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war, sich mehr und mehr gesteigert hatte. Unter allen Umständen Hütte Graf Thev- bald Gabrielen vor ihrer Abreise von Schloß Königshof noch einmal sehen, noch einmal sprechen, ja ihr ein Versprechen abnehmen mögen, aber dies Vorhaben wurde durch einen Zustand unmöglich, der sich des Grafen Theobald in der nächsten Viertelstunde bemächtigte.
Die ungeheure Aufregung des Tages, verbunden mit den größten körperlichen nnd geistigen Anstrengungen, hatten auch die herkulischen Kräfte Theobald's in einer Weise in Anspruch genommen und aufge- zehrt, daß derselbe in einen fieberhaften Ohnmachtszustand versank. Das Duell mit dem Grafen Broderode und der furchtbare Ausgang dieses Zweikampfes mochten hauptsächlich zu dieser Ohnmacht des jungen Grafen, die einem ernsten Krankheitsfalle sehr ähnlich sah, beigetragen haben. Den Grasen Theobald schüttelten eisige Frostanfälle aus seiner Ohnmacht, die er aus einem Sopha in einem seiner Zimmer zu überwinden gedachte, heftig auf. Dann wurde es ihm wieder glühend heiß im Kopfe, von seiner Stirn fielen Schweißtropfen und dann kamen wieder die entsetzlichen Frostanfälle. Kaum war Gras Theobald noch im Stande, nach einem Diener zu schellen. Er wankte nach der Glockenschnur, that mit krampfhaften Anstrengungen einen Ruck und sank dann um. Als der Diener das Zimmer betrat, lag Theobald zitternd und stöhnend am Boden und redete irre, die Namen Anna, Gabriele und Gras Broderode stieß er mit heftigen Gestikulationen aus und wurde in den Zwischenräumen wieder von den Frvstan- fällen geschüttelt. Der Diener hatte in seiner Bestürzung kaum Besinnung und Kraft genug, den Grafen Theobald aufzurichten und Hülfe rufend nach dem Sopha zu schleppen.
In wenigen Augenblicken war ein zweiter Diener herbeigeeilt und diesem folgten der Gras Königshof und Oskar. Allgemein befürchtete man eine neue Katastrophe. Man vermuthete, daß Theobald in Folge des unglückseligen Ausgangs des Duells mit dem Grafen Broderode von Gewissensbissen gefoltert Hand an sich gelegt habe. Eine Wunde war indessen an Theobald nicht zu entdecken, doch glaubte man noch Gift befürchten zu müssen. Diesen Zweifel löste später der Arzt, den man zur Konsultation von Anna's Zustand bereits vor längerer Zeit herbeigerufen hatte. Derselbe konstatirte bei Theobald nur eine bedeutende Kräfteerschöpfung, verbunden mit fieberhaftem Zustande und ergriff Maßregeln, um einem drohenden Nervenfieber Theobald's vorzubeugen.
Gabriele hatte am Spätnachmittage dem Grafen Königshof melden lassen, daß sie zur Abreise bereit sei. Gabriele hatte den Wunsch nicht zu erkennen gegeben, von der gräflichen Familie sich persönlich zu verabschieden, sie fühlte offenbar, daß dies ein peinliches Beginnen sein werde nnd Graf Königshof hatte auch keine Luit, eine leere Förmlichkeit einer Person gegenüber zu vollziehen, die ihm und seiner Familie vorher lieb und theuer gewesen war. So ganz ohne Abschied von der
Familie, der sic so lange als eine liebe Freundin angehört hatte, wollte man indessen Gabrielen doch nicht reisen lassen und es fiel daher dem Freiherrn Oskar die Aufgabe zu, Gabrielen Lebewohl zu sagen.
Derselbe trat mit einer höflichen Verbeugung in Gabriclens Zimmer und diese kam ihm mit gewohnter Anmuth und Liebenswürdigkeit entgegen. Oskar schien hierüber erstaunt, ja betroffen zu sein. Sich hoch aufrichtend und stolz abwehrcnd zeigte er ein eisiges Antlitz und heftete prüfend seine Augen auf die Gestalt und das Antlitz Gabriclens, wie wenn er sich von der Wahrheit des Geschehenen überzeugen wollte.
Gabriele verstand, was der junge Diplomat mit seinem außergewöhnlichen Wesen beabsichtige, er wollte ihr zeigen, daß es infolge der heutigen Ereignisse mit dem bisherigen freundschaftlichen Verkehre zu Ende sei. In Verwirrung und tiefe Röthe im Antlitz wich Gabriele zurück. Sie hatte zum ersten Male in ihrem Leben als Dame eine Taktlosigkeit begangen, allerdings bei einer verzeihlichen Gelegenheit. Mit gesenkten Augen sagte sie nach einer kleinen Pause.:
„Verzeihung, Herr Baron! Ich vergaß bei Ihrem Anblick ganz und gar das Borgefallene, woran ich allerdings vollkommen unschuldig bin und deßhalb mit aufrichtigem Herzen Ihnen freundschaftlich entgegenkommen wollte in den wenigen Augenblicken, die ich noch in diesem gastlichen Hause zubringen werde. Ich ehre Ihre Gefühle für das Unglück Ihrer Schwester, Baron Oskar, und deßhalb verstehe ich auch die Haltung, die Sie jetzt mir gegenüber einnehmen."
Oskars Lippen bebten und seine Augen sprühten Feuer und in heftiger Sprache entgegnete er:
„Wollen Sie auch mir gegenüber und bis zum letzten Augenblicke Ihrer Anwesenheit Ihre Comödie fortsetzen, Fräulein de Durandot? — Sie kommen bei mir an den Unrechten Mann, mir streuen Sie keinen Sand in die Augen! Nach dem, was sich heute, an dem Hochzeitstage meiner Schwester, alles zugetragen hat, durch Ihre Mitschuld, kommt Ihnen diese Sprache nicht mehr zu, mein gnädiges Fräulein!"
Gabriele wankte nach einem Sessel, worauf sie niedersank und leise zu weinen begann.
„Was sollen jetzt diese Thränen, wo zwei Familien unglücklich gemacht worden sind," fuhr Oskar fort. „Als wenn man ein Unglück dadurch wieder gut machte, daß man es erst heraufbeschwört und dann hinterher beweint?"
„Ich habe kein Unglück über Ihre Familie heraufbeschworen'" erwiderte Gabriele unter Thränen, „ich verstehe nicht, wie man mir ohne alle Beweise die Mitschuld an der Handlungsweise des Grafen Broderode andichten kann?"
Oskar trat einige Schritte in Entrüstung über diese neue Betheuerung Ga- brielens zurück und die Hand drohend erhebend, war er eben im Begriffe eine furchtbare Anklage gegen Gabriele zu schleudern, da erhob sich Gabriele, die
offenbar die vergrößerte Entrüstung des Baron Oskar bemerkt hatte, eilte in raschen Schritten auf ihn los, fiel vor ihm auf die Kniee und die Hände bittend zu ihm erhebend, rief sie mit bebender, schmerzlicher Stimme:
„O Oskar, theuerster Oskar, thun Sie mir nur das nicht an, mich zu verachten und anzuklagen! Ich will von aller Welt verachtet und verstoßen sein, aber mein Leben will ich darum geben, wenn mir aus Ihrem Herzen noch ein wenig Wohlwollen cntgegenlächelt, denn noch für keinen Mann hat mein Herz irgend eine Zuneigung empfunden außer . . . für . . . Sie! . . ."
Dann nach einer momentanen Pause in überstürzter Hast, fortfahrend, sagte Gabriele:
„Ich mag jetzt eine ungeheure Taktlosigkeit begangen haben, Herr Baron, ich mag mich kompromittirt haben, aber ich habe gesagt, was mein Innerstes bereits seit Wochen bewegt hat. Nicht Graf Broderode, nein Sie waren und sind es, dem ich mein Herz . . . geschenkt Hütte, wenn Sie es der Mühe für werth gehalten, dasselbe anzunehmen!" . . .
Der Freiherr Oskar von Königshos, der während seiner diplomatischen Laufbahn gelernt hatte, seine Gefühlswallungcn zu beherrschen und nur mit dem nüchternen Verstände, nicht mit dem leidenschaftlichen Herzen zu prüfen, war durch diese Scene doch in einige Verlegenheit gerathen. Das schöne, geistreiche Mädchen, die Sonne unter allen Franengestirnen, die Oskar bis jetzt kennen gelernt hatte, lag um Liebe bittend zu seinen Füßen. Es wallte in seiner Brust und in seinem Antlitze ein Gefühl der Freude und des Triumphes auf, schon fühlte Oskar Lust, seine Arme zu regen, um Gabriele zu erheben nnd dann in ihre Arme zu sinken, aber der junge Aristokrat, der eine zu gute Schule des Lebens hinter sich hatte, um übereilte Handlungen zu begehen, bebte zurück vor Gabriele, wie vor dem bösen Versucher und ließ seine Arme wieder sinken; die Ereignisse des heutigen Tages standen so lebhaft vor seiner Seele, daß er schon aus dem Grunde unfähig zu dem Schritte gewesen wäre, wozu ihn soeben die Versuchung verlockt hatte, und dann sagte ihm auch sein scharfer Verstand, daß nach all dem Vorgefallenen Gabriele entweder vollkommen rein und unschuldig an dem Unglück seiner Schwester sein müsse, oder es verstehe, die List und Heuchelei so weit zu treiben, daß sie ein Teufel in Menschengestalt sei. Die Aussicht auf diese beiden Extreme wirkte entscheidend auf Oskar und obwohl innerlich noch heftig erregt, war er doch in seinen Geberden und Handlungen plötzlich wieder der Alte. Mit ritterlichem Anstande verbeugte er sich vor Gabrielen, die mit schmerzerfülltem Antlitz einige Sekunden vor ihm gekniet hatte, hob sie, sanft stützend, auf und führte sie nach dem nächsten Sessel und begann seine Antwort folgendermaßen:
„Lassen Sie uns das Geständniß, womit Sie mich soeben beehrt haben, Fräulein de Durandot, mit kühlem Herzen erwägen!"
(Fortsetzung folgt.)
Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Me eh in Neuenbürg.