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diesen der Wein und auch der Tabak, welche beide Prodncte den Hauptreichthum unserer Gegend bilden, zum größten Theil eine Mißernte gezeitigt, nachdem Hagelschlag und Wolkenbrüche ganze Gemarkungen verwüstet, nehmen nun zum zweiten Male die verheerenden Fluthen einer Ueber- schwemmung, wie sie uns in solch immenser Ausdehnung und Größe noch niemals heimgesncht, unsern armen Mitbrüdern auch das Letzte — das Allerletzte! Wohlhabende Bürger sind zu Bettlern innerhalb weniger Stunden geworden! die Armen und Unbemittelten haben ihre geringe Habe verloren — nur das nakte Leben und das Bewußtsein ist ihnen noch geblieben, daß sie unsäglich elende und bedauernswerthe Geschöpfe geworden, die nicht wissen, wo sie in Zukunst ihr müdes Haupt hinlegen, wo sie Nahrung hernehmen, den nagenden Hunger zu stillen, wo ihnen Kleider werden, ihre Blößen zu bedecken. — Einen schaurig schonen Anblick bietet das Jnnndativnsgebiet dar. So weit das Auge reicht, eine brüllende, tobende See! Die Bäume auf den ehemals so fruchtbaren Feldern ragen nur mit den Kronen aus der Wasserwüste hervor. Nah und fern, viele Meilen im Umkreis ruht der Blick aus den ans den Wogen nur wenig auftauchcnden Häusern der Dörfer, aus den Dächern der einzeln stehenden Gehöfte und wendet sich das Auge minutenlang hinweg von diesem trostlosen Bilde, — bei seiner Rückkehr sieht es breite Lücken gerissen in den Häuserreihen und markdurchschütterndes Getöse verkündet uns in der nächsten Secunde von einem neuen Opfer des wüthenden Elements, den weiteren Sturz eines Hauses in die tosende, wild anfschäumende Fluth, das spurlos verschwindend, dem armen Besitzer auch den Zusammenbruch seiner letzten Hoffnung unerbittlich entgegenrust. — Hier ist Menschenhand zu schwach, um anzukämpfen gegen diese gewaltige Macht! sie erlahmt in ihrem ohnmächtigen Ringen und preis gibt sie Alles, was das tückische Element mit seinen Krallen bereits umfangen.
Unsere sonst so friedliche Stadt, in welche theilweise die Fluthen schon eingedrungen, gleicht einem großen Lager von Flüchtlingen, die in wilder Hast hier Rettung suchen, vom Kummer gebeugte Frauen, ihre frierenden, nur mit den nothdürftigsten Lappen bedeckten Kinder an die Brust pressend, durcheilen die Straßen. — Hier steht eine Gruppe um einen Landmann und hört schaudernd die Schilderung seines Elends; wo gestern er noch ein wohlhabender Mann, er heute nun den Verlust seiner ganzen Habe beklagt. — — Sein Haus ist eingestürzt, sein Vieh ertrunken, seine Scheune zerstört und deren Fruchtvorräthe hinweggeschwemmt. — Dort eine bitterlich weinende alte Frau, die in Verwirrung und Angst ihre wenigen Sparpfennige znrückgelassen in ihrer ärmlichen Lehmhütte, von der wohl keine Spur mehr vorhanden. Weiter sehen wir Kinder mit Körbchen von Haus zu Hans gehen und schüchtern das Mitleid der Bewohner anrufcn — sie wollen ja nichts wie Brocken Brod, den nagenden Hunger der Ihren zu stillen. Nicht schreck
lich genug sind diese Scenen! Es landet ein Nachen und ernstblickende Männer heben eine Last aus demselben, während gebrochen und mit schmerzverzerrten Zügen ein Mann und krampfhaft schluchzende Kinder dem Schiffe entsteigen. Es ist eine schwer kranke Gattin und Mutter gewesen, die man retten wollte vor den mit rapider Schnelligkeit heranbrausenden Gewässern
— sie landet nur als Leiche am sichern Port des Ufers. —
(Schluß folgt.)
Iie Katze der Javoritin.
Erzählung von Graf Ulrich Baudissin.
(Fortsetzung.t
„Nur gut, daß ich mir die vermaledeite kleine Bestie vom Halse geschafft habe", dachte der Rittmeister, indem er die in den Garteil führende Gitterthür aufriß und dann mit einer tiefen Verbeugung zurücktrat, seinem grollenden Gebieter Platz zu machen. Nun warf er auch schnell einen Blick zurück in den Thorwcg. Dort sprang — nein, stolperte und siel gerade in diesem Moment der Prinz Emil in seinen Wagen hinein. Der Rittmeister verbiß mit Mühe ein Lachen. „Seine Durchlaucht haben, wie es scheint, auf die Katze getreten und werden vielleicht denken, sie getödtet zu haben", sagte er für sich. „Kenne ich indeß den Prinzen recht, so wird er sich nicht verrathen, sondern nach seiner tückischen Weise einem Andern die Unthat aufbürden. Das kann lustig werden!"
7 .
Es war genau so, wie der Rittmeister von Rahenstein vermuthet hatte: der Prinz Emil war in seinen Wagen hinein gefallen, weil er auf die Katze getreten hatte. Auch ruhte er, che er sich wieder aufrichten konnte, mit dem ganzen Gewicht seines robusten Körpers lange genug auf derselben, um, weil sie kein Glied regte, nothwendig auf die Vermuthung zu kommen, er habe sie erdrückt. Er versetzte ihr mit heftig aufwallendem Zorn noch einige derbe Fußtritte, ihr vollends den Garaus zu machen, und rief dem Kutscher in eben nicht freundlichem Tone den Befehl zu: „Nach Hause!"
„Sonderbar", sagte er für sich, „daß dieses verwünschte kleine Geschöpf, während es mit einer Emsigkeit gesucht wird, als habe es sämmtliche Krondiamantcn mit fortgenommen, gerade in meinen Wagen sich schleichen mußte. Was fange ich nur damit an? Soll ich gestehen, daß ich der Mörder bin? Soll ich mich dadurch um die kaum wiedergewonnene Gunst der Gräfin bringen — gerade jetzt, wo es sich um eine neue Schuldentilgung handelt?
— O, das werde ich bleiben lassen! — Doch wohin mit dem kleinen Cyperteufel? Hübsch wäre es, könnt ich ihn einem unserer speichelleckenden Ritter vom zerkratzten Handschuh in die Hände spielen — dem Kammerherrn von Drossel oder dem Oberstallmeister von Fuchs — oder — hahaha!
— das wäre noch das Allerschönste — wahrhaftig, ein guter Einsall das!"
Der Prinz hatte während dieses Selbstgespräches das Kätzchen in die Wagentasche gestopft und sich dann mit so unbefangener und heiterer Miene in die Kiffen
zurückgelehnt, als sehe es in seinem Innern aus, wie in eines Lämmleins unschuld- vollem Gemüth. Nun aber befahl er plötzlich dein Kutscher, zu halten, und winkte einen ältlichen, steifen Herrn zu sich, der im Vorübergehen mit einer eere- moniösen Reverenz den Hut vor ihm zog.
„Sie werden mit Recht ungehalten sein, Herr Polizeipräsident, daß ich Ihnen Ihre gewiß sehr knapp bemessene Zeit kürze, redete er in verbindlichem Tone den Herbeieilenden an, „indeß, wenn Sie mir eine Minute schenken wollten —"
Der Prinz Emil und der Polizeipräsident von Rauschenblatt standen mit einander nicht auf dem besten Fuß, was daher rührte, daß der Letztere schon öfter genöthigt gewesen war, dem regierenden Herzog über gewisse kleine Ausgelassenheiten seines jungen Neffen Bericht zu erstatten, der Prinz aber dafür seinerseits jede Gelegenheit benutzt hatte, dem Rapporteur seine Stellung bei Hofe recht garstig zu versalzen. Nichts konnte nun unter diesen Umständen dem Polizeipräsidenten angenehmer sein, als daß der Prinz seinen Wagen hatte halten lassen, um sich mit ihm auf offener Straße vor Aller Augen huldreich zu unterhalten. Er verzog daher sein von Natur griesgrämiges und abstoßendes Gesicht zu einem möglichst wonncstrahlenden Lächeln und sagte: „Ach, mein Prinz, bedarf es da des Schattens einer Entschuldigung? Befehlen Sie ganz über mich. Womit kann ich so glücklich sein, Ihnen zu dienen?"
„Ich möchte Sie nur über den Stand einer Angelegenheit befragen, die heute uns Alle zur herzinnigsten Theilnahme stimmt, und die, wie ich höre, seit Stunden Ihre ganze Thatkraft in Anspruch nimmt. — Sie verstehen mich — ich rede von dem überaus schmerzlichen Verlust, welchen die Gräfin Lilienthal erlitten hat. Wie ists, haben Ihre Recherchen schon zu einem Ergebniß geführt, Exeellenz?
Leider noch nicht, Durchlaucht, doch hoffe ich zuversichtlich, den Uebelthäter zur wohlverdienten Strafe zu ziehen. Einige schwache Anzeichen haben mich schon, wenn nicht Alles trügt, auf die rechte Fährte geleitet."
Der Prinz hatte die Hand in die Wagentasche gesteckt und mit aller Gewalt die Katze in den Schwanz gekniffen, um sich zu überzeugen, daß sie auch wirklich todt sei. „Das liebe, reizende, kleine Thier", sagte er, „wäre also wirklich ge-, stöhlen?"
„Ohne allen Zweifel, Durchlaucht.
Nun freilich, das kostbare Corallen- halsband mit dem goldenen Schlößchen konnte einen Dieb wohl reizen."
„Wenn es nur sich darum handelte, mein Prinz! — allein es scheint der Sache etwas ganz Anderes zu Grunde zu liegen."
„Etwas Anderes, Exeellenz?"
Der Polizeipräsident trat einen Schritt näher und sprach mit gedämpfter Stimme in den Wagen hinein: „Durchlaucht werden sich des Unfugs entsinnen, der vor kaum einem Jahre im Garten der hohen Frau verübt wurde, so wie des elenden Spottgedichtes, das auf Kosten derselben in Umlauf gesetzt wurde."
(Fortsetzung folgt.)
Redaktion, Druck und Verlag von Jak. M.eeh in Neuenbürg.