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meiner bevorzugten Stellung machte, der nicht immer zu loben war. Das Schlimmste bei der Sache waren die Beziehungen meines Oheims zum jetzigen Kasseler Hof, wodurch auch ich in den Strudel jener Orgien ge rieth, die König Jerome's Namen für immer brandmarken werden. — Sie sehen, Herr Pfarrer! ich bin aufrichtig, mir ist's, als säße ich vor einem Beichtvater und müßte Ihnen die geheimsten Falten meiner Seele offenbaren. Freilich werden Sie mich verdammen, da Sie in dieser Einsamkeit den Maßstab der großen Welt mit ihren mannigfaltigen Verirrungen sicherlich verloren haben."
„Fürchten Sie das nicht," versetzte der Pfarrer ernst, „auch in dieser Einsamkeit nistet die Sünde, das Böse findet überall Eingang, wie sollte ich Sie also verdammen dürfen?"
„Ja, ich weiß es, Sie sind ein echter Jünger Desjenigen, der keine» Stein auf den reuigen Sünder warf, sondern ihn voll Milde und göttlicher Liebe an sein Herz nahm. Ohne mir selber Weihrauch streuen zu wollen, darf ich wohl von mir behaupten, daß mich das Treiben jenes Hofes aneckelte, daß ich im Innern das Franzoienthum mit feinen unseligen Folgen für die gute deutsche Sitte haßte und verdammte und wie Fiesco von meinen Landsleuten, die im patriotischen Eifer für das Vaterland erglühten, verkannt und verurlheilt wurde."
„So treiben Sie also ein ähnliches Spiel mit der Sache des Vaterlandes wie der Genueser?" fragte der Pfarrer köpf schüttelnd.
Adalbert nickte düster.
„Ich hätte mich von seinem Schicksal belehren lassen sollen" , versetzte er, „obgleich ich nicht wie er nach einem Fürsten« mantel mich sehnte — der Ehrgeiz überhaupt mit meinem Patriotismus wenig zn schaffen hatte. Meine Landsleute erblickten in mir nur den sorglosen Lebemann, den gesinnungslosen Genußmenschen, den vaterlandslosen Verrälher, der mit dem über- müthigen Tyrannen deutscher Sitte und Tugend spottete und seine Orgien theilend, ein elender Satrape des Franzosenthums geworden war. Was in mir gährte und wogte, davon ahnten sie so wenig wie König Jerome und sein üppiger Hof — Niemand durfte es ahnen, wen» die Saat zur gedeihlichen Ernte reifen sollte. Ich trug den wüüen Lebemann, den Franzosen- sreund geflissentlich zur Schau und unterhielt im Geheimen Bekundungen mit dem Tugendbund, mit Schill, Dörnberg und anderen Führern, die nicht bloß im Innern grollten, sondern auch dreinzuschlagen gedachten. Leider konnte der wackere Schill die Zeit nicht ruhig abwarten, sein Feuereifer riß ihn hin, er schlug zu früh los, worauf Dörnberg ebenfalls scheitern mußte, da das Volk noch nicht hinreichend für eine allgemeine Erhebung präparirt war. Es war ein harter Schlag für alle Vaterlands« freunde, die von dieser Erhebung so viel erwartet hatten. Sie wissen, daß der unvergeßliche Schill in Stralsund den feindlichen Streichen erlag, er starb einen be- Nkidenswerthen Tod, daß mein Freund Dörnberg flüchten mußte, wie so manche Andere — wie jetzt auch ich, den nach
einem vollen Jahre ein verrätherischer Freund, ein deutscher Landsmann denuncirte und in's Kasseler Castell brachte. ES gelang mir, zu entfliehen, ich nahm meinen Weg hierher, um mit Hülfe der hiesigen Fischer, die mir als verwegene Schmuggler ge- schildert worden, ein englisches Kaperschiff zu erreichen." (Forts, folgt.)
Die nordamerikanische Industrie und der Schutzzoll.
In dem Lande, wo das Schutzzollsystem zu seiner vollständigsten Durchführung gelangt ist, den Vereinigten Staaten, sollte, wenn die Vorspiegelungen der Schutzzöllner auf Wahrheit beruhen, Handel und Verkehr am Blühendsten sein. Nichts desto weniger sind die schon seit Jahren so traurigen allgemeinen Verhältnisse im Laufe dieses Jahres noch ungleich trostloser ge worden, obwohl Amerika seine Grenzen so viel wie möglich verschlossen hielt, obwohl andere Länder ihre Grenzen gegen Amerika nicht absperrten. Die Zahl der Fallimente in den ersten sechs Monaten ist von 4749 mit 99'/s Millionen Dollars Passiven auf 5825 mit fast 13 l Millionen Dollars gestiegen. Ueberhaupt liegen die Verhältnisse dort so, daß Jeder, der nicht absichtlich die Augen verschließt, einsehen muß, wie ein durchgeführtes Schutzzollsystem ein Land ruiniren muß. Zur Erbauung derjenigen Vorkämpfer der schutzzöllnerischen Ideen, welche unter der Flagge „Schutz und Hebung der nationalen Arbeit und des nationalen Wohlstandes" zum Schaden des allgemeinen Wohles ihre Sonderintereffen in den Vordergrund stellen, theilen wir nachstehend eine Schilderung der amerikanischen Zustände nach einer neuerdings in New-Dork erschienenen interessanten Flugschrift mit. In dieser Flugschrift heißt es:
„Die Politik, unseren einheimischen Fabrikanten durch Schutzzölle auf die Beine zu helfen, hat vor hundert Jahren begonnen, und wir sind heute nicht näher dem versprochenen Ziele, als wir es am Ende des Revolutionskrieges (1776) waren. Das System war eingeführt in der Meinung, daß mit einer vorübergehenden Hülfe die Industrie, die für diese Begünstigung auserwählt war, stark und unabhängig werden würde. Aber von Zöllen, die (1789) circa 8'/s Prozent betrugen, mit der Bestimmung, daß sie nur sieben Jahre lang gelten sollen, sind wir auf Zölle von 40, 50, ja sogar 125 Prozent mit durchaus unbestimmter Dauer gekommen. Dieselben Industriezweige sind jetzt beschützt, die beim Beginn des Schutzzollsystems beschützt waren, und sie sind so weit entfernt, stark und unabhängig zu sein, daß sie gerade durch ihren fortwährenden Ruf um Hülfe die Zölle bis zu einer solchen Höhe getrieben haben; sie sind kaum drei Viertel so stark, als sie vor hundert Jahren waren, und heute sind sie in der allertraurigsten Lage. Bankerotte, Stillstand und Einstellungen sind die Haupt- ereigniffe ihrer traurigen Geschichte.
(Fortsetzung folgt.)
Auch eine Wahl-Anekdote. Zu Abraham Lincoln kommt ein junger Mann, der eine Chronik seiner Familie schreiben möchte, und glaubt durch Lincoln, resp.
durch dessen Mithilfe, aus den Staatsarchiven verschiedene ihm fehlende Mittheilungen über seinen Großvater erhalten zu können. Lincoln hörte den jungen Mann ruhig an, dann meint er: „Ah, Sie möchten Einiges über Ihre Vorfahren wissen — ich will Ihnen Folgendes rathen: Lasten Sie sich zum Repräsentanten kandidiren und sie sollen sehen — in den ersten vierzehn Tagen Ihrer Kandidatenlaufbahn bekommen Sie alles Gute und alles Schlechte — besonders aber alles Schlechte — zu hören, was Ihre Vorfahren bis in's zehnte Glied hinauf gethan haben!"
Kirchheimbolanden (Bayern), 10 August. Bei der jüngsten Musterung ereignete sich hier ein ergötzliches Geschicht- che». Die Commission ist versammelt, und die Donnersberger Jugend harrt ihres Ausspruches. Ein kräftiger Bursche tritt in den Saal. Der Militärarzt findet ihn tauglich. 8. Infanterie-Regiment Metz — lautet die Entscheidung des Vorsitzenden Offiziers. „Erlauben Sie, aber ich möchte lieber zu den Jägern" — meinte der künftige Vater- landsvertheidiger. Der Offizier bewilligt das Gesuch. Freudestrahlend entfernt sich der Bursche. Sein Nachfolger wird ebenfalls dem 8. Infanterie-Regiment zugewiesen, die gleiche Bitte entwindet sich seinen Lippen. „Warum wünschen Sie denn bei den Jägern dienen?" wird gefragt. „Eich hun mei Bläseer dra!" Gegen diesen stichhaltigen Grund läßt sich nichts einwenden, auch er wird in Zweibrücken seine drei Jahre abdienen. Nr. 3 erscheint; dasselbe Tableau: Zuweisung zum 8. Regiment, Bitte um Zuordnung zu den Jägern. Grund: „Mein Vater hat auch bei den Jägern gedient." Gut. zu den Jagern eingereiht. Bei Nr. 4 wiederholt sich das Schauspiel. Aber der Offizier entspricht diesmal dem Wunsche nicht. Nr. 5 schließt sich den geehrten Vorrednern an. Der Offizier, stutzig über diesen einmüthigen Wunsch, fragt erstaunt: „Ja, warum wollt Ihr Donnersberger denn alle bei den Jägern dienen?" Verlegenes Schweigen seitens des Dienstpflichtigen. Da übernimmt es der anwesende Gendarm, das Räthsel zu lösen. „Entschuldigen Sie, Herr Oberst, der Grund ist einfach: in Metz kostet das Glas Bier 25 Pf., in Zweibrücken nur 11 Pf." Seit jener Zeit aber führen die Jäger von Donnersberg den Beinamen „Bierjäger".
Neuenbürg, 23. Aug. Ein erschütternder Fall hat sich auf dem hiesigen Bahnhof ereignet. Unmittelbar nach Abgang des Zugs 8^ bemerkte der Biüet- Kassier vom Schalter aus im Vestibüle am Eingang des Wartsaales einen Mann am Boden liegend. Bei alsbaldigem Nachsehen und herbeigerufener Hilfe ergab sich, daß derselbe, ein Fremder, bereits in den letzten Lebensstadien sich befand und auch ehe die sofort erbetene ärztliche Hilfe zur Hand, verschied, wie konstatirt ist, in Folge eines Schlagflusses. Soweit Erhebungen möglich, scheint der unglückliche Fremde Hr. Fabr. K. aus Obertürkheim zu sein. Bis auf eintreffende Nachrichten aus seiner Heimath wird der Leichnam im hiesigen Bezirkskrankenhause untergebracht.
Redaktion, Druck Verlag von Jak. Meeh in Neuenbürg.