Bariore herabgeneigt gesehen. Und er fand richtig hinter Mirza Mademoiselle, die Gouvernante, auf der Schwelle des Speisesalons stehend, in ihrem dunklen Kleide, das leichte, seidenartige Goldhaar im frischen Winde spielend wie Marienfäden auf herbstlichen Gefilden.
„Sie spielen unten!" sagte der Italiener mit lustiger Betonung, aber mit ernsten innigen Augen. „Warum spielen Sie nicht mit, Fräulein?"
(Fortse tzung folgt.)
Ein Lied von der neuen Orthographie.
Gar Mancher spät, gar Mancher nie Begriff die deutsche Orthographie.
Ein Jeder schrieb so seinen Stil,
Bald groß, bald kein, wie's ihm gefiel.
Mit dem th und dem ß War die oorUusio wirklich nett.
Ja in den allgemeinen Wirren Könnt selber ein Gelehrter irren;
Gottlob, daß endlich sich der Staat Der großen Not erbarmet hat.
Vor Freuden will ich die Leier schwingen,
Und die preuß'sche Orthographie besingen.
Von jetzt an ist es streng verpönt,
Daß man ein t mit h verschönt.
Der Luxus war auch fast zu groß.
Am Anfang schreibt man th bloß In „That, Thor, Thronen, Thüre, Thron, Thun, Unterthan, That, Thran und Thon," Wer Bertha heißt, mag ruhig bleiben,
Darf ferner ihn mit th schreiben;
Auch ändern nicht Mathilde, Marthe Und Günther die Visitenkarte.
Ausländischen Worten ists unverwehrt,
Führen ihr th unversehrt.
Am Ende schreib' nur kühn ein t;
Das ist fortan das Richtige.
Herr Rat!" ohn' h klingt auch nicht übel, Schon lehrt's demnächst die Kinderfibel.
Auch Röte, Rätsel, Miete, Flut,
Wirt, Atem, Rute, Wert und Glut"
Machen sich, so geschrieben, ganz gut.
Schreib' künftighin nach meinem Rate Nur ganz getrost: „Mein teurer Pate!"
Man denkt auch nicht, du sei'st im Sturm, Schreibst du ganz keck: „der rote Turm."
Läßt selbst ein h du fort bei „Hoheit",
So rechnet man's nicht an als „Rohheit." Nicht ganz so sparsam sei mit een Und schreibe munter „Seen, Feen."
Auch in „Armeen, Theorieen"
Laß paarweis' e's vorüberziehen.
Da der Tod des Schlafes Bruder ist,
Schreibt man ihn weich zu jeder Frist.
Doch Jemand töten — das thut weh,
Wird stark bestraft, drum hartes t.
Zahnlosen droht die größte Not,
Denn fortan giebt's nur hartes Brot.
Zimt, Samt ha'n fortan nur Ein m;
Ob sie drum wen'ger kosten, hem?
Deine Bildung kommt nicht in Gefahren, Wagst Du bei „Brennessel, L-chiffahrt einen Consonanten zu sparen- Schreib Schluß-s bei „indes, deswegen, weshalb,"
Fragt Einer nach dem Grund, so sag' ihm „deshalb."
„Allmählich" lerne das, mein.Sohn!
O mit der Zeit — da macht sich's schon.
Goldkurs der K. Staatskassenverwaltung
vom 1. April 1884.
20-Frankenstücke: . . . 16 -4L 18 L
Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Me eh in Neuenbürg.
HM einer Beilage.