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richt zusteht. Aus erheblichen Gründen soll das Landgericht auch die Bestellung eines desondern Gerichtsvollziehers an Stelle des Orlsoorstehers oder des gewählten Gerichtsvollziehers beschließen können, wo­gegen dem Gcmeinderath der Beschwerde­weg an das Oderlandesgericht zusteht. Die Kommission beantragt einen Zusatz, wonach dem Onsvorsteher, wenn der Gemeinde­rath ihm seine Zustimmung zur Ablehnung des Gerichtsvollzieherdienstes versagt, hie- gegen die Beschwerde an das Oberamt zu­stehen soll. Ferner soll in diesem Fall der Gemeinderath einen oder nach Bedürfniß mehrere Gerichtsvollzieher wählen dürfen.

Beutter hat Gegenanträge gestellt, zieht dieselben aber auf Beilagen des Präsiden­ten zurück, da sie keine Aussicht auf An­nahme haben.

Nach kurzer Erläuterung des Artikels durch den Berichterstatter wird der Artikel nach den Kommissionsanträgen angenommen.

Die Kommission hat weiter beantragt, einen Art. 30 s, einzuschalten :

Für den Gerichtsvollzieher (Art. 28 Abt. 1, Art. 29, Art. 30 Abs. 24) ist ei» Stellvertreter durch Wahl des Gemeinde- raths zu bestellen. Die Bestimmungen des Art. 30 Abs. 24 finden auf denselben entsprechende Anwendung."

v. Geh ist für diesen Antrag, da durch denselben alle die Befürchtungen, welche der Abg. Beutter und Genossen vorgebracht, beseitigt werden, was Beutter bestreitet.

Der Antrag wird angenommen und da­mit die Sitzung geschlossen.

Stuttgart, 2. Dez. In Waldsee wird der halbe Liter gutes und gesundes Bisr zu 10 ausgeschenkt, in Ellwangen trinkt man den Halden Liter Bier um 8^Z, im Goldenen Adler in Mengen trinkt man den halben Liter Bier zu 9 L, in sämmt- lichen übrigen Wirthschafren zu 10 L. Be­kanntlich sind die Gersten- und Hopsenpreise sehr niedrig und ein allgemeiner Bierab­schlag wäre in Folge dessen angezeigt.

Tübingen den 29. Nov. Gestern fand die feierliche Einweihung der neuen katholischen Kirche statt. Dem am Vorabend angekommenen Bischof Hesele wurde von den Zöglingen des Wilhelmsstisis ein solennes Ständchen ge­bracht. Die gestrige» Einweihungsseier- lichkeiten dauerten von 8 Udr bis gegen 12 Uhr. Nach der von Bischof Hefele gehaltenen Predigt, welche die Bedeutung der einzelnen Zeremonien bei der Kirchen­einweihung sowie die Wichtigkeit der Fir­mung zum Gegenstand hatte, wurde das Sakrament der Firmung an etwa 50 Kna- den und Mädchen vollzogen. Die Teil­nahme an den Feierlichkeiten war eine allgemeine. Von nah und fern waren Priester und Laien erschienen. Auch die hiesige evangelische Geistlichkeit sowie die evang. Einwohnerschaft nahmen lebhaften Antheil an der Freude ihrer Mitchristen. Die durch das Stadtschultheißenamt dem katholischen Stadtpfarramt überreichte Gabe hiesiger evang. Einwohner betrug 900-/kL; es stehen aber noch weitere Beiträge in Aussicht. Den Schluß der Festlichkeiten bildete ein Festmahl im Museum, an wel­chem sich etwa 170 Personen betheiligten.

(S. M.)

Neuenbürg. Wie anderwärts wurde auch hier die Erinnerung an die Tage von Villiers und Champigny wach erhallen; der Krieger-Verein hatte sie am Samstag mit der üblichen Feier begangen.

Neuenbürg, 3. Dez. Nach einem Ausschreiben des Großh. Bezirksamts Pforzheim wird die dort in Dienst gewesene Wilhelmine Hammer von Wildbad seil 28. v. Mts. unter Umständen vermißt, welche zunächst auf einen Unglücksfall Hin­weisen, den Gedanken an ei» Verbrechen jedoch nicht vollständig ausschließen. Der Pforzheimer Beobachter bemerkt hiezu weiter, die Vermißte habe sich Abends halb 10 Uhr aus der Behausung ihrer Herrschaft entfernt, angeblich um ihre Schwester zu besuchen, ohne daß man bis jetzt über ihren Verbleib etwas erfahren hätte.

Ausland.

(England und der Opiumhandel). Wie die englische Regierung ihre zivilisa­torische Aufgabe in Indien und China aus- faßt, dafür gibt uns eine vor Kurzem er­schienene Broschüre unseres Landsmanns, Prof. vr. Christlieb in Bonn, einen trau­rigen Beleg. Während die Opiumaussuhr aus Indien im Jahr 1800 noch 5000 Kisten betrug, war sie im Jahr 1875 auf 90,000 gestiegen. und aus dem Verkaufe dieses Giftes bezog die indo-britische Regierung schon im Jahr 1871/72 über 7*/r Mill. Psd. St., also beinahe ein Sechstel der gesammten indischen Staatseinnahmen! Die Zahl der Opiumraucher beziffert sich gack Millionen und die der Pest alljährlich zum Opfer fallenden nach Hundertlausenden. Der schändliche Handel, den die britische Regierung mit diesem Gifte treibt und der nicht genug zu brandmarken ist, muß unter den bekannten physischen Verwüstungen des Einzelnen, im Laufe der Jahre eine Zu­nahme der Verbrechen, Verarmung des Landes, Schwächung des Einflusses und der Macht der chinesischen Regierung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung rc. im Gefolge haben und die Engländer dürfen sich darum auch nicht wunder», wenn ihre Missionäre seither für das Christenthum so wenig Boden gewonnen, da sie mit der einen Hand wohl die Bibel bringen, mit der andern aber das Gift reichen, wodurch China ruinirt wird.

Miszellen.

Ein Verbrecher.

Aus den Aufzeichnungen eines Criminalbeamtcn.

(Fortsetzung.)

Nur dem Untersuchungsrichter Conradi war dies ausgefallen, ebenso der Umstand, daß die Uhr und die Börse des Ermorde­ten nicht berührt waren. Es sprachen in­dessen so viele Beweise gegen den Walo- hüter, daß an seiner Schuld kaum noch zu zweifeln war. Allgemein wurde er als der Mörder angesehen, zumal auch nicht die geringste weitere Spur, welche auf einen andern Thäter hätte schließen lassen können, aufgefunden war.

Der Glaube, daß Steingruber der Mör­der war, hatte auch in dem Dorfe sich ver­breitet, so sehr ihn Manche im Anfänge in Schutz genommen batten.

Es litt Niemand schwerer darunter als seine Frau und Tochter. Als ob sie an dem Verbrechen Theil genommen, wandte sich Jeder mit Scheu von ihnen. Dazu kam noch, daß ihnen der Unterhalt fehlte. Die kranke durch den Kummer noch tiefer gebeugte Frau vermochte selbst die leichteste Arbeit nicht zu verrichten und Marie er­hielt von keinem der Bauern Arbeit, so viel sie sich auch darum bemühte. Mit der Tochter des Mörders mochte Niemand etwas zu schaffen haben. Die bitterste Noth stellte sich bei ihnen ein.

Nur Einer hatte sie nicht verlassen^ Heinrich. Ihn kümmerte das Reden der Menschen nicht. Es währte jedoch lange, ehe Marie ihm ihre Noth gestand und ihn um Unterstützung bat. Er that nun, so viel in seinen Kräften stand.

Heinrich hatte von Anfang an dem Glauben, daß Steingruber der Mörder sei, nicht beigestimmt.Er ist einer solchen That nicht fähig!" hatte er behauptet, und selbst noch als die Beweise seiner Schuld sich gehäuft hatten.

Er ist dennoch unschuldig!" hatte er gerufen.Hätte er mit dem Advokaten in Feindschaft gelebt, aber davon weiß Nie­mand etwas, so war' es möglich gewesen, daß er in der Hitze des Streites sich so weit vergessen hätte, ihn um's Leben zu bringen; aber dann hätte er ihm eine Kugel durch den Kopf geschossen und ihn nicht so grauenhaft zugerichtet."

In diesem Augenblicke erwartete ihn Marie mit größter Ungeduld und Sehn­sucht. Er war zur Stadt gegangen zum Richter, um diesen uw die Erlaubnis, den in strenger Haft sitzenden Waldhüter besu­chen zu dürfen, zu bitten. Noch hatte dieser Keinen der Seinigen gesprochen, seit er aus dem Dorfe fortgeführt war.

Oft stand Marie von ihrem Rocken auf und spähte ungeduldig durch das Fenster.

Es wird ihm seine Bitte abgeschlagen werden, wie sie Dir abgeschlagen ist," sprach die hinter dem Ösen zusammengekauerte Mutter.

Dann würde er schon zurückgekehrt ein," warf Marie ei».Er weiß. wie ungeduldig wir ihn erwarten. Er thut uns ja Alles zu Liebe; ohne ihn wären wir vielleicht schon im Elend verkommen.

Ja, er ist gut," sprach die Alte,aber Deinen Vater kann er doch nicht erretten. Der ist verloren. Mir ahnt das Schlimmste. Fast jede Nacht träume ick von Blut und das das ist das Blut Deines Vaters!"

Mutter, Mutter!" rief Marie, das Gesicht mit den Händen bedeckend.

Verdient hat er es nicht, daß er sterben muß," fuhr die Alte erbarmungslos fort. Er war wild und heftig, aber einen Mord hat er nicht aus seinem Gewissen. Sie glauben es aber in der Stadt, und da mag er jeden Tag seine Unschuld belheuern: was Die dem Menschen einmal beweisen wollen, das beweisen sie ihm. Wenn er nur reich wäre, haha! dann wäre er längst wieder in Freiheit gesetzt und kein Mensch sagte ihm nach, welcher Verdacht auf ihm geruht!"

(Fortsetzung folgt.)

Redaktion, Druck und Vertag von Jak. Me e h in Neuenbürg.