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Geilage zu Nr. 23 desEnztlMer"

Dienstag, den 22. Februar 1875.

Kronik. i

Deutschland. !

Aus der Gegenwart.

Die vorletzte Sitzung des am 10. Febr. geschloffenen deutschen Reichstages war viel­leicht die interessanteste der ganzen Session. Bei Gelegenheit der dritten Lesung der gegen die Discussionssreiheit gerichteten Ztz. 130 und 131 ergriff nämlich der Reichskanzler das Wort, um nicht etwa, wie er sagte, das Haus, welches diese Bestimmungen in zweiter Lesung verworfen hatte und auch endgültig zu verwerfen Willens war, eines Besseren zu belehren, sondern um den Standpunkt der Regierung noch einmal darzulegen. Fürst Bismarck aber benutzte diese Gelegenheit, um sich einmal wieder vor Europa auszusprechen über die hetero­gensten Dinge. Die Rede galt eben so sehr dem Auslande als dem Jnlande. Er betonte unter Anderem insbesondere die deutsche Friedensliebe, die nicht einmal da­rin einen Grund zum Kriege sehe, daß Frankreich in Besorgniß erregender Weise rüste; Deutschland würde auch ferner war­ten, bis es angegriffen werde. Namentlich eiferte der Kanzler gegen die Annahme, daß derKrieg in sicht Artikel" der Post" vom vorigen Jahre offiziösen Ur­sprungs sei; das Auswärtige Amt habe alle Beziehungen mit der Presse abgebro­chen. Man glaubt allgemein, daß die deß- fallsigen Ausführungen des Fürsten auf das Ausland, namentlich auf Frankreich, beruhigend wirken und sonach die Festigung des Friedens befördern werden. Der Kanz­ler sprach sich auch über die socialistische Bewegung aus, gegen die er entschieden Front machte; er betonte dabei, daß die deutschen Arbeiter die Hauptschuld an dem Verfalle unserer Industrie trügen, da die ausländischen geschickter und fleißiger als sie arbeiten, daß in zweiter Linie die Agi­tatoren daran Schuld seien, die ihnen ein- redeten, daß sie ihre Lage durchweniger Arbeit" undeine Anweisung auf das Vermögen ihrer Mitbürger" verbessern kön­nen würden. Bismarck wendete sich aber auch gegen den Abg. Bamberger, der neu­lich gesagt hatte, der Reichstag habe das, was über die socialistische Bewegung zu sagen sei, längst an den Schuhen abgelau- -sen; der Kanzler meinte, er lerne täglich in dieser Beziehung etwas Neues. Er sprach sich schließlich auch gegen die Maxime der Reichstagsabgeordneten, den socialdemokra­tischen Rednern nicht zu antworten, aus und meinte, das sei ein großer Fehler. Gerade im Reichstage müsse die Hohlheit der socialistischen Theorien dargethan und müß­ten die Waffen geschmiedet werden, mit denen dann auch die Wähler den Socialis­mus bekämpfen könnten rc. Das sind zwei der hauptsächlichsten Punkte aus der reichs- kanzlerischen Rede vom 9. Febr., von der das Organ des franz. Ministers des Aeu- ßeren sägte, daß sie die bedeutendste von allen .sei die der Fürst seit 1871 gehalten.

I Der Reichstag erledigte in den letzten

Tagen seines Beisamrüenseins noch Folgen­des: Er occeptirte endgültig den Gesetzent­wurf betreffs Kontrole des Reichshaushalls und des Landeshaushnlts von Elsaß-Loth­ringen, ferner das Gesetz betreffs Abände­rung der Gewerbeordnung und der Regelung des Hilfskassenwesens und schließlich auch die Strafgesetznovelle. Letztere wurde in dritter Lesung nicht ganz in der Form angenommen, wie sie in zweiter genehmigt worden war. Man acceptirte diesmal näm­lich auch die §§. 4 und 5, welche die Be­strafung von im Auslande verübten Ver­brechen betreffen und auch den sogen. Kanzelparagraphen, welcher gegen diejenige» «Geistlichen gerichtet ist, welche in Ausübung ihres Berufes Angelegenheiten des Staates in einer den Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstände einer Verkündigung oder Erörterung machen. Allerdings wurde der­selbe in einer n»uen Fassung genehmigt, die ihm der Abg. Völk gegeben hatte. Die Reichsboten trennten sich am 10. Febr. in einer frohen Stimmung, die nicht nur die Freude über das bevorstehende Wieder­sehen der Ihrigen und über das Wieder­eintreten in den Beruf, sondern auch die gewonnene Gewißheit zur Ursache halte, daß jene Gerüchte von der Neichstags- mchrheit feindlichen Absichten des Reichs­kanzlers, die in der nunmehr beendeten Session anfangen würden, sich praktisch zu äußern, auf leerer Erfindung beruhten, daß allem Anscheine nach die streng con- stitutionelle Haltung des Kanzlers und dessen gutes Einvernehmen mit dem Par­lamente fortdauern werden.

Inzwischen ist es vollständig klar ge­worden, warum der französische Minister des Innern den Polizeipräfccten Renault von Paris zum Rücktritte veranlaßt und ihn durch den Wallonisten Voisin ersetzt hat. Er hat sich damit das Bündniß der Bonapartisten für die Wahlen vom 20. Febr. erwerben wollen und, wie es scheint, auch erworben. Die Bonapartisten gehen si.'btlich bei dem Aufstellen der Kandidaten- Vergleiche mit dem Büffet'ichenWahlcomilae ein. Vielfach entsagen die bonapartistischen zu Gunsten der Büffct'schen Kandidaten Das Alles aus Dankbarkeit für die Ver drängung des wülheuden Bonapartisten- feindes Lson Renault von jenem Posten, von dem aus er dieser Partei so g.fährlich hätte werden können.

Die Resultate der letzten Volkszählung in Deutschland liegen soweit vor, daß ste interessante Vergleichungen gestatten. Das deutsche Reich zählt jetzt 13 Städte mit mehr als 100,000 Einwohnern, nämlich:

I) Berlin mit Umgebung 1 Million, 2)

Hamburg-Altona 350,000, 3) Breslau

240,000. 4) Dresden 196,000, 5) Mün­chen 190,000,6) Elberfeld-Barmen l 60.000, l 7) Köln 131,000, 8) Hannover 129,000,! 9) Leipzig 126,000,10) Magdeburg 120,000,

II) Königsberg 119,000, 12) Stuttgart 107,000, 13) Frankfurt a. M. 103,000.

Nun folgen 19 Städte mit mehr als 50,000, jedoch unter 100,000 Einwohner,', nämlich: 14) Danzig, 15) Stettin, 16) Bremen, 17) Straßburg. 18) Nürnberg, 19) Aachen, 20) Düsseldorf, 21) Creseld, 22) Chemnitz, 23) Halle, 24) Kassel, 25) Braunschmeig, 26) Pose», 27> Mühlhausen, 28) Metz. 26) Mainz, 30) Augsburg, 31) Essen, 32) Dortmund. Geht mau 60 Jahre zurück, so gab es damals in Deutschland nur eine Stadt mit 200,000 Einwoyiier» (Berlin), eine mit 80,000 (Hamburg) Und zwei mit 50,000 (Breslau und Königsberg). Die Einwohnerzahl in Deutschland hat sich seit 1815 nahezu verdoppelt, wühlend die in Frankreich in demselben Zeitraum sich nur um den süinten Theil vermehrt hat.

lieber die Merkmale der Unechlheit der bisher zum Vorschein gekommenen falschen Neichskassenscheiue ü 20 Mark werden der B. V.-Z." jetzt von unterrichteter Seite folgende Mittheilungen gemacht: Die fal­schen Scheine sind mittels Lithographie hergestellt, während die echten theils in Kupfer , theils in Buchdruck hergest.lli sind. Die Schauseite zeigt folgende wesentliche Unterschiede: Die auf der linken Seite be­findliche Relieftafel, sowie die Schraisirung hinter der ZeileNeichs-Kassen-Schein" ist ungleichmäßig gelhellt und füllt dies schnell in die Augen. Die Krone über dem Adlerstempel, welche bei den echten Scheinen achteckig gezeichnet ist, erscheint bei den falschen flach. Als besonderes Kennzeichen fehlt an den Emblemen zu Füßen des Herolds die Schraffirung beim Aukerringe. Die Ranke, welche bei den echten Scheinen über dem Worteverfälschte" der Straf­androhung vorhanden ist und die Punkte über demn" verdeckt, sehtt den falschen. Bei der ZeileBerlin, den I I. Juli 187-t" fehlt der Punkt hinter I I.

Eine kürzlich veröffentlichte statistische Ueberstchl über den Eingang der franzö­sischen Steuern im Jahre 1875 ergab cm glänzendes Bild von der großen Steucr- krast des tranzöstscheu Volkes. Freilich ist zuzugestehen, daß die außerordentlich gün­stigen Ernten der beiden letzten Jnbre zur Erhöhung der Steucrkrafi viel beigeiragen baben. Die Honplursache iudcß, welche die kolossale Steigerung des Ert-ages dieser Steuern um 143,181 000 Frank.» in zwei Jahren zu einer keineswegs druckend, n Last gestaltet hat, ist das seit dem Kriege in hervorragender Weise zu Tage getretene Bestreben anhaltenden Fleißes. Vor allen Dingen ist in Frankreich von bestem Ein­fluß die knappe Zabl der Feierlage, wäh­rend in unseren katholischen Gegenden.n Rhein und an der Ems die oroße Zahl der kirchlichen Feste zu den hai-siasteü und schädlichsten Störunge» regelmäßig, r Er- werbstbätigkcit beiträgt. Daß diese Feier­tage nicht wirklicher Frömmigteit. ioiid.ru l wesentlich der Bolleret und Faulheit, und I böchstenS änß.r.r Kirchlichkeit Vorschub lei­sten, wird rou j-dem, der esi.ne Augen ! bat. ziigkslanden werden. Daß r.mgrkebrl in Bedien und Frankreich, wo bekanntlich