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Haushaltsetat pro 1884/85 von der Staatsregierung gefordert werden.
Karlsruhe, 15. Nov. Der Großherzog wird den Landtag in Person eröffnen.
Württemberg.
Stuttgart. Die sämmtlichen hiesigen Apothekenbesitzer machen bekannt, daß sie, anläßlich des in einer Straßburger Apotheke stattgefnndenen Raubanfalls, bei Nacht Niemanden mehr in ihre Offizinen eintretcn lassen werden. Die gefordetcn Medikamente werden durch Schalter verabreicht werden, welche in der Thüre angebracht sind.
Stuttgart, 16. Novbr. Gestern machten die Offiziere der freiwilligen Feuerwehr unter Leitung des Jnsp. Bohnenberger und Architekten Schittenhelm einen Rundgana durch die umgebauten Hoftheaterräume. Es wurden ihnen die Plätze, wo die Fenerlöschvorrichtnngen jetzt angebracht sind, gezeigt, die im Logenhaus dieselben wie früher blieben, in breiter gewordenen Gängen aber hinausgerückt wurden. Auch die obere Verbindung des Logcnhauscs und der Bühne, die jetzt durch eine Wellenblechthüre in massiver Mauer sich befindet, wurde gezeigt, so daß die Offiziere, die sich etwa eine Stunde in den veränderten Räumen befanden,' jetzt vollständig orientirt sind und den Mannschaften im Dienst die nöthigen Anweisungen geben können. Auch dem Dampfkessel und Maschincuhause wurde später noch ein Besuch abgestattet. Der Eindruck von den neuen Einrichtungen war ein befriedigender. Die Sicherheitsmannschaft bleibt in der bisherigen Anzahl aufrecht erhalten; 17 Mann außer den Chargen werden auch in Zukunft täglich Feuerdienst thun. Die Kosten der allgemeinen Umbauarbciten: Treppen, Vorplätze, eiserner Vorhang, Ventilation rc. sind auf 240,000 und mit der nachträglich genehmigten Dampfheizung auf 240,000 veranschlagt und fallen bis zu dieser Höhe theils dem bei der Brand- versicherungshanptkasse ans den bezahlten Prämien für die Versicherung des Königl. Hoftheaters angesammelten Spezialfonds, theils der Kgl. Staatshauptkassc zur Last. Die Kosten der elektrischen Beleuchtungsanlage sammt den dazu erforderlichen baulichen Einrichtungen, einer Renovirung des Logenhauses, soweit solche möglich war, und mehreren sonstigen Verbesserungen im Innern werden mit ungefähr 200,000 e4L von der K. Civillisteverwaltung getragen, wonach sich der Gesammtaufwand des Theaterumbaus auf etwa 440,000 ^ stellen wird.
* Neuenbürg. Im Monat Oktober d. I. wurden im hiesigen Bezirk an arme Reisende verabreicht: 379 Brodgaben, 8 warme Frühstück, 258 Mittagessen und 592 Nachtessen und Nachtquartier, wodurch ein Gesammtaufwand von 380 28 erwachsen ist.
Die Einrichtung einer bestimmten Zahl von Verpflegungsstationen hat sich in unserem Bezirk bisher gut bewährt und es ist nur zu wünschen, daß Seitens der Ortsbehörden sowohl als Seitens der Be- zirksangchörigen die getroffene Einrichtung dadurch nach Kräften unterstützt wird, daß
bettelnden Reisenden keine Almosen verabreicht, sondern dieselben der nächsten Verpfleguugsstativn zugewiesen werden.
Besonders wünschcnswerth wäre es auch, wenn Gewerbetreibende, welche einen Arbeiter brauchen, dies dem Kartenabgeber der nächsten Station mittheilen würden, damit dieselben in der Lage sind, den um Naturalverpflegung bittenden Handwerksgesellen Auskunft über Arbeitsgelegenheit zu ertheilen.
Neuenbürg, 16. Nov. Von Con- weiler wurden uns heute reife Heidelbeeren übersendet.
Miszellen.
Aas Hegenüber.
(Fortsetzung.)
„Das wurde ja immer geheimnißvoller, jedenfalls fand hier eine arge Verwechselung statt, und ich wollte sogleich hinübergchen, um der liebenswürdigen Dame eine Aufklärung zu geben."
„Liebenswürdig?" warf seine Frau neckend ein, woher wußtest Du das auf einmal und schaltest sie vorher so herbe?"
Das zeigte schon die zierliche saubere Schrift, und sie ist's wirklich", entgegnete er artig und fuhr fort: „Ehe ich aber dazu kommen konnte, trat der Amtsdicuer herein und brachte mir schon die ersten Aktenstücke, die als „eitismma" nicht mehr bis morgen hatten warten können, und mit denen der Herr Direktor meine dienstergebene Aufwartung zu beantworten schien. Heute waren die oft verwünschten Akten ein erwünschter Ableitcr meiner verdrossenen Stimmung und ich warf mich auf die unschuldigen Sachen, um sie alle noch heute abzudecretircn und tödtzumachen, wie wir Juristen sagen. Vorher jedoch ließ auch ich das Rouleaux herunter, da die Sonne auf meinen Schreibtisch brannte, und in meine Akten vergraben vergaß ich den Brief, die Lockenköpfe, mein Hinübergehenwollen, die „kleinen Leiden" des kleinstädtischen Lebens. Ich war in die Stelle eines alten Gerichtsraths eingerückt, der schon seit Jahren mit der neueren Jurisprudenz auf gespanntem Fuß gelebt und im Whistspiel eine anmuthigere Beschäftigung gefunden hatte, als im Prozesse Richten und Schlichten bis ihn endlich ein sanfter Tod aus diesem Streit und Kamps glücklich hinausgcführt. Ich trat sein Erbe mit einigem Schaudern an, denn in einem Winkel lag ein Haufen mit Staub bedeckter Akten, und mit ihnen schlummerten der ewigen Vergessenheit eine Menge Prozesse entgegen, in die mein zagender Griff Leben und Bewegung bringen sollte.
„Es war eine mühsame, undankbare Arbeit, das Ausräumen dieses juristischen Augiasstalles, und ich war schon in aller Frühe auf dem Gericht, wo die Aktenstücke lagen, aß in einem Gasthofe zu Mittag und kehrte gewöhnlich erst spät Abends in mem Quartier zurück, so daß ich wenigstens für die ersten acht Tage meinem Gegenüber völlig unsichtbar wurde. Es war Sonntag, als ich mir die erste Muße gönnte; im offenen Fenster liegend, sog ich mit unendlichem Behagen die reine, frische, lang entbehrte Luft ein. So mochte ich eine ganze Zeit in die Bläue geschaut haben, als ich plötzlich den magischen Eindruck eines Blickes fühlte — sieh, da war
wieder das blaue, wunderliebliche Auge, das mich schon einmal entzückt und begeistert hatte. Es schien schon lange forschend auf mir geruht zu haben; aber wie mein Auge dem ihren begegnete, lag eine so tiefe Klage, ein so schmerzlicher Borwurf darin, daß cs mich an das brechende Auge eines Rehes erinnerte, dem die Kugel im Herzen sitzt. Ich war, obwohl ich mir diesen halb anklagenden, halb Mitleid flehenden Blick nicht erklären konnte, betroffen und wagte lange nicht hinübcrzublicken; — als ich es wieder that, war der Platz leer und sie wie eine Erscheinung verschwunden.
„Mit dem Blicke kam die Erinnerung an den Brief, an den Besuch, den ich machen, die Aufklärung, die ich erbitten wollte, und nun war ich rasch entschlossen, das Versäumte nachzuholen, als — es an die Thüre klopfte und auf mein „Herein !" zwei verschleierte Damen in's Zimmer traten. Ich ersuchte die Damen Platz zu nehmen, und da sie mit einer Anrede zu zögern schienen, so fragte ich, was mir die Ehre ihres Besuches verschaffe.
„Ihre Förmlichkeit, Herr Assessor," begann die ältere der beiden Damen, „macht cs mir um so leichter, um Erklärung über Ihr — schonungsloses Benehmen zu bitten. Haben sie auch meine Tochter vergessen, Hütten Sie doch nicht das Herz haben sollen, sie wieder so tief zu kränken."
„Ich entgegcnete, daß hier eine Verwechslung vorliegcn müsse, und daß ich soeben im Begriff gewesen, darüber um Aufschluß zu bitten; und die Dame flüsterte ihrer Tochter, in der ich die kleine Heldin erkannte, die das Rouleaux herabgelassen, erschrocken zu:
„Mein Gott, das ist nicht Hcrmann's Stimme."
„Aber diese, heißblütiger, achtete nicht darauf und öffnete jetzt ihre frischen Lippen, um mich fast ironisch zu fragen:
„Haben wir nicht die Ehre, Herrn Assessor Schubert zu sprechen?" „Gewiß," entgegnete ich, „und dennoch —" „Hermann!" ries sie mit einem Tone, in dem sich Mahnung, Frage, Vorwurf in seltener Mischung znsammendrängte.
„So heißt mein Brnder," entgegnete ich rasch.
„Wäre es möglich? Hermann — Sie —" stammelte die Kleine verwirrt, „aber diese täuschende Aehnlichkeit?"
„Gab )chon zu Hanse manche Mißverständnisse ab," entgegnete ich und setzte erläuternd hinzu: „Nur bin ich um einen Zoll kleiner als er; es ist kein Zweifel, Hermann war hier längere Zeit Assessor, er hat mir auch Briefe geschrieben und darin, wenn ich mich recht erinnere, begeistert eine Marie geschildert."
„Marie Wernich, meine unglückliche Tochter, entgegnete die ältere Dame bitter, „und er hat sie trotz aller Begeisterung vergessen."
„Nicht ein Wort, nicht eine Zeile hat er der armen Schwester geschickt, und er hatte cs ihr so heilig versprochen," fügte das junge Mädchen lebhaft hinzu.
„Entschuldigen Sie denn," bemerkte die Mutter, „daß wir Sie mit Brief und Wort belästigt, zu denen mich nur die Liebe zu meinem armen Kinde drängen konnte. Sie also sind —?"