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ist aber hoffentlich nur vorübergehend, während die hier zu Tage iretmbe Noth- wendigkeil, Deutschland zur Wahrung seiner Sicherheit zu befähigen, eine dauernde ist. Gerade wenn es schwierig ist, die neue Belastung von 17 Millionen zu tragen, so haben Sie (zum Zeulr.) trotzdem ein gewisses Verdienst, wenn die Vorlage angenommen wird. Sie haben 120 Millionen „euer Schutz- und Finanzzölle bewilligt, obwohl damals Windlhorst den richtigen Verdacht halte, daß ein Theil dieser Summe demnächst vom Kriegsministerium in Anspruch genommen werden würde. Es handelt sich hier um einen Konflikt von Interessen. Aus der einen Seite steht das militärische der Sicherung Deutschlands. Die Organisation unserer Heeresmacht soll von den schwankenden Entschließungen der einzelnen Budgets unabhängig gemacht werden. Auf der anderen Seite steht das formelle Budget- recht. Wenn die Bedeutung jenes ersten Faktors eine so hohe ist, dann nehme ich ohne Zaudern eine Einschränkung des letztgenannten in Kauf. Uebrigens haben sich seit dem Vorgänge der letzten Jahre die Parteiverhältnifle im Reichstage verschoben. Soviel steht fest: eine konsolidirte Mehrheit, wie sie früher bestand, ist jetzt nicht wehr vorhanden. Die Gefahr, daß von Fall zu Fall sich Mehrheiten bilden, daß bei einer solchen Zusammensetzung politische Kombinationen entstehen, die die wichtigsten Interessen in ihren Bereich ziehen, ist jetzt größer als 1874. Wenn wir 1874 geglaubt haben, auf einen Theil unseres Budgeirechls verzichten zu müssen, so ist seht das Bedürfniß dazu in noch höherem Grade vorhanden. Günstiger ist die Lage des Reichs seitdem nicht geworden. Die Stärke der deutschen Armee ist bedeutend zemiger, wie Abg. v. Molike hervorgehoben hat, als die der französischen. Die natürliche militärische Befähigung der Franzose» ist so groß, daß ein Krieg mit dieser Nation unter allen Umständen für jeden Nachbar Frankreichs gefährlich ist. Gegen wen kann die Verstärkung der französischen Armee gerichtet sein? Ist es seit Jahrhunderten nicht Frankreich gewesen, welches die von ihm genihrten Kriege provozirt Hai? Frankreichs Rüstungen können auch jetzt keinen anderen Zweck haben, als die so vermehrte Armee gegen uns zu gebrauchen. Es ist oft davon die Rede gewesen, daß Deutschland 1870/71 bester gethan und mehr zur Erhaltung des Friedens beige- lragen hätte, die deutschen Grenzprooinzen nicht zu annektiren. Eine thörichtere Illusion kann ich mir nicht denken. Die Kriegsgefahr wäre dadurch nicht verringert, sondern vermehrt worden. Frankreich ist jetzt kon- solidirt und alliancefähiger als es 1870 war. Diesem Lande gegenüber können wir die Reg.Vorlage nicht ablehnen. WaS unsere übrigen politischen Verhältnisse anlangt. so hatten wir 1870 unsere Kräfte nur gegen Frankreich zu wenden. Ob wir unter alle» Umständen auch künslig in dieser Lage sein werden, ist fraglich. Die friedlichen Gesinnungen des jetzigen russische» Kaisers sicher» uns dessen Freundschaft. Die nihilistische Verschwörung, die jetzt i» diesem Lande tobt und die sich als der schwärzeste Undank gegen einen Herrscher charakterisirt, der sein Volk von den Ban
den der Leibeigenschaft befreit hat, fürchte ich nicht. Wer weiß aber, ob die Negierung künftig stark genug sein wird, die panslavistischen Agitationen im Zaum zu ballen? I» den einflußreichsten Kreisen Rußlands ist die Antipathie gegen alles Deutschthuni in erschreckender Weise gewachsen. Unter Umständen kann daraus eine sehr große Gefahr für Europa entstehen , der wir gewachsen sein müsse». Reichensperger hat auf das Verhältniß zwilchen Oestreich und Deutschland hinge- wiesen und hat mit vollem Recht sich dahin ausgespiochen, daß die diplomatische Aktion des Kanzlers aus deni vorigen Jahre, ein politisches Bündniß beider Staaten zu vereinbaren, i» die Geschichte seiner politischen Thäligkeit eines der unverwelklichsten Lorbeerblätter einflichi. In seiner sonstigen Thäligkeit bei der Erfüllung der schwierigen Ausgabe ist der Kanzler fast bei jedem Schritt auf starken Widerstand großer Interessen und ganzer politischer Parteien gestoßen; hier zuerst haben seiner diplomatischen Aktion alle Parteien beigestimmt. Das Erfreulichste ist die Selbstverleugnung, die Ein sicht in die eigensten Interessen, was die östreichisch-ungarische Regierung bei diesen Verhandlungen geleitet hat; leicht war der Regierung dieser Schritt nicht, nach dem Jahr 1866 mit dem neu eingerichteten Deutschland in ein Bundesverhältniß zu treten. Wenn die richtige Würdigung der Interessen beider Reiche zu dieser Verbindung geführt hat, so können wir Alle wünschen, es möge diese Verbindung politisch von Jahr zu Jahr erstarken und ihre Folgen sich auch auf die wirthschaftliche Seite erstrecken. Wir weisen die Verantwortlichkeit, die Vorlage abzulehnen, von uns, wir werden für dieselbe stimmen und ich hoffe, daß das politische Interesse in diesem Hause groß genug ist, um eine ansehnliche Mehrheit zu Stande zu bringen, die ebenso denkt wie wir.
Die Ernennung des Professor Geb in Breslau (eines Württembergers) zum Gene- ralsuperinlendenten der Prov. Posen steht nach der Post in den nächsten Tagen bevor, nachdem die mit demselben stattgehabten Verhandlungen einen günstigen Verlauf genommen haben.
Württemberg.
Stuttgart. Auf Anordnung Ihrer Majestät der Königin wurde am allerhöchsten Geburtsfest in den beiden Volksküchen ein Gratisessen abgegeben. Die verabreichten Portionen betrugen nahezu 1000.
Wasseralfingen, 7. März. Die W. Lanvesztg. schreibt: Heute Nachmittag 4 Uhr ist der in der Blüte seines Lebens stehende Jnspektionsassistent Kraus, welcher erst vierzehn Tage vorher auf sein Ansuchen von Ulm auf die erledigte Stelle nach Aalen versetzt worden war, nach oierundzwanzig- stündigem schmerzlichem Leiden gestorben. Er wollte einem gestern hier stattgesundenen Balls beiwohnen, benützte den Nachtschnellzug von Aalen nach Nördlingen und vergaß unglückseliger Weise, daß dieser Zug in Wasseralfingen nicht hält. Körperlich gewandt, wie er war, glaubte er mit Leichtigkeit durch einen Sprung vom Wagen- trilt ab sein Uebersehen verbessern zu können. Es märe ihm, wie die Spuren im Sand
auf dem Zwischentrottoir jetzt noch zeigen, dieß auch gelungen, wenn er nicht mit seinem Ueberzieher am Wagen hängen geblieben, vom Zuge geschleift und gegen einen Weichenhebel geschleudert worden wäre, dessen Achsenstiit ihm die tödtliche Verwundung beigebrachi hat. Ueber den Weichenhebel hinüber gewickelt, zog er, eine zersetzte Masse, durch sein Wehklagen Bedienstete herbei, welche ihn aufhoben und nach dem Bahnhofgebäude brachten. Der Bedauerns- werthe hatte aber noch so viel Energie, vaß er mit Unterstützung noch selbst ging, war aber von Blut und Wunden so entstellt , daß ihn selbst sein schnell herbeige- rnsener Chef im Augenblick nicht erkannte. Aerztliche Hilfe war rasch zur Stelle. Leider konnte man nur Schmerzlinderungsmitte! verschreiben, da die Aerzte nach Untersuchung des Körperzustanves zu der Ueberzeugung kamen, daß das jugendliche Leben nicht zu retten sei. Bis zu seiner sanft erfolgten Auflösung war der junge Mann vollständig beim Bewußtsein und ertrug mit einer wahrhaft stoischen Geduld die übergroßen Schmerzen, welche er zu erdulden hatte, und welche nur zum Theil durch Morphiumeinspritzungen gelindert werden konnten.
Ulm, 8. März. In der kleinen Donau wurde vorgestern wieder ein Nothfisch von 14 Kilo mittelst Netz gefangen.
Friedrichshafen, 7. März. Der See ist bedeutend gestiegen. Die Schweizerberge sind noch mit vielem Schnee bedeckt, welcher voraussichtlich einen großen Wasser- stand in Aussicht stellt.
Vom Welzheimer Wald. In den letzten Tagen hat nach der „N.-Ztg." ein in Alfdorf ansäßiger älterer Mann auf dem Heimgänge von Buchengehren, wie es scheint, den Weg verloren, kam in sumpfige Stellen des Leinthals und brachte, sußtief im weichen Grund steckend, die ganze Nacht zu, bis er andern Morgens von einem Besenhändler halb leblos aufgefun- dcn wurde. Zwar wurde er sofort in ein warmes Bett gebracht; allein der Tod trat schon nach kaum einer Stunde ein.
Miszellen.
Der Schnupfe».
Warum begnügt sich die Damenwelt Europas mit dem Schmucke der Ohren und verzichtet leichten Herzens auf die bei unfern Gegenfüßlern so beliebten Nasenringe? Der Knorpel, welcher die Nasenscheidewand bildet, läßt sich ja ebenso leicht durchbohren wie das Ohrläppchen. Wir müssen also die Ursache dieser merkwürdigen Erscheinung anderswo suchen und gehen gewiß nicht fehl, wenn wir annehmen, daß der Nascnring nur deshalb bei uns nie in die Mode kommen kann, weil er beim Gebrauche des Sacktuches hinderlich sein würde und in unserer schönen Heimat, wo drei Viertel der Gesammt-Bevölkerung die Hälfte des Jahres hindurch an Schnupfen leiden, eben das Sacktuch unentbehrlich ist. Schon in der ungemeinen Verbreitung dieser Krankheit der Schleimhäute liegt wohl auch die Berechtigung, sich näher mit ihr zu befasse», ganz abgesehen davon, daß sie, wie wir später Nachweisen werden, nicht in allen Fällen zu den ungefährlichen ge-