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Taglobn st 2 fl. neben 1 Maß Wein, oder aber Kost dazu, dann mache er es um I fl 36 kr. Schlechte Zeilen? Nolhlage? Schlechte Zeilen haben wir Zeitgenossen erlebt. Im Jahr 1846/47 Brodpreis per 6 Pid. 39 kr., Taglobn für ländliche Ar­beiten 45 kr., heute 1877 Brodpreis 29'/r kr., Taglohn wie oben 2 fl. Das waren schlechte Zeiten, nämlich 1846, über Haupt in den 50er Jahren! Sie waren um so schlechter sür den Arbeiter, als er um Arbeit betteln mutzte. Heute ist ihm kein Lokn groß genug. Wenn der Land' wirthschalt nicht die besten Kräfte durch die Fabriken entzogen wären, würde um '/r mehr erzeugt werden, und die Klage über unerhörte Theuerung würde vielleicht verstummen. Soviel was den ländlichen Arbeiter angeht. Viele Fabriken, welche so viele Arbeitskräfte dem Landbau ent­ziehen, haben heule den Boden unter de» Füßen verloren, denn die Bedingungen, unler welchen sie einst bestehen konnten, sind nicht nuhr vorhanden. Damals billi­ges Areal, billige Einrichtung, wohlfeile Arbeitskräfte, Brennmaterial, selbst das Kapital bereitwillig. Heute hohe Löhne wegen Lebensmiiteltheuerung u. s. w. Manche solcher Fabriken werden noch einige Zeit siechen und dann entschlafen. Sie werden uns hiuterlassen ein Arbeiterpro- letariat, unfähig zu jeder ländlichen Arbeit und darum der Gemeinde zur Last. Ich komme jetzt auf den Noihstand im Baufach. Die Klage, es werde nichts mehr gebaut, ist begründet, aber warum wird denn nicht gebaut? Weil die Reaktion aus die Schwin­delzeit da-ist. Weil die unerschwinglichen Forderungen der Bauarbeiter nicht mehr bezahlt werden können. Weil es die Ar­beitgeber satt haben, von ihren Arbeitern oerhönt zu werden, wie ich es mit eigenen Ohren angehört habe, daß Arbeiter ihre» eigenen Meister, der sie amblauen Mon­tag" um Aufnamhe der pressantesten Arbeit bat, ernlüden, ihnen Kegel um einen großen Thaler auszusetzen, bis der Kegel- junge einlreffe! Zu geschweige» von allen nur denkbaren Exzessen auf jedem Bau­platz, welche jeder Bauherr der damaligen Zeit kennt. Schlechte Zeiten! Ja theil weise wohl, aber selbst verschuldet! Es kommt übrigens besser; sämmtliche über­spannten Forderungen und Ansprüche kom­men wieder in das r chtige Verhällniß. Aber nicht schnell. Doch von schlechten Zeiten zu sprechen ist Uebertreibung. Ein Lekonom nahe der Stadl Stuttgart. (S.M.)

Ausland.

Zürich, 13. April. Im August v. I. wurde der Senn Schneebelt von der Stadt- polizei Zürich dem Gerichte überwiesen, weil er zwei Partieen Milch zum Verkauf in die Stadt gebracht Halle, von denen nach der chemischen Untersuchung die eine einen Wasserzusutz von 20 p§t., die andere einen solchen von 10 pCt. hatte. In der Untersuchung brachte Schneebeli vor, die beanstandete Milch komme nicht von seinen Kühen, er habe sie vielmehr als gute Milch von einigen Bauern znsammengekaust und in unverändertem Zustand zu Markt ge- brachi, sie also weder silvst verfälscht noch

gewußt, daß sie von anderen verfälscht sei. Das Bezirksgericht verurtheilte ihn, ohne diese Einrede zu berücksichtigen, zu einer Buße von 100 Frcs. Schneebeli reknrrirle, aber die AppellationZkammer bestätigte das Erkenntniß. Jetzt forderte der Anwalt des Bestraften Vernichtung des Urtheiles wegenVerletzung materieller Gesetzesvor- schriften", sofern der dem Ankläger oblie­gende Beweis fehle, daß der Angeklagte die Milch entweder selbst verfälscht oder den verfälschten Zustand derselben gekannt habe. Das Obergericht, vom Präsidenten des Kassalionsgerichls zur Vernehmlassung eingeladen, enviederie: Wer Lebensmittel auf den Markt bringe, sei censirt, ihre Qualität zu kennen. Schneebeli müsse übrigens als Senn die Qualität der von ihm zu Markt gebrachten Milch gekannt haben. Demgemäß blieb das Urtheil in Kraft.

MisMen.

Eine Volksküche in London.

Unter die allerschmerzlichsteii der Ein­drücke, die der Fremde von einem Ausent halt aus dem an Gegensätzen so reichen London mit nach Hause nimmt, zähle ich die, welche die sogenannten Samstagsnachts Märkte auf mich machten. Es sind dies Märkte, die am späten Abend lediglich für die Arbeiter abgchalten werden, welche nach empfangenem Wochenlohne hier ihre armseligen Lebensbedürfnisse für die näch­sten paar Tage, das heißt, so weit ihre wenigen Schillinge reichen, zu decken suchen. Da war es mir denn immer die traurigste Scene, wenn ich sah, wie die ärmsten der hier verkehrenden armen Weiber um dürf­tige Stücke schlechten, halbverfaulten oder sonst verdorbenen Fleisches feilschten, wäh­rend sie mit sehnsüchtigen Augen, mit Blicken, die tief in'S H-rz schnitten, die besseren, frischeren und reichlicheren Stücke betrachteten, welche für Leute mit volleren Börsen zum Kaufe auslagen. Jetzt ist Gott sei Dank diesen Jammcrscenen eini- germaßen ein Ende gemacht, seitdem von Australien ans Massen von eingesalzenen und präservirien. aber völlig nähr- und schiiiackvasteii Fleisches nach London kommen, das auch sür den ärmste» Arbeiter kein unerreichbarer Leckerbissen ist. Hauptsäch­lich sind es zwei große Firmen, welch London mit diesen überseeischen Ochsen und Schnfziemern versorgen; die eine ist eine große Aktiengesellichnst, die Australian Meal Compagny, die andere ein Privnl- unternehmen. Die letztere die sich leeiglich mit Schöpsenfleisch besaßt, hat nun de» glücklichen Gedanke» gehabt, mitten in einem von Armen bewohnten Distrikt, am Ostende der Riesenstadt, in Norton Folgalo, hinter einem umiaiigreichen Verkausslokale zugleich eine Küche zu errichten, wo die Kunden das in tun Vorderiäumen erhandelte Fleisch für eine geringfügige Extravergütung sich je nach ihren Wünschen zubereiten lasse» und versveise» können.

Die Umgebungen des Lokals sind höchst trübseligen Anblicks, aber das Etablissement gleicht einer Oase in kur Wüste, so einla dend und schiniick stellt es sich dar. Und man

muß sehen, wie das umwohnende Publi­kum herveiströmt und die an den Schau­fenstern aus das Appetitlichste ausgestellten Delikatessen dewuuderl, wie es die Kupfer pcnce tu leuien Laichen mustert, u»o, wenn das Nejuttat der Revision günstig, dis Schwelle des Kücheii-Paiaüstser überschreitet, von den minder Glücklichen, welche sich nur au dem Auvlick von außen laben können, beneidet und als Slandespersonen augeslaunt! Das Gedränge um den La- deuuich, der eine passende Auswahl aller der gebotenen Genüsse in schöner und ge­schmackvoller Anordnung enthält, ist immer levensgeiühriich; hier sucht sich das Pitb- trtum aus, wus fernen Gelüsten und dem Stand ie-uer Kasse entspricht, nimmt sich dann die auf e-uem Seiienirsche ausgesta- p-llen Teller und Schusseln und verfügt >rch damit in das eigenltteye Speiiegemach, euren totossaleu Saal, den lange Reihen von Taseln und Bänken von einer Ecke bis zur andern ausfüllen. Die Fttithzeit des Elavlissemenis währt von 12 bis 3 Uhr RuchiNliiags; während derselben pflegt jedes Raumchen des gewaltigen Lokales vejetzt zu sein, und zwar sieht man darin iieven den Vertretern der ärmsten Krassen der Londoner Bevölkerung, neben dem offenbaren Bettler in zerlumpter Kleidung (der eigentliche Slrotch und Dieb vermeidet vergleichen aus Anstand und Ordnung hal­tende Lotaliiälen) Leute von ganz respek­tablem Aenßein meist Schreiber und Kom­mis, welche, bei einem geringfügigen Jahres- gehatte von sunszig bis Hundert Pfund Ster­ling, die Gelegenheit, um billigen Preis ein sättigendes Mittagsmahl zu erhalten, mit Freuden ergreife». Der gewönliche Betrag eines jeden der verabreichten Ge­richte ist et» Penny (8'/r Pf.); wer sich den Luxus von Peuce (17 Pf.) gestatten kann, wofür er zu seiner Schüssel noch gedämpfie Kartoffeln erhält, der gilt nach oen B-griffen von Norton Folgate schon für eine» Lncullus.

Wie schon erwähnt, bietet das Etablisse­ment ausschließlich Schöpsenfleisch feil, be­reitet dies jedoch in einer Menge verschie- uener Gestatten zu. Das Fleisch ist vor VkM Transport leicht eingepökelt worden und hat durch die lange Reife nichts von seiner Frische und semem Wohlgeschmack eingedüßl. Für etwas bemitteltere Kunden importirk man auch präseroirles Fleisch in hermetisch verschlossenen Zinnbüchie»; dies w-ro vvcyer bereits verkocht und komnit das Pfund ungefähr aus sechs Pence ( M.) zu stk he». Im Durchschnitt zählt das Lokal, außer der großen Menge von Kun­den, die sich das erkaufte Fleisch mit nach Hause ueiiimn. Tag aus Tag ein mehr als tausend Tischgäste während der verslossiM» Weihnachtszeit stieg die Ziffer aus nahezu das Doppelte so daß die Firma. ovwohl bei Weitem die meisten dieier Gäste nur je einen Penny anlegen iöiliien, dennoch gute Geschäfte macht. So gereicht ein Neffendes Beispiel von der »auonalotoiioiilischen Bedeutung des Welt­handels, der Üeberfluß eines viele Tausende von Meilen enliernten Erdtheils der euro­päischer. Armuth zum Segen.

Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Me e h in Neuenbürg.