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Charakter verloren hatte. — 29. Septbr. Der heutige Volksfesttag begann mit der schönsten Witterung und Tausende von Fcstbesuchern strömten schon Vormittags nach dem „Wasen" hinab und vom Cann- statter Bahnhofe aus wälzte sich nach jedem der zahlreichen ankommenden Züge eine wahre Fluth von Festbesuchern über die Wiesen nach dem Festplatze. Die Pferderennen des heutigen Tages waren diesmal stark besucht, was wohl darin seinen Grund haben wird, daß sich unmittelbar daran die Velocipede-Renncn anschlossen. Dieselben konnten leider erst abgehaltcn werden, nachdem die Rennbahn vollständig verregnet war, da nach 4 Uhr sich mehrmals heftige Regengüsse einstellten und die Pferde-Rennen sich in ungebührlicher Weise hinauszögerten. Das Belociped- Rennen. welches das erste in Württemberg war, wurde veranstaltet durch die Stuttgarter Velocipedisten, welche sich um 1 Uhr in der Gewerbehalle sammelten und dann in langem Zuge mit ca. 35 Maschinen eine Rundfahrt durch die Stadt ausgeführt. Auf dem Schloßplatze wurde Halt gemacht und daselbst eine Anzahl Mitglieder des Pforzheimer Bicycle-Club erwartet, worauf die Corsofahrt über die Planie, Neckarstrabe und untern Anlage, Cannstatter Chaussee und durch die Stadt Cannstatt nach dem Wasen fortgesetzt wurde. Als Präsident des Preisgerichts fungirte Hr. Stadtschultheiß Na st von Cannstatt. Da die Bahn sehr beschädigt war mußten die im Programm vorgeschriebenen Runden leider reduzirt werden. Nachdem die Preise durch den Stadtschultheiß Na st zur Ver- theilung gebracht waren, endete das Programm, dessen Ausführung den Betheiligten sehr schwer gemacht war, das aber dennoch ein ehrenvolles Zeugniß für die Thätigkeit der beiden noch sehr jungen hiesigen Velocipede-Gesellschaften ablegte. Nicht unbemerkt wollen wir lassen, daß S. Hoheit Prinz Hermann zu Sachsen-Weimar- Eisenach dem ganzen Rennen beiwohnte und ein sehr lebhaftes Interesse für die Sache bekundete. Schon bei Beginn des Rennens hatte sich die Witterung gebessert und gegen Ende desselben vergoldete die nntergehende Abendsonne die umliegenden Berge. Nun drängte das Publikum hinab nach dem Neckar, um das aus demselben abzubrennende Feuerwerk zu bewundern, dem eine Auffahrt der zahlreichen mit Lampions geschmückten Gondeln, wie einen auf einem Floß aufgeführten Matroscntanz vorangingen.
(Schluß folgt.)
Vom oberen Neckarthal, 23. Sept. wird dem „Schwäb. Merk." geschrieben: Der Handel mit Langholz ging in diesem Jahr recht befriedigend, wozu nach Ansicht der Flößer die bedeutenden Ueberschwemmungen am Rhein auch beigetragen haben, welche eine Unmasse Bauten nothwcndig machten: die Hauptursache ist indessen immer in den sich bessernden Zeitverhältnissen zu suchen. Außer dem oft tadellosen Langholz führen die Flöße auch Schnittwaaren mit sich, die sehr gesucht sind und unterwegs reißend Abnahme finden. Die Flößerei hatte indessen auch Heuer wieder arg mit der Floßsperre zu kämpfen, durch welche für sie oft kostbare Wochen und günstiger Wasser
stand verloren geht, über welche Zeit dann mehr als je die Bahn sich geltend macht, die ohne Hindernisse, und ebenfalls sehr billig, aber zu jeder Zeit transportfähig ist.
Das heftige Gewitter am 27. d. ist von größerem Umfang und Gewalt gewesen. In Renn in gen bei Leonberg wurden 3 Personen vom Blitz getroffen, wovon eine lebensgefährlich verwundet ist. In Weil der Stadt und Magstadt schlug der Blitz gleichzeitig ein, in Schashausen bei Böblingen wurden nach Hause eilende Einwohner vom Gewitter überrascht und darunter ein junger Mann, der einen Stier führte, nebst diesem vom Blitze erschlagen.
Neuenbürg, l. Okt. Kartoffcl- markt. Weiße zu 2 vlL, rothe zu 3. 50 »jL per Centner angeboten.
Ausland.
Nach einem Telegramm der Köln. Z. wäre der Empfang des Königs von Spanien in Paris vom 29. ds. kein sehr freundlicher gewesen. Nicht nur daß die Volksmenge während der Begrüßung des Königs durch den Präsidenten Grevy sich sehr erregt benahm, sollen auch Rufe: „Nieder mit dem Ulan" (Anspielung auf die Verleihung als Chef des schleswig-hol- steiiischen Ulanenregiments durch den deutschen Kaiser) und mit Ostentation: „Es lebe die Republik", unter wildem Gepfeife erklungen sein. — Die Aufregung in Folge dieser Auftritte ist in Paris groß; viele Franzosen sind bestürzt, daß so etwas in Frankreich Vorkommen konnte. Nach solchen Unanständigkeiten wird König Alfons seinen Aufenthalt in Paris möglichst abkürzen.
Miszellen.
Der Studeni von Kassau.
Historische Original-Erzählung von Emi lie Heinrichs.
(Fortsetzung.)
Der Jubel der Braunschweigcr Bevölkerung war unaussprechlich groß. Alles umringte die Befreier mit stürmischen Vivatrufen und Tausende eilten dem Prinzen nach, der vom Walle aus zwischen dem Stein- und Augustthorc das Lager Laders, die eröffnetcn Trancheen und die schon am Fuße des Glacis fertige Mörserbatterie betrachtete, von welcher am folgenden Tage die Stadt mit glühenden Kugeln hätte begrüßt werden sollen.
Am nächsten Morgen sah man den Feind abziehen. Braunschweig war gerettet und 52 Offiziere nebst 500 Soldaten der Franzosen zu Gefangenen gemacht.
Im Hause des Riemermeistcr Müller ging's gar lustig und hoch her. Die beiden siegreichen Helden Johannes und Günther wurden am anderen Tage von dem Meister mit einer gewissen Feierlichkeit empfangen. Der stattliche Luckner'sche Husar erregte insbesondere seine ganze Ehrfurcht, und als nun gar der berühmte General auf einige Augenblicke bei ihm vorsprach, um Magdalena zu begrüßen und die Verdienste des braven Günther
anerkennend hervorzuhcben, da hielt auch Meister Müller in der Freude seines Herzens den Zeitpunkt für geeignet, den tapferen Retter der Stadt mit seiner Sabine zu verloben und damit das Glück des Hauses zu besiegeln.
„Kehrst aber zum Handwerk zurück", sprach er zu dem überseligen Bräutigam, „das ist meine Hauptbedingung dabei."
„Gewiß, Vater!" lachte Günther. „Doch nicht eher, bis die Franzosen aus dem Lande gejagt und die Früchte unseres Fleißes vor ihnen gesichert sind."
Damit war der Meister zufrieden, wenn Sabine auch ein wenig traurig und enttäuscht dareinblickte, doch war Magdalena, die ja auch den Geliebten wieder in den Kampf ziehen ließ und stolz darauf schien, daß ihr Johannes für sein Vaterland so rühmlich streiten durfte, ihr Trost und Vorbild.
Als Prinz Friedrich und General Luck- ncr bereits nach wenigen Tagen wieder abmarschiren mußten, vertheilte der Riemer- mcister Müller aus patriotischer Freude eine Summe von vierhundert Thaler unter die abziehenden Krieger, welche That ihm ein bleibendes Andenken in seiner Vaterstadt erworben hat.
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Noch ein volles Jahr währte der Krieg in den hannoverschen Kurlanden und in Hessen, welche Staaten so Unsägliches durch die Franzosen erlitten, daß deren Bevölkerung unter dem systematischen Raub- systcm dieses Feindes fast gänzlich verarmte.
Noch manche blutige Schlacht mußte geschlagen werden, viel Menschenleben und Glück zu Grunde gehen, bis England mit Frankreich im Jahre 1762 Frieden schloß und dadurch seinen Alliirten, den großen Preußenkönig, im Stich ließ.
Nun kehrten die Krieger in die Hei- math zurück und im Hanse des Riemermeisters Müller zu Braunschweig konnte eine frohe Hochzeit gefeiert werden, denn unsere beiden Tapferen, Johannes Haßbein und Günther, waren in den blutigsten Kämpfen behütet worden.
Johannes und Magdalena mußten zur Hochzeit des jungen Paares noch da bleiben, dann aber kehrten Beide nach Göttingen zurück, wo sie die Mutter als trauernde Wittwe fanden. Ihre tröstliche Gegenwart bannte bald den Kummer aus dem Herzen der armen Frau, die so wenig Glück im Leben genossen und erst jetzt der wahren Freude ihr Herz wieder öffnen durste in der Liebe und dem Glück ihrer Kinder.
Johannes studirtc noch ein Jahr in Jena, worauf er die Doktorwürde und eine Anstellung an der Universität Göttingen erhielt, die ihn in den Stand setzte, seine Magdalena heimzuführen.
Der Friede blühte ja wieder im ganzen deutschen Vaterlande, vergessen waren die blutigen Greuel der letzten sieben Jahre und ruhig konnte der Bürger seinem friedlichen Geschäfte nachgehcn, ungestört der Landmann sein Feld wieder bebauen, und die Früchte seines Fleißes selber genießen.
(Schluß folgt.)
Auflösung des Näthsels in Nr. 154.
Arm.